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^ 1V.

Neuenbürg, Montag den 18. Januar 1904.

62. J chrgang.

Rundschau.

Am letzten Donnerstag wurde im Reichstage über die Interpellation der Nationalliberalen be treffend Einführung der obligatorischen Alters- und Jnvaliditäts-Versicherung für die selbständigen Hand­werker verhandelt. Die Interpellation begründete Abg. Dr. Becker (Hessen) mit der schlechten wirt­schaftlichen Lage des Handwerkerstandes. Vom Staatssekretär Grafen v. Posadowkky wurden darauf in eingehender und überzeugender Weise die Bedenken entwickelt, welche einer Ausdehnung der staatlichen Zwangsversicherung auf das Hindwerk entgegen- stehcn. Im Sinne der Antracsteller sprach noch eine ganze Reihe von Abgeordneten, während andere, darunter auch ein Vertreter des Handwerkerstandes, der Zevtrumsabgeordnete Euler, sich mehr oder minder ablehnend verhielten.

Berlin, 16. Jan. Zur Reichstagsersatzwahl in Eschw ege-Schmalkalden hat bie freisinnige Volks- Partei des Wahlkreises den Bolksschullehrer Otto Merten in Berlin als Kandidwen aufgestellt. Er ist Vorsitzender des Wahlvereins der freisinnigen Volks- Partei im 6. Berliner Reichstagswahlkreis.

Berlin, 16. Januar. Me die »Tägl. Rdsch." erfährt, gedenkt die Regierurg zur Unterdrückung des Hereroaufstands eine Verstärkung von 500 Mann nach Südwestafrika zu Huden und wird die ent­sprechende Vorlage dem Reichstag in den nächsten Tagen unterbreiten.

.W.v-i'eche'.n, i,?. Zan. Im zweiten Ausschüsse der Kammer der Reichsräte erklärte, wie dieM. Allg. Ztg." berichtet, Finanzminister Dr. Freiherr v. Riedel über die Frage des Trinkgelderwesens und des schlechten Einschenkens im kgl. Hofbräuhause, daß die von ihm hinausgegebenen strengen Erlasse sich sowohl auf das Trinkgelderwesen wie auch aus das schlechte Einschenken erstreckten, daß aber in letzterer Beziehung eben nicht alle Uebelstände abgestellt werden könnten, weil das Publikum rasch bedient sein wolle, weil ferner das Bier stark treibe und weil Bedienung und Gäste nicht selten den Schenkkellner drängen. Es sei indessen angeordnet, daß jeder Krug auf Verlangen nachgesüüt werden müsse und außerdem, daß ein Gast, der kein Trinkgeld gebe, ebenso gut zu bedienen sei, wie einer, der solches verabreiche.

Der AankAock.

Kriminal-Skizze von W. M.

- (Nachdruck verboten.)

Leute, welche in der Bavery zu New-Aork, in der Nähe von Hefter Street wohnten, oder Gelegen­heit hatten, sich viel in jener Stadtgegend zu be­wegen, erinnern sich vielleicht noch eines älteren, hinkenden Mannes, der, auf einen dicken Stock ge­stützt, vor nicht allzu langer Zeit an Sonn- und Wochentagen sehr häufig dort zu sehen war. Er war anständig gekleidet, und man kannte ihn nur unter dem Namen .Old Sam". Er sollte in New-Jersey wohnen, doch wußte niemand genau, wo. Man hielt ihn allgemein für einen Farmer oder einen Bewohner einer der kleinen, in der Umgegend liegenden Orte.

Man nannte ihn auch den lahmen Sam, und wer seine stets ruhige Redeweise hörte und das freundliche Lächeln, welches beständig auf seinem Gesicht schwebte, sah, dem schien er ein recht harm­loser Mensch zu sein. Und wer ihm Sonntags mit andächtiger Miene auf seinem Kirchwege begegnete, der mußte sicher glauben, Sam sei ein guter, alter, Mann, der aus lauter Frömmigkeit die Kirche besuche.

Und das würde man heut noch glauben, wenn nicht Mr. Rugg gewesen wärel Und wer Mr. Rugg war, wird man bald ersehen.

