— SN) —
Jack bog das knarrende Hofthür im Zaune neben den Büschen zurück und war eben im Begriff, gegen das Haus zu schreiten.
Die Arbeit in den Ställen war gethan, er wollte nun nach Marei sehen. Endlich am Ziele nach langem Kampfe. Jede Fiber in ihm bebte bei dem Gedanken an den Preis seines Ringens. Welch eine stolze Bäuerin sollte sie werden und des Alten Besitztum sollte das schönste im ganzen Appenzell sein. Woher er die hohen Mittel zur Erweiterung nehmen konnte, wußte keine Seele außer ihm. Er hatte es nicht mehr nötig, das blanke Gold, nicht mehr wie damals, da er ein armer Bursche war, aber gut ist das Geld immer.
Wie viele täglich an dem Schatz vorübergingen, ohne was zu ahnen.
Noch einen Schritt that Jack, unhörbar im weichen Grase, dann blieb er wie vom Blitz getroffen stehen.
Vor dem Alten lag eine Gestalt im Grase! Und jetzt sah Jack das scharf ausgeprägte Profil! 's war Steffen —!
Wie ein Eisstrom wälzte stch's über seine Seele. Er faßte seinen Kopf wie im Wahnsinn — seine Augen, sie saßen noch in ihren Höhlen, sie konnten ihn nicht trügen!
Aber hatte er nicht damals auch gesehen, wie ihn die schäumenden Wellen hinabzogen — er blickte hin, der verratene Freund kam nicht wieder und der allein hatte ihn inmitten des Sturmes auf dem Raub ertappt und nur geschwiegen, da sie noch alle in Todesgefahr waren. Und nun! Kommen sie alle wieder, die er in den Tod geführt, die ganze Mannschaft? Umsonst, daß er sich quälte die Jahre, um jeden Verdacht zu ersticken? Alles umsonst? —
Der letzte Ort, das graue Zuchthaus! Aber besaß er nicht noch Hände und Füße? Und am Felsensteg der hohle Baum — mit dem Schatz oes „Phönix!"
^,Er wollte fort, aber ein heißer keuchender "Laut entquoll seiner Brust. Steffen sprang auf; es war zu spät für Jack. Er war entdeckt.
Aug' in Aug' standen sich die beiden Gegner drohend gegenüber. Einer erkannte den andern und sie wußten auch, was sie von einander zu halten hatten.
„Jack," rief ihn Steffen an.
Als Antwort flog ein Pfeiffender Gegenstand an dem Heimgekehrtcn vorüber und die Axt, die Jack vom Hag gerissen, grub sich in die weiche Erde ein.
Mit einem Wutschrei sprang Steffen dem Davoneilenden nach. Aber der Mut der Verzweiflung schien dem Verbrecher Flügel zu geben. Schon war er am Felsensteg und mit einem Sprung saß er in der Gabel des hohlen Baumes.
An der Felsecke erschien Steffen. Er sah, wie Jack ein schweres Bündel aus der oberen öhlung nahm und mit dem lauten Ruf: „Das old des Phönix!" — war er am Fuße des Baumes angelangt. Jack konnte nicht mehr auf die Erde, ohne ihn zu treffen. Da überflog dieser die Entfernung von dem hinübergeneigten Ast bis an den jenseitigen Rand der Felsenspalte.
Ein Sprung über den Ast, krachendes Holz, ein lauter Aufschrei — in der Spalte unten polterte und schlug der Körper Jacks hin und her. Dazwischen klang es fein wie metallenes Getön. An den spitzen Kanten zerschlug sich die Hülle des Metalles und, ein goldener Sprühregen, flogen die Stücke auseinander.
Auf dem Grunde der Felsspalte lag Jack und über ihm zerstreut das blinkende Gold.
Der laute Ruf Steffens brachte bald einige Appenzeller in die Nähe, die bleich am Rande der Spalte standen.
„Bringt Leitern her, holt Stricke," feuerte sie der Fremde an.
In wenigen Augenblicken war alles zur Stelle; behende kletterte ein junger Bursche an einem Tau in die Tiefe. Jndeß noch meherere von dem Landvolk dazukamen, ging Steffen zu dem Gehöft seines Vaters hinauf, wo er den alten Mann nicht mit Unrecht von dem Lärmen und Rufen erwacht vermutete. Hier unten konnte er nicht mehr als die anderen helfen.
Erschrocken war Marei aus dem Hause geeilt, als sie einen lauten Schrei vernahm; schon waren die beiden Männer davon, sie sah keine» mehr.
Der alte Appenzeller rief das Mädchen ängstlich an seine Seite.
„Marei, was ist's — wer schrie so? Ist niemand da?"
„Herr, ich fürchte mich, es muß ein Unglück geschehen sein."
