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stattlichste unter ihnen, und da auch sein Ruf als Frauenarzt schon einige Verbreitung gefunden hatte, so setzte seine Heirat wohl niemand in Erstaunen. Die junge, kaum achtzehnjährige Frau war blind in ihren Mann verliebt und hätte ihn am liebsten den ganzen Tag um sich gehabt. Daran war leider nicht zu denken. Im Gegenteil, da Hansen viel beschäftigt war, mußte Lore einen großen Teil des Tages sich allein die Zeit vertreiben. Das wäre ihr nun weiter nicht schwer geworden. Sie hatte ihr Vaterhaus am gleichen Orte, und auch die beiden Schwestern waren in derselben Stadt verheiratet, beide an Geschäftsleute, die ihre Abwesenheit vom Hause nach ganz bestimmten Stunden regeln konnten.
Es ging denn auch in deren Haushalt alles pünktlich, auf die Minute vor sich, und Lore mußte viel bedauernde Redensarten über sich ergehen lassen, daß es bei ihr so ganz anders sei. Auch mißtrauisch machte man die kleine Unerfahrene. Da hieß es: „Sieh Dich vor, Dein Mann ist bei den Damen nur zu sehr verliebt, kaum die Hälfte von denen, die ihn in seinen Sprechstunden aufsuchen, sind krank-, die meisten kommen nur, um sich den schönen Doktor Hansen anzusehen."
Die Augen der jungen Frau richteten sich mit einem Ausdruck hilfloser Angst auf ihre älteste Schwester, die ihr diese Rede hielt.
„Aber was kann ich dabei thun?" stammelte sie.
„Nichts, oder wenigstens nicht viel," tröstete die Aeltere sie. „Du darfst vor allen Dingen Kurt nie merken lassen, daß Du um solche Sachen weißt."
„ O, ich armes, betrogenes Geschöpf," schluchzte die arme kleine Frau. „Wie unglücklich bin ich, und dennoch habe ich meinen Kurt so lieb."
„Tröste Dich, Lorchen," sagte die Schwester sanft. „Du mußt nur etwas acht auf Deinen Kurt haben. Und denn, alles kontrollieren, die Briefe, Bestellungen!"
Während Frau Lore so recht gründlich über ihre Pflichten belehrt wurde, fand ihr Gatte Zeit, sich zum erstenmal wieder seit seiner Verheiratung bei seinen Stammtischfreunden einzufinden.
Er wurde mit einem donnernden Halloh empfangen.
„Sieht man Dich, Ausreißer, einmal wieder," sagte der Präside, ein fideler junger Rechtsanwalt, indem er ihm einen Ganzen kam. „Wir hatten schon vor, Dich auszustoßen aus unserer Verbrüderung."
„Aber Kinder, bedenkt, ich habe doch jetzt eine junge Frau," scherzte Hansen, „die fesselt mich mit Rosenbanden und giebt mich vorläufig nicht frei, wenigstens für einen Abend nicht."
„Gegen Frühschoppen scheint Deine Gattin also weniger einzuwenden?" fragte ein anderer.
„Kann ich Dir nicht sagen, mein Sohn. Ich bin sozusagen inkognito hier, eine Patientin in der Nähe muß hernach den Vorwand hergeben."
„Sieh einmal einer den Heuchler an," scherzte der Rechtsanwalt. „Uebrigens so gefällst Du mir. Wie wär's, wenn Dich auch morgen abend eine gefällige Patientin zitiert? Wir hätten den Genuß, Dich wieder einmal unter uns zu sehen, und Deine ehelichen Gefühle, vielmehr die Deiner Gattin blieben unverletzt."
„Wo finde ich die gefällige Kranke?" forschte Kurt vergnügt.
„Da laß mich nur machen. Ich sende Dir eine Rohrpostkarte mit der dringenden Aufforderung, sofort zu meiner schwerkranken Frau zu kommen und ..."
„Ausgezeichnet!" stimmte der Doktor bei. „Ich werde kommen. Vergiß nur ja die Karte nicht. Und nun Servus, Kinder."
Der verabredete Abend kam. Herr und Frau Doktor Hansen saßen behaglich in dem Zimmer der jungen Frau und lasen. Verstohlen sah Doktor Hansen auf seine Uhr. Da klingelte es draußen. '
„Gewiß eine Bestellung für mich," nahm Kurt das Wort. „Wie ärgerlich! Nicht mal am Abend kann man sich seines Weibchens freuen."
