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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 29. Novbr. Bezüglich der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe geben wir wieder bekannt, daß gemäß der Verfügung des K. Oberamts vom 31. Mai 1892 an den letzten drei Sonntagen vor Weihnachten der Geschäftsbetrieb in allen Verkaufsstellen und die Beschäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern in allen Handelsgewerben des Oberamtsbezirks während 8 Stunden und zwar in der Zeit von 8—8 Uhr vormitt, und von 11 Uhr vormitt, bis 6 Uhr abends gestattet ist. — Ferner dürfen in hiesiger Stadt die Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr bis 18 Uhr abends offen gehalten werden am Tage vor dem Adventsfest, sowie in den Tagen vom 13. bis 31. Dezember einschließlich, mit Ausnahme der in diese Zeit fallenden Sonntage und des Christfestes.
Neuenbürg, 28. Novbr. Aus Anlaß der in diesen Tagen stattfindenden Gemeindevisttation wurde heute vor versammelten bürgerlichen Kollegien durch Hrn. Oberamtmann Kälber den hiesigen jungen Männern, welche das 16. Lebensjahr zurückgelegt haben, der Erbhuldigungseid abgenommen. Der Oberbeamte belehrte mit eindrucksvollen Worten die Jünglinge über ihre Rechte und Pflichten als Reichs- und Staatsbürger in dem geordneten Staatswesen mit seinen Wohlfahrseinrichtungen, indem er sie auf die Wichtigkeit des Huldigungseids hinwies und sie ermahnte, das was sie im Eid abgelegt haben, jederzeit zu halten.
** Neuenbürg, 28. Nov. Eine beachtenswerte Warnung, die auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht zu werden verdient, veröffen:- licht der „Kirchliche Anzeiger für Württemberg" in Nr. 48 des laufenden Jahrgangs, wenn er folgende Korrespondenz mitteilt: „Es geht durch alle Lande" — aber nicht ein Engel, sondern ein Agent um den andern, der unter Vorhalt irgend eines „guten Zwecks" für seine Firma und sich Gewinn sucht; heute ist's eine „Kunstanstalt" von Kaiserslautern, morgen ein Kolporteur von Backnang für eine Buchhandlung in Reutlingen, übermorgen ein Fräulein von Stuttgart, oder ein Pastor aus dem Hessenland, der gemerkt hat, wie gut das Geschäft für seine Kleinkinderschule geht — und in welch raffinierter, aufdringlicher Weise wissen diese Leute selbst den Aermsten das Geld aus dem Beutel zu ziehen, unter förmlicher Bedrohung der Leute mit ihrem „guten Zweck". Wahrlich, sie haben ihren Lohn dahin, aber auch das Geld, das sie den Leuten haufenweise abnehmen. Was ist gegen die Landplage dieses Raubrittertums zu machen? Wenig stens das, daß grundsätzlich kein Pfarrer mehr einen solchen Agenten unterstützt, weder mit Geld noch mit Unterschrift, und daß man den Leuten öffentlich den Mut stärkt, ihnen die Thüre zu weisen." Soweit die Korrespondenz des „Kirchlichen Anzeigers". Es ist traurig, aber wahr, wie in unserer gewinnsüchtigen Zeit der Schwindelhaber der Anpreisung und Zudringlichkeit auch unter der Flagge des „guten Zwecks" gedeiht! Man lasse sich doch in solchen Sachen von vertrauenswürdiger Seite beraten und folge nicht jeglichem Geist!
