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^ 94 .
Ne«e»bürg, Montag dm 18. Juni 1906.
64. Jahrgang.
LiunSschau»
Während die Volksvertretung des deutschen Reiches sich längst der ausgedehnten Ferienruhe, die bis zum Herbst dauern wird, erfreut, find die Par- lamente der Einzelstaaten zum' Teil »och eifrig an der Arbeit. Die württembergische Kammer der Abgeordnete» hat in letzter Woche in der Schluß, abstimmung mit der »ötigen Zweidrittelsmehrheit die heißumstrittene Berfassungsreform, alsdann auch das Landtagswahlgesetz angenommen. Auch in der bayerische» zweiten Kammer ist in den letzten Tagen über mancherlei.Staats- und gelehrte Sachen" und geleerte Sachen verhandelt worden, nämlich unter anderem über die Maßkrüge, welche an ihrem Kopfende eine mehrere Zentimeter um- fassende Leere aufweisen, für die der dort befindliche Schaum den durstigen Kehlen nur einen unzureichen- den Ersatz bietet. Am Freitag hat sich auch der preußische Landtag, oder vielmehr zunächst seine wenn auch nicht bessere, so doch feudalere Hälfte, das Herrenhaus, zum letzten Abschnitt der diesmaligen Tagung zusammengefunden. Die erste preußische Kammer hat sich alsbald an die Hauptaufgabe herangemacht, deren Lösung ihr obliegt, nämlich an das vielumstrittene Volksschulgesetz, welches im Abgeordnetenhause vor den Pfingstferien nach schweren Kämpfen zustande gekommen war. Wenn das hohe Haus der Herren die Vorlage nicht so annehmeu würde, wie sie nach mannigfachen Um- Wandlungen das Abgeordnetenhaus verlasse« hat, dann würde der Kampf noch einmal von vorn be- ginnen, da der Gesetzentwurf dann wieder an die zweite Kammer zurück müßte. Aber es ist mit ziemlicher Sicherheit darauf zu rechnen, daß das Herrenhaus zu der Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt Ja und Amen sagen und somit dieser Kampf um die Volksschule noch im laufenden Monat sein Ende finden wird.
Celle, 16. Juni. Der Kaiser traf um 2 Uhr hier ein und besichtigte das Schloß, nahm den Vor- beimarsch der Garnison ab, verweilte dann längere Zeit in der Stadtkirche und setzte dann kurz nach 3 Uhr die Weiterfahrt über Uelzen nach Hamburg fort.
Hamburg, 16. Juni. Der Kaiser traf bei der St. Pauli-Laudungsbrücke um 7 Uhr ein. Hier wurde der Kaiser vom Bürgermeister Dr. Burchärd und Dr. Stammann, sowie von dem preußischen Gesandten Frhrn. v. Heyking empfangen. Sodann begab sich der Kaiser au Bord der Hamburg, wo er die Offiziere der Hohenzollern mit dem Kapitän Jngewohl an der Spitze begrüßte. Abends begab sich der Kaiser nach der Villa des Direktors der Hamburg-Amerika-Linie, Kapitän z. S. a. D. v. Grumme, und wohnte dort der Taufe des Sohnes Grummes bei.
Washington, 16. Juni. Präsident Roosevelt hat zum Konsul in Stuttgart Henry Morgan ernannt.
In Rußland droben, wie schon berichtet, ernstere Wirren auszubrechen. Ueber die Krawalle in Bialy. stok wird amtlich folgendes gemeldet: „Angesichts der hochgradigen Erregung der Bevölkerung von Bialystok mußte der Gouverneur damit rechnen, daß eS bei den örtlichen Prozessionen am 14. ds. zu Ruhestörungen kommen würde, und er traf deshalb alle ihm zukommenden Maßnahme» zur Aufrecht- erhaltung der öffentlichen Ordnung. Nichtsdestoweniger störten Uebeltäter den Umzug. Außerhalb der Stadt wurde aus jüdischen Häusern auf eine Prozession geschossen. Die Zahl der dabei Getöteten läßt sich nicht feststelleu. Zwei Bomben verursachten keinen Schaden. Bauern und Arbeiter, in ihren religiösen Gefühlen verletzt, begingen dann Ausschreitungen gegen die Juden. Truppen gelang es, diese Ausschreitungen zu beschränken. Am Freitag morgen brachen die Unruhen mit erneuter Heftigkeit aus. Es wurden mehrere Bomben geworfen. Die
j Menge schoß und die Truppen erwiderten das Feuer." Auch am Samstag scheinen die Krawalle noch fortgedauert zu haben, so daß in St. Petersburg der Befehl erteilt wurde, sofort 2^/s Regimenter und eine Kosakeusotnie nach Bialystok zu entsenden.