Er wurde nicht einmal rot bei diesen Worten, der abgefeimte Heuchler.
Das Mädchen erschien in der Thür.
„Eine Rohrpostkarte für Herrn Doktor," meldete es.
„Geben Sie her!" Es war Lore, die diese Worte sprach und nach der Karte griff. Enttäuscht ließ sie dieselbe auf den Tisch fallen.
„Es ist, wie Du vermutetest, Kurt," sagte sie mit trauriger Miene. „Wie schade, um unfern schönen Abend, ich hatte mich so sehr darauf gefreut."
„Und ich erst, Schätzchen," beteuerte der Verräter schmeichelnd. „Doch laß sehen, wohin die Botschaft mich ruft, möglicherweise kann ich schnell zurück sein."
Wie mutlos ließ er die Karte auf den Tisch fallen.
„Geh nur zu Bett, kleines Frauchert," sagte er, Bedauern im Ton, „ich kehre schwerlich vor Mitternacht heim."
Nach herzlichem Abschied verließ der Doktor, froh der gelungenen List, das Haus und eilte zu seinen Freunden. Stürmischer Jubel empfing ihn, und die Mitglieder der Fidelitas waren so fidel an diesem Abend, daß der Doktor ihnen zuschwor, von nun an kein einziges Mal am Vereinsabcnd, der jeden Donnerstag stattfand, fehlen zu wollen. Spät kam er heim und schlich auf Strümpfen in das eheliche Gemach. Frau Lore schlief fest, und mit einem erleichterten Aufseufzen suchte der Doktor sein Lager auf.
„Es war Wohl sehr schlimm, gestern abend?" fragte die junge Frau in mitleidigem Ton ihren Mann. „Du kamst so spät".
Er mußte sich einen Augenblick besinnen.
„Ja, ja, sehr schlimm", antwortete er zerstreut, indem ein heimliches Lächeln sein Gesicht umspielte. „Uebrigens sehr spät, zwölf Uhr vorbei".
„Du armer Mann, Tag und Nacht mußt Du Dich quälen", bedauerte sie ihn.
„Schadet nichts, Frauchen. Geschäft ist Geschäft. Was könnte mich auch sonst von meinem Lorchen treiben." —
(Schluß folgt.)
Schrecklicher Tod. Aus Turin wird geschrieben: Vor einigen Tagen begab sich der Landwirt Taddeo Voillermont nach der Alpe Desert in der Nähe von Tourgon, um dort ein ihm gehöriges Haus, das zur Aufbewahrung von Käse diente, zu besichtigen. In den piemontesischen Alpen pflegt man die Thür solcher Vorratshäuser nicht nur zu verschließen, sondern man verrammelt sie auch noch im Innern durch einen Fallbaum, so daß es unmöglich ist, die Thür einzustoßen. Um die Thür zu öffnen, muß man sie zunächst aufschließen und sich dann dagegen stemmen. Der Fallbaum giebt dann gerade so viel nach, daß man den Arm durch die Spalte stecken und mit Hilfe eines Strickes den Fallbaum beiseite zerren kann. Voillermont ließ es bei diesem letzteren Handgriffe an nötiger Vorsicht fehlen. Der Fallbaum stürzte Wohl zu Boden, aber nicht seitwärts, sondern gerade gegen die Thür, die er unten, in der Nähe des Erdbodens, mit großer Gewalt zuklemmte. Der Arm Voillermonts wurde zwischen Thür und Thürpfosten wie in einem Schraubstock festgehalten. Vier Tage und vier Nächte hindurch arbeitete der unglückliche Landwirt mit der einen freien Hand, mit den Füßen, mit den Zähnen, mit dem Kopfe, um seinen Arm aus der tödlichen Umklammerung zu befreien. Er entkleidete sich, er verletzte sich den Schädel, er zerfleischte sich die Armmuskeln, er grub mit den Füßen und der freien Hand in den Erdboden, daß die Haut uud die Nagel ab- rissen. Es war alles vergeblich. Hunger und Durst, die Kälte der Alpennächte, das Entsetzen über seine verzweifelte Lage raubten ihm endlich die Besinnung. Als nach vier Tagen seine Familie wegen seines Ausbleibens ängstlich geworden war und zwei Knechte nach der Alpe hinaufschickte, fand man den Unglücklichen sterbend, mit dem Kopfe gegen die unselige Thür gelehnt. Wenige Minuten nach seiner Befreiung starb er.
