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I^sx Douglas oder Gasthaus Reform?
Unter diesem Titel erschien in diesem Blatte (Nr. 98 vom 25. ds.) ein zeitgemäßer Aufsatz, den der Einsender ds. mit großem Interesse verfolgt hat. Was das „Gesetz (lex) Douglas" verlangt, nämlich Fuselfreiheit des Branntweins, Verbot des Branntweinverkaufs an Angetrunkene, Trunksüchtige und Personen unter 16 Jahren und Verbot des Ausschanks und Verkaufs von geistigen Getränken in den späten Abend- und frühen Morgenstunden, sowie während des sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienstes, ferner Aufklärung ver Jugend in der Schule, und zwar in den höheren Klassen, möglichst durch Aerzte, über die schädlichen Folgen des übertriebenen Alkoholgenusses, das muß von jedem Freund des Volkes gewünscht werden. Es sind Forderungen im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt, die zum mindesten schon längst als wichtigste hätten durchgeführt werden müssen; jedenfalls wäre ein derartiges Gesetz weit wichtiger gewesen, als das Gesetz über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe; wird doch gerade durch dies Sonntagsruhegesetz der Wirtshausbesuch, das Wirtsgewerbe begünstigt, in so ferne, als die dem Handelsgewerbe auferlegte Beschränkung der Verkaufszeit den Wirtschaften zu gut kommt; dem Wirtshaus, in welchem ein jeder, der es betritt, geradezu zum Alkoholgenuß gezwungen ist. Um diese Behauptung besser zu verstehen, genügt es, die bekannte Thatsache vorzuführen, daß Jemand, der z. B. Sonntags in der Zeit, wo Bäcker- und Metzgerläden geschlossen sein müssen, sich Wurst und Brot verschaffen möchte, darauf angewiesen ist, ins Wirtshaus zu gehen, ins Wirtshaus, das unbeschränkt von früh morgens an bis nachts wieder zum frühen Morgen geöffnet sein darf, um ausgiebigste Gelegenheit zum Alkoholgenuß zu geben. Beim Betreten der Wirtsstube wird er stets nur mit der Frage begrüßt: „Was trinken Sie?" Das Trinken ist die Hauptsache, das Trinken von Wein, Bier oder Schnaps wird ihm, dem Hungrigen, zur Pflicht gemacht. Brot oder Wurst kann er nur zu bestimmten Stunden im Laden kaufen. Jederzeit kann er dies aber haben, wenn er zu einem Metzger und Bäcker geht, der nebenbei Weinwirt ist, der ihn aber auch erst frägt, was trinken Sie?: alten oder neuen, Weißen oder roten? Wie es einem da ergeht, so ähnlich geht es ihm, wenn er sich Sonntags eine Zigarre gestatten will. Während man sich früher seine Zigarre billiger im Laden kaufte, ist jetzt auch dieser Handel zum großen Teil ins Wirtshaus verlegt worden. Der Wirt giebt Zigarren und Ansichtskarten ab und hat dabei noch die sichere Einnahme, daß man nebenbei seinen Schoppen trinkt. Von Ansichtskarten sind es meist nur solche, auf denen das betreffende Gasthaus möglichst „geschmeichelt" dargestellt und wenn auch die Ausführung oft die aller geschmackloseste ist, der Wirt weiß ja, daß der Gast noch froh ist, wenn er nur irgend eine Karte haben kann, da ja die Läden geschlossen sind. Dazu kommt noch, daß sich der Gast noch verpflichtet fühlt, dem Kellner oder der Kellnerin noch — ein Trinkgeld dazu zu geben. Und damit komme ich auf diese schönste aller Errungenschaften zu sprechen, auf das Trinkgelderunwesen, das mit dem heutigen Gasthausbetrieb im Zusammenhang steht. Bei uns zu Lande und speziell auf dem Land, hat sich diese aus dem Orient und von da über Wien rc. herübergekommene Sitte, oder besser gesagt Unsitte des Trinkgeldergebens an die in den Gasthäusern Angestellten glücklicherweise noch nicht so eingebürgert, wie dies in der Stadt und namentlich an den größeren Plätzen wie z. B. der Metropole von Berlin der Fall ist. Aber schlimm genug hat sich das liebe Publikum diese Rute schon bereits auch in kleineren Städten aufgebunden. Ist es doch eine Thatsache, daß selbst in kleinen Plätzen unseres Heimatlandes Kellner und Kellnerinnen nur auf Trinkgelder angestellt sind, d. h. daß der Wirt oder Gasthofbesitzer seinem servierenden Personal nicht etwa Lohn giebt, wie dies jeder andere Arbeitgeber thun muß, nein, er bekommt seine Leute, die ihm die Arbeit verrichten, ganz ohne Entgeld und diese
