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Drohungen seines Kompagniechefs, gelegentlich der falsch angewendeten Taktik, als ihm beim Appell ein Brief ausgehändigt wird, — dem äußern Anschein nach eine Familien-Anzeige. Mit einer gewissen Beklommenheit öffnet er ihn — ein Blick genügt. Die Namen Vally von Habendorf und Wendelin von Streitwesen sagen alles. Alle seine Hoffnungen sind zerstört. Die Angebetete seines Herzens hatte sich mit einem andern, mit seinem Kompagniechef, verlobt.
Bilder vergangener Tage, die Zeit in Molken, das Biwak, tauchen wieder vor seinen Augen auf. Er kann es immer noch nicht fassen. Der Blick und Händedruck beim Abschied — daß sie so trügen könnten, hatte er nicht gedacht. Dann setzte er sich hin, um die beiden Gratulations- Briefe zu schreiben — förmlich und steif. Niemand konnte beim Lesen derselben ahnen, daß ihm das Herz über die Falschheit des weiblichen Geschlechts gebrochen; nur dem Tagebuch vertraute er seine Gedanken an, und ingrimmig beging er den Vandalismus, seinen ersten und letzten poetischen Erguß „Die Ode an Sie" zu vernichten. Nach und nach kam er zu der Ueberzeugung, daß es in eines jeden Menschen Leben Tage giebt, an denen der Unstern über ihn waltet, Tage, deren Schatten noch nach Monaten das Leben verdunkeln. Daß er einen solchen Tag bei seinem ersten Biwak erlebt hatte, war ihm nun klar. Aber der Gedanke, daß kein Sterblicher diesem Verhängnis entrinnen kann, gab ihm endlich seine Seelenruhe wieder.
(Ein deutsches Spionenstückchen.) Ueber das Treiben bezahlter Spione bringt die Verhandlung gegen Dreyfus mancherlei schätzenswerte Aufklärung. Nicht allgemein bekannt dürfte es indeß sein, daß in Frankreich gelegentlich auch achtbare und patriotisch gesinnte Männer fremden Spionen völlig unentgeltlich Vorschub leisten. Darüber findet man in dem Werke von Cernin, „August v. Göben", und zwar im zweiten Bande Seite 312 eine köstliche Episode, zu deren besserem Verständnis dem Leser in Erinnerung gebracht sei, daß der im Mai d. I. verstorbene Geheime Regierungsrat und Baurat Ernst Dircksen, der Erbauer der Berliner Stadt- und Ringbahn, sowie der intellektuelle Begründer unserer Eisenbahntruppe, im deutsch-französischen Kriege die Verbindungsbahn von Remilly nach Pont-a- Mousson, die Umgehungsbahn von Metz, durch eine ihm unterstellte Abteilung der Gardepioniere bauen ließ. Ueber diese Bahnlinie, deren schnelle Betriebseröffnung damals alle Welt in Staunen versetzte, schrieb General v. Göben unterm 24. September 1870 seiner Gattin Folgendes: „ . .. Gestern ist die von uns zur Umgehung von Metz neu gebaute Eisenbahnlinie quer durch Frouart oder Pont-a-Moufson eröffnet worden, so daß auch die Verbindung mit Saarbrücken wieder hergestellt ist. Die letztere Linie ist mir auch deshalb interessant, weil Major B.... sie vor einigen Jahren rekognosziert und entworfen hat, was er uns schon früher sehr interessant erzählte. Er hat sich da nämlich für einen französischen Zivilingenieur ausgegeben, der beauftragt sei, das Trace der Linie zu entwerfen, und die französischen Maires und selbst die Gendarmen sind ihm eifrig behilflich gewesen und haben seine Instrumente mit bedient. ..." Ein humorvolles Bild, wenn man sich vorstellt, wie die höflichen Franzosen dem Preußischen Offizier die Nivellirplatten halten, damit die Prussiens auf dem Projektierten Schienenwege die französ. Festung bequemer umfahren können!
(Schwimmende Geschütze.) Das Ueber- schreiten von Wasserläufen für Truppen ist eine der wichtigsten Aufgaben im Felde, die jedoch ziemlich hohe Ansprüche an die technische Vorbereitung der Truppen stellt. Sollen Brückenstege, Pontonbrücken, Bockbrücken oder dergl. gebaut werden, so ist die Hülfe der brückenschlagenden Pioniere mit ihrem umfangreichen Brückentrain nicht zu entbehren. Man hat daher auf vielfache Art sich von dieser Hülfe unabhängig zu machen gesucht und zwar in allen Armeen, indem man nach Möglichkeit die bei den Truppen befindlichen Geräte und Ausrüstungsgegenstände zu verwenden trachtete.