Sie lauschten beide angespannt auf das Stimmengewirr, bis ein rascher Schritt erscholl: Steffen erschien.
„Was ist geschehen, Herr?" trat Marei auf ihn zu.
„Ein Unglück, doch der Himmel weiß es, ich bin ohne Schuld," antwortete er, „Jack ist in die Felsspalte gestürzt —"
Vermischtes.
Parlamentshumor. Im Reichstage ist unter der Adresse des sozialdemokratischen Abgeordneten Ulrich-Offenbach mittels Postpacket ein großer Kni"op-l „zum Dreinschlagen" angekommen.
Der österreichische General-Feldzeugmeister Baron Ringelsheim, hatte einen Diener, der zu den Zigarren seines Herrn eine ganz ungewöhnlich innige Zuneigung gefaßt hatte. Das wurde aber dem Baron denn doch auf die Dauer zu bunt, und so spielte sich denn an einem jMonatsschlusse folgende Szene ab: Baron Ringelsheim: „Deine Rechnung ist in Ordnung. Du hast 9 Gulden 10 Kreuzer verauslagt. Dein Lohn beträgt 20 Gulden; das macht zusammen 29 Gulden und 10 Kreuzer. Hiervon gehen ab 25 Zigarren s 40 Kreuzer, das sind 10 Gulden; ich habe Dir also noch 19 Gulden 10 Kreuzer zu zahlen." „Aber, Exzellenz ..." stotterte der Bursche. „Na, was willst Du denn? Sind Dir die Zigarren zu teuer? Ja, mein Sohn, ich habe nur solche zu 40 Kreuzer; willst Du billigere, so kauf sie Dir in der Trafik."
Bauernregeln für Dezember. Dezember veränderlich und mild: der ganze Winter ein Kind. Auf kalten Dezember mit tüchtigem Schnee folgt ein fruchtbares Jahr mit reichlichem Klee. Frierts am kürzesten Tage (21. Dezember), fällt das Korn im Preise; ist gelindes Wetter, steigt der Preis. Isis in der heiligen Nacht hell und klar, so giebts ein segenreiches Jahr. Sylvesters Nachtwind und Morgensonne verdirbt die Hoffnung auf Korn und Wein. Schneit es auf S. Lucia (13. Dez.), ist schon Mitte Dezember nah. Wildgänse auf offenem Wasser, ist der Winter ein nasser. Weihnachten naß, giebt leere Speicher und Faß. Wenn der Nord zu Vollmond tost, folgt ein langer, harter Frost. Fließt jetzt noch der Birkensaft, dann kriegt der Winter keine Kraft. Steckt die Krähe zu Weihnachten im Klee, sitzt sie um Ostern oft im Schnee. Grüne Weihnachten — weiße Ostern.
(Lakonisch.) Schaffner: „Sie sitzen ja in einem Schnellzuge, mein Herr, wozu Sie Ihr Billet nicht berechtigt!" — Passagier: „Lassen Sie den Zug langsam fahren, ich Hab' Zeit.
(Erklärt.) A.: „Der Dichter Schmierte ist aber recht kahl geworden." — B.: „Ja. an dem haben die Kritiker kein gutes Haar gelassen".
Auflösung des Kapselrätsels in Nr. 188.
„Unter Blinden ist der Einäugige König."
Kmrße NachrichtkN u. Telegrm«.
