870

Unterhaltender Fett.

Begnadigt.

Skizze von T. Kellen.

«Nachdruck verboten.) iSchluß.t

Einige Minuten waren wieder verflossen. Eine dumpfe Fühllosigkeit, dem Tode verwandt, eine völlige Entkräftung hatten den Verurteilten auf das Lager gestreckt. Nicht das geringste Geräusch drang in die Zelle; nach und nach brach sich ein Heller Schimmer durch den düsteren Erschlaffuugszustand Bahn, und wie ein Licht­schein sich verbreitet, so begann die Morgenröte einer noch unbestimmten Hoffnung aufzudämmern und erglänzte endlich in voller Klarheit.

Er erhob sich. Was ging denn vor? Es war doch schon lange her, seit man Decker ab­geführt. Er wollte nicht mehr hoffen; die Ent­täuschung würde zu grausam sein. Es war un­möglich, daß man ihn hier ließ! Man hätte es ihm jagen müssen!

Aber trotz alledem stieg die Hoffnung wieder in ihm auf. Ein neuer Gedanke durchzuckte sein Hirn. Er erinnerte sich, daß man immer zuerst den weniger Schuldigen hinrichtete. Und nun, da er ja noch da war, warum hatte er auch nicht früher daran gedacht? Er war ja noch da, er, der jüngere von den beiden, der nur mit Widerstreben zugeschlagen, weil der andere ihn dazu getrieben hatte!

Wenn nicht ....

Er hielt inne, sein Gesichtsausdruck wurde starr. Ein plötzlicher Gedanke versteinerte ihn. Vielleicht hatte man gerade im Gegenteil ihn für den Schuldigeren gehalten. Dann würde man ihn auch zuletzt hinrichten. Er erinnerte sich, wie bei dem Verhör Entsetzen die Menge erfaßt hatte bei dem Berichte von den Streichen, die er blindlings geführt hatte, in dem wilden Rausche des Blutes, das ihm zu Kopfe gestiegen. Um mit einem einzigen Schlage gerade die richtige Stelle zu treffen, dazu war er doch zu sehr Neu­ling. Er seinerseits hatte sich nur an dem Kampf beteiligt, weil der Mann sich zur Wehr setzte. Dann wußte er nichts mehr! Er war wahn­sinnig gewesen an jenem Abend! Sonst hätte er nicht gemordet! Aber die Geschworenen hatten das nicht einsehen wollen.

Er suchte sich jetzt die Verzögerung zu er­klären. Eine Störung der Maschine? Dieser Tölpel von Henker war so ungeschickt. Oder Decker mochte sich auch zur Wehr gesetzt und die Gehilfen beiseite gestoßen haben! Immer neue Möglichkeiten fielen ihm ein: Die erregte Menge mochte das Schafott gestürmt haben! Vielleicht war auch eine Revolution ausgebrochen!

Plötzlich stieß er einen Schrei aus.

Es wird Tag!'

Und wirklich, das graue Licht des beginnen­den Tages drang durch das Fenster und fiel auf den Fußboden. Der Tag! Nun, nun war er gerettet! Hinrichtungen wurden nie am Hellen Tage vollzogen, nie!

Und sicher mußte diese rettende Helle des Tages schon längere Zeit dagewesen sein, denn das war ja nicht mehr die erste Dämmerung, dazu war es viel zu hell!

Cr brach in ein lautes Lachen aus, das sich in Schluchzen verwandelte. In fieberhafter Erregung rannte er in der Zelle umher. Er war begnadigt! Man hatte nur vergessen, ihn zu benachrichtigen, das war alles!" Man hatte genug mit dem anderen zu thun gehabt, der andere, für den war es schlimm, aber das war ihm einerlei! Begnadigt! Wie ist doch das Leben so schön! Außerhalb der Kerkermauern, da kann man lachen und lieben, da giebt es Sonnenschein und einen weiten blauen Himmel! Er wurde ruhiger, ein unendliches Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit überkam ihn. Jetzt wollte er ein rechtschaffener Mensch werden, wollte sein Verbrechen durch Arbeit sühnen. Und aus dem Dunkel des Kerkers tauchte das Land seiner Träume in himmlischer Schöne vor ihm auf, Neu-Kaledonien, das ferne, meerentlegene ....

