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ständnis für die nationale Bedeutung der Flotten­frage als manche Deutsche.

Hamburg, 7. Nov. Ueber ein gewiß außerordentlich seltenes Vorkommnis eine aufgehobene Hinrichtung wird aus Hamburg berichtet: Der Weber Fischer, wegen Raubmords zum Tode verurteilt, sollte Montag früh um 8 Uhr hingerichtet werden. Sein Verteidiger, Dr. Heckscher, begab sich nun Samstag Vor­mittag nach Bergedorf, um die in letzter Stunde von Fischer vorgeschlagenen Zeugen, einen Bier­zapfer und die Pfandleiherin Jung, zu ermitteln. Es gelang dem Verteidiger auch, die Pfand­leiherin Jung anzutreffen, deren Angaben zum Teil zugunsten Fischers ausfielen. Der Ver­teidiger begab sich mit der Aussage sofort wieder nach Hamburg, wo er noch eben rechtzeitig ein­traf, um das gewonnene Ergebnis dem Ober­landesgericht zu unterbreiten. In Anbetracht der Kürze der verfügbaren Zeit war es nicht mehr möglich, Ermittelungen betreffs des anderen Zeugen, des Bierzapfers, anzustclle». Auf Grund der Ermittelungen Dr. Heckschers beschloß das Oberlandesgericht, die Hinrichtung vorläufig anf- zuheben. Der Beschluß des Oberlandesgerichts wurde sofort der Staatsanwaltschaft übermittelt, die ihrerseits telegraphisch und telephonisch die erforderlichen Anordnungen traf. Das Gerüst für die Guillotine war bereits auf dem Hofe des Untersuchungsgefängnisses aufgebaut, als der Verteidiger Dr. Heckscher in die Zelle des Ver­urteilten trat und diesem mitteilte, daß er die Zeugin Jung (die Pfandleiherin) gesprochen habe. Der Verurteilte, in dessen Zelle gerade der Gefängnisgeistliche anwesend war, jauchzte und weinte wie ein Kind bei der Mitteilung. Ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens be­schlossen wird, dürfte jedoch erst die Begründung des Gerichtsbeschlusses ergeben.

Assamstadt, 9. Novbr. Das unselige ochzeitsschießen hat wieder ein Opfer gefordert, ei einer Hochzeit wurde ein junges Mädchen durch einen Schuß in den Kopf schwer ver­wundet und mußte in das Spital nach Würzburg verbracht werden. Möge doch zur Ausrottung dieser rücksichtslosen und lebensgefährlichen Unsitte zu den schärfsten zulässigen Mitteln gegriffen werden.

Württemberg.

Stuttgart, 10. Nov. Die Frage der Einheitlichkeit der Postwertzeichen für das ganze deutsche Reich ist in Zusammenhang mit der notwendig gewordenen Einführung neuer Marken aufgetaucht und hat durch die Reise des Staatssekretärs v. Podbielski nach Stuttgart und München einen Anlaß zu innerpolitischen Er­örterungen erhalten, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Man kann das Postreservatrecht, welches auf Grund der Versailler Verträge für Würt­temberg und Bayern zu Recht besteht, nicht mit leichtem Achselzucken, oder unter dem Hinweis auf die dringenden Verhältnisse von Handel und Verkehr abthun. Andererseits ist nicht abzu­leugnen, daß der jetzige Zustand für den Handel und alle Gewerbe zum mindesten ein unguter ist und jedermann sagt sich, daß mit der Zeit doch ein Weg gefunden werden sollte, demselben unbeschadet der Rechte der zwei süddeutschen Staaten, ein Ende zu bereiten. Wir wissen nicht, ob man sich zur Zeit aus der richtigen Fährte befindet, um Uebelstünden abzuhelfen, welche mit einem nun einmal unanfechtbaren Rechtszustand Zusammenhängen. Eine Lösung der jetzt aufge­worfenen Frage wird wohl nicht ausbleiben; es sind schon schwierigere Fragen in befriedigender Weise aus der Welt geschafft und speziell vom deutschen Horizont entfernt worden. Daß das württb. Staatsoberhaupt wie die württ. Staats­regierung innerhalb der nun einmal bestehenden Grenzen die weitestgehende Bereitwilligkeit zu dieser Hinsicht an den Tag legen werden, glauben wir mit Sicherheit feststellen zu können. Zwischen der württembergischen und der Reichsregierung hat, wie man weiß, schon in gleich schwierigen Fragen eine Verständigung stattgefunden und weder das Reich noch unser engeres Vaterland hat darunter notgelitten. Zur endgiltigen Regel­ung der Frage gehört aber die sorgfältige Prüf­ung finanzieller und handelspolitischer Fragen.

