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Vor Erregung schließlich die Stimme ausgegangen war. „Ich verlange ja keine Anerkennung, Herr Landrichter — ich habe lediglich meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit erfüllt — und das thun wir alle ja nach Kräften!"
Er wendete sich an den Kreisarzt, der ihm bei seinem Eintritt wohlwollend zugenickt hatte.
„Nun, Herr Doktor, hat sich bereits etwas mit Sicherheit feststellen lassen?" frug er.
„Ich glaube," entgegnete der Kreisarzt. „Das Beinkleid ist besonders stark mit Blut verunreinigt worden; schon jetzt bin ich ohne mikroskopische Untersuchung in der Lage, festzustellen, daß es größtenteils Tierblut ist — nur oben in Höhe des Unterschenkels ist das eine Hosenbein auch mit Menschenblut befleckt — und zwar hat es den Anschein, als ob sich der Besitzer die blutigen Finger daran abgestrichen hätte."
„Das geschah vermutlich nach Malen der Blutbuchstaben auf der Diele," brummte Wachtel. „Nun, jetzt ist der Bursch' geliefert!"
„Wollen Sie die Güte haben, endlich zu berichten?" frag Bock gereizt, der inzwischen hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.
Der Kommissar nickte nur mit dem Kopfe; dann begann er:
„Ich zweifelte von allem Anfang an der Richtigkeit des von Rechtsanwalt Wilser abgelegten Geständnisses und nahm an, daß dieses nur gemacht worden sei, um den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Gründe, die mir für die Unschuld Wilsers zu sprechen schienen, waren einmal die von ihm bekundete Unwissenheit über die thatsächlichen Vorkommnisse während der Ausführung des Verbrechens, noch mehr aber die Erwägung, daß derselbe nach seiner ganzen Veranlagung und gemäß dem einhelligen Zeugnisse aller Personen, die jemals mit ihm persönlich zu thun gehabt, gar nicht zur Verübung einer solch unerhörten Blutthat fähig erschien. Trat ich so den Angaben des Verhafteten bereits mit erheblichen Zweifeln entgegen, so wurden die letzteren durch die Ergebnisse der von mir bewirkten Beweisaufnahme noch um vieles verstärkt. Einmal war der hochzifferige Check vorgezeigt worden, der nachgewiesenermaßen im Besitz des Toten sich befunden haben muß, ich erinnere in dieser Beziehung nur an die von mir bewirkte Tintenprobe — dann aber bewies auch die von Herrn Kreisarzt niedergelegte Aussage die Unschuld Wilsers."
„Der Herr Kreisarzt hat ja extra ausge- fagt, daß durch die Art des Halsschnittes die Kleidung des Thäters fast gar nicht besudelt werden konnte, fiel Bock gereizt ein."
„Ganz recht bestätigte Wachtel. „Aber diese Aussage bezog sich nur auf den Mord, nicht aber die Tötung des Hundes, die zwar in derselben Weise, aber unter anderen Bedingungen ausgeführt worden ist."
Bock warf einen erstaunten Blick auf den
Arzt.
„Der Kommissar hat Recht," bestätigte dieser. „Ich muß meine chm privatim gemachte, die Antwort auf eine seiner Fragen darstellende Aussagen in allen Stücken aufrecht halten; das Tier wurde ebenfalls durch einen Schnitt in die Kehle getötet, aber der offenbar mit dem Hund vertraute Thäter hat das Opfer zu sich gerufen und während das Tier, zwischen seinen ausge- spreizteu Beinen sich aufstellend, den Kopf zärtlich schmeichelnd auf das Knie des Mörders legte, durchschallt dieser mit einem einzigen Rucke den Hals des Tieres — nach Lage der Sache mußte das Beinkleid des Mörders stark mit Blut besudelt werden.
„Weiter," fuhr der Kommissar auf einen mißmutigen Wink seines Vorgesetzten fort, seine Brieftasche hervorziehend und das Rasiermesser sowie das in dessen Haft eingeklemmt Vorgefundene Tierhaar vor dem Untersuchungsrichter auf den Tisch legend. „Beides habe ich aus der Matratze im Zimmer Schneidewin's herausholen lassen — ich frage nun den Herrn Kreisarzt, ob mit diesem Rasiermesser, das zweifelsohne die Ergänzung des lückenhaften Rasierbestecks darstellt, welches wir am Thatort auf
gefunden haben, die That vollbracht worden sein kann?"