Arbeitskräfte stellen sich noch dazu — nur in Folge des immer mehr um sich greifenden Trink- gelderunfugs — meist viel besser dabei, als wenn sie mit festem Lohn angestellt wären. Ist es doch ein öffentliches Geheimnis, daß so eine Kellnerin oder so ein Kellner der nicht mal „Ober" zu sein braucht, in frequenten Lokalen oft an die 20 Trinkgelder durchschnittlich pro Tag einheimst, so daß so ein simpler Kellner oft mit der allergeringsten Schul- rc.-Bildung dem Einkommen nach kaum mit einem K. Oberregier- ungsrat tauschen würde. Bei dem Personal, das dem Wirt so die Arbeit verrichtet, giebt es keine Lohnfrage, keinen Streik wegen Besserstellung; es ist Dank dem Trinkgelderunwesen besser gestellt, als jeder andere Arbeiter. Und doch kann man jetzt tagtäglich zusehen, sonderlich aber an Sonntagen, wo die jungen Leute ihre freie Zeit, welche sie kraft des Sonntagsruhegesetzes haben, in den Kneipen zubringen, welch eine Virtuosität sie sich im Trinkgeldergeben schon angeeignet haben. Mit 2, 3 oder 5 <ff ist es bald nicht mehr abgemacht: man geniert sich geradezu, als solch ein Pfennigfuchser angesehen zu werden; ein Nickel, ja 2 ist ja so eine Kleinigkeit. Man beobachte im Restaurant so ein aufgeputztes Kellnermädchen, wenn es nur ein hübsches „Lärvchen" oder auch nur „Schürzchen", das den jungen Leuten und alten Gecken die Köpfe zu verdrehen gelernt hat, wie da die Trinkgelder nur so fliegen. Ein jeder will ja ein flotter Cavalier sein, der ja mit 10 oder 20 .ff gar nicht zu rechnen hat. Wie sich aber dies summiert, welche Rolle diese moderne „Sitte" oder besser Unsitte in den Ausgaben eines Mannes spielt, welche Steuerlast sich das liebe Publikum auferlegt, während es gleichzeitig am Biertisch über andere Steuern raisoniert, davon macht man sich auf dem Platten Land noch keine richtige Vorstellung; davon weiß aber der Großstädtler zu erzählen. Man wird nach alledem wohl nicht fehlgehen, mit der Behauptung, daß die Hauptursache, warum die „Wirtschaften" so begehrte Betriebe, so gesuchte und deshalb so kostspielige Anwesen sind, allein in dem mehr und mehr zur Mode gewordenen Trinkgelderunfug zu suchen ist. Warum soll man denn nicht vorzieheo, eine Wirtschaft zu betreiben, wo man so »billige" Arbeitskräfte hat! Gerade aus diesem Umstande erklärt sich die in dem letzten Artikel über Gasthausreform erwähnte Thatsache, daß die Wirtschaftsanwesen oft so unerhört teuer bezahlt werden. Das Interesse, und wenn es auch in keinem ordentlichen Verhältnis steht zum Betrieb, es kann doch herausgewirt- schaftet werden, in der Hauptsache deshalb, weil der Wirt nicht, wie jeder andere Arbeitgeber, mit Arbeitslöhnen für das servierende Personal zu rechnen hat. Eine weitere Hauptursache der so gesteigerten Werte für Wirtschaftsanwesen liegt in der Konkurrenz der Großbrauereien, welche nach und nach alle Schankwirtschaften aufzukaufen sucht. Die Bierbarone wissen ganz gut, daß sie mit Ankauf eines konzessionierten Wirtschaftsbetriebs kein Risiko übernehmen, da sie bei gut gehender Wirtschaft entweder durch vermehrten Bierabsatz zu ihrer Rechnung kommen, oder aber daß sie einen Besitzer, dem sie das Geld zur Anzahlung gegeben, der aber in Folge seiner Untauglichkeit oder durch sonstige Verschuldung sein Anwesen nicht mehr halten kann, unter allen Umständen wieder in die Hand bekommen. Das sind ungesunde Zustände, wie sie nur die Überproduktion auch auf diesem Gebiete gezeitigt hat. Alles darauf abgesehen, den Alkoholgenuß nicht einzuschränken, sondern ihn mit allen.mög- lichen und unmöglichen Mittel zu fördern. Da thut allerdings eine vollständige „Gasthausreform" not.