Leichenblaß fuhr er Plötzlich in die Höhe: von neuem erklangen Schritte. Mit einem Schlage erfaßte ihn wieder die alte Angst. Die verflossene

Zeit, diese Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen war, hatte nur wenige Minuten umfaßt! Es war eine Täuschung seines überreizten Hirns gewesen, eine Hallucination, vielleicht auch die Strafe Gottes, der so seinen Todeskampf verlängerte. Er war wahnsinnig gewesen in den letzten Augen­blicken ; alles kam, wie es mußte, genau zur be­stimmten Stunde, die Reihe war jetzt an ihm!

Verstört wich er zurück, die Augen starr auf die Thür gerichtet. Der Schlüssel kreischte im Schloß; er sank auf sein Lager, die Zähne schlugen klappernd zusammen und die gespreizten Finger krallten sich in die Decken ein ....

Die rauhe Stimme eines Wärters befahl Lachenay aufzustehen, und vor ihm im Hellen Lichte, das durch die offene Thür verstärkt worden war, standen mehrere Männer. Nun hörte er eine andere Stimme und ein Gemurmel von Tönen drang sckiwach an sein Ohr, ohne daß er den Sinn erfassen konnte. Ein neuer Schwäche­zustand befiel ihn; es schien ihm, als ob sein Leben langsam entwiche. Sein Körper war wie eine Maschine, deren Triebwerk gestört ist, und die von regelmäßigen Stößen erschüttert wird. Nur das Entsetzen war noch in ihm lebendig, ließ ihn keuchend atmen und rollend die Augen bewegen.

Nach und nach unterschied er einzelne Wörter. Seine Züge drückten die äußerste Spannung aus, dann überflog ein Freudenschimmer sein Antlitz; seine Augen schweiften von einem Gesichte zum anderen und blieben zuletzt an dem Munde des Sprechenden haften. Und nun Plötzlich hörte er es, verstand er es: seine Strafe war in Zucht­hausstrafe verwandelt.

Er richtete sich mit einem heftigen Rucke auf, wollte aufschreien, aber der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken, seine Hände griffen krampfhaft nach der Brust, er taumelte und sank lautlos auf sein Lager.

Der Begnadigte war tot.

Berlin, 2l. Nov. Der größte Soldat der preußischen Armee ist der gegenwärtig beim Regiment der Gardes du Korps in Potsdam in diesem Herbst zur Einstellung gelangte Rekrut Dabelenke. Der aus dem Ostpreußischen gebürtige Riese, der von Beruf Landwirt ist, hat nämlich die stattliche Länge von 2,7 Meter. Der zweit­größte Soldat befindet sich beim 1. Garderegiment zu Fuß in einer Größe von 2,5 Metern. So dann folgt ein Rekrut desselben Regiments mit 1,98 Metern Größe. Außer dem obenerwähnten Dabelenke hat keiner des diesjährigen Rekruten­ersatzes eine Länge von 2 Metern erreicht. Hier­bei sei erwähnt, daß der größte Soldat des deutschen Heeres beim bayerischen Jnfanterie- Leibregiment zu München dient, und sich der fast unglaublichen Größe von 2,11 Metern erfreut.

(Warum das Jahr 1900 kein Schaltjahr ist.) In auswärtigen Blättern findet sich nach­stehende hübsche Erklärung der Ursachen, aus welchen das Jahr 1900 kein Schaltjahr sein wird. Das Jahr zählt 365 Tage 5 Stunden, 49 Minuten; 11 Minuten werden nun in jedem Jahr hinzugenommen, um das Jahr 365 Tage lang zu machen und alle 4 Jahre wird ein voller Tag hinzugefügt. So hat es Julius Cäsar eingerichtet. Woher kommen nun diese 11 Minuten? Antwort: Von der Zukunft und ausgeglichen werden sie, in dem das Schalt­jahr alle hundert Jahre in Wegfall kommt. Kommt das Schaltjahr jedoch regelmäßig alle hundert Jahr in Wegfall, so stellt sich schon nach vierhundert Jahren heraus, daß nicht nur die jedes Jahr hinzugenommcnen 11 Minute ausgeglichen worden sind, sondern daß sogar auf diese Weise ein ganzer Tag verloren ge­gangen ist. Deswegen verordnet Papst Gregor XIII., als er Cäsars Kalender im Jahre 1582 verbesserte, daß jedes Centurialjahr, welches durch die Zahl 4 zu dividieren sei, nun doch ein Schaltjahr sein sollte. Auf diese Weise borgen wir uns jährlich 11 Minuten mehr, als wir durch den Ausfall von 3 Schaltjahren in drei Centurialjahren ausgleichen und helfen uns da­durch, daß wir im 4. Centurialjahr ein Schalt­jahr haben. Papst Gregor's Rechnung ist so exakt und die Borge- und Zahlungsbilanz hebt

sich gegenseitig so genau auf, daß die Summe dessen, was wir mehr borgen als wir ausgleichen, nur allemal erst in 3866 Jahren einen vollen Tag ausmacht.

