818

als gerade ein Mühlewagen dieselbe passierte. Wagen und Pferde stürzten ins Wasser, von letzteren soll eines getötet werden müssen.

Pforzheim, 6. Novbr. Was ein Häckchen werden will, krümmt sich bei Zeiten. Der Sohn einer Witwe, welche ein Aussteuer­geschäft inne hat, stahl seiner Mutter innerhalb Jahresfrist in Gemeinschaft mit einem 16jähr. Lehrling für über 1000 Waren, welche die­selben einer Hehlergesellschaft zutrugen. Die Sache wurde ruchbar und alle Personen verhaftet mit Ausnahme des Diebes, gegen den die Mutter keinen Strafantrag stellte.

Pforzheim, 6. Nov. Von hier wird folgendes hübsche Wahlkuriosum gemeldet: Ein Wähler, (bekanntlich wird in Baden der Wahl­zettel hinter einer sogen, spanischen Wand in die Urne gelegt) der sich in dem Verschlag befand, um seine Stimme abzugeben, konnte den Schalter zur Abgabe seines Zettels, der seiner Meinung nach vorhanden sein mußte, absolut nicht finden. Als der Wahlvorstand nach dem Wähler, der zu lange nicht herauskam, sah, zündele der letztere eben ein Streichholz an; ob dieses sonderbaren Benehmens befragt, erwiderte er:I kann de Schalter gar net fenda!"

Deutsches Weich.

Ueber die Stunde der Ankunft der russischen Majestäten in Potsdam zur Ausführung ihres für Mittwoch erwarteten Be­suches beim deutschen Kaiserpaare war bis Montag noch nichts Authentisches bekannt. Möglich ist, daß die Bekanntgabe der Ankunftszeit für die Oeffentlichkeit bis zum äußersten Termin hinaus­geschoben wird, was vermutlich den Wünschen des Zaren nur entsprechen würde. Demselben soll es übrigens diesmal in der idyllischen Ruhe von Schloß Wolfsgarten besonders gut gefallen haben, woraus es sich Wohl erklärt, wenn die Wiederabreise des Zarenpaares von Darmstadt bis in den November hinein verschoben worden ist.

Ueber den Tag der Abreise des Kaisers nach England scheint noch nichts Endgiltiges festgesetzt zu sein, jedenfalls dürfte sie aber gegen den 20. November stattfinden. Wie dieNat.- Ztg." erfahren haben will, wird kein Minister den Monarchen nach England begleiten, während es früher hieß, der Staatssekretär des Aus­wärtigen Graf Bülow würde sich hiebei im Gefolge des Kaisers befinden. Wenn letzteres wirklich der Fall wäre, dann würde allerdings der politische Charakter dieser Kaiserreise sichtlich hervortreten, natürlich zur großen Genugthuung der Engländer, indessen darf man doch erwarten, daß dieNat.-Ztg." mit ihrer Behauptung Recht behalten und daß der bevorstehende Besuch 'unseres Kaisers in England infolge des Fehlens einer verantwortlichen deutschen politischen Per­sönlichkeit hierbei thatsächlich nur als ein Familienbesuch erscheinen wird.

In dem Hin- und Herverhandeln zwischen Deutschland und England über Samoa soll endlich eine Wendung eingetreten sein, welche angeblich die Hoffnung gestatte, daß Samoa doch noch Deutschland erhalten bleiben würde. Diese von anscheinend unterrichteter Seite stammende Berliner Meldung läßt fast darauf schließen, daß die deutsche Regierung doch wohl nahe daran gewesen sein muß, auf das Angebot Englands, demselben Samoa im Austausch für die Gilberts­inseln und den englischen Teil der Salomons- inseln zu überlassen, einzugehen und daß nur ein glückliches Ungefähr dies für Deutschland keineswegs vorteilhafte Tauschgeschäft ver­hindert hat.

