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ergriff, erklärte, daß die Art, wie die Regierung mit der oppositionellen Presse umgehe, un- qualifizierbar sei. In längerer Rede erklärte dann Wolf, dieses ganze Parlament sei wert, daß es der Teufel hole. Da der Präsident eingreifen wollte, kam es zu stürmischen Szenen.
Aus einenr Urteil des Pariser Appellationshofes ergab sich, daß die Zeichnungen und Muster aller ausländischen Fabrikanten, welche die Pariser Weltausstellung von 1900 beschicken, in Frankreich straflos nachgeahmt werden könnten, wenn die Aussteller nicht in Frankreich selbst eine Fabrik besitzen. Der Reichskommissar für die Pariser Ausstellung, Geheimer Ober- Regiernngsrat Dr. Richter, stellt demgegenüber fest, daß diese Bestimmungen für alle ausländischen Ausstellungs-Güter ausdrücklich außer Kraft gesetzt werden. Die deutsche Regierung hat sich dieserhalb schon vor längerer Zeit mit der französischen Regierung in Verbindung gesetzt und hat von dieser eine dahin gehende Zusicherung erhalten. Uebrigens ist dies auch bei der Pariser Ausstellung im Jahre 1889, wie es sich für solche Gelegenheiten von selbst versteht, der Fall gewesen.
Die Spanier kommen aus den Verlegenheiten nicht mehr heraus. Jetzt weigern sich die Aufständigen auf den Philippinen, die spanischen Gefangenen auszuliefern. Sie verlangen dafür ein Lösegeld von 20 Millionen Dollars.
Die Ankündigung, daß Prinz Georg von Griechenland, der neue kretische General- Gouverneur, auf 15. Dezember auf Kreta landen würde, hat sich nicht erfüllt. Es scheint, daß noch nicht sämtliche Vorfragen, die mit der Mission des Prinzen Zusammenhängen, erledigt sind, speziell nicht die Frage, wer sein künftiger verantwortlicher Berater auf Kreta sein solle.
HlnLerhattender Heil.
In der Gewalt eines Irrsinnigen.
Aus den Erinnerungen eines Arztes.
Bon F. F. Tamborini.
Ich hatte Paris zu meinem Aufenthaltsorte gewählt. Wenige Tage nach meiner Ankunft daselbst, als ich eben im Begriffe stand, meine Wohnung zu verlassen und mich zum Abendessen in ein Restaurant zu begeben, wurde heftig an meiner Schelle gezogen. Gleich darauf trat mein Diener ein und meldete, daß ein junger Mann mich zu sprechen wünsche.
„Ein Patient? frage ich.
„Dem Anscheine nach," lautete die Antwort.
„Lassen Sie den Mann ins Sprechzimmer" —
Als ich eintrat, fand ich einen kräftig gebauten, großen Menschen vor, einen wahren Riesen im Vergleich zu mir; der martialische Bart und das volle schwarze Haar entsprachen der kolossalen Gestalt.
„Bitte, Herr Doktor," sagte er „folgen
Sie mir gütigst-nur wenige Schritte von
hier-"
Ich verstand ihn, griff nach Hut und Stock und folgte. Es war sozusagen die erste Konsultation, zu der ich gerufen wurde, bisher hatten sich die Patienten nur in meiner Behausung eingefunden. Ich hoffte, daß dieser Weg der Vorläufer zu recht vielen nachfolgenden sein würde.
Der große Mann war mir, trotz schnellster Gangart, immer einige Schrittlängen voraus. Gesprochen wurde nichts, sogar meine Fragen blieben unbeantwortet.
In der Rue de Montmartre trat er in ein elegant aussehendes Haus, stieg eine Treppe hinauf, zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Corridorthür und führte mich in ein behagliches Zimmer, das außer mit bessern Möbel mit einer Anzahl Büchern von jeglicher Art ausstaffiert war.
„Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Doktor," sagte der Mann, „ich kehre sogleich zurück. Setzen sie sich hier an den Ofen — es ist bitter kalt diese Nacht." »
Ich ließ mich in einen Lehnstuhl nieder und streckte die Füße aus, lehnte mich zurück,, um mich bevor ich den Patienten sah, ein wenig zu Wärmen.