Unterhaltender Teil.
Um einen Widder.
Novelle von Kar! Bienenstein.
Nun stand er unter den sparrigen Apfelbäumen, die sein ehemaliges Haus umgaben. Die Aeste bogen sich unter der Last der reisenden Früchte und wurmstichiges Obst lag schon in Menge auf dem Boden. Bor der Hauslhücc spielten im Sande zwei Kinder.
Als der Hosstetter aus sie zukam, lief das Größere von beiden, ein Knabe, eilends ins Haus hinein, während sein kleines Schwesterchen sitzen blieb, den Fremden mit großen Augen anstarrtc und dann zu
heulen begann, weil es sich vor dem hageren, blassen verstört blickenden Manne fürchtete.
Der aber stieg, als ginge er in dem Hause alltäglich aus und ein, die paar Steinstufen zur Thüre hinan und trat ein. Hier kam ihm ein Weib, hinter dem sich der Knabe versteckte, auf ihn zu und fragte ihn: „Wer seid Ihr denn?"
„Der Hosstetter sah die Frau verdutzt an, als hätte sie eine ganz närrische Frage gestellt; dann fuhr er aber mit den Händen unwillkürlich gegen die Stirne und murmelte: „Ja so!" — Und laut sagte er: „Ich bin der Hosstetter, wenn du schon einmal was gehört hast von ihm.
Verwunderung und Neugier malte sich in dem gesunden Gesicht der Frau.
„Was," rief sie, „der Hosstetter bist Du, dem ein- mal dieses Haus, unser Haus da gehört hat?"
„Ja, es hat einmal mir gehört," sagte dieser mit leiser Stimme, „es ist aber schon lang nicht mehr wahr!"
„Geh, Hosstetter, geh' ein bisl in die Szube herein," lud ihn die Bäuerin sreudlich ein. „Und du Hans!," damit wandte sie sich an den Knaben, der sich nun auch mehr in den Vordergrund gewagt hatte, „hol' den Vater. „Sag', er soll gleich kommen, wer Seltsamer ist da! Aber renn'!"
Darauf geleitete sie den ehemaligen Hausherrn in die Slube, lief aber gleich wieder geschäftig hinaus, um einen Kiug Most und Brot zu holen.
Indessen kam auch der Bauer.
„Rat, wer da ist," fragte die Bäuerin, die sich dem Hosstetter gegenüber gesetzt hatte.
Der Bauer ging auf den Fremden zu, sah ihn genau an, schüttelte aber den Kopf und sagte: „Ich kenn' Sie nicht!"
„Glaub's." gab der Hosstetter in seiner müden Weise zurück^ „aber zerbrich Dir den Kopf nicht, kennst mich sa doch nicht! Der Hosstetter bin ich, Dein Vorfahrer!"
Nachdem sich der Bauer von seinem Erstaunen erholt hatte, ging es an ein Fragen und Erzählen in die Kreuz und Quere.
Der jetzige Besitzer des Hofstetterhauses erzählte, wie er durch die Gant zu der schönen Wirtschaft gekommen sei, daß eS ihm recht gut gefalle, er erzählte von des Hosstetters Kinder, die alle recht brav seien und er nannte die Häuser, in denen sie untergebracht seien.