Calw, 24. Novbr. Wie bereits mitgeteilt, wurde in einer von Stadtschullheiß Conz ver- anlaßten Versammlung die Gründung eines Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs beschlossen. Der Stadtschultheiß erörterte eingehend den Plan, indem er u. a. ausführte: Die Notwendigkeit und das Bedürfnis zu einer stärkeren Heranziehung von Touristen und Wohl auch von ständigen Kurgästen wird nur von wenigen für unnötig angesehen werden, dagegen trifft man allgemein die Ansicht vertreten, daß für unsere Stadt in dieser Hinsicht unbedingt etwas geschehen müsse. Wir sehen, wie sich im Schwarzwald eine Stadt nach der andern mit Erfolg zum Kurort aufschwingt, warum sollte dies für Calw,
das von Natur sehr begünstigt und schon lange das Ziel vieler Vereine und Wanderer ist, nicht auch möglich sein? Notwendig sei vor allem ein orientierendes Schriftchen, ein „Führer" von Calw und Umgebung, in dem für einen Fremden alles Wissenswerte, Geschichte und Sehenswürdigkeiten der Stadt, Spaziergänge, Zugsverbindungen usw. enthalten sei. Ein Reklame- b>ld, das di? Naturschönheiten der Stadt zur Anschauung bringen und in Gasthöfen und auf Bahnhöfen anzubringen sei, werde ebenfalls gute Dienste leisten. Ebenso sollen gedruckte Anpreisungen der landschaftlichen Schönheit von Calw in den Eisenbahnzügen verteilt werden. Wanderungen in der Umgebung von Calw sollen humoristisch beschrieben und in den gelesensten Zeitungen veröffentlicht werden. Ueberall soll man auf den Namen Calw stoßen. Von der Eisenbahnverwaltung sollen für den Sommer günstige Zugsverbindungen erbeten werden. Endlich sollen die hiesigen Vereine in regen Verkehr mit den Landesvereinen treten, sie zu einem Besuch ein- laden und so der Stadt Fremde zuführen. Auf dem Rathaus solle 'ein Wohnungsbureau errichtet werden, wo von den Fremden alle zur Verfügung gestellten Zimmer zu erfahren seien. An passenden Wohnungen werde vorderhand kein Mangel sein. Wie in anderen Städten, so werde es auch hier gehen. Wenn der Plan verwirklicht werde und eine große Zahl von Fremden die hiesige Stadt aufsuche und zu längerem Aufenthalt benützen werde, so werde sich ganz von selbst die Baulhätigkeit regen und die nötigen Bedürfnisse befriedigen. An schönen Spazier- gängen fehle es hier nicht; es werde aber noch mehr geschehen müssen durch Ausstellung zahlreicher Ruhebänke an schönen Plätzen und durch Herstellung neuer, bequemer, nicht zu steiler Wege. Für die Unterhaltung der Fremden müsse ebenfalls in ausgiebigster Weise gesorgt werden. Dazu gehöre vor allem Musik. Es werde deshalb die Stadlkapelle zu Konzerten heranzuziehen sein. Sodann müsse den Fremden Gelegenheit zum Anschluß an die Einwohner gegeben werden, durch Veranstaltung von Konzerten, von Waldfesten, von Vereinsabenden und dergl. Zur Unterhaltung diene auch ein Lesezimmer mit Bibliothek und Zeitschriften; in dieser Bezi hung sei schon gesorgt durch das Lesezimmer im Georgenäum. Ferner müsse der Fuhrwerksverkehr organisiert werden; es müssen verschiedene Arten Von Gefährten zu einer feststehenden Taxe zur Verfügung gestellt werden können. Sehr notwendig sei, daß den Gästen außer den warmen Bädern Gelegenheit zu Flußbädern gegeben sei und in dieser Beziehung müsse unbedingt eine Besserung eintreten. Durch solche Einrichtungen werde es möglich sein, Fremde anzulocken und zu befriedigen und die Stadt zur Aufnahme von Fremden zu befähigen. Ohne große Opfer werde es natürlich nicht abgehen.
Calw, 27. Noo. Unser Marktplatz bietet gegenwärtig ein ganz anderes Bild als früher. Infolge der Erbauung der Straße nach Altburg mußte auch der Markplatz und die obere Marktstraße eine Umänderung erfahren. Der obere Marktplatz wurde durch eine Mauer in 2 Hälften geschieden, die Straße selbst um 1 Meter höher gelegt; vom Biergäßle führt nun eine Treppe au; den Marktplatz. Die obere Marktstraße wurde um 70 cm tiefer gelegt; die Häuser erlitten dadurch manche Veränderungen. Die Kosten dieser Korrektion allein belaufen sich auf über 30 000 Die Straße nach Altburg wird in nächster Zeit in ihrem größeren, außerhalb der Stadt befindlichen Teil dem Ver ehr übergeben, so daß vom „Löwen" an eine neue, bereits Panoramastraße genannte Straße benützt werden kann. In dem bevorstehenden Winter ist diese Eröffnung für die vielen Fuhrwerke eine große Erleichterung. Der um den Schloßberg führende und sehr schwierige Teil wird erst bis Frühjahr fertig gestellt werden können. An dem Bau arbeiten viele Italiener. Gestern besichtigte Oberbaurat Leibbrand die neue Straße. Die Kosten belaufen sich auf nahezu 100000 ^
Altensteig, 26. Nov. Wie nicht anders zu erwarten, war der gestrige Viehmarkt infolge Glatteis nur mäßig mit Vieh befahren. Es' herrschte lebhafte Nachfrage, da es an auswärtigen
Händlern nicht fehlte. Die Preise waren die seitherigen. Stark befahren war der Schweinemarkt. Ein wesentlicher Rückgang in den Preisen für Jungschweine ist gegenüber denjenigen des letzten Marktes (Oktober) zu verzeichnen, und zwar galten Läufer Pro Paar 12—19 Mark weniger, nämlich 40—75 Milchschweine
konnte man pro Paar zn 18—30 gegen
sonst 24—38 in gleicher Qualität bekommen.