Der Kreisarzt kam der Aufforderung nach und besichtigte beides.
„Das Messer ist sorgsam gereinigt, aber ich glaube Blutspuren noch mit bloßem Auge wahrnehmen zu können," sagte er. „Einige Scharten an der Schneidseite der Klinge machen auch den Eindruck, als ob Knorpel und dergleichen durchschnitten worden seien — das Haar hier stammt unzweifelhaft von einem Hunde, ein Vergleich mit dem Wohl noch in der Tierarzneischule befindlichen Kadaver wird dies lehren."
Statt einer Antwort zog der Kommissar ein Päckchen hervor und und gab es dem Arzt.
„Bitte, prüfen Sie sofort," sagte er. „Ich habe ein Stückchen Fell unweit vom Hals zur Probe mitgebracht — es stammt von Hektor."
Ich pflichte Ihrer Behauptung bei," entschied der Arzt nach kurzer Prüfung, das Haar stammt unzweifelhaft von dem getöteten Tiere!"
„Damit ist eigentlich schon ein erschöpfender Schuldbeweis wider Schneidewin gebracht," fuhr der Kommissar mit leicht triumphierendem Lächeln fort, „bleibt noch das blutige Taschentuch. Ich behaupte, daß in diesem der Verbrecher die Mordwaffe nach geschehener That, vielleicht auch seine Hände abgewischt hat."
„Auch dieser Auffassung stimme ich bei," bestätigte der Arzt. „Ich glaube bereits Tier- und Menschenblut auf dem Taschentuch konstatieren zu können — außerdem sind winzige schwarze Härchen, die mit dem Blut zusammen getrocknet waren, vorhanden, die jedenfalls auch von dem getöteten Hunde herstammen."
Der Kommissar erging sich nun in ausführlicher Schilderung der wider Schneidewin weiter vorliegenden Beweisgründe, sowie der Art und Weise, auf welche es gelungen war, den Verbrecher zu überlisten und dingfest zu machen.
^Fortsetzung folgt.)
Berlin, 21. Mai. Das „Kleine Journal" berichtet: Der Hausdiener Lange hatte vor einiger Zeit einer hiesigen Verlagsbuchhandlung 40000 unterschlagen. Er wurde verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er gab zu, das Geld vergraben zu haben, wollte aber das Versteck nicht angeben, weil er nach Ablauf der fünf Jahre von dem Geld leben wollte. Auf Veranlassung der Kriminalpolizei wurde nun neben der Zelle Langes jemand interniert, der sich geschickt mit Lange in Verbindung setzte und ihn ausfragte. Zuerst wich Lange dem Frager aus, nachdem ihm dieser aber alle „Heldenthaten", die er ausgeführt haben wollte, erzählt hatte, faßte Lange Zutrauen und gab dem neuen Freunde das Versteck des Geldes an, und zwar nur deshalb, weil ihm dieser glaubhaft zu machen wußte, daß der aus Papiergeld bestehende vergrabene Schatz nach fünf Jahren bereits verfault und vermodert sei. Lange, der nun erfuhr, daß der Zellennachbar in einigen Monaten entlassen werden sollte, besprach mit diesem, daß er sich einen Teil von dem gestohlenen Gelde nehmen und das andere nach Brüssel seinem Bruder übersenden sollte. Er bezeichnet« genau eine Stelle im Grüne Wald, wo er seinen Schatz in zwei Selterswasserflaschen vergraben habe, und fertigte eine Zeichnung davon an, die er heimlich bei Spaziergang auf dem Gefängnishof seinem Zellennachbar zusteckte. Gestern wurden nun an dem bezeichneten Ort im Grunewald von unserer Kriminalpolizei Nachgrabungen nach dem Schatze gehalten, die auch richtig 30000 in zwei Seltersflaschen versteckt, zutage förderten.
Koblenz, 10. Mai. Der „Köln. Ztg." wird von hier geschrieben: Obwohl Koblenz keine Seidenwebereien hat, gab es doch Jahre lang hier eine so billige Bezugsquelle für Seidenstoffe, daß auch wenig Bemittelte in der Lage waren, sich in echte Seidengewänder zu hüllen. War doch 1 Meter Seide, die sonst mit 5 bis 8 hätte bezahlt werden müssen, schon für 60 zu erstehen. So kam es, daß auch besser und höher gestellte Damen die Ge
legenheit benutzten, um, ohne ihr Toilettengeld allzu sehr zu schmälern, sich rauschende Seidengewänder zuzulegen. Auf eine Anzeige hin, ha; im Dezember v. I. die Polizei die Quelle verstopft und ein ganzes Seidenwarenlager, dessen Verzeichnis mehrere Seiten füllt, in Verwahr genommen und dasselbe auf 550 ^ L. abschätzen lassen. Die Lieferantin der Seide wollte dieselbe zuerst von einem Unbekannten gekauft haben gab dann aber zu, daß sie in Köln und Frankfurt die Läden geplündert zur Zeit des regsten Verkehrs. Die Strafkammer verurteilte die Diebin, die Ehefrau eines hiesigen Bürgers und Mutter von 14 Kindern, unter Zubilligung mildernder Umstände zu 1 Jahr Gefängnis. Wunderbar ist allerdings, daß fortgesetzt sich Abnehmer für die Seide zu einem Preise fanden, der seiner Niedrigkeit wegen jeden Käufer stutzig machen mußte. Leider waren die Abnehmerinnen in ihren Seidengewändern nicht vor den Schranken erschienen.
Hunspach, 20 . Mai. Bei vielen Bauern, natürlich nur bei denjegen, welche dadurch ihren Wohlstand zum gehörigen Ausdruck bringen, ist es üblich, ihren hochzeitlichen Gefühlen durch eine möglichst große Zahl von Eingeladenen und und deren Bewirtung freien Lauf zu lassen. Eine solche Hochzeit wurde, dem „Els. Kur." zufolge, gestern hier gefeiert, wobei für den Speisegenuß der zahlreichen Gäste (es waren über 100) in sehr reichlichem Maße gesorgt war. Gebacken wurden für den ersten Tag unter viel anderem Gepäck auch 100 Laib Brot. Geschlachtet wurden zwei Rinder, zwei Schweine, zwei Kälber
u. s. w. Der Armen wurde nebenbei in sehr ausgedehntem Maße gedacht.
(Lügner, weil er die Wahrheit spricht) Jtzig Hirsch trifft seinen Schwager Moritz Kohn auf dem Bahnhofe in Laskowitz, und es entwickelt sich zwischen ihnen folgendes Zwiegespräch: Jtzig: „Moritzche, wo fahrste hin?" Moritz: „Nach Bromberg." Jtzig: „Was? Nach Bromberg? Wenn Du mer sagst, Du fährst nach Bromberg, so soll ich glauben, Du fährst nischt nach Bromberg, Du fährst aber grade nach Vromberg; also woßu lügst Du erst?"
(Das Stadtkind.) Elschen (die zum ersten Male aufs Land kommt): „Du Mama, sieh doch, die Blumen haben ja alle keinen Draht."
Telegramme.
Kassel, 25. Mai. Das Kaiserpaar ist heute Nachmittag 5 Uhr mit Sonderzug hier eiugetroffen und wurde von der Bevölkerung begrüßt. Die Stadt prangt anläßlich des Gesangswettstreites im herrlichsten Flaggenschmuck. Vize- Bürgermeister Endemann begrüßte den Kaiser mit einer Ansprache, und bot den Willkommentrunk der Stadt Kassel an. Der Kaiser erwiderte in herzlichen Worten, daß er sich mit Vergnügen aus seiner Jugendzeit an Kassel zurückerinnere, als an eine Stadt, in der Musik und Gesang eine besondere Pflege erhalten. Deshalb habe er Kassel zum Ort dieses ersten Sanges- tourniers gewählt. Kassel brauche vor anderen Städten in keiner Weise zurückzustehen. Der Kaiser erschien während der Einbringung der Fahnen neben dem kommandierenden General
v. Wittich auf dem Schloßbalkon. Scharen von Festsängern durchziehen die Straßen. Die Festhalle unter blühenden Kastanien gewährt vom Schloßplatz aus einen entzückenden Anblick.
Kiel, 25. Mai. Der evangelisch- soziale Kongreß wurde heute hier vom Landesökonomierat Nobbe-Berlin mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser eröffnet. Der Kongreß nahm die Einladung nach Karlsruhe für den nächsten Kongreß an.,
Briefkasten d. Red. L. 8olu-. 8p. Das „Eingesandt" kann in dieser Form nicht ausgenommen werde". Warum erzählten Sie den Vorgang nicht m einsamer, schlichter Weise? ^
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