*

Feodora sah die Augen der Erscheinung auf sich gerichtet wie flammende Dolche, welche sich in ihr Herz bohren wollten.

Ein Schrei des Entsetzens aus ihrem Munde und sie brach besinnungslos zusammen.

Die Erscheinung beugte sich über die Bewußtlose. Du bist gerichtet!" tönte es aus ihrem Munde mit Grabeslaut. Dann wandte sich die

Gestalt um, dem Hintergründe zu, wo sie verschwand. * *

Die Schüsse verhallten nicht ungehört, weckte» die Dienerschaft.

Auf den Treppen und Fluren wurde es laut, Stimmen schwirrten bunt durcheinander.

Olaf hatte sich für den Gang nach der Totengruft gerüstet, sich in einen dunklen Mantel gehüllt und wollte sich soeben zu Feodora be­geben, als die Schüsse fielen.

Er erschrak, erbebte, blieb mitten im Zimmer starr, wie angewurzelt, stehen und lauschte mit angehaltenem Atem.

Was hatten die Schüsse mitten in der Nacht zu bedeuten?

Wer war es, der sie abfeuerte?

Er nahm den brennenden Handleuchter vom Nachttisch und ging auf den Flur.

Mehrere Diener, deren notdürftiger Bekleidung man es ansich» daß sie eilends ihre Schlaf- emächer verlassen hatten, standen in einer Gruppe ei einander, steckten die Köpfe zusammen und tauschten Vermutungen aus.

Sie stoben auseinander, als Olaf mit den Worten auf sie zutraf:

Wo ist die Fürstin? Hat niemand sie ge­sehen? Wenn ihr ein Unglück widerfahren wäre!"

Lucie begab sich soeben in die Gemächer der durchlauchtigsten Fürstin," erwiderte einer der Diener.

In diesem Augenblick kehrte Lucie zurück.

Sie rang die Hände, rief aus :

.Die Fürstin ist verschwunden! Ihr Bett ist unberührt!"

Verschwunden!" wiederholte Olaf, während die Diener schreckensbleich die Zofe anstarrten. Unmöglich! Das kann nicht sein! Durch­suchen wir das Schloß!"

Die Diener gehorchten, begannen sich in dem Schlosse zu verteilen, um es von oben bis unten zu durchsuchen.

Olaf blieb mit Lucie allein zurück.

Hast Du in den Gemächern der Fürstin nichts Auffälliger entdeckt?" fragte er sie.

Doch, gnädiger Herr. Im Schlafgemach der Fürstin liegt auf dem Stuhle ein schwarzer Herrenanzug. Wem mag er gehören?"

Olaf zuckte leicht zusammen.

Er hatte Feodora gebeten, zu dem nächt­lichen Gange nach der Totengruft eine Männer­kleidung anzulegen und ihr persönlich einen seiner Anzüge gebracht.

Daß Lucie doch diesen Anzug bemerktchatte! ES war ärgerlich! ^

Ich lieh der Fürstin einen meiner Anzüge," erklärte er mit angenommener Gleichgiltigkeit^ Sie wollte sich mal als Herr im Spiegel be­wundern. War eine Laune von ihr. Sprich »icht darüber, Mädchen! Komm', wir wollen die Gemächer der Fürstin nochmals -durchsuchen. Vielleicht entdecken wir die Ursache ihres rätsel­haften Verschwindens. Trage Du den Handleuchter."

Warst Du schon im Ahnensaäl, Mädchen?

Nein, gnädiger Herr," antwortete Lucie. Ich fürchte mich, nachts in den Ahnensaal zu gehen. Es ist dort so düster und unheimlich. Man sagt, dort gehen Gespenster um."

Thörin!" schalt Olaf.Gespenster spuken nirgends anders als in den Köpfen wahnwitziger Menschen. Wann sahst Du Deine Herrin zum letzten Male?"

Um zehn Uhr, gnädiger Herr. Sie erklärte, meiner Dienste nicht mehr zu bedürfen. Sie wolle noch eine Stunde lesen und sich dann schlafen legen. Dies hat sie aber nicht gethan."

Er ging in den Ahnensaal, gefolgt von der furchtsam bebenden Zofe.

Ha! Was war das? Olaf erschrak wie von des Todes kalter Hand berührt.

Eine schwarze Gestalt lag regungslos hin- gestreckt mitten im Saale.

Mit wenigen hastigen Schritten war er bei

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der Gestalt, kniete neben ihr nieder mit dem Aufschrei:Feodora!"

Er schloß das geliebte Weib in die Arme und dumpf klang's von seinen Lippen:

Tot! Tot! Ermordet!"

