« Der Lnztäler. ^

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Neuenbürg, Freitag den 20. Oktober 1905.

j 63. Jahrgang!

Deutschland zur See.

.Die Bedeutung einer starken Seemacht" hat Generalleutnant z. D. v. Liebert auf dem deut­schen Kolooialkougreß anschaulich geschildert. Der Redner bewies zunächst, daß wir mit allen Kräften größere Schiffe mit stärkerer Artillerie und schnellere Panzerkreuzer bauen müssen, und führte dann etwa folgendes aus: Die Schwächen unserer Flotte sind zahlenmäßig jedem Gegner be- kannt. Es ist nichts zu vertuschen. Die heutige deutsche Schlachtflotte ist nicht einmal der englischen Kanal- und Atlantikflotte gewachsen. Deshalb kann nicht genug betont werden: eine schwache Flotte ist eine Verschwendung, nur eine starke Flotte ist eine Bürgschaft für die Erhaltung des Friedens, für die Zukunft und Machtstellung des deutschen Volkes.

Was die volkswirtschaftliche Bedeutung der Seemacht betrifft, so hat die Sozialdemokratie allerdings neben dem Worte Militarismus noch den Begriff Marinismus aufgestellt, um der großen Be­lastung des steuerzahleuden Volkes Ausdruck zu geben. Aber die Kriegsflotte ist die beste Stütze und Sicher- heit für den Volkswohlstand, für das Anwachsen deS Reichtums und für die Machtstellung der Nation. Wir bedürfen der Seemacht zur Verteidigung unserer Küsten gegen eine Blockade und zum Schutze des Ueberseehandels, d. h. zur Sicherung unserer Ein- uud Ausfuhr. Der deutsche Handel über See hat gegenwärtig einen Wert von 8 Milliarden Mark, er hat sich erst zu dieser gewaltigen Zahl gehoben, seitdem unser Handel unter der deutschen National- flagge geht. Vor allem bedarf unsere so mächtig angewachsene Industrie der stetig und gleichmäßig gesicherten Zufuhr der Rohstoffe und der ebenso ge- sicherten Ausfuhr ihrer Erzeugnisse. Sie selbst schafft Kohlen, Eisen, Stahl, die Holzarbeiten, die Maschinen und Apparate für die Schiffe, sie baut die Schiffe selbst.

Biele tausend Arbeiter mit ihren Familien leben vom Schiffsbau und von den unzähligen Arbeiten für den Schiffsbau. Auf den kaiserlichen Werften Ware» 1898: 12000, 1905: 17000 Men­schen beschäftigt. Damals betrug das Durchschnitts­einkommen des erwachsenen Werftarbeiters noch nicht 1200, heute 1354 Mit Ausnahme der Hütten- und Stahlwerke und der Privatwerften fließt das ganze Marinebudget in die Taschen der Ar- beiter; der Unternehmergewinu fällt hier fort. Unsere deutsche Arbeiterbevölkerung ist daher an dem Ausbau unserer Flotte als verdienender Teil und durch den Schutz gegen Blockade, Hungersnot und Arbeitslosigkeit lebhaft

interessiert. Wenn Bebel es durchsetzte, daß keine Kriegsschiffe mehr gebaut würden, so wäre das für die Arbeiter eine so folgenschwere und Verhängnis- volle Maßregel, daß sie voraussichtlich mit Revo­lution antworten würden. Die ganzen für die Marine bewilligten Summen bleiben im Lande, setzen sich in Arbeit und Verdienst um, aber auch der Scharfsinn, der Elfinduugsgeist werden mächtig auf diese Weise angeregt.

Welche Vervollkommnung unserer Werften und des Schiffbaues, unserer Stahl- und Waffenindustrie, der Mechanik und Technik jeder Richtung haben wir in den letzten 40 Jahren in Deutschland verfolgen können! Das ist kein Marinismus, das ist Kultur­arbeit im höchsten Sinne des Wortes, und zwar um so schöner, weil sie gleichzeitig unS national fördert und die übrigen Völker mit Achtung vor unseren Leistungen erfüllt.

Ohne Kriegsflotte vermöchten wir keine Kolonie zu erwerben, und ohne Kolonialbesitz wäre Deutsch- land für die Zukunft volkswirtschaftlich lahmgelegt und Politisch in eine traurige Rolle herabgedrückt. Preußen ist durch die gewaltige Arbeit an seiner Armee nicht verarmt, nicht zugrunde gegangen, sondern groß und mächtig geworden. Das deutsche Reich hat die gleiche Aufgabe an seiner Marine zu erfüllen, es darf sich nicht durch abgedroschene Reden wie unproduktive Ausgaben und Überlastung des Steuerzahlers abschrecken lassen. Wenn wir erst zu Wasser und zu Lande eine gleich achtunggebietende Macht sein werden, dann wird auch das Motto sich bewahrheiten: Das 20. Jahrhundert gehört den Deutschen!

vermischtes.

