Auterhattender Heit.
Ein Dämon.
Kriminal-Novelle von Ernst v. Waldow.
— 18. —
Am Spätabend, nachdem Katharine, völlig erschöpft, schon die Ruhe gesucht und entschlafen war, saß die Witwe noch mit Wachen Augen träumend am geöffneten Fenster ihres Gemaches.
Sanfte Schwermut lag über die Züge ihres bleichen Antlitzes gebreitet und verschönte dasselbe, den halbgeöffneten Lippen entfloh ein sehnsuchtsvoller Seufzer und die Blicke irrten zum dunklen Nachthimmel empor, an dem sich schon einzelne Sterne zeigten — suchten sie dort den Wolkenthron des Ewigen, der diesem Weibe doch nur als ein Richter erscheinen mußte?
Der Nachtwind rauschte stärker in den Kronen der Bäume, Frau Marie schreckte auf aus ihren Träumen, schloß das Fenster und rief Gertruds Namen.
Die alte Dienerin befand sich bei Katharine, bald trat sie ein und stellte die brennende Lampe auf den Tisch.
Frau Marie gab ihre Befehle für die Nacht und Gertrud entfernte sich, um alles Nötige zu besorgen und dabei noch ein Plauderstündchen mit ihrer Schwester zu halten.
Inzwischen war die weiche, träumerische Stimmung der Witwe verflogen, düstere Bilder standen vor dem Auge ihres Geistes, sie wollte! diese quälende Unruhe bannen und schritt hastig in dem geräumigen Gemache auf und nieder.
Dann näherte sie sich einem der Schränke und entnahm demselben eine kunstvoll gearbeitete Kassette. Langsam öffnete sie diese. Obenauf lag eine kleine Tasche, aus goldgepreßtem Leder gefertigt, Marie zog daraus eine Photographie und betrachtete sie lange — es war das Bild eines schönen, jungen Mannes; schon legte sie die Karte wieder hin, aber war es nun, daß sie sich von dem Anblick nicht zu trennen vermochte, oder fand sie den Verschluß des ihr augenscheinlich teuren Gegenstandes noch nicht sicher — genug, sie barg nach kurzem Besinnnen das Bild an ihrem Herzen und entnahm aus der Kassette eine kleine Phiole. Auch diese schob sie in eine Tasche ihres Kleides, während sie vor sich hin murmelte:
„Sollte ich ihn verlieren — wirst Du mein Tröster sein!"
Müde vom Denken und Träumen, vielleicht auch von der Fahrt in der frischen Luft und der Geschäftigkeit, die mit dem Einrichten fremder Räume für jeden unzertrennlich ist, ließ Frau Marie sich in die Kissen der weichen Ottomane gleiten, schloß die Augen, und bald war sie fest eingeschlafen.
Gertrud saß inzwischen in dem kleinen Vorzimmer in eifrig geführtem Gespräche mit ihrer Schwester. Die in Katharinens Schlaf- gemach mündende Thür war nur angelehnt, denn Gertrud hatte die Ueberwachung der Kranken übernommen, bis eine Wärterin für dieselbe engagiert war.
Die Portiersfrau oder Hausbesorgerin, um mich eines landesüblichen Ausdrucks zu bedienen, besaß, gleich den meisten ihrer Standesgenossinnen, eine ausgeprägte Neigung zum Plaudern. Es wäre schwer zu bestimmen gewesen, ob sie lieber Neuigkeiten hörte, oder solche verbreitete.
Vertieft in eifriges Geplauder, hatten die Frauen das Rollen eines Wagens überhört, der jetzt vor dem Thore des Vorgartens hielt. Die Glocke tönte mit schrillem Klange durch das Haus.
Frau Werner, Gertruds Schwester, sprang hastig auf und eilte hinaus, ihre Lampe zu holen und nachzusehen, wer denn der späte Besucher sei.
Frau Maries Schlummer war tief und erquickend, und auch nicht die leiseste Ahnung flüsterte ihr zu, daß derselbe bald jäh gestört werden sollte; sie hatte nicht einmal das Läuten gehört; wenn es der Fall gewesen, würde ihr der schrille Ton vielleicht wie der der Sterbeglocke ihres Glückes erschienen sein.
