Württemberg.
Stuttgart, 5. Oktbr. Von einer bemerkenswerten Ansprache, die der Minister des Innern v. Pischek dieser Tage bei der landwirtschaftlichen Gauausstellung in Ulm gehalten hat, wird berichtet: Der Minister ging davon aus, daß die Regierung es auch fernerhin als eine ihrer ersten Pflichten erachten werde, die Landwirtschaft möglichst zu fördern und auf Erhaltung und Kräftigung eines gesunden Bauernstandes hinzuwirken. Das werde auch der nächste Etat wieder beweisen, und ebenso werde die Regierung bei den Handelsverträgen die Interessen der Landwirtschaft nicht aus dem Auge lassen. Die Regierung werde dabei erfreulicherweise von der Volksvertretung aufs zuvorkommendste unterstützt. Es sei deshalb nicht angebracht, wenn sich irgend eine Vereinigung als die privilegierte Vertreterin der Landwirtschaft aufspielen wolle. Und der zweite Punkt sei der, daß die Regierung, der Initiative, Umsicht und Thatkraft der Landwirte selbst nicht entbehren könne.
Stuttgart, 4. Okt. Am Montag war der Landesausschuß des Verbands der Wirte Württembergs im Stadtgartensaal zu einer Beratung über das Umgeldsgesetz versammelt. Man beschloß, in die Beratung des neuen Umgeldsgesetzentwurfs einzutreten und denselben nicht völlig abzulehnen. Die vom geschäftsführenden Ausschuß resp. einer Kommission ausgearbeiteten Verbesserungsvorschläge, welche in allen Einzelheiten einstimmige Annahme fanden, sollen in Form einer Denkschrift der. Staatsregierung und den Landständen übermittelt werden. Die Bezirksvereine sollen durch besondere Kommissionen die Denkschrift den einzelnen Abgeordneten noch persönlich überreichen lassen. Bei der Beratung wurde insbesondere dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß in dem neuen Entwurf keine Verringerung des Prozentsatzes des Umgeldes vorgesehen sei; die billigen Weine könnten heutzutage bei den immer steigenden Preisen keine 11 Prozent Umgeld mehr ertragen.
Die Stadt Stuttgart hat eine Eingabe an das Ministerium des Innern über die Vereinigung der Städte Stuttgart und Cannstatt gerichtet, die am 5. Oktober den bürgerlichen Kollegien in Cannstatt mitgeteilt wurde. Diese ivollen erst nach Anhörung der Cannstatter Bürgerschaft dazu Stellung nehmen.
Stuttgart, 3. Okt. Der württembergische Buchbinderverband hat die Absicht, an den Landtag eine Eingabe zu richten, in welcher um Erlaß eines Verbots des Vertriebs von Schulbüchern und Schulartikeln durch Lehrer und Schuldiener ersucht wird, damit endlich einem schweren Unfug gesteuert wird.
Stuttgart, 7. Okt. Das Südd. Corresp.- Bur. schreibt: Wir haben neulich von einem kleinen Skandälchen berichtet und unser Bericht war in der Hauptsache wahr, nur betraf er nicht in Wirklichkeit die Teilnehmer am gegenwärtigen Notariatskurs, sondern andere junge Leute. Den Mitgliedern des Kurses haben wir die selbstverständliche Satisfaktion gegeben. Nun aber kommt die „Schwäbische Tagwacht", welche, wie regelmäßig viele unserer Nachrichten, so auch diese ohne Quellenangabe „entnahm" oder richtiger Wagt, gestohlen hat und schreibt jetzt: Vom Treiber ging die Meldung aus, daß ein Skandälchen in Stuttgart bevorstehe (nein, vorgekommen ist), an dem Mitglieder des Notariatskurses beteiligt seien; er sieht sich jedoch gezwungen, seine Neuigkeit in den Blättern zu widerrufen. — Das ist wieder einmal echt sozialdemokratisch. Die Leser der „Schwäb. Tagw." glauben nun, die ganze Sache sei aus der Luft gegriffen gewesen, während nur die Verüber des Skandälchens sich eine falsche Bezeichnung zugelegt hatten.