Karlsruhe, 19. Okt. Ein Ojähriges Kind fiel durch den Schacht eines wendelförmigen Treppen­hauses vom 4. Stock herunter, erlitt einen Schädel­bruch und starb alsbald.

Staufen, 17. Oktbr. In einem unbewachten Augenblick trank ein etwa zwei Jahre altes Kind ans einem Fläschchen, das Lötwasser enthielt. Es erlitt so schwere innere Verletzungen, daß der Tod andern Tags eintrat.

Braunschweig, 18. Oktober. Ein 18 jähriger Kaufmannslehrling erschoß die 18 und 22 Jahre alten Töchter seines Chefs, deS Kaufmanns Harrs, mit ihrem Einverständnis. Er selbst verlor den Mut, sich ebenfalls zu erschießen, wie verabredet war, und stellte sich der Behörde. Er soll seinem Lehrherrn 800 unterschlagen haben.

In Neuhäuser im Dreisamtal (Baden) ist heute das Gasthaus z. Tanne vollständig niedergebrannt. Den Bewohnern war es nur möglich, das nackte Leben zu retten. 22 Kühe und 2 Pferde kamen in den Flammen um. Ein alter Mann mußte aus dem brennenden Hause getragen werden, ebenso ein be- trunkener Knecht, der erst heimgekommen war und vermutlich ein Zündholz von sich geworfen hat. Er wurde verhaftet.

Nach der ,B. Z. am Mittag" ist der Zirkus Sarrasini, der zurzeit inA11enstein Vorstellungen gab, durch einen Sturm völlig vernichtet worden. Der Sachenschaden beträgt ungefähr 50 000 Mannschaften vom 151. Infanterieregiment nahmen an den Rettungs- und Abräumungsarbeiten teil. Das gesamte Personal ist brotlos. Zahlreiche Pferde und Elefanten müssen auf der Straße kampieren.

München, 7. Okt. Der Zirkusdirektor Sidoli hatte sich in einer Wette verpflichtet, ein rohes Pferd innerhalb drei Tagen so zu dressieren, daß es in der Vorstellung vorgeführt werden könnte. Diese Wette kam gestern zum Austrag. DieAllg. Ztg." berichtet darüber: Nach der ersten Abteilung trabte ein schwerer Schimmel, der Thomasbrauerei gehörig, mit dem Zuggeschirr angetan, in die Arena. Er wurde sogleich von den Zirkusbediensteten in Empfang genommen und des Geschirrs entledigt. An Stelle desselben erhielt er nun glänzenden Zirkusschmuck, wallende Federn, so daß der Schimmel einen ganz vorzüglichen Eindruck machte, zumal der Schimmel im Gefühle seiner Pracht das wohl auch fühlen mochte, denn er spazierte nun ganz stolz einher. Die Vorführungen begannen. Zuerst mußte unser Schimmel mehrmals die Arena umkreisen, sodann bestieg er ein Podium, über welches dann, durch die Füße des Schimmels hindurch, ein schwarzer Pony sprang. Auch hielt sich unser Künstler ganz wacker und ließ sich nicht im geringsten irre machen. Nach den Klängen der Musik ging er sodann im Takte und zum Schluffe setzte er im Trab über mehrere etwa '/s Meter über dem Boden aufgestellte Sparren. Das Publikum war ob dieser erstaunlichen Leistungen der Dressurkunst ganz begeistert und klatschte immer wieder stürmisch Beifall. Direktor Sidoli erntete allseits großes Lob uud wurde unzählige male gerufen. Auch heute abend wird der Schimmel wieder vorgeführt werden. Beim Verlassen des Zirkus beobachtete man ihn, wie er im Trab seiner Heimat zugeführt wurde, wo er tagsüber den Bierwagen der Thomasbrauerei durch die Straßen Münchens zu ziehen hat.

In Wetter a. d. Ruhr sind einer Arbeiter­

Nrrr nicht eifersüchtig!

Humoreske von Adolf Thiele.

- (Nachdruck verboten.)

Es war ein wunderschöner Sommermorgen.