Ein süddeutsches Blatt, das die Tendenz der Einführung von Einheitsmarken im Uebrigen billigt, befürchtet, daß durch diese die billigen Tarife der Württembergischen Postver­waltung aufgehoben werden könnten. Diese Befürchtung ist durchaus unbegründet. Der in Württemberg bestehende Oberamts- und Zehn­kilometertarif, der Pakettarif und die Bestellgebühr­freiheit bei Paketen und Postanweisungen würden durch Einführung der Einheitsmarken überhaupt nicht berührt werden; ebenso würde es dem Er­messen der Württembergischen Postverwaltung

überlassen bleiben, die dortigen Postanweisungs­briefe beizubehalten, wobei dann die letzteren selbstverständlich mit den neuen Markenzeichen zu versehen sein würden. Was die billigeren Lokaltarife und das niedrigere Drucksachenporto anlangt, so könnten auch diese nach Einführung der Einheitsmarken beibehalten werden, sobald nach Verabschiedung des Gesetzes betr. einige Aenderungen von Bestimmungen über das Post­wesen auch für das Reichspostgebiet die Ein­führung von Zweipfennig-Marken angeordnet sein wird, wie dies in der Begründung zu dem genannten Gesetze, sowie in den Kommissions- Verhandlungen ausdrücklich seitens der Reichs- Postverwaltung in Aussicht genommen ist.

Das in der Presse besprochene Gerücht, die Verbündeten Regierungen beabsichtigten den Gesetzentwurf zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses zurückzuziehen, ent­behrt jeder thatsächlichen Grundlage.

Vor wenigen Tagen sind seitens der Preußischen Staatsbahn-Verwaltung 580 Lokomotiven, welche bis 31. Dezember 1900 zu liefern sind, den kartellierten deutschen Lokomotiv-Fabriken in Auftrag gegeben worden. Der Gesamtwert dieses Auftrages beträgt ca. 32 Millionen Mark; bei der Preisfestsetzung sind die erhöhten Materialkosten angemessen in Berück­sichtigung gezogen worden. Da im nächstjährigen Etat die Beschaffung weiterer ca. 800 Lokomotiven vorgesehen ist, dürfte den kartellierten Fabriken, nämlich der Hannoverschen Maschinenbau-Anstalt vormals Egestorfs, Hentschel in Kassel, Berliner Maschinenbau-Anstalt (Schwartzkopf), Borsig, Stettiner Maschinenbau-Anstalt Vulcan, Graven- staden im Elsaß und Hohenzollern in Düsseldorf volle Beschäftigung bis Ende 1901 allein durch die Preußische Staatseisenbahn-Verwaltung ge­sichert sein.

Wie bekannt, liegt es in der Absicht der zuständigen Regierungs-Stellen, den Kreis der deutschen Po st dampfschiffs-Verbindung nach Ostafrika zu erweitern und namentlich einen Verkehr nach der Kapkolonie einzurichten. Es sind in dieser Angelegenheit umfassende Er­hebungen, namentlich auch über die Anschauungen der Interessenten, veranstaltet. Das dabei ge­wonnene Material ist gesichtet und die Ergeb­nisse sind zusammengestellt worden. Da die weitaus überwiegende Mehrheit der abgegebenen Gutachten den Erweiterungsplan befürwortet hat, so ist anzunehmen, daß derselbe möglichst bald realisiert und vielleicht schon im Etat 1900 zur Erscheinung kommen wird.

Von der Reichsmarine. Während im Allgemeinen von der Azorengruppe nur die Insel Horta prit ihrer Hauptstadt Fayal den Anlaufs­hafen der Postdampfe.r und Kriegsschiffe bildet, hat das SchulschiffMoltke" im August d. Js. auf einer mehrwöchentlichen Kreuztour sämtliche Inseln dieses herrlichen, von der Natur durch Fruchtbarkeit und gesundes Klima ausgezeichneten Archipels besucht. Für die meisten dieser Inseln war denn auch das Erscheinen eines großen Schiffes ein ungewohntes, lebhaft begrüßtes Er­eignis. Auf einer derselben glaubten die Be­wohner, S. M. S.Moltke" liefe nur aus Not ihm weltentrücktes Eiland an und erboten sich durch Signal zur Hilfeleistung, worauf dann zu ihrer freudigen Ueberraschung ein mit unseren blauen Jungen bemannter Kutter die aus Fayal mitgenommene Post an Land brachte. Die Kreuztour bot viel des Interessanten und Lehr­reichen und gestaltete sich zu einer durchaus an­genehmen und für die Förderung deutschen An­sehens erfolgreichen.