Berlin, 16. Juni. Aus Bialystok wird gemeldet: Das Plündern und Morden dauert fort. Die hiesige Garnison und einige benachbarte Garnisonen haben die Stadt eingeschloffen und beschießen sie unausgesetzt. An verschiedenen Stellen der Stadt ist Feuer ausgebrochen. Die Lage ist trostlos. Nur wenige Juden vermochten unter hohen Geldopfern aus der Stadt zu entkommen. — Des weiteren meldet der „ Lokal-Anz.": Privatnachrichten zufolge sollen bei den Judenmassakres über 600 Juden getötet und verwundet worden sein. Mehr als 200 Magazine und Wohnungen wurden demoliert und ausgeraubt 6000 Juden flüchteten in die nächsten Wälder. Diejenigen, die sich auf den Bahnhof retten wollten, wurden unbarmherzig niedergemacht. Militär und Polizei setzt schon 8 Stunden den Massakres kein Hindernis entgegen.
St. Petersburg, 16. Juni. Wie die „Pet. Tel.-Ag." aus Bialystok meldet, hat dort das Schießen gestern mittag wieder begonnen. Viele Personen sollen das Leben eingebüßt haben. Auf dem Bahnhof wurden 6 jüdische Reisende getötet. Am heutigen Tage wurde über Stadt und Bezirk Bialystok der Kriegszustand verhängt.
Warschau, 16. Juni. Gestern wurden hier 2 Polizisten auf der Straße erschossen. I» Zgierz (Sgersh) überfielen 16 verkleidete Räuber das Postamt, verwundeten 3 Beamte und einen Soldaten. Als Hilfsmannschaften erschienen, ergriffen die Verbrecher die Flucht.
Moskau, 16. Juni. Ein schreckliches Ver- brechen wird aus Schitomir gemeldet: Im Flecken Janowa wurde die ganze Familie Belzinger, Man», Frau, zwei Söhne und drei Töchter ermordet und 20000 Rubel geraubt. Der 13 jährige Sohn, ein Gymnasiast, wurde gezwungen, den Mördern während dieser schauervollen Vorgänge das Licht zu halten. Der Junge wurde wahnsinnig. Die Mörder wurden gefangen genommen, einen derselben erschlug die Menge.
Melitopol (Ruff. Gouv. Taurien), 16. Juni. Ein furchtbarer mit Hagelschlag verbundener Orkan hat im Kreise gegen 100000 Deßjatinen Saaten und Weinberge vernichtet. Es fielen Hagelstücke bis zu zwei Pfund schwer, durch welche viel Vieh erschlagen wurde.
Berlin, 16. Juni. Der „Lokalanzeiger" meldet aus New-Jork: Nach einer Meldung aus Rio City fand an der mexikanischen Grenze eine erbitterte Schlacht zwischen Amerikanern und Mexikanern statt. Der amerikanische Gouverneur sandte eine Abteilung Truppen, um die Ruhe herzustellen. Eine Privat- depesche bestätigt die Nachricht uud meldet, mehrere Amerikaner und Mexikaner seien getötet worden.
Bern, 14. Juni. Der Bundesrat beschloß die bei der internationalen Konferenz für Arbeiterschutz vertreten gewesenen Staaten zu einer neuen diplomatischen Konferenz einzuladeu. Dieselbe soll in der zweiten Hälfte des September in Bern zu- sammentreten und sich mit der Frage der Aufstellung eines internationalen Vertrags betr. das Verbot der Nachtarbeit der Frauen in der Industrie befassen. Die Konferenz wird vom Bundesrat Deucher eröffnet werden. Was das Verbot der Verwendung des gelben Phosphors betrifft, so hat man für den Augenblick davon abgesehen, ein internationales Ab- kommen vorzuschlagen, da die von verschiedenen Staaten gestellte Bedingung, nämlich die Zustimmung Japans zu den Beschlüsse», nicht erfüllt wurde.