Balingen, 10. Nov. In der Konkurs­angelegenheit der Firma Jakob Müller beim Paradies wurde gestern der Inhaber des Filial- schuhgeschäfts in Baden-Baden, Otto Müller, Bruder des bereits inhaftierten Prokuristen Karl Müller, wegen Verdachts der Beihilfe zum be­trügerischen Bankerott anläßlich seiner Anwesen­heit auf dem Rathaus festgenommen. Der Konkurs zieht immer weitere Kreise.

Anstand.

Petersburg, 9. Nov. Zu dem Artikel derNordd. Mg. Ztg." bemerken dieNowosti": Die Erklärung des deutschen offiziellen Blattes hat angesichts der derzeitigen politischen Kon­stellation eine enorme Bedeutung. In dem Ar­tikel wird kategorisch von dem Einvernehmen zwischen Deutschland und Rußland gesprochen, welches beiden Mächten die Möglichkeit giebt, gemeinsam in Europa und außerhalb Europas zu handeln. DieNordd. Allg. Ztg." giebt zu verstehen, daß die Zusammenkunft der beiden mächtigen Monarchen glückliche Folgen für den Weltfrieden haben müsse. Die so autoritative Mitteilung des deutschen offiziösen Blattes ist um so erfreulicher, als sie eine durchaus klare Antwort auf die Fragen des gegenwärtigen ge­schichtlichen Augenblicks gibt."

London, 10. Nov. Bei dem Lord Mayors- Bankett führte Lord Salisiury in einer Rede aus, das Abkommen mit Deutschland bezüg­lich Samoas sei für beide Teile gleich vorteilhaft. Die Beziehungen zu Deutschland seien so, wie sie sich nur wünschen ließen. Der Krieg in Süd­afrika sei nicht infolge der britischen Forderungen hervorgerufen worden. Denn als das Ultimatum Transvaals abgesandt wurde, seien die britischen Forderungen zurückgezogen gewesen. Er könne die Zukunft nicht voraussehen, habe aber volles Vertrauen zu den britischen Soldaten unter General Bulkers Führung. England suche keine Goldfelder und kein Gebiet sondern nur die Gleichberechtigung aller Rassen. England werde kein Einschreiten anderer Mächte zulassen.

Ob der Verlauf des Burenkrieges Eng­lands Nachgiebigkeit in der Samoa-Frage mit­bewirkt hat, möge dahingestellt sein. Jedenfalls läßt sich nicht verkennen, daß die Lage der Eng­länder in Südafrika ungünstig ist. Die Nach­richten gehen immer spärlicher ein, obgleich die dortigen Vorgänge anscheinend gerade jetzt reich­lich Gelegenheit zu interessanter Berichterstattung geben müßten. Auch im Süden haben die Buren einen bemerkenswerten Erfolg aufzuweisen, indem sie die Engländer aus Colenso vertrieben. Sehr bedenklich für die Engländer ist, daß die holländ­ischen Elemente in Südafrika zum großen Teil auf die Seite der Buren treten. Es gährt nicht nur in Natal, sondern auch im Kaplande.

Die letzte Entscheidung bei Ladyshmith will noch immer nicht fallen, die Buren sind mit einem wiederholten Ansturm auf diese starke englische Stellung von General White abermals abgewiesen worden. Im Uebrigen ist aus den sich kreuzenden vielen Meldungen über den weiteren Verlauf des Burenkrieges durchaus kein genüg­ender Schluß auf die augenblickliche Lage auf dem südafrikanischen Kriegsschauplätze zu ziehen, nur so viel scheint festzustehen, daß die Eng­länder ihre schweren Schlappen bei Ladysmith rc. in einigen kleineren Gefechten wieder ein bischen wettgemacht haben. Nach Mer Meldung aus Eastcourt verließ die Natal-Artillerie ihr dortiges Lager am 6. d. M., eskortiert von Abteilungen britischer Carabiniers und der Feldabteilung der Natal-Polizei. Ihre Bestimmung ist noch un­bekannt. Weiter besagt dieselbe Meldung, daß der Feind die Beschießung von Ladyshmith zweifellos wieder ausgenommen habe. In Coles- berg (Kapland) ist die Nachricht eingegangen, daß 3000 Buren, von starker Artillerie begleitet, die Schnellfeuergeschütze schweren Kalibers mit sich führen, von Pretoria zur Sicherung der Südgrenze des Oranjefreistaates aufgebrochen seien.