Vielleicht ärgerte sich Mr. Rugg, daß Sam überall, wohin er ging, wohin er kam, freundlich ausgenommen wurde. Vielleicht ärgerte er sich auch,

Karlsruhe. In der Budgelkommission wurde von sozialdemokratischer Seite die Frage der Erbau­ung einer zweiten Neckarbrücke in Mannheim an­geschnitten und ein eventueller Staatszuschuß verlangt. Minister Schenkel lehnle jeden staatlichen Beitrag für diese Brücke ab, da sie nicht in den Zug einer Land­straße falle; auch bezweifelte er sehr die Notwendigkeit der Brücke, da eine Ueberlastung der Friedrichsbrücke nicht zugegeben werden könne. Im Gegenteil bei dem anerkannten Ordnungssinn der Mannheimer werde die Friedrichsbrücke so meinte der Minister noch lange ihren Zweck erfüllen; das malerische Verkehrsbild würde durch einen derartig starken Verkehr vorteilhaft gehoben, wenn Fußgänger, elektrische Bahn, Radfahrer, Fuhrwerke rc. in streng geordnetem Zug die Brücke passierten. Für die Höhe des Zu­schusses von einer Million hatte die Budgetkommission nur ein Kopfschütteln. Die Verfassungskommission trat heute in die Beratung der Wahlrechtsvorlage eiu. Es fand zunächst eine Generalberalung statt. Die Vertreter der verschiedenen Parteien äußerten sich zur Vorlage im allgemeinen und hoben die Punkte hervor, gegen welche mehr oder minder schwerwiegende Bedenken vorhanden sind. Im einzelnen sollen nach Beschluß der Kommission die Beratungen bis auf weiteres als vertraulich behandelt werden.

Eine unliebsame Neujahrsüberraschung hat das am 1. Januar in Kraft getretene Reichsgesetz über die Beschäftigung von Kindern in gewerblichen Be. trieben den Kegelgesellschaften gebracht. Es dürfen nämlich Kegeljunaen, welche noch volksschul. Pflichtig sind, an Sonn- und Festtagen überhaupt nicht, an anderen Tagen nicht nach 8 Uhr abends mit dem Aufsitzen von Kegeln beschäftigt werden. Kegeljungen, die das 12 Lebensjahr noch nicht voll­endet haben, dürfen weder an Sonn- noch an Werk» tagen in Gast- und Schankwirtschasten Verwendung finden. Diese Bestimmungen gelten sowohl für eigene Kinder d. h. solche des Wirts, wie für fremde, d. h. Kinder der Gäste. Die Zuwiderhandlungen sind mit nicht unbedeutenden Strafen belegt.

Lahr, 13. Jan. Das Reichswaisenhaus zählt 51 Zöglinge, von denen ihm zwei durch den Fecht­schulverband Straßburg zugewiesen find, ein Knabe im Alter von jetzt 14 Jahren aus Auch an der Mosel, und ein 13jähriger aus Colmar; auch befindet

daß Sam, obwohl er zwar oft unterwegs war, viel einkaufte, bar bezahlte, was er kaufte, nicht nötig zu haben schien zu arbeiten, und wollte nun dahinter kommen, welch' ein gutes Geschäft das sei, um auch davon zu profitieren, vielleicht doch genug. Mr. Rugg wünschte und suchte mit Sam bekannt zu werden, und da Sam ein umgänglicher, freundlicher Mann war, gelang ihm das auch bald. In New- Jersey lernte er ihn kennen, den alten Sam mit seinem dicken Stock, den er, wie Sam immer mit seinem freundlichen Lächeln sagte, gar nicht entbehren könne, weil er einer starken Stütze bedürfe. Wo man Sam sah, wo er saß, und ging oder stand, den Stock hatte er beständig in der Hand, er ließ ihn niemals von sich.

Ein merkwürdiger Stock! dachte Mr. Rugg.

Einmal traf er Old Sam und begleitete ihn ein Stück, ein andermal machte er eine Fahrt auf der Eisenbahn mit ihm, schwatzte mit ihm und wurde so immer näher mit ihm bekannt. Sam mußte ein wohlhabender Mann sein Mr. Rugg sah, wie oft er Zehndollarsnoten wechselte und ein spar­samer Mann auch, denn von einem Hotelwirt hörte er: .Ein Filz ist der Alte. Mit Zehndollarnoten bezahlt er, und für 55 Cents verzehrt er nur. Und nie bleibt er über Nacht."

Mr. Rugg stieß sich nicht an Old Sams Spar­samkeit, auch er war ein sparsamer Mann, er schien nur eine Passion zu haben, Zehndollarsnoten zu sammeln und so, ohne daß Old Sam es wußte,

sich unter den aus dem ganzen Reiche stammenden Zöglingen ein Straßburger, der dem Hause vom Fechtschulverband Frankfurt a. M. zugewiesen wurde. Unter den 51 Kindern sind sieben Geschwisterpaare.