Eine neue Art des politischen Massenstreiks beabsichtigt, wie der .Reichsbote" wissen will, die Sozialdemokratie für die nächsten Wochen in Preußen einzuführen. Den Anlaß dazu sollen die Petitionen
biete», die die sozialdemokratische Parteileitung an den preußischen Landtag richtete und in denen die Abänderung des preußischen Wahlrechts gefordert wird. Die Erledigung dieser Petitionen im preußischen Landtag steht für Ende ds. Mts. bevor und ihre glatte Ablehnung ist so gut wie sicher. Die Sozialdemokratie will nun in dieser Voraussicht Massenversammlungen einberufen, und zwar sollen diese, um ihnen den Charakter eines Massenstreiks zu geben, erst am Abend vorher angekündigt und auf die Arbeitszeit verlegt werde», damit wieder einmal .alle Räder stillstehen".
Vaterlandslose Gesellen. In einer sozial- demokratischen Versammlung im vierten sächsische» Wahlkreise ist vor kurzem die Aeußerung gefallen, man müsse eigentlich bei unser» Verhältnissen statt .Deutsch- laud, Deutschland über alles" singen: .Deutschland, Deutschland auf dem Hund". Wieviel Verhetzung gehört dazu, um bei einem in Deutschland geborenen Manne eine derartige Verhöhnung und Verächtlich, machung des eigenen Vaterlandes auszulösen! Welch einen abstoßende« Eindruck solche Aeußerungen auf fremde Völker erregen, dafür bedarf es Wohl keines besonderen Beweises. Ob es Wohl auch in England oder Frankreich einen Mann gibt, der es wagen würde, in einer öffentlichen Versammlung etwas derartiges gegen die Nationalhymne auszusprechen? Dieser zweifelhafte Ruhm dürste doch Deutschland Vorbehalten bleiben.
Berlin, 13. Juni. Die Lustbarkeitssteuer deren Einführung der Berliner Magistrat heute beschlossen hat, baut sich auf dem Umfang der Grundfläche auf, den die bei festlichen Veranstaltungen benutzten Räume haben.
Berlin, 15. Juni. Als das einzige noch ver- käufliche Hauptwerk von A. Menzel ist heute das auf der großen Berliner Kunstausstellung befindliche Bild: .Falke und Taube" anzuseheu. Aus den Menzelfonds wurden kürzlich noch das „rbeatre du um 90000 -/L und das .Ballsouper" um 160000 vom Staat erworben. Die letztgenannte Summe ist die höchste, die bisher für ein modernes deutsches Staffeleibild bezahlt wurde.
Der Massenmörder Dittrich ist jetzt in das Untersuchungsgefängnis nach Berlin eingeliefert worden. Er gestand bis jetzt 9 Lustmorde zu. Jede Absicht des Mordes leugnet er und behauptet, er habe beim Anblick von Frauen blindlings um sich ge- stoßen, ohne die Absicht der Tötung gehabt zu haben. D. ist auch einer der gefährlichsten Einbrecher. In Dresden hat er bereits 46 Einbrüche eingestanden, darunter eine», bei dem er einen Wächter erschoß und für 100000 Wertsachen und Bargeld erbeutete. Er wird zunächst in einer Irrenanstalt längere Zeit beobachtet werden. Die vorläufigen Beobachtungen haben ergeben, daß er zurechnungsfähig sei.
München, 16. Juni. Bei den heutigen Radrennen auf der Bahn von Milbertshofen wurde u. a. auch ein 50 Kilometer-Rennen ausa «fahren. Erster wurde Günther in 38 Minuten 21'ft Sekunden.
Karlsruhe, 11. Juni. Der 13 Meter hohe Friedrich-Luisen-Turm auf dem Feldberg genügt nicht mehr dem Bedürfnis und ist auch sonst abgängig ge- worden. Der badische Schwarzwaldverein hat deshalb die Errichtung eines neuen, den heutigen Bedürfnissen entsprechenden Turmes mit einem Kostenaufwand von 40 bis 45 000 beschlossen und erläßt für in Baden wohnende Architekten einen Wettbewerb, wobei drei Preise mit 500, 300 und 200 ^ zur Verteilung kommen und weitere Entwürfe zum Preise von je 200 angckanft werden können.
Frankental, 13. Juni. Wie stramm die pfälzischen Gerichte gegen die Weinpantscher Vorgehen, geht aus einem vor der hiesigen Strafkammer zur Verhandlung gebrachten Prozeß gegen Wein- Händler Theo Schneider und dessen Prokuristen Hermann Schober, beide von Neustadt, hervor, in dem erster» wegen Weinfälschuug zu 5 Monate»