Neuenbürg, 30. Nov. Auf den heutigen Schweinemarkt wurden 120 Stück Milchschweine zugeführt und das Paar zu 12—23 ^ verkauft.
Advent.
Advent ist der Neujahrstag der Kirche. Aber wer wünscht ihr, wer wünscht sich und andern seliges und glückliches Neujahr? Still, verborgen, von wenigen begrüßt geht der Tag vorüber. Und doch, hier wäre weit eher die Gratulation am Platze als am ersten Januar. Oder weißt Du, was kommen wird in diesen drei» hundertfünfundsechzig Tagen, zu denen Du „Glück wünschest"? Könnte doch ein Tag unter ihnen so dunkel, so voll Wehs sein, wie vielleicht keiner in deinem Leben. Was wird kommen in diesem Jahre, ja — was wird gehen? kannst Du noch hinzufügen; was wird es dir bringen, mehr noch — was wird es dir nehmen? Das sind alles Neujahrsfragen, mit denen du nach der Sylvesternacht am Morgen begrüßt und bestürmt wirst. Aber am Neujahrstage der Kirche nichts von alledem. Da fragt man nicht: „was wird kommen?" sondern: „wer kommt?" Und wer da weiß, wer da kommt, den ficht das, was da kommt, nicht mehr an. Kommt Er, der König aller Gnaden, neigt Ec sein Scepter über Haupt und Herz der Seinen, dann können sie getrost sprechen:
Es kann mir nichts geschehen,
Als was Er hat ersehen Und was mir selig ist.
Ich nehm' es, wie Er's giebet,
Was Ihm von mir beliebet,
Das Hab' auch ich erkiest.
Der erste Januar sagt dir vom „Altwerden", der erste Advent vom „Jungbleiben". Wer Gnade hat, hat auch den Jungbrunn, aus welchem unser innerlicher Mensch, derweil der äußere verwest, von Tag zu Tag erneuert wird. Darum soll man überhaupt keinen Christenmenschen fragen: „wie alt bist du schon?" — sondern: „wie jung bist du noch?" (Emil Fromme!.)
Deutsches Weich
Im Reichstage selbst ist am Mittwoch die zweite Lesung des Zolltarifgesetzes, welche das Haus vom 16. Oktober ad fast ausschließlich beschäftigt hat, endlich zum Abschluß gelangt. Zu Beginn der Sitzung wurde zunächst der letzt, der von den Sozialdemokraten beantragten „Obstruktionsparagraphen", tz 11k, der den Bundesrat zur Aufhebung der Getreidezölle verpflichten will, falls die Getreidepreise eine gewisse Höhe erreichen, nach kurzer Debatte mit 192 gegen 41 Stimmen abgelehnt. Dann erörterte das Haus den letzten Paragraphen deS Tarifgesetzes, § 12, der in der Regierungsfassung den Zeitpunkt für das Inkrafttreten des neuen Gesetzes kaiserlicher Verordnung nach Zustimmung des Bundesrates überlassen will, während die Kommission beantragt, es möge als spätester Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes der 1. Januar 1905 durch kaiserliche Verordnung festgesetzt werden. Schließlich wurde tz 12 in der Regierungsfassung, nach einem Antrag Paasche, mit großer Mehrheit angenommen. Zuletzt folgte eine ziemlich animierte Geschäftsordnungsdiskussion über die Behandlung der überaus zahlreichen Petitionen zum Zolltarif nach.
Die Zuversicht, daß das eigene Schwergewicht der Zoll frage die Mehrheitsparteien des Reichstages schließlich doch zu einer Einigung drängen werde, hat sich nun bewahrheitet: Es ist dem Reichskanzler gelungen, in eingehenden Besprechungen mit den Vertretern der Konservativen, der deutschen Reichspartei, des Zentrums und der Nationalliberalen eine Verständigung herbeizuführen, nachdem die thörichte, auch von sein. Die Entscheidung wird, wie immer bestimmter verlautet, in nächster Zeit fallen. Wie