Paris, 9. Nov. Der Temps erfährt aus London: Nach einem Telegramm aus Kapstadt habe General White alle seine Munition er­schöpft. In London gehe das Gerücht, General Fr euch habe sich nach Kapstadt begeben, um

dem General Sir R. Buller die Bedingungen der Kapitulation vorznlegen oder um von ihm die Genehmigung zu einem verzweifelten Ausfall aus Ladysmith zu erhalten.

London, 10. Nov. Amtlich wird gemeldet die Truppen an Bord des Transportschiffes, das bei den Kapverdischen Inseln Havarie er­litten hat, sollen auf den am' 14. Nov. in Southampton abgehenden Dampfer Goth gebracht werden.

Estcourt, 6. Nov. Hier ist eine zuver­lässige Nachricht eingetzroffen, daß Colenso im Besitze der Buren ist.

In Nordamerika haben dieser Tage die nicht unwichtigen politischen Wahlen in den Einzelstaaten, das Vorspiel zu der herannahen­den Präsidentenneuwahl, stattgefundcn. Eine Uebersicht der Wahlergebnisse ist indessen noch nicht möglich, bis jetzt weiß man nur, daß in Ohio, Massachusetts, Iowa, Pensylvanien, Süd- Dakota und New-Jersey die Republikaner, in Maryland, Mississippi und Virginia die Demo­kraten siegten.

Die Union will auch in China ihre neue Wcltmachtstellung zeigen, es soll die Entsendung eines starken amerikanischen Geschwaders unter Dewey in die chinesischen Gewässer beschlossen sein.

Auflösung des Rätsels in Nr. 172:

Aufziehen.

Mutmaßliches Wetter am 12. und 13. Nov.

iNachdruck verboten.)

Während der letzte Lufiwirbel mit 745 mm bereits in Nordskandinavien eingetroffen ist. hat sich von Nord« westen her ein neuer Lustwirbel von 740 mm im nörd­lichen Irland einaefunden Letzterer macht energische Vorstöße in südlicher und südöstlicher Richtung, weshalb der noch über Südostsrankreich, der Schweiz und der südlichen Hälfte von Oesterreich-Ungarn liegende Hoch­druck von 765 mm rasch südwärts verdrängt bezw. ganz aufgelöst wird. Für Sonntag und Montag ist trübes, bewölktes und auch zu mehrfachen Niederschlägen ge­neigtes Wetter in Aussicht zu nehmen.

Telegramme.

London, 10. Novbr. DieTimes" meldet aus Lourentzo-Maryuez (Portugiesisch Ostafrika) vom 6. d. M.: In der Delagoabucht halten sich zahlreiche Geheimpolizisten auf, welche über die Bewegungen der britischen Truppen Erkundigungen einziehen. Der Tele­graphendraht zwischen Louren^o-Marquez und Prätoria ist nicht abgeschnitten, sondern von einem Slurm zerstört worden.

London, 10. Nov. Eine Depesche des Generals Buller aus Kapstadt vom 9. ds. besagt: Eine Taubenpostmeldung vom General Withe berichtet, daß die Beschießung von Ladysmith mit weittragenden Geschützen fort­gesetzt wird. Die Engländer hätten täglich einige Verluste, doch sei kein ernstlicher Schaden ange­richtet. Die Verschanzungen der Engländer werden täglich stärker. Das Datum der Tauben­post giebt Buller nicht an.

London, 10. Nov. DieTimes" meldet aus Pietermaritzburg: Mehr als tausend Mann haben sich in Durban während der letzten zwei Tage in das Ausländerkorps aufnehmen lasten. DieEvening Post" meldet aus Estcourt vom Montag, daß am Freitag nördlich und östlich von Ladysmith kleine Gefechte stattgefunden haben, die Anlaß zu verschiedenen Gerüchten geben. Die Einwohner von Ladysmith, denen es gelang, durch die Burenreihen zu kommen berichten, daß die Einschließung von Ladysmith immer enger wird.

New-York, 10. Okt. Die hiesige Presse nimmt das deutsch-britische Samoaabkommen günstig auf und macht betreffend der Zustimmung der Vereinigten Staaten von Amerika keine Bedenken geltend. DieNew-Jork Tribüne" begrüßt das Abkommen, weil es eine Annäherung der drei Mächte bedeute. Die deutscheNew- Aorker Staatszeitung" hebt die diplomatische Geschicklichkeit des Staatssekretärs v. Bülow hervor, durch die es gelungen sei, ohne Pressions­mittel einen großen Erfolg zu erringen.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.