Köln, 15. Jan. Die Kölner Pegelhöhe steht auf annähernd 2^2 m. In den letzten 24 Stunden ist sie etwa 1 m gestiegen. Die Schleppschiffahrt ist im vollen Umfange wieder ausgenommen. Aus den Ruhrhäfen entwickelt sich nach dem Oberrhein sowohl als nach dem Niederrhein ein recht lebhaftes Geschäft. Mosel, Saar und Lahn führen Hochwasser, weite Strecken überflutend.

Aus Baden, 16. Januar. Aus dem ganzen Land liegen Nachrichten vor über heftigen Sturm. Derselbe richtete bedeutenden Schaden an Dächern usw. an. So wurde in Mannheim eine 2,60 in hohe und 13 in lange Hofmauer umgeworfeu. In Freiburg fiel dem Sturm ein 18 Meter hoher Scklornstein der ChokoladefabrikBadenia" zum Op,er. Der hiedurch verursachte Schaden wird auf 45000 geschätzt In Karlsruhe riß der Sturm

einen 40 in langen Bauschuppen um. Verletzungen von Personen kamen glücklicherweise nirgends vor. In vielen Gegenden, so auch in Karlsruhe, gingen Gewitter nieder, begleitet von Blitz, Donner u. Hagel.

Breiten, 16. Jan. In Gochsheim brannte die große Ziegelei von Hermann Jung durch Feuer total nieder.

Bonudorf, 15. Jan. In der Staatsbrauerei Rothaus bei Grafenhausen ist heute nacht auf noch unaufgeklärte Weise Großseuer entstanden, das das alte Hauptgebäude mit vier großen Nebengebäuden vollständig zerstörte. Die neueren Gebäulichkeiten und das Wirtshaus konnten gerettet werden. Der Schaden ist groß Die Brauerei wurde in den letzten Jahren mit einem Kostenaufwand vort 286 000 ^ völlig umgebaut.

Die Schwarzwälder Uhrenindustkie entfaltet nach derNeuen Bad. L.-Ztg." gegenwärtig eine beachtenswerte Geschäftstätigkeit. Auch die Orchestrion» fabrikation Vöhrenbach, Unterkirnbach und Waldkirch hat in neuester Zeit ansehnliche Aufträge erhalten.

Ein Zementhaus wird durch die Vereinigung der nordamerikanischen Portlandzementfabrikanten auf der Weltausstellung i.' St. Louis mit einem Kostenaufwande von 200000 errichtet werden.

kamen die von ihm gewechselten Noten alle in Mr. Ruggs Hände. Auf allen Wegen begleitete Mr. Rugg Old Sam, zum Kaufmann, wenn der Alte für seine Tochter" blauen Kattun kaufte, zum Bäcker, Metzger sie hatten sich so aneinander gewöhnt, daß der eine den andern vermißt hätte, wenn einer von ihnen einmal einen Weg hätte allein machen müssen. Einmal nur einmal taten sie sich beide eine Güte an, Old Sam hatte sechs Zehndollarsnoten gewechselt und wollte einen Teil des Kleingeldes unter die Leute bringen, und so lud er Mr Rugg zu einem Glase Whisky ein. Es blieb nicht bei diesem einen Glase. Auch Mr. Rugg war heute nicht so sparsam als gewöhnlich, er spendete und nötigte Old Sam immer von neuem zum Trinken. Und Old Sam, weil es nichts kostete, trank trank soviel, daß er sich nicht nur auf seinen Stock, sondern auch auf Mr. Rugg stützen mußte, um vorwärts zu kommen. Und endlich ging es überhaupt nicht mehr weiter, und Old Sam sank müde in einen Landgraben. Mr. Rugg setzte sich neben ihn.

Old Sams Hände lagen auch jetzt noch um seinen dicken Stock. Mr. Rugg sah das und sagte, wie es scheint, auch schon mit unsicherer Zunge: Ein sonderbarer Stock." Und langsam trotz Old Sams Widerstreben nahm er den Stock und be­trachtete ihn neugierig auf allen Seiten. Er ver­suchte endlich auch, ob der große Knopf abzu- schrauben ging. Wirklich es ging, und nun fand er, daß innen ein Bindfaden befestigt war.