Berlin, 2. Dez. Reichstag. In der fortgesetzten Geschäftsordnungsdcbatte wendet sich Pachnicke (freis. Vgg.) gegen die gestrigen Ausführungen Kröchers und Richters und kritisiert das Verhalten der Nationalliberalen. Nachdem Pachnicke geschlossen, teilt Präsident Graf Ballestrem mit, daß ein von 31 Mitgliedern unterstützter Antrag Kardorff auf Schluß der Geschäftsordnungsdebatte vorliege. Singer beantragt über den Antrag zur Tagesordnung überzugehen und beantragt namentliche Abstimmung. Seine Partei werde sich aber an der Abstimmung nicht beteiligen. Kardorff spricht für Schluß der Debatte und sagt: Was würden Wohl die Sozialdemokraten thun, wenn sie die Mehrheit hätten und von der Minorität verhöhnt würden? Es folgt die namentliche Abstimmung. Der Antrag auf einfache Tagesordnung ist mit 216
gegen 75 bei 2 Enthaltungen ab gelehnt. Hierauf wird der Antrag auf Schluß der Geschäftsordnungsdebatte in einfacher Abstimmung angenommen. (Lebhaftes Bravo bei den Mehrheitsparteien. Lärm links.) Nunmehr wird nlit 198 gegen 45 Stimmen bei I I Enthaltungen der Antrag Kardorff für zulässig erklärt. Vizepräsident Graf Stolberg eröffnet die Diskussion über den noch zu erledigenden ersten Paragraphen des Zolltarifgesetzes, welcher lautet: Bei der Einfuhr von Waren in das deutsche Zollgebiet werden Zölle nach Maßgabe des nachstehenden Zolltarifs erhoben, soweit nicht für die Einfuhr aus bestimmten Ländern Vorbehalte gelten. Hierzu ist ein, die su bloe- Annahme des Tarifs nach den Kommissions - beschlössen involvierender Antrag Kardorff gestellt, dem der Antragsteller heute eine verschärfte Form gegeben hat. Es entspinnt sich eine neue Geschäftsordnungsdebatte über die Zulässigkeit des neu formulierten Antrags Kardorff. Abg. Molkenbuhr (Soz.) widerspricht dem in längerer Rede. Inzwischen sind 17 sozialdemokratische Anträge zu den ersten 20 Tarifpositionen eingegangen; ferner liegt ein Antrag auf Schluß der Diskussion über die geschäftsordnungsmäßige Zulässigkeit des berichtigten Antrags Kardoiff vor. Abgeordneter Singer (Soz.) beantragt einfache Tagesordnung über den Schlnßantrag. Für diesen Antrag spricht Abgeordneter Stadthagen (Soz.), gegen denselben Abgeordneten v. Tiedemanu (Reichsp.) Der Antrag auf einfache Tagesordnung wird mit 215 gegen 71 Stimmen ab gelehnt, der Antrag auf Diskussionsschluß mit 215 gegen 76 bei 2 Enthaltungen angenommen, und der Zulässigkeit des Antrags Kardorff mit 200 gegen 44 Stimmen bei neun Enthaltungen. Um 7 Uhr wird ein Ver- tagungsantrag der Linken abgelehnt. Brömel (Frs. V.) beginnt die neue Geschäftsordnungsdebatte, indem er behauptet, es liege bereits ein Beschluß des Hauses über die geschäftliche Behandlung der Tarifberatung vor, wonach die einzelnen Positionen einzeln beraten werden müßten. Büsing stellt fest, daß ein solcher Beschluß noch nicht vorliegt. Singer schließt sich Brömel an. Ein zweiter Bertagungsantrag der Linken wird um 7 V7 Uhr abgelehnt. Als der Vizepräsident Stolberg nunmehr über den Antrag von Normann auf Schluß der Geschäftsordnungsdebatte abstimmen lassen will, erhebt sich ein neues Getöse. Die Sozialdemokraten verlangen fortwährend Debatte zur Geschäftsordnung. Der Antrag auf Schluß der Geschäftsordnungsdebatte wird mit 209 gegen 68 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung angenommen. Als nunmehr Stolberg über den Antrag Spahn- Tiedemann abstimmen lassen will, wonach die Frage, ob einfache Tagesordnung über Debatteschluß zulässig sei, an die Geschäftsordnungskommisston überwiesen werden soll, verlangen Singer, Brömel u. a., daß vorher noch debattiert werde. Sie laufen schreiend zur Tribüne hinauf. Die Glocke entfällt dem Präsidenten und zerspringt. Eine neue wird gebracht. Minutenlanger Lärm. Es ertönen die Rufe: „Schufte!" Die Abstimmung erfolgt schließlich. Die Sozialdemokraten beteiligen sich nicht, sondern schreien fortwährend: „Debatte!" KroPatscheck (kons.) geht zu den Sozialdemokraten hinüber und tippt mit dem Finger an seine Stirne. Mehrere Sozialdemokraten wiederholen diese Bewegung. Der Antrag Spahn-Tiedemann wird sodann mit 227 gegen keine Stimme bei zwei Stimmenthaltungen angenommen. Singer nennt die Abstimmung einen Rechtsbruch und wird zur Ordnung gerufen. Stolberg erklärt die Abstimmung für rechtsgiltig. Pfuirufe bei den Sozialdemokraten. Schluß 9 Vs Uhr. Hierauf vertagt sich das Haus auf morgen 12 Uhr.
Berlin, 2. Dez. Im Reichstag gehen ernsthafte Gerüchte vom Rücktritt des Präsidenten Grafen Balleftrem; seine Gesundheit sei schwer angegriffen.
Mutmaßliches Wetter am 4. und 5. Dezember.
Bei sinkender Temperatur ist für Donnerstag noch
vielfach trübes und auch zu vereinzelten Niederschlägen
geneigtes Wetter zu erwarten, während der Freitag sich durchweg trocken und auch zeitweilig aufheiternd gestalten dürfte.
Redaltto«, Druck «ud «erlag von «. Meeh t» Neueubkrg.