Es war mittlerweile dunkel geworden. Die Bäuerin kam mit einer Kerze. Nach und nach drückte sich ein Dienstbote um den andern in die Stube. Sie wußten bereits von dem interessanten Gast. Als aus dem Thal herauf das Gebetläuten kam und die Bäuerin das Nachtmahl auf den Tisch setzte, sagte der Bauer, das Gespräch abbrechend: „Also geh'n wir zur Kost."
Damit stand er auf und stellte sich in die Mitte der Stube, der Hosstetter zum Ösen und die Dienstboten verteilten sich in den Hintergrund. Das Gebet wurde gesprochen. Dem Hosstetter, dem bei dem Gespräch mit seinem Nachfolger allmählich wieder die klare Winnerung an seine Vergangenheit gekommen war und mit ihr auch das Weh um alles, was er verloren, zuckte es um die Mundwinkel und nur flüsternd sprach er das Gebet.
Schweigend griff er zum Löffel und griff damit in die Schüssel; ehe er aber noch mit der Suppe zu Munde kam, ging ein Zittern und Beben durch seinen Körper, der Löffel fiel klappernd auf den harten Tisch, während das Haupt des unglücklichen Mannes der in seinem Besitztum nun ein Gnadenbrot genießen sollte, niedersank. Er weinte laut und schmerzlich
Und die derben Landleute ehrten die Seelenqual des Armen und schweigend verzehrten sie ihr Nachtmahl.
Als der Hosstetter wieder aufblickte, sah er das teilnehmende Auge des Bauern aus sich gerichtet. Da sagte er leise: „Mußt schon verzechen. Aber es ist halt gar so hart."
„Na, tröst' Dich nur," entgegnete der Andere, „es wird alles wieder recht werden. Unser Herrgott bringt alles wieder auf eben und gleich."
Der Hosstetter schüttelte den Kopf. „Alles nicht," antwortete er, „über das, was einmal geschehen ist, hat auch unser Herrgott keine Macht."
Während der andere schwieg und gedankenvoll zu Boden starrte, schaute der Hosstetter in der Stube umher. Alles war noch so wie früher.
Der Bauee hatte eine Pfeife geholt und stopfte sie an. Plötzlich legte er sie beiseite, ging wieder zu dem roh geschnitzten Pfeisenständer und brachte eine Pfeife.
„Schau," sagte er zum Hosstetter, „das ist noch was, was Dir gehört."
Der Hosstetter griff mechanisch zu. Richtig das war seine silbergeschlagene Pfeife. Er wollte sie aber gleich wieder zurückgeben, indem er sagte: „Gehört auch nicht mehr mir!"
Der Bauer wehrte jedoch ab: „Nein, nein, die behalt' nur, die gehört Dir.
Dann wendete er sich zu seinem Weibe: „Du richt, dem Hosstetter ein Bett her!"
Jetzt kam aber zum erstenmale Leben in diesen. Er legte die Pseise weg und machte mit beiden Händen abwehrende Bewegungen: „Nein, nein," ries er, „ich bleib' nicht da, ich geh' fort! Ich muß eins von meine» Kindern sehen und dort wird auch noch ein Platz für mich sein."
Er nahm die Pfeife und wollte sie anzünden, hatte aber keine Zündhölzchen.
„Wart', ich geb' Dir ein Feuer," sagte der Bauer und langte von einem Wandbrett eine Schachtel Schwesclhölzchen herab. „Die kannst Dir gleich behalten," setzte er hinzu, als er sah, daß der Hosstetter mit dem Anzünden der Pfeife nicht zu stände kam.
Endlich brannte sie und der Hosstetter ging dankend fort.
„Komm nur so oft, als Dich freut!" rief ihm der Bauer unter der Hausthüre nach.
Und der Hosstetter wandte sich nochmal um und sagte mit seiner tonlosen Stimme: „Dank Dir schön. Wird aber nicht so ost sein." (Schluß folgt.)
Redaktion, Druck «nd Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.