Ulm, 8. Okt. Ein Veteran von Leonberg, dsr im 3. Jägerbataillon 1870/71 tapfer mit- wmpfte, hatte sich vorgestern Abend mit seinem Weib von zu Hause aufgemacht, um die lOOjähr. Jubiläumsfeier seines Regiments in Ulm mitzu- >elern. Doch verpaßten sie leider gestern morgen ^ 1- Zug nach Ulm. Tief betrübt standen sie auf dem Stuttgarter Bahnhof, immer wieder stagend, ob denn kein Zug mehr nach Ulm gehe.
daß sie zur Parade und zum Veteranenessen noch recht kämen. Da fuhr der Sonderzug für den König in die Halle ein. Das Weib faßte sich ein Herz und wandte sich an einen herantretenden Offizier: O Herr, mein Mann ist Veteran, da gucket sie, da hott' er sein Medaillon! Können Sie uns denn nicht mit nach Ulm nehmen? Der Adjutant hieß die Frau warten, und als der König kam, trug er ihm das Anliegen der 2 verspäteten Festgäste vor. Der König lachte und gab die Erlaubnis, daß sie im Dienerschaftswagen mitfahren könnten. So gelangte das Veteranenehepaar in rascher Fahrt noch rechtzeitig nach Ulm, und die überglückliche Frau erzählte gestern Nachmittag in der ganzen Stadt, wie sie habe im kgl. Extrazug fahren dürfen und daß sie das dem Herrn König ihr Lebtag nicht vergessen wolle.
Tübingen, 6. Oktbr. Schwurgericht. Bei verschlossenen Thüren wurde gestern vormittag gegen den Steinhauer Gotth. Gottl. Becker von Weiler, Bez.Amt Pforzheim, sowie Wilh. Rau und Andr. Becker wegen von ihnen verübter schamloser Handlungen verhandelt. Des ihnen zur Last gelegten Sittlichkeits-Verbrechens für schuldig befunden, wurde gegen Gotth. Becker auf eine Gefängnisstrafe von 7 Monaten, auf welche die verbüßte Untersuchungshaft mit zwei Monaten angerechnet wurde, gegen die Genossen desselben unter Anrechnung von je 1 fls Monaten Untersuchungshaft auf 5 bezw. 4 Monate Gefängnis erkannt. — Der letzte in der diesmaligen Schwurgerichtssession zur Aburteilung gelangende Fall richtete sich gegen den etwa 30 Jahre alten verheirateten Buchhalter Hugo Schmidt, zuletzt in Rottenburg wohnhaft, wegen versuchten Totschlags und Bedrohung. Der gänzlich mittellos in Rottenburg augekommene Angeklagte hatte im Oktober 1898 bei der inzwischen in Konkurs geratenen Firma Fuchs u. Göbel, mechanische Strickwarenfabrik, dringend um Beschäftigung gebeten und solche mit einem monatlichen Anfangsgehalt von 75 das dann auf 90 und dann auf 120 -/E erhöht wurde, auch erhalten. Er war tüchtig im Geschäft und hat niemals Anlaß zu Klagen gegeben. Unter den immer schwieriger werdenden Verhältnissen im Geschäft selbst und unter der Uneinigkeit der beiden Firmeninhaber hatte Angeklagter auch zu leiden. Die Stimmung des, wie sämtliche Zeugen bekundeten, bescheidenen und nüchternen Mannes wurde immer gereizter, vor allem durch eine Aeußerung Göbels dem Fuchs gegenüber, daß „die Buchhalter so wie so stehlen". Am Tage darauf, den 9. Sept. d. I. kaufte Angeklagter sich einen Revolver und nachdem er in ungewohnter Weise während des ganzen Tages in einer Reihe von Wirtschaften herumgetrunken hatte, begab er sich nachmittags in die Fabrik und begann laut auf Göbel in schwer beleidigenden Ausdrücken zu schimpfen, Göbel trat ihm entgegen; sie wurden handgemein und von der Straße aus gab dann der Angeklagte 2 Schüsse auf Göbel ab, welche beide die Thüre trafen. Des versuchten Totschlags, sowie der fortgesetzten Bedrohung für schuldig befunden, erkannte das Gericht gegen Schmidt auf 4 Monate Gefängnis. —- Mit diesem noch nachträglich auf die Tagesordnung gesetzten Fall waren die Verhandlungen der Schwurgerichtssession des 3. Quartals erledigt und mit einem Dank an die Geschworenen wurde dieselbe durch den Präsidenten, Hr. Landgerichtsrat Kapff geschlossen.
Sulz a. N., 7. Okt. Gestern wurde unsere Stadt zum ersten Male mit elektrischem Licht beleuchtet. Obwohl die zur Straßenbeleuchtung bestimmten, etwa 40 elektrischen Lampen noch nicht alle funktionieren, waren einzelne Stadtteile doch schon recht gut beleuchtet. Auch in den damit versehenen Häusern kann der erste Versuch als gelungen bezeichnet werden. Da der Preis für die Kilowattstunde auf 5 zu stehen kommt, so dürfte die elektrische Beleuchtung hier nicht allzuteuer werden. Die elektrische Zentrale des Unternehmers, Herrn Ehr. Dolmetsch, ist sehr schön und allen Anforderungen entsprechend eingerichtet.
Pforzheim, 7. Okt. Wochenmarkt. Landbutter kostet 1 Süßrahmbutter 1.20 Milch 1 Ltr. 18 Pfg., Rahm ein Viertel Liter
20 Pfg., Landeier 2 Stück 16 Pfg., Kisteneier 2 Stück 14 Pfg., Zwiebeln 1 Pfd. 10 Pfg., Birnen 16—35 Pfg., Aepfel 1 Pfd. 16—20 Pfg., Nüsse 20 Pfg., Trauben 1 Pfd. 35—40 Pfg., Zwetschgen 1 Pfund 20 Pfg., Kartoffeln per Simri 70—80 Pfg., Rindfleisch 64 Pfg., Kalbfleisch 72 Pfg., Schweinefleisch 72 Pfg.
Obstpreiszettel vom 7. Okt.
Eßlingen, 7. Oktober. Die Zusuhr an sremdem Mostobst auf dem hiesigen Güterbahnhof betrug heute 25 Wagen; Preis 5 80 »s bis 6 50
Stuttgart, 7. Okt. sKartoffel- und Kraut» markt.) Zufuhr IIOO Zrr. Kartoffeln. Preis per Ztr. 3 ^ ^ bis 3 30 1500 Stück Ftlderkraut.
Preis Per 100 Stück 20—22
Ausland.
Paris, 7. Okt. Graf Murawiew ist gestern abend hier eingetroffen. Er wird sich etwa eine Woche aufhalten. Im Elysoe und im Ministerium des Auswärtigen finden ihm zu Ehren Festessen statt.
Unterhaltender Heil.
Beim Kampf um Orleans.
Erzählung aus dem Kriege 1870/71.
^Fortsetzung.;
Hochfeld befahl mit einem schweren Seufzer, die Sachen zu packen und alles zum Aufbruch vorzubereiten, er selbst sank kraftlos auf das Sopha und verfiel alsbald in den unruhigen Halbschlummer totaler Ermattung. Ein Rütteln weckte ihn. Sein Bursche stand vor ihm.
„Herr Leutnant draußen ist ein Franzose, der Sie zu sprechen wünscht."
„Mich — ein Franzose? Laß mich ungeschoren, Franz, ich muß schlafen."
„Hab' ich ihm auch schon gesagt, aber er läßt sich nicht abweisen; er sagt er müsse Sie sprechen. Es sei etwas sehr Wichtiges. Uebrigens, Herr Leutnant, der Mann sieht sehr manierlich aus — betteln will der nicht."
„So laß ihn hereinkommen."
Nach kurzer Pause öffnete sich die Thür und auf der Schwelle erschien die uns wohlbekannte, breite und mächtige Gestalt des Meisters Denfert.
„Habe ich die Ehre, den Herrn Leutnant von Hochfeld zu sprechen?"
„Das ist mein Name", entgegnete dieser mit Höflichkeit gleichfalls französisch, indem er den Gast zum Sitzen einlud. Dieser aber wehrte bescheiden ab.
„So danke ich Gott, daß ich Sie endlich doch gefunden habe, Herr Leutnant. Ich komme auf Veranlassung meiner Tochter Marie, die im Dienste der Marquise von Chaumont steht und Sie auf Schloß Chaumont gesehen hat. Sie sind doch der Herr, der für den kleinen Gasion in der Nacht die Medizin geholt hat?"
Bei dem Namen der Marquise hatte der Leutnant hoch aufgehorcht und ein freudiges Rot war ihm in die bleichen Wangen gestiegen. So sollte ihm doch die eine Hoffnung noch in Erfüllung gehen und er wenigstens von der teuren Frau etwas in Erfahrung bringen.
„Der bin ich, Herr, was wissen Sie von der Frau Marquise?"
„Vieles, mein Herr Leutnant, vor allem, daß sie krank und besinnungslos feit 8 Tagen in meinem Hause liegt. Aber nicht deswegen komme ich zu Ihnen. In meinem Hause liegen auch krank, wenn auch auf dem Wege der Genesung, zwei Preußen, zwei Ulanen, von denen der eine nach Aussage meiner Tochter und nach seiner eigenen Ihr Bursche ist. Er nennt sich Georg und ich dachte mir-"
Weiter kam Meister Denfert nicht. Der Leutnant war auf ihn zugesprungen und hatte seine beiden Hände ergriffen.
„Mann, der Bursche liegt bei Ihnen und er lebt und er ist auf dem Wege der Genesung, sagen Sie? „O, mein Herr, wie danke ich Ihnen für diese Nachricht!"
Und dem Leutnant liefen die Hellen Thränen über das Gesicht. Meister Denfert, der wohl noch keinen Preußen hatte weinen sehen und gedacht haben mochte, daß diese Barbaren überhaupt nicht weinen könnten, schaute bei diesem Gefühlsausbruch dem Offizier ganz verwundert in das Gesicht.