Der Passagierverkehr über Bremen nach dem überseeischen Ausland zeigt in den ersten 9 Monaten des laufenden Jahres wiederum ein ganz bedeutendes Uebergewicht über alle anderen Hären des Kontinents und England. Ueber Bremen wurden befördert 68 916 Passa­giere, wogegen über Hamburg 48 997 Passagiere gingen. Im Wesentlichen erklärt sich der starke Vorsprung Bremens aus der häufigeren Ab- fetigung von Schnelldampfern des seitens des Norddeutschen Lloyd und außerdem durch die von dem reisenden Publikum außerordentlich

bevorzugten Dampfer der Barbarossaklasse des Norddeutschen Lloyd, deren jeder gegenwärtig mite twa 1400 Passagieren Bremerhaven verläßt

Burenfreundliche Kundgebung in Leipzig 4000 Männer und Frauen waren der von den Deutschsozialen in Leipzig einbe- rufenen Kundgebung für die Buren gefolgt. Ebenso viel kehrten um wegen Platzmangels in der Alberthalle. An Gesangvorträge schloß sich eine Rede des Reichstagsabgeordneten Liebermann v. Sonnenberg an. Depeschen wurden an den Kaiser und an Krüger gesandt. Eine Sympathie- Resolution wurde angenommen und eine Samm­lung für die Verwundeten veranstaltet.

München, 6. Nov. Die Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern hat sich in ihrer heutigen Sitzung einstimmig gegen die Einführ­ung einheitlicher Briefmarken ausgesprochen.

Die Stadtverordneten von M.-Gladbach beschlossen die Aufnahme einer Anleihe von 3 500 000 ^ für den Bau einer städtischen Gasanstalt und die Vergrößerung des Wasser­werkes.

Wiesbaden, 4. Novbr. Das Weingut Rauen thal der Aktiengesellschaft Wilhelmj ist, demRhein. Kur." zufolge, für 1 250 000 ^ an die königliche Domänenverwaltung verkauft worden.

Vom Weinmarkt am Kaiserstuhl, 23. Nov. Die Vorräte lichten sich mehr und mehr zu festen Preisen, sodaß in einigen Orten des Kaiserstuhls nichts mehr vorhanden ist. Am unteren Kaiserstuhl dagegen und speziell in Endingen sind noch größere Posten zu haben. Aeltere Weine wurden in einigen größeren Quantitäten an Weingroßhandlungen zu 48 bis 60 l/ii pro Ohm abgegeben.

Württemberg.

Stuttgart, 6. Nov. Im Alter, von 75 Jahren ist heute /früh der Landtagsabgeordnete des Oberamtsbezirks Nagold, Regierungsprä­sident a. D. Karl v. Luz gestorben. Mit ihm ist ein um das Wohl des Landes hochver­dienter Beamter dahingeschieden, der in arbeits­freudiger, reichgesegneter Thätigkeit, in einer nahezu 50jährigen amtlichen Laufbahn, auf den verschiedensten Gebieten des öffentlichen Lebens gewirkt hat. Am 1. Mai 1848 war. Luz in den ^Staatsdienst, in das Departement des Innern eingetreten und war zuerst als Hilfsarbeiter bei der Zentralstelle für Gewerbe und Handel, dann später als Amtsvorstand der Oberämter Neuen­bürg und Heidenheim thätig. Dann kam er von diesen Stellungen wieder zurück an die Zentralstelle, wo er bald Oberregierungsrat und dann Direktor wurde. Unter seine Bor­standschaft fiel der glänzende Verlauf der Landes­gewerbeausstellung vom Jahr 1881. Im Herbste 1882 wurde er sodann zum Vorstand der Kreis­regierung des Schwarzwaldkreises mit dem Sitze in Reutlingen ernannt. Dort hat er sich große und bleibende Verdienste erworben, indem er seine Kräfte auch den Wohlthätigkeitsanstalten und der Landwirtschaft widmete. Wie beliebt der Präsident in allen Kreisen der Bevölkerung ge­wesen, das bewies bereit die ehrende Kundgeb­ung, die seinen Abschied im März 1896 be­gleitete. Damals wurde er auch zum Ehren­bürger der Stadt Reutlingen ernannt, eine Ehre, die ihn mit Freude und Stolz erfüllte. Nach seiner Pensionierung wählte er seinen Wohnsitz in Stuttgart. In der Abgeordnetenkammer nahm der Verstorbene besonders in früheren Jahren eine einflußreiche Stellung ein. Er ge­hörte dort zur Landespartei, von deren früher zahlreichen Mitgliedern nun nach seinem und des Präsidenten Hohl Hingang nur noch der Ministerpräsident und der jetzt zur Deutschen Partei gehörende Abgeordnete Spieß in der Kammer sind. Luz vertrat zuerst 1877/78 den Oberamtsbezirk Heidenheim und trat dann aus der Kammer aus, bis er 1880 von Nagold er­wählt wurde, das ihm bis zu seinem Tode treu blieb. (S. M.)

Fortsetzung in der Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.