Floßbrücken auf schwimmenden, mit Luft aufgeblasenen Futterbeuteln und Aehnliches verdankt diesem Streben seine Entstehung. Das Neueste auf diesem Gebiete dürften jedoch die „schwimmenden Geschütze" sein. Von einem in Schlesien garnisonierenden Feldartillerie-Regimente wurden dieselben beim Ueberschreiten der Oder in Anwendung gebracht. Diese Hebungen wurden in folgender Weise ausgeführt: Än jedem Rade des Geschützes wurden rund um die Axe drei Tonnen befestigt, desgleichen eine Tonne vorn an der Lafette. Die Schwimmvorrichtungen können schon vor dem Abrücken auf dem Kasernenhofe angebracht werden, denn die Tonnen behindern das Fahren der Geschütze auf dem Lande in keiner Weise. Wenn die so zum Schwimmen vorbereiteten Geschütze bis dicht an das Oderufer gefahren sind, werden die Pferde ausgespannt und abgeschirrt, die Geschütze von den Bedienungsmannschaft ins Wasser gestoßen und von Pontons aus, welche mit je 5 Artilleristen bemannt sind, mittelst Tauen dem jenseitigen Ufer zugesteuert, wo die äußerst leicht schwimmenden Geschütze von Mannschaften aufs Land gezogen werden. Die Pferdegeschirre werden zu Paketen zusammengelegt und in den Pontons mit übersetzt, und die schwimmenden Pferde werden am Halfter von Mannschaften, die in den Pontons sitzen, an das andere Ufer geleitet. Diese Ucbungen, welche bisher glänzend gelungen sind, sollen fortgesetzt werden und haben den Zweck, die Artillerie in den Stand zu setzen, im Ernst- und Notfälle auf die Hülfe der Pioniere durch Brückenbau verzichten zu können.
(Wie naiv oft unsere biederen Landleute sein können,) hat zu seinem nicht geringen Erstaunen ein Offizier erfahren müssen, der bei solchen eine „gebrannte Suppe" aufgetischt bekam, die zwar von manchem Magen vertragen werden mag, bei dem Marsjünger aber bedenkliches Kopfschütteln hervorrief: „Ja, ihr Leutchen, das kann ich nicht essen!" — Verwundert schauten sie sich den Kostverächter an: „Die Supp ist guet!" „Mag sein", entgegnete lächelnd der Leutnant, „aber ich mag nun einmal nicht; füllt mir dafür lieber meine Feldflasche, damit ich draußen etwas habe, wenn mich die Hitze und der Durst zu sehr Plagen." Es geschah, und frohgemut, wenn auch mit etwas knurrendem Magen, ward Abschied genommen. Liebkosend schaute der stramme Krieger oft seine Feldflasche an und als er endlich nach manch tüchtigem Ritt gewaltig Durst verspürte, schraubte er den Becher ab und begann einen tiefen Zug zu thun. Aber was war denn das! Das schmeckt ja ganz erbärmlich und quoll scheußlich dick und schwarzbraun heraus; Bombenelement, die Kamele haben mir meine Feldflasche mit der stehen gelassenen Brennsuppe gefüllt!
Den bekannten Neckarsulmer Fahrradwerken Akt.-Ges. Königl. Württ. Hoflieferanten Neckarsulm werden seitens der Intendantur des XIII. Königl. Württ. Armeekorps neuerdings wieder Lieferungen in Armeefahrrädern für sämtliche Infanterie-Regimenter zu teil, was ein Beweis von der Vortrefflichkeit und Kriegsbrauchbarkeit dieser bewährten einheimischen Marke ist.
Aus München wird der „Augsb. Abend- Ztg." geschrieben: In den sechziger Jahren war ich einmal Ohrenzeuge von einer Unterhaltung, die zwischen einem biederen, vor ein Paar Jahren verstorbenen schwäbischen Maler und dem sel. Kardinal Reischach über Schiller und Goethe geführt wurde, aus welcher Unterhaltung mich folgende Aeußerung des biederen, frommen Schwaben höchlich amüsierte: „Wenn der Schiller uno der Goethe katholisch g'wääse wääre, was hettet die fier scheene Sache mache kenne!" Der Kardinal lächelte.
Der heurige schöne Sommer wurde im letzten Jahrzehnt nur von denen im Jahre 1892 und 1893 übertroffen. Heuer hatten wir am 6. September den 50. Sommer- und Sonnentag, in den genannten beiden Jahren schon zu Ende August. Im Jahre 1892 hatten wir am 6.