Ich hörte nur, wie sich der Mann der Thür näherte, die ich im Rücken hatte; ich hörte, wie dieselbe geöffnet und geschlossen wurde. Es war mir, als sei der Mann hinausgegangen; ich sah mich aber nicht um. Hierzu blieb mir auch keine Zeit, denn mir wurden mit solcher Schnelligkeit die Hände gebunden und ein Tuch über den Mund geschlungen, daß ich es nicht hätte hindern können.
Als ich gänzlich gefesselt war, trat mein Begleiter vor mich hin und beobachtete meine Versuche, mich frei zu machen.
„O, der Strick ist fest, sagte er. „Schon stärkere Männer als Sie, haben sich daran versucht. Jetzt aber verhalten sie sich ruhig und passen Sie auf, was ich von Ihnen will."
Er trat nunmehr an einen Schrank, nahm aus einem der Schubkästen ein langes Messer und prüfte die Schneide und Spitze desselben, während er ganz ruhig und gelassen dabei sprach:
„Jahrelang habe ich die Kunst des Erratens studiert."
Die Prüfung des Messers schien beendet und er schien damit zufrieden zu sein. Im Zimmer auf und ab gehend erzählte er nun eine lange Geschichte von dem Treiben der Welt, wobei er stets die Kunst des Erratens berührte und immer vor mir stehen blieb.
„Doktor, haben Sie diese Kunst noch nicht studiert?" fragte er. „O, ich weiß, Sie können Sie nicht studiert haben! Ich bin der Einzige, der sie zu einer neuen Wissenschaft erhoben hat, Seit ich" — — hier stotterte er unverständliches Zeug — „also, ich habe mich ganz dieser Kunst gewidmet. Und nun will ich Sie in dieses Mysterium einweihen, zunächst aber muß ich Wissen, ob Sie dessen würdig sind.
Er stand so ruhig vor mir, daß ich nicht im entferntesten daran dachte, daß er mir etwas zu Leide thun wolle, aber als ich ihm in die Augen sah und das krankhafte Feuer in denselben gewahrte, da erkannte ich, daß ich mich in einer verzweifelten Lage befand.
Ich war in die Hände eines Irrsinnigen geraten.
„Ich muß Sie auf die Probe stellen", fuhr er fort. „Bevor ich meine Zeit vergeude, muß ich sehen, ob Sie von Natur begabt sind oder nicht. Wollen Sie meine Fragen beantworten?"
Ich nickte bejahend; er nahm nun das Tuch
weg.
„Nun, Herr Doktor", sprach er weiter, „Sie sind mir gänzlich fremd, von mir aber haben Sie zweifelsohne schon gehört. Trotzdem wird es eine schwierige Aufgabe sein, meinen Namen von den vielen andern der jetzt noch lebenden großen Männer zu unterscheiden. Sie sollen ihn erraten -nun, wer bin ich?"
Er hatte mir sein Gesicht so nahe gebracht, daß ich seinen Atem fühlte; mir war unheimlich zu Mute bei seinen feurigen Augen. Das Messer hielt er über mich. Wozu? — Um mich zu töten, wenn ich falsch riet? —
„Raten Sie! rief er. „Wenn Sie falsch aus- sagen, haben Sie Ihr letztes Wort gesprochen."
Ich wagte nicht, nach Hilfe zu rufen — das Messer war mir zu nahe. Fliehen konnte ich nicht, denn ich war mit dem Strick an den Stuhl gefesselt. Hilflos war ich — mein Leben stand auf dem Spiele. Was sollte ich thun?
„Ja," grinste er, „es ist ein schweres Rätsel, ich will Ihnen drei Minuten Zeit geben."
Allen Mut nahm ich zusammen, und ihm fest ins Auge schauend erwiderte ich:
„Ich kenne Sie, mein Herr! Weshalb mich also raten lassen? Ich habe Sie auf dem Schlachtfelde gesehen, wie Sie Ihre Soldaten zum Siege führten; ich habe gesehen, wie Sie mit eigener Hand viele Feinde töteten. Ich kenne Sie, wie Sie ein jeder kennt: ich habe Ihren Namen auf den Lippen."
