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Nrrteryaltender Heil.
Der Nebel größtes ist die Schuld.
Nach den Erinnerungen eines Bagno-Direktors.
I.
Zu Anfang des vorigen Jahrzehnts war ich Direktor des Bagno in Ponza, einer der ge- fürchtetsten Strafanstalten in Italien, und fühlte mich in meiner traurigen Stellung verhältnismäßig Wohl. Unter meiner Aufsicht standen cirka tausend Sträflinge, insgesamt schwere Verbrecher, von denen die meisten zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verdammt waren. Dank der außerordentlichen Zuverlässigkeit meiner Unterbeamten, die mich wie ihren eigenen Vater liebten, brauchte ich mich nur höchst selten über Versündigungen an der Bagno-Ordnung zu ärgern. Die Gefangenen schienen mir, was ihre Gefügigkeit anbelangte, besser als ihr Ruf. Meutereien und Ausbrüche kamen fast niemals vor.
Im Grunde genommen konnte dies ordnungsmäßige Verhalten der Sträflinge nicht gerade sehr verwundern, denn es war ja eigentlich durch die eiserne Disziplin, welche über ihnen waltete, bedingt. Die zehn Kilo schweren Ketten, welche an ihren Beinen klirrten, die hohen Mauern, die den Bagnohof wie eine Festung umschlossen, die Wachen, welche mit scharfgeladenem Gewehr jede Bewegung beobachteten, ferner die Prügelstrafen, welche jeden etwa Widerspenstigen bedrohten und endlich das offene Meer, das die Insel umbrandete, vernichteten bei einem Ausbruch schon vorweg jedwede Aussicht auf Erfolg. Selbst dem Verwegensten, dem Tollkühnsten mußten die Gefahren, welche damit verknüpft waren, ein- leuchten und jede Hoffnung benehmen.
Daher ihre auffallende Gefügigkeit, die an sklavische Unterwürfigkeit streifte.
Einer von ihnen, ein gebeugter Mann mit sympathischem Gesicht, nahm mein lebhaftes Interesse in Anspruch. Woher das kam, weiß ich selbst nicht recht. Der Unglückliche war aus Eampobasso gebürtig. Er hieß Rinaldo Magno. Seit er unter meiner Obhut stand, war er namenlos; wie alle Gefangenen führte er statt dessen eine besondere Nummer, welche jede weitere Bezeichnung ersetzt. Auf seiner blutroten Mütze Prangte die Zahl „108" und darunter ein kleiner schwarzer Streifen.das unheimliche Ab
zeichen der Mörder.
Dieser totenbleiche, von der Last der Sorgen niedergedrückte Sträfling, dessen Augen so melancholisch dreinschauten, hatte gemordet? An dieser Hand, die vor Schwäche und Uebermüdung zitterte, klebte Blut? Kaum denkbar! Und doch war es so.
Mehr als einmal befragte ich die Gerichtsakten nach den erschütternden Antecedentien des Unglücklichen. Mehr als einmal stieg in mir ein Zweifel auf an seiner Schuld. Doch ich irrte. Mein mitleidiges Herz hatte mein sonst klares und sicheres Urteil beeinflußt. Da in den staubigen Gerichtspapicren, die ich nur mit Widerwillen durchblätterte, stand es geschrieben, was ihn mit dem Gesetz in Konflikt gebracht. Eine lange dunkle Geschichte, in denen Liebe, Leidenschaft, Jähzorn, Verführung und Rache die Schlagworte waren. Magno hatte in einer unseligen Minute sein Messer gegen einen Mit- Menschen gezückt. Hingerissen von wilder Wut, aller Ueberlegung baar, hatte er ein junges, an Hoffnungen so reiches Leben geknickt ... er glaubte, sich an einem Todfeinde, an dem heimlichen Geliebten seiner Frau gerächt zu haben . . und, als er die Unthat vollbracht, sah er mit Schrecken ein, daß er das Opfer einer höllischen Jntrigue geworden, daß er einen Unschuldigen gemordet. In zwanzigjähriger Kettenstrase büßte er, was er in einem unbewachten Augenblicke gesrevelt.
Eines Tages — es war kurz vor seiner Freilassung — kam mir der Gedanke, ihn zu mir in mein Bureau zu rufen, um ihn selbst über sein Vorleben zu befragen. Aus seinem eigenen Munde wollte ich hören, wie das alles gekommen war. Innerlich schämte ich mich zwar über meine Neugierde. Wie kam ich als Bagno- Direktor dazu, der Justiz gewissermaßen auf die Finger zu sehen? Hatte sie nicht schon längst
ihr Verdikt gefällt? Dennoch beschloß ich, den Gefangenen persönlich zu verhören.
Eben im Begriff, ihn rufen zu lassen, sa ich mich durch das Eintreten eines meiner Jnspek toren gestört.
„Was ist?" fragte ich kurz, um seines Besuches nur recht bald überhoben zu sein.
„Nr. 108 scheint eine Unterleibsentzündung zu simulieren ; er weint und stöhnt, als ginge es mit ihm zu Ende, so daß ich es für rätlich gehalten habe, bei Ihnen Instruktion einzuholen. Soll ich ihm die Bastonnade geben lassen?"
Ich wurde unwillkürlich rot vor Zorn.
„Die Bastonnade . . .? Wozu das?" fuhr ich ihn, hingerissen von meinem Unwillen, an.
„Weil er sich verstellt; er möchte gern der Arbeit enthoben und in die Krankenstation geschickt sein."
„Aber wer in aller Welt hat Ihnen das gesagt?"
„Nun, ich meinte .... mir scheint es wenigstens ... ich glaube!" ....
„Ach was! Ein Beamter soll nichts glauben; er muß der Sache erst genau auf den Grund gegangen sein, bevor er dergleichen Anschuldigungen aufstellt! Die Bastonnade . .! Als ob das eine Kleinigkeit wäre, einige Dutzend um nichts und wieder nichts aufgezählt zu erhalten..." raisonnierte ich und warnte ihn eindringlich, sich keinerlei Uebergriffe zu erlauben, da ich gesonnen sei, solche erbarmungslos zu rügen.
Der Beamte machte eine beistimmende Geste. Auf seinem gebräunten Gesicht spiegelte sich eine gewisse Ueberraschung ab. Er schien mich nicht verstanden zu haben. Soviel Humanität gegen einen Sträfling, gegen einen Gerichteten, mochte er von mir am allerwenigsten erwartet haben. Ließ ich doch sonst keineswegs mit mir scherzen. Ich konnte, wenn die Umstände es geboten, auch streng sei» bis zur Erbarmungslosigkeit. Dafür war ich Bagnodirektor. Aber ich uebe die Gerechtigkeit. Nur nachgewieseue Uebertretungen pflegte ich angemessen zu bestrafen. Nur diese. Und hier war dieser Nachweis doch keineswegs erbracht. Konnte Nr. 108 nicht thatsächlich krank sein ? Ich wollte ihn selbst sehen.
„Wo ist Nr. 108?" fragte ich etwas ruhiger.
„Drüben im Schlafsaal, wo soeben die Betten besichtigt werden."
„So bringen Sie ihn her!"
Der Beamte beeilte sich, meinem Befehle Folge zu leisten. Ich selbst machte mir im Stillen Vorwürfe über die Heftigkeit, mit der ich seine Meldung zurückgewiesen hatte. EL war vielleicht nicht ganz recht gewesen. Simulationen sind im Bagno an der Tagesordnung. Sie streng zu bestrafen, ist Beamtenpflicht. Was sollte daraus werden, .wenn jeder arbeitsscheue Sträfling auf irgend eine schlau ersonnene Ausrede hin in die Krankenstation gelangen könnte?" Nein, das geht nicht; das darf nicht sein. Indessen es handelte sich ja um Nr. 108, also um einen Gefangenen, dem ich solche Gaunerkniffe nicht zutraute. Neunzehn Jahre lang hatte er sich nichts zu Schulden kommen lassen. Zum Aerger der Aufseher, die nur zu gern den Denuncianten spielen, war er stets brav und fleißig gewesen. Und nun sollte auch er zum Simulanten geworden sein. Das schien mir denn doch mindestens zweifelhaft.
Vermischtes.
Vom Lande, 20. Okt. Zur Warnung! Es ist aus dem Lande vielfach üblich, bei leichteren Erkrankungen oder wenn augenblickliche Hilfe vonnöten ist, anstatt des Arztes irgend einen „klugen Mann" oder eine ebensolche Frau kommen zu lassen. In manchen Fällen leisten die auch wirklich hinreichende Hilfe. Wo es sich aber um ernstere Fälle und um operative Eingriffe handelt, da sollte man sich doch nur der erfahrenen und sachkundigen Hand eines Arztes anvertrauen! Möge folgender ernste Fall, der beinahe ein blühendes junges Menschenleben gekostet hätte, zur Warnung dienen. Eine junge Frau hatte sich ein Leiden — sie meinte eine Erkältung — zugezogen, das eine leichte Rötuug und Schwellung der Brustgegend zur Folge hatte. Als sich auch Schmerzen e instellten, wurde die Hebamme gerufen, die durch einen Schnitt die Schmerzen
Redaktion, Druck «ud Verlag von S. Meeh in Neuenbitrg.
heben zu können behauptete. Es habe sich Dreck — so nennt man auf dem Lande den Eiter — angesammelt, und den wollte sie entfernen. Mit dem alten Rasiermesser eines Nachbars brachte sie nun der jungen Frau eine Schnittwunde in der oberen Herzgegend bei. Die Patientin hatte wahnsinnige Schmerzen, sodaß ihr Schreien weithin vernehmbar war. Außerdem entstand eine zunehmende Schwellung bis zum Hals. Da erst wurde der Arzt aus dem nahen Städtchen gerufen. Als der nach einigen Stunden kam, machte er ein gar bedenkliches Gesicht und meinte, es sei allerhöchste Zeit gewesen, um das Schlimmste noch zu verhüten. Auch er mußte der Bedauernswerten einen Schnitt beibringen, aber an anderer Stelle und mit einem anderen Instrument, als es sein weiblicher Konkurrent gethan hatte.
(Lebensregeln für Ehepaare.) Manches Ehepaar würde glücklicher leben: 1. Wenn man sich bemühte, die häuslichen Vorkommnisse hübsch für sich zu behalten. Als einen grimmigen Feind des ehelichen Glückes erweist sich, sei es der Mann oder die Frau, wer häusliche Vorkomm nisse an die große Glocke hängt oder auch nur dem Nachbarn, der Nachbarin, dem Freunde, der Freundin in einer schwachen Stunde zuträgt. Man soll keinem, und wäre es der vertrauteste Freund, den Einblick gewähren in das Schreinleiu, das den verborgenen Herzenskummer des Hauses birgt. Wer bei Nachbarn oder Freunden Klage führt über das eigene Ehegesponst, erzieht einen Wurm, der die Liebe und das eheliche Glück zernagt. 2. Wenn man darauf bedacht wäre, die Ausgaben den Einnahmen anzupassen und dabei für ein Spar- und Notlager zu sorgen.
3. Wenn die Eheleute sich bemühen wollten, in ihrem gegenseitigen Verkehr dieselbe freundliche Zuvorkommenheit zu beobachten, die ihren Brautstand kennzeichnete. 4. Wenn ein Teil stets eingedenk sein wollte, daß der andre Teil ein schwaches, menschliches Geschöpf, kein Engel ist.
5. Wenn ein jeder den festen Entschluß faßte und aussührte, des andern treuer Beistand, Trost und Sorgenbrecher zu sein. 6. Wenn im Kleiderschranke weniger Gewänder von Sammet und Seide, in denen man außerhalb deS Hauses glünzt, zu finden wären, und mehr einfache Kleider, durch welche Schutz und Zier des Hauses erhöht werden. 7. Wenn sich die Eheleute in ihrer Häuslichkeit nicht weniger liebenswürdig gegenüberständen als in den Häusern ihrer Bekannten.
sAenderung.s Prinzipal: „Hängt noch das Plakat „Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe" draußen?" — Lehrling: „Nein, jetzt hängt da der „wirklich reelle Ausverkauf wegen großer Inventur." — Prinzipal: „Thu's weg und häng' den „vollständigen Weihnachtsausverkauf" raus".
(Nicht aus der Fassung zu bringen.) Logiswirtin : „Jetzt sind Sie mir schon 6 Wochen Miete schuldig, Herr Zipfel. Das kann doch unmöglich so bleiben!" — Student: „Bleibt ja auch nicht so, beste Frau Müller — in 8 Tagen sind's sieben!"
sUeberboten.j Erste Mieterin (zur zweiten): „Wir bekommen heute jedenfalls noch ein Gewitter, mir ist schon die ganze Milch zusammengelaufen!" — Zweite Mieterin: „Ach, das ist noch gar nichts! Unten beim Hauswirt war heute bereits ein solches Unwetter, daß die ganze ! Straße zusammenlief!" !
Gedankensplitter.
Sei klug, wenn du willst und kannst, aber vor allem sei gut.
Bemühe dich, das zu sein, was du scheinst.
Eigensinn ist die Energie der Dummheit.
Trost' dich in jeder Not und Pein Damit: — es könnt' noch schlimmer sein.
Heutzutage gilt vielen Interesse nur im Plural: „Interessen" und gelten Verdienste nur im Singular: „Verdienst".
Dreisilbige Charade.
Die Erste nennt des Hauses Wächter euch. Das letzte Paar macht manchen dummen Streich. Das Ganze hat besonders gern die Nacht,
In der es öfters lange Finger macht.
Auflösung des Scherzrätsels iu Nr. 164. Vagabund (Va/se, Ga/ns, Bund).