Sept. die Zahl 54, im Jahre 1893 sogar 58 erreicht. Im warmen Sommer 1895 hatten wir am 6. September 42 Sommertage. Die Zahl stieg aber noch im Herbst bis auf 56. In den übrigen Jahren wurde aber die Zahl 50 im ganzen Sommer überhaupt nicht erreicht.
sEhrenrasiermesser.f In patriotischen Kreisen in Paris beschäftigt man sich lebhaft mit der Frage, ob nicht an alle Mitglieder des französischen Generalstabs Ehrenrasiermsser verteilt werden sollen.
Neuenbürg. Meggendorfers humoristische Blätter v. 1 . Sept. bringen mit hübscher farbiger Illustration folgende Strophen von dem bekannten Schwäb. Dialektdichter G. Seuffer welche wir heute anläßlich unserer Einquartierung unseren Lesern nicht vorenthalten möchten;
Horch Mutter, horch, d' Dragoner,
D' Dragoner rucket a',
Und die, und die sind g'fiihrlich,
Daß i's net sage' ka'!
Horch Mutter, horch, d' Dragoner,
Kaum hent die eine küßt,
No spuckt's, o i han's vorher Ganz g'wiß ja au net g'wißt.
Horch Mutter, horch, d' Dragoner,
Und wär' derselt derbei O Mutter, der thäls wieder,
O, der war scho' so srei!"
Horch Mutter, horch, d' Dragoner,
O komm und bleib net do!
O komm, denn die sind g'fiihrlich! —
Gottlob do sind sie jo!
Horch Mutter, horch, Dragoner,
Und do ist au dersell'
Und küßt me' halt scho wieder!
O Mutter, so sind iill!
Rätsel.
Magst mich vorwärts oder rückwärts lesen, Mehr, als Einen Fürsten nenn' ich dir,
Der im Kampf, im Frieden groß gewesen, Seines Volkes, seines Thrones Zier.
Wirst du, Leser, mir ein Haupt noch schenken, Bin ich fetter Klee auf magrer Trift,
Bin das Beste, sollte man es denken?
An so mancher dickbeleibten Schrift.
Mutmaßliches Wetter am 10. und 11. September.
l Nachdruck verboten.)
Ein neuer Hochdruck von 755 mm ist in Irland und Schottland eingetrossen, der letzte skandinavische Lustwirbel mit 750 mm nach der Umgebung des Ladogasees und des Weißen Meeres gewandert, die Depression an der bretagnischen Küste mit 780 ww aber nach Westfalen gedrängt worden. Je eine gleiche Depression gewitteriger Natur liegt an der Reviers und dem südlichen Ungarn. Die beiden elfteren werden aber rasch ausgeglichen werden, da auch von Spanien her ein Hochdruck von 765 mm in nordöstlicher Richtung vordringt. Für Sonntag und Montag ist zwar noch mehrfach gewitterhaft bewölktes und auch zu vereinzelten Störungen geneigtes, aber vorwiegend trockenes und auch mehrfach heiteres Wetter zu erwarten.
Telegramm.
Berlin, 8. Septbr. Der Reichsanzeiger schreibt im amtlichen Teil: Wir sind ermächtigt, nachstehende Erklärungen zu wiederholen, welche hinsichtlich des französischen Hauptmanns Dreyfus die kaiserliche Regierung bei loyaler Beobachtung der fremden innern Angelegenheiten gegenüber gebotenen Zurückhaltung zur Wahrung ihrer engeren Würde und zur Erfüllung einer Pflicht der Menschlichkeit abgegeben hat. Botschafter Fürst Münster gab nach Einholung der Befehle des Kaisers im Dezember 1894 und im Januar 1895 dem Minister des Aeußern Hanotaux, dem Ministerpräsidenten Dupuy und dem Präsidenten der Republik Casimir Pörier wiederholt Erklärungen dahin ab, daß die kaiserliche Botschaft >n Frankreich niemals direkt noch indirekt irgendwelche Beziehungen zu Hauptmann Dreyfus unterhalten hat. Staatssekretär Graf v. Bülow gab am 24. Januar 1898 in der Budgetkommission des Reichstags folgende Erklärung ab: Ich erkläre auf das Allerbestimmteste, daß zwischen dem gegenwärtig auf der Teufelsinsel befindlichen französischen Exkapitän Dreyfus und irgeno welchem deutschen Organ Beziehungen oder Verbindungen irgend welcher Art niemals bestanden haben. .
Redaktion, Druck und Verlag vo« L. Meeh i« Reuenbürg.