So wild wie seine Liebe, war auch sein Schmerz.

Sie ist nicht tot, gnädiger Herr," sagte Lucie,nur ohnmächtig."

Nicht tot? Nicht tot?" rief er, zweifelnd aufblickend.

Lucie nickte.Nein, gewiß nicht. Die Hand ist noch warm und der Puls schlägt, wenn auch nur schwach."

Erwache, Geliebte, erwache!" flüsterte er mit küssendem Munde.

Ihre Augenlids^'zuckten. Seufzend hob sich ihre Brust.

Er erhob sich, nahm die Geliebte auf seine Arme und trug sie in ihr Schlafgemach, ließ sie dort sanft auf das Bett niedergleiten.

Lucie kam und benetzte ihr das Antlitz mit frischem Wasser, lockerte ihr den Gürtel und das Korset.

Feodora atmete einige Male tief auf, trank die Luft mit gierigen Zügen ein.

Dann schüttelte ein Schauer ihren Körper.

Sie riß die Augen auf, blickte wild, er­schrocken um sich, richtete sich jäh empor.

Hah! Wo sind sie, die Geister? Ha! Wo?"

Olaf erbebte. Lucie fühlte sich von Grauen beschlichen.

Feodora streckte beide Hände abwchrend von sich aus.

Ha! sie kommen, schweben herbei! Wie ihre Augen funkeln, in mein Herz blitzen! Zurück, Du bleiches Gespenst mit dem langen Silberbart! Zurück mit Dir in s Grab, Graf Bärenfeld! Ich ich brach Dir das Herz nicht, nicht ich

nicht ich! Hörst Du? Was willst Du von mir, Geist der Gräfin Amalia? Ha! Deine Hand deutet auf Dein Herz, auf eine kleine, unscheinbare Wunde. Blutstropfen rinnen hervor. Verhülle Deine Brust wieder, verhülle sie, ich kann kein Blut sehen! Was flüstert Dein Mund? Ach? Ha! Ich? Nein, nein! Nicht ich! Er war's! Er! Verfolgt mich nicht länger! Graf! Gräfin! Wesenlose Schatten, kehrt zurück in die Behausung der Toten! Fort! Fort!

Ah, sie fliehen, verschwinden!"

Ihr Atem flog fieberhaft schnell.

Feodora!" klang's schmerzlich von Olafs

Lippen.Erkenne mich, Geliebte! Ich bin's ja, ich, Dein Olaf."

Lucie stand da, an allen Gliedern bebend wie Espenlaub.

Olaf war aschfahl im Gesicht geworden.

Erst jetzt schien er sich der Anwesenheit der Zofe zu erinnern.

Geh', Mädchen! Teile der Dienerschaft mit, die Fürstin fei gefunden, man brauche nicht mehr zu suchen. Alle sollen sich zu Bett be­geben, nur Du bleibe wach! Ich werde Dich rufen, wenn ich Deiner bedarf."

Lucie ging wortlos zur Thür.

Noch eins!" rief er ihr nach.Daß Du nichts von dem erzählst, was Du soeben gehört hast, Mädchen! Die Fieberreden Deiner Herrin dürfen nicht bekannt werden. Sprichst Du, so"

Er vollendete nicht, ein finster drohender Blick traf sie, unter dem sie zusammen schrak.

Ja, gnädiger Herr," stammelte Lucie.Soll ich den Arzt rufen?"

Wenns nötig ist, werde ich es schon be- fehlen. Geh'H .

» - "Vermischtes.

Uebersetzungskunststücke. Zwei bösen Vergehen beim Uebersetzen aus dem Deutschen ins Englische ist ein Mitarbeiter der Londoner ZeitungHermann" auf die Spur gekommen. Ein anscheinend in deutscher Sprache nicht sonder- lich bewanderter Sohn Albions hatte sich der Auf­gabe unterzogen, denErlkönig" zu übertragen. Es heißt da für die Stelle:. . . und hält in den Armen das ächzende Kind. . . de boiäs in bis arms tbo oitzbteontb ebilä (er hält in seinen Armen das ach zehnte Kind achzehnte für ächzende). Oder aus einem Schulbuche:Das Hauptgericht der Württcmberger ist Leberklöße,

tbo xriveipai Luv court oi ^Vürtomberg jz in Lieberklose (der Hauptgerichtshof Württem­bergs befindet sich in Leberklose gleich Leberklöße. Würdig reiht sich diesen Uebersetzungs-Kunst- stücken die klassische Uebersetzung des Tasso'schen Ausrufs:Sonderbarer Schwärmer!" in einer englischen Ausgabe an: Strangs craekter! hat der Engländer übersetzt. Ob man zu Tassos Zeiten wohl schon Schwärmer abgebrannt hat?

In Bezug auf eine jüngst erwähnte austral­ische Merkwürdigkeit von weiblichen Drosch­kenkutschern wird derStraßb. Bürgerztg." geschrieben:Das haben wir in unserem schönen Elsaß auch. Bitte bemühen Sie sich mal nach Gebweiler und beim Aussteigen werden Sie be- willkommt von zwei oder drei ganz freundlichen Mädchen, hoch auf dem Kutscherbock, die Sie dann in Gebweiler und Umgegend ebenso sicher und elegant, nur vielleicht weniger trinkhaft wie deren männliche Kollegen, herumfahren werden." Das lohnte ja allein schon einen Ausflug nach Gebweiler.

Ein strenger Winter steht zu erwarten, sofern sich eine alte Bauernregel bewahrheitet, welche besagt, daß ein strenger Winter zu er­warten ist, wenn die Zugvögel frühzeitig nach dem Süden ziehen. Dies ist thatsächlich in diesem Jahre der Fall. An verschiedenen Orten sind die Turmschwalben bereits wieder fortgczogen.

(Von einem Wolf überfallen.) Zwei Knaben im Alter von 10 und 13 Jahren hüteten unweit des Waldes von Kulmen, (Kreis Insterburg) eine Schafherde, als ein Wolf dieselbe überfiel. Die Knaben gingen demselben mit Knütteln zu Leibe wurden aber von demselben zerfleischt.

Der Zirkus Barnum und Bailey hat in Lausanne Fr. 160,000 eingezogen; es soll sich daraus für sie ein Gewinn von Fr. 95,000 bis 100,000 ergeben. Der Zirkus war am Dienstag von 21,000, am Mittwoch von 17,000 Personen besucht.

(Der rechte Moment.) Vater (aus der Zei­tung vorlesend):Das Schulgeld in den höheren Schulen ist um zehn Mark erhöht worden." Das Moritzchen (mit Schularbeiten beschäftigt, klapptrasch entschlossen seine Bücher zu):Srehste nu, Vater, ich Hab' dir's immer gesagt: es schaut nix heraus bei der Schulgeherei. Lasse mer's!"

(Gipfel der Zerstreutheit.) Professor (der von der Verlagsanstalt den Probeband eines von ihm verfaßten Werkes erhalten hat, sinnend): Diesen Quatsch muß ich doch schon einmal gewesen haben!"

(Mißverstanden.) Photograph:Wünschen Sie Aufnahme on kaee oder im Profil?" Wirt: Am Faß, natürlich, wie ich gerade anzapf!"

Gedankensplitter.

Dreimal Heil dem Mann,

Der zur Arbeit singen kann.

Der eine findet, er weiß nicht wie,

Nur überall Schönheit und Poesie:

Der andre mag suchen weit und breit,

Er findet blos Schmutz und Niedrigkeit.

Mutmaßliches Wetter am 28. und 29. August.

Bei vorherrschend nördlichen bis nordwestlichen Winden ist für Donnerstag und Freitag noch immer neben zeitweiliger Aufheiterung abwechselnd gewitter- hast bewölktes, aber nur zu ganz vereinzelten gewitter- artigen Störungen geneigtesWettermAussicht zunehmen.

KciuAk Nachrichten «.Telegramme.

Karlsruhe, 26. August. Gegenüber der Behauptung, daß eine neue Konferenz von den Ministern der Bundesstaaten über -zollpolitische Fragen geplant sei, erklärt eine Berliner Zuschrift derSüdd. Reichskorressp.", daß zwischen den verbündeten Regierungen keinerlei Meinungs­verschiedenheiten bestehen. Unterredungen des Reichskanzlers Grafen v. Bülow mit dem bad­ischen Staatsminister v. Brauer in Bayreuth hätten nicht den geringsten Zweifel gelassen, daß Baden mit allen andern Bundesstaaten auf dem Boden des Zolltarifentwurfs stehe. Etwaige selbstverständlich nicht beabsichtigte Anträge des Reichskanzlers im Sinne der Kommifstonsbe- schlüsse würden im Bundesrat auf den ent­schiedensten Widerspruch stoßen.

Bermuda, 26. August. Der Dampfer Staffordshire" ist mit 1046 kriegsgefangenen Buren abgegangen.

«rdakttou, Dm« u»d Verla, von «. Merh i« Neuenbürg.