Jetzt öffnete sich die Thür ächzend in ihren ! Angeln — Marie schlief fort, ein Lächeln spielte ! um ihre schmalen Lippen, ein schöner Traum! umgaukelte sie. s
Gertrud wollte durch den Spalt der Thür z ins Zimmer schlüpfen, um ihre Herrin zu! Wecken und sie auf den unerwarteten Besuch > vorbereiten. Die feste Hand eines Mannes s aber schob sie zur Seite und die gedämpfte s Stimme des Gerichtsrats Sternau sagte: !
„Nicht nötig, daß Sie mich erst melden; j ich habe Wichtiges unter vier Augen mit Frau von Wallenberg zu sprechen."
Damit trat der alte Herr in das Gemach ^ und näherte sich der Schlafenden. Einen Mo- ! ment blieb er vor der Ottomane stehen und ^ betrachtete die ruhende Gestalt kopfschüttelnd, ! dann streckte er die Hand aus, berührte leicht - den Arm der Frau und sprach:
.Erwachen Sie!"
Frau Marie fuhr empor, noch halb schlaftrunken starrte sie den vor ihr stehenden Mann verwirrt an, erst allmählich vermochte sie sich zu fassen, sich aufzurichten und nach dem Begehr des Besuchers zu fragen.
Die Stirn des Gerichtsrats Sternau war l umwölkt, um seinen Mund lag ein strenger Zug, als er erwiderte:
„Ich komme in einer dringenden Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet. Man hat einige Formalitäten bei der Vernehmung übersehen, das muß nachgeholt werden, Sie müssen mich noch heute Nacht nach K. znrückbegleiten, Frau von Wallenberg!"
„Noch heute? Unmöglich!" erwiderte die Witwe mehr erstaunt und ärgerlich, als erschreckt. „Ich bin noch müde und fühle mich j angegriffen von der Reise; wenn das Gericht > in Ausübung der gebotenen Funktionen sich s Jrrtümer hat zu Schulden kommen lassen, so - bin ich nicht gewillt, diese Schuld zu büßen. Da Sie von einer Vernehmung sprechen, Herr Gerichtsrat, so hindert ja nichts, daß dieselbe hier stattfindet." z
„Sie irren, gnädige Frau, dieses durchaus s notwendige Verhör muß in K. statlhaben." s
Die Witwe erhob sich und während sie? mit der schmalen Hand ihr Haar glatt strich: und die Falten des Kleides ordnete, sprach sie! mit dem Versuch, so sanft wie gewöhnlich aus- ! zusehen:
„Aber bester Herr Gerichtsrat, wollen Sie denn nicht Platz nehmen und mir dieses rätselhafte Begehren näher erklären, eingehender! motivieren? Ich bin wirklich außer Stande, heute noch diese Fahrt anzutreten."
„Und doch muß ich zu meinem Bedauern auf meinem Verlangen bestehen," war die ernste Antwort des Gerichtsrats.
„Wenn ich aber entschieden verweigere, mich Ihrem Ansinnen zu fügen?"
„So würde ich nötigenfalls Gewalt brauchen."
»Ah!"
Es war nur der eine Laut, den Frau Marie aussticß, aber in demselben lag viel, sehr viel ausgedrückt: Schreck, Angst, ja Entsetzen.
Berlin, 2. April. Der Kaiser hatte gestern mit der Kaiserin seinen alltäglichen Spaziergang unternommen und war in die Corneliusstraße eingebogen. Dem Kaiserpaar entgegen kam dort ein Liebespärchen; „er": Linien-Jnfanterist und zurzeit auf Osterurlaub „sie": ein schmuckes Dienstmädchen. Die beiden waren so tief im Gespräch, daß sie niemanden sahen. Erst in letztem Augenblick, dicht bei den Majestäten, erkannte das Mädchen diese und rief laut: „Du, Willem, da sind Kaisers!" Seinen Schatz loslasfen, auf den Straßendamm springen und „Front" machen, war für den Soldaten das Werk einer Sekunde. Das Mädchen blieb indessen verdutzt auf dem Bürgersteige stehen, so daß die Kaiserin den Ärm ihres Gemahls loslasfen mußte, um weiter gehen zu können. Der Kaiser lachte herzlich und sagte zu deck Mädchen: „Holen Sie sich man Ihrem Willem wieder!"