In einem Koupee des Zuges, der zu früher Stunde am Potsdamer Bahnhof zu Berlin abge- zangen, saß ein junges Paar, unzweifelhaft ein «kurz- verheiratetes" Ehepärchen. Er war hübsch und sie desgleichen, und so schienen sie denn recht hübsch zusammeuzupassen.

«Das ist doch zu fatal, daß ich mein Reise- Necessaire vergessen mußte," klagte die junge Frau, als sich der Zug in Bewegung gesetzt halte.Die ganze Vergnügungsreise könnte mir dies verderben."

Liebe Hilda, es ist nicht so schlimm," tröstete der Gatte.Das meiste davon ist ja so wie so un­nütz und das Unentbehrlichste kaufen wir unten in Thale ein. Doch nun bitte ich Dich um Verzeihung, mein Mäuschen, ich habe das Morgenblatt noch nicht gelesen."

Damit zog er eine Zeitung aus der Tasche, bot seiner Gattin ein Blatt an und vertiefte sich in seine Lektüre.

Hilda überflog die Familievuachrichten, danu aber blickte sie wie geistesabwesend über das Blatt hinweg und gab ihren Gedanken Audienz.

Und leider hatte sie gar mancherlei Gedanken!

Das letzte Jahr zog au ihrem geistigen Auge vorüber. Wie schön war es gewesen, als sie nach einer seligen Brautzeit mit ihrem geliebten Willibald

vor dem Altäre stand und als er sie dann nach einer kleinen Reise in das behagliche Heim führte, das sich beide geschaffen!

Wie glücklich hatten sie diese ganze Zeit verlebt! Nur für sie hatte ihr Willibald Augen gehabt, uud so freundlich, so liebevoll, so häuslich war er stets gewesen!

Und wie hatte sich nun alles seit kurzem so schrecklich geändert!

Vor etwa acht Tagen war ein Brief an Willibald angkkommen, ein Brief, dessen Adresse unzweifelhaft von der Hand einer noch jungen weiblichen Person geschrieben war.

Der Brief trug den Poststempel Potsdam. Das war verdächtig. In Potsdam war Willibald längere Zeit in Stellung gewesen, ehe er sich an dem Geschäft in Berlin beteiligte, und Verwandte besaß er dort nicht.

Was kann von Potsdam Gutes kommen?" fragte sich Hilda.

Als Willibald den Brief laS, beobachtete sie genau seine Gefichtszüge.

War es Gleichgültigkeit oder Verstellung? Er verzog keine Miene.

M^s steht darin?" fragte sie ihn möglichst nn- befangen.

Nichts, was Dich interessieren könnte, mein Kind! Geschäftliches!" antwortete Willibald ebenso ruhig. Er schloß den Brief in seinen Schreibtisch.

Als er sich nachmittags in seinem Geschäft auf- hielt, suchte Hilda, von heftigen Zweifeln gequält, sämtliche kleine Schlüssel, deren sie habhaft werden

konnte, zusammen und Probierte sie am Schreibtisch. Einer von ihnen bereitete ihr die Freude, das Schloß zu öffnen.

Die Leidenschaft überwand ihre Gewissensbisse, sie nahm den Brief heraus. Was mußten ihre Augen sehen? Sie schauderte, als sie die folgenden von weiblicher Hand geschriebene» Worte las:

Sehr geehrter Herr Holtze!

Nochmals wende ich mich an Sie mit der dringen- den Bitte, sich des Versprechens zu erinnern, das Sie mir vor Ihrer Abreise gaben. Ich hatte so sicher auf Sie gerechnet, doch auch jetzt habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß Sie mich im Stich lassen werden.

Mit der herzlichen Bitte, mich nicht zu vergessen, bleibe ich in voller Ergebenheit B. Mälzer.

Wer war diese B. Mälzer? Schlaflose Nächte schuf ihr dieser verhaßte Name, und auch in ihren Träumen tönte er immer wieder.

Und ihr mußte dies geschehen, ihr, die den ge- liebten Gatten stets so überwacht, ihn so vor dem Verkehr mit anderen Frauen bewahrt hatte? Und doch konnte sie ihren Verdacht nicht aussprechen!

Ihr Puls klopfte, ihr Auge funkelte, als sie jetzt, wie schon so oft ganz verstohlen zu Willibald hinüber- blickte. Es war ja noch eine junge Dame im Koupee, sie mußte also acht geben. Doch wie lange sie ihn auch beobachtete, er schien nur für seine Zeitung Sinn zu haben.

Natürlich," sagte sich Hilda,er beachtet sie nicht, denn er denkt ja au jene in Potsdam."