(Die deutsche Sprache.) Der französische Gesandte am Berliner Hofe in den fünfziger Jahren äußerte sich einmal einem berühmten deutschen Schriftsteller gegenüber, daß die deutsche Sprache doch mit der französischen in gar keinem Vergleiche stände.Die Deutschen," so fuhr der Franzose fort,sind nicht im stände, in ihrer Sprache das genau auszudrücken, was sie sagen wollen. Die Sprache ist plump und unbehülflich. Es ist ein solcher Wust von Worten, die durch­aus überflüssig sind, die vielfach nur dasselbe sagen, so daß man sich aus diesem Labyrinth nicht zurecht finden kann. Ihrer Sprache fehlen eben die feinen Nuancen, wie sie die unsrige hat." Oh," entgegnete ihm der Deutsche,ich kenne doch meine Muttersprache ganz gut, das ist mir aber noch nicht ausgefallen, daß bei uns zwei Worte ganz dieselbe Bedeutung haben."Ach, da könnte ich Ihnen doch einige Beispiele nennen."

So, da bin ich begierig."Na, also zum Beispiel: Nennen und heißen."Daß ich nicht wüßte," erwiderte der Schriftsteller,ich kann meinem Diener wohl heißen» etwas zu thun, aber nicht nennen."Hm, ja aller­dings, da haben Sie recht, aber dann: Speisen und essen?" O nein, Sie können z. B. 100 Arme speisen, aber nicht essen!" Da haben Sie auch wieder recht, aber nun: Senden und Schicken?"Erst recht nicht, mein Herr. Sie sind Wohl ein Gesandter, aber kein Geschickter!" Der Gesandte soll von da an die deutsche Sprache noch mehr gehaßt haben.

Die Geheimnisse der Falschspieler, die Kunst in allen Spielen zu gewinnen unter diesein Titel erscheint in den nächsten Tagen von dem Sachverständigen im Harmlosenprozeß M. Hermann ein Büchelchen mit Illustrationen zum Preise von 60 Pf., das berechtigt sein dürfte, Aufsehen zu erregen. Jede Buchhandlung, sowie die Verlagsbuchhandlung Rich. Eckstein Nächst, Berlin Iss. 57, Bülowstr. 51, nimmt schon heute gegen Einsendung von 60 Pf. Bestellungen ent­gegen. Wer die Kniffe der Falschspieler kennen lernen will, darf nicht versäumen, dieses Buch zu lesen.

sGrob.j Er:Das Unglück bei Meyer ist, er spricht zu viel." Sie:Das ist aber merkwürdig, wenn er mit mir zusammen war, sprach er kaum ein Wort." Er:Ja, er ist eben zu wohl erzogen, um zu unterbrechen."

sO weh!j Fremder:Ich habe hier ein Paar Rechnungen, die schon lange fällig sind."

Kaufmann:Das thut mir leid, aber der Kassirer ist ausgegangen." Fremder:Ach, das thut nichts; dann komme ich wieder und bezahle sie ein andermal. Adieu!"

sBeruhigend.s Dame (ängstlich):Der Mann vorhin schrie ja furchtbar; thut das Zahn­ziehen sehr Weh?" Zahnarzt:Ach wo, gar nicht . . . dem hatte ich nur die Kinnlade etwas ausgerenkt!"

Gedankensplitter.

Die Frauen haben in den seltensten Fällen recht, sie . .. behalten es nur.

Auflösung des Rätsels in Nr. 182.

Gefallen.

Rätsel.

Du kennst ganz sicher jenen Fluß Des Quelle liegt in Oestreichs Gründen,

Der dann durchströmt das Land des Ruß',

Um nun in Preußens Land zu münden. Nimmst Du ihm aber nun das Herz,

So mußt Du weit von ihm schon reisen.

Bis Du gelangst zujener Stadt, wo Preußen Schmerz Bereitet ward durch fremde Hand vor langen Zeiten, Wo hinsank in das Grab die Schaar,

Die um das Vaterland zu retten, so mutig aus­gezogen war.

Redaktion. Druck und Verlag von E Meed in Neuenbürg.