Bremen-Horn. Im Januar dieses Jahres faßte der Unterzeichnete den Entschluß etwas außerordentliches zum Besten der in den Konzentrationslagern Südafrikas schmachtenden Burenfrauen und Kinder zu unternehmen. Er schickte mit einem Kostenaufwand von ca. 3000 an 18 000 deutsche Kriegervereine Musikalien zum Besten des Burenhilfsbundes in Berlin, nebst einem empfehlenden Begleitschreiben S. Exzellenz des Generals der Infanterie z. D. v. Spitz, Vorsitzenden des deutschen Kriegerbundes in Berlin. Der Unterzeichnete wird sich nun erlauben, die rückständigen Beträge durch Nachnahme einzuziehen und bittet im Interesse der guten Sache mn Einlösung der Nachnahme-Karten. Nach Schluß des Unternehmens wird über das Resultat in den betreffenden Krieger- und Lokalzeitungen quittiert: H. Eggers, Bremen-Horn.
Die in Rom erscheinende „Nuova Anto- logia" bringt einen aufsehenerregenden Artikel des italienischen Diplomaten Paolucci über die Verschacherung italienischer Mädchen nach Norditalien, Oesterreich und Deutschland. Ju der Nähe von Mannheim seien Hunderte von italienischen Mädchen systematisch der Korruption geopfert worden?
sUmschrieben.j „. . . Laß mich doch die Zeitung ruhig lesen! Du bist ja die reinste —" — „„Was bin ich?"" — Nun — nun — ich meinte — du wärest die Gattin eines berühmten verstorbenen griechischen Philosophen!'
sAnnouce.s Mops entlaufen. Besonders Kennzeichen: Kann „das Gebet einer Jungfrau' nicht spielen hören.
Buchstaben-Rätsel.
In Ninive das erste Paar,
Doch nicht in Rom zu finden war.
Die Nächsten sind in Wilna immer.
In Moskau zeigen sie sich nimmer,
Im Weichselstrom, doch nicht im Main,
Sieht man die Nächsten im Verein.
In Genf, in Baden, nie in Prag,
Trifft man die Letzten, nie im Haag.
Fragst du: wo such' ich nach dem Ganzen?
Du findest es im Reich der Pflanzen.
Mutmaßliches Wetter am 6. und 7. April.
(Nachdruck verboten.)
lieber Dänemark, dem südlichen Norwegen und fast der ganzen Nordsee liegt noch ein Luftwirbel von 750 mm, der voraussichtlich unter gleichzeitiger allmählicher Auflösung nordostwärts zuruckweichen wird. Unter diesen Umständen ist für Sonntag und Montag nur noch zeitweilig belvöktes und schlimmstenfalls zu kurzen Störungen infolge anfsteigender Nebel geneigtes Weiter in Aussicht zu nehmen.
Neueste Nachrichten u. Telegramm.
Marienburg, 4. April. (Amtliches Wahlresultat.) Bei der gestrigen Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise Elbing—Marienbmz wurde v. Oldenburg (kons.) mit 9205 von ! 18398 abgegebenen Stimmen gewählt, König ! (Soz.) erhielt 4930, Zazermaun (Ztr.) 2588,
! Kindler (frs. Vp.) 1252.
München, 4. April. Die „Mg. Ztg>' bezeichnet die Blättermeldung, daß auch die Frage des Jesuitengesetzes Gegenstand der Besprechungen zwischen dem Staatssekretär Grafen Posadolvsky und den leitenden bayrischen Staatsmännern gewesen sei, als unzutreffend. Im übrigen betonen sowohl die Allg. Zlg., wie die Münch. N. Nachr. als Ergebnis der in München gepflogenen Besprechungen, daß die verbündeten Regierungen sich unter keinen Umständen aus eine Erhöhung der Minimalsätze für Getreide einlassen werden und daß auch keine Einfügung weiterer Minimalzölle in den Tarifentwurf die Billigung der verbündeten Regierungen finden werde. Dies gelte insbesondere auch gegenüber der Forderung auf Minimalzölle für Bichern- fuhr; ebensowenig werde für die Viehverzollung die Einführung der Verzollung nach Lebendgewichte stets des vorgeschlagenen Stückzoues Zustimmung finden.
MM- Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.