(Blühende Maiblumen im Weihnachtszimmer) Man verschaffe Ende Novbr. oder Anfang Dezbr. blühbare Maiblumen-Treibkeime und kürze die Wurzeln um ffz ihrer Länge. Hierauf fülle
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.
man Blumentöpfe halb mit MooS, stelle die Keime hinein und bedecke sie so mit Moos, daß ihre Spitzen bis zum Topfrande reichen. Man decke auf jeden Topf eine Hand voll Moos und stülpe einen leeren Blumentopf darüber, setze den Topf in einen Untersetzer, der immer mit Wasser gefüllt sein muß auf einen immer geheizten Stubenofen oder eine warme Stelle des Küchenherdes. Ist die Hitze zu groß, so mindert man sie durch Unterlegen von Mauersteinen. Haben sich die Blüten entwickelt, so nimmt man den übergestülpten Blumentopf und das aufgedeckte Moos ab und stellt die Pflanze an das Zimmerfenster, wo sich die grünlich-gelb gefärbten Blätter bald natürlich grün färben.
Bauernregel für Dezember.
Dezember kalt mit Schnee
Giebt Korn auf jeder Höh)
Donner im Winterquartal
Giebt Wind, auch Kälte ohne Zahl.
Wenn die Christnacht hell und klar,
Folgt ein höchst gesegnet Jahr.
Bringt St. Stephanus (26.) Wind,
Die Winzer nicht glücklich sind.
Grüne Weihnacht, weiße Ostern.
(Sehr richtig.) Gast: „Hier im Zimmer ist es aber entsetzlich kalt. Das Thermometer steht ja kaum 10 Grad über Null!" — Kellner: „O, dem ist bald abzuhelfen; Sie dürfen nur den Finger auf die Kugel halten!"
sSchlechtes Gewissen.) Gast: „Diesen Pudding haben Gnädige wohl selbst zubereitet?" — Hausfrau: „Warum — schenkt er Ihnen nicht?"
Mutmaßliches Wetter am 5. und 6. Dezbr.
lNachdruck verboien.)
Ein von Westen her in Irland eiugetroffener neuer Hochdruck von ca. 773 min hat den letzten Luilwirbel von 745 min aus der oberen Nordsee über Skandinavien nach der mittleren Ostsee und dem finnischen Meerbusen verdrängt. In Norddcutschland rechts der Elbe steht das Barometer zwar noch etwas unter Mittel. Doch ist für Dienstag und Mittwoch trotz vorwiegender Bewölkung größtenteils trockenes Wetter bei neuerdings sinkender Temperatur zu erwarten.
Telegramme.
Straß bürg i. E., 3. Dez. Heute tagte hier der Vorstand der deutschen Kolonialgesellschaft unter dem Vorsitze des Herzogs Johann Albrecht, Regenten von Mecklenburg-Schwerin. Die Herren waren gestern abend einer Einladung des Statthalters zum Diner gefolgt. Heute vormittag begann im Rathaus die Beratung, welche bis 2^/s Uhr nachm, dauerte.
Paris, 3. Dezbr. Der „Temps" meint, Chamberlain habe mit seiner Rede weder in Deutschland und Amerika, noch in Frankreich die von ihm erwartete Wirkung erzielt. Chamberlain zeigte, daß er weniger geschickt sei, als man glaubte, aber darum sei er für Frankreich doch nicht minder gefährlich.
Paris, 3. Dezember. Der allgemeine Sozialistenkongreß ist heute nachmittag im Gym- nase Voltaire eröffnet worden. Es waren etwa 1000 Delegierte anwesend, darunter sämtliche sozialistische Deputierte und die hervorragenden Führer der Partei.
Durban, 3. Dez. Nach einem Telegramm des „Natal Mercury" aus Frere ziehen die Buren ihre Streitkräfte in den alten Stellungen in der Nähe von Colenso hinter Groblers Kloof zusammen. Aufklärungsabteilungen wurden in der Nähe von Chieveley gesehen. Alles deutet auf den Versuch hin, einen Uebergang der englischen Truppen über den Tugelafluß zu verhindern.
Las Palmas, 3. Dez. Einer von den auf dem Dampfer „Sumatra" eingetroffenen Offiziere sprach sich über die Schwierigkeiten des südafrikanischen Krieges aus, die sowohl aus den Hindernissen des Terrains sich ergeben, wie auch aus der von den Buren befolgten Taktik. Die Verluste seien auf beiden Seiten große; doch seien die Verluste der Engländer größer als die der Buren.