Ich schwieg, um zu beobachten, welche Wirkung meine Worte auf ihn hervorbrachten.
„Gewiß, Doktor", entgegnete er. „Aber wer bin ich? Wie ist mein Name? — Noch eine halbe Minute!"
Himmlischer Vater, was hätte ich darum gegeben, wenn ich eine Ahnung davon gehabt hätte, was in dem Gehirn dieses Wahnsinnigen vor
ging! Eine halbe Minute! — Er hob das Messer höher, hielt die Hand zum Stich bereit und hatte sein Opfer fest im Auge.
„Noch sieben Sekunden!" rief er. „Nun?"
Jetzt blieb mir nur noch eine Hoffnung aufs Geratewohl einen Namen zu sagen. Ich sah, daß er sich für einen großen Mann hielt, einen Helden; ich suchte nach Namen. Es war das größte Glücksspiel, das ich je gespielt hatte — mein Leben hing vom Erraten eines Namens ab.
Alle großen Krieger ließ ich Revue passieren , wagte aber keinen Namen auszusprechen.
„Noch zwei Sekunden!" schrie der Irre.
Ohne zu überlegen, fast wider Willen, sagte ich, zu Gott flehend, einen Namen:
„Kaiser Napoleon!"
„Richtig!" sagte der Wahnsinnige,, indem er das Messer bei Seite warf und mich frei machte.; Ich habe mich in Ihnen nicht geirrt, Doktor Sie haben Anlage. — Kommen Sie jeden Abend zu mir, und ich will Sie diese schöne Kunst lehren!"
Wie ich mich schwach und bebend von dem Stuhle erhob, wurde die Thüre leise geöffnet, vier starke Männer traten ein und bemächtigten sich des Irrsinnigen. —
Ich jagte förmlich nach Hause, froh, meiner ersten Lektion im Raten so gut entkommen zu sein; ich hoffe, daß ich nie wieder zu einem solchen Kranken geholt werde.
Berlin, 14. Dez. Ein Krieger von 1870/71, der in weiteren Kreisen Berlins bekannte Gerichtsdiener Eduard Kettner, Landsberger- straße 83 wohnhaft, ist am Sonntag gestorben. Er hat den deutsch-französischen Krieg als Landwehrmann beim 24. Jnfantrieregiment mitgemacht und erlitt in der Schlacht von Vionville drei Verwundungen; eine Kugel traf die rechte Schulter, eine zweite Kugel durchbohrte beide Wangen, und die dritte Kugel verletzte den rechten Oberschenkel, wo sie sitzen blieb, schwer. Der Verwundete kam ins Lazarett von Karlsruhe, wo die Großherzogin von Baden häufiger an seinem Krankenbett erschien. Diese veranlaßt? auch, daß ihm die aus dem Oberschenkel heraus- gezogene Chassepotkugel später, als Verlogne in Silber gefaßt, überreicht wurde. Kettner war ein geborener Spandauer.
Luxemburg, 12. Dez. Gestern wurde in Hollerich die Frau eines Maurers beerdigt. Während der Leichenzug auf dem Gang nach dem Kirchhof die Ortschaft passierte, kam Groß- herzog Adolf mit seinem Viererzug vorbei. Beim Anblick des Leichenkonduktes ließ er die Pferde Tritt gehen, winkte einen Mann aus den Reihen der Leidtragenden heran und fragte ihn über die Persönlichkeit der Verstorbenen aus. Der Mann gab die gewünschte Auskunft, worauf der Großherzog den schwergeprüften Witwer ins Palais befahl und erklärte, er werde die aus dem Trauerfall entstehenden Kosten decken.
/Tüchtiger Advokat./ Plankington: „Mußtest Du nicht vor Gericht wegen des Vermögens, das Dir vermacht wurde? Hattest Du einen tüchtigen Advokaten?" — Blommfield: „Das darfst Du glauben: er ist jetzt im Besitz des Vermögens."
Auflösung des Rätsels in Nr. 194:
Couvert.
Zweisilbige Scharade.
Die wahre Erste ist im Glauben Die Zweite läßt ihn sich nicht rauben. Für sie ist in des Jahres Kranze Der segensreichste Tag der Ganze.
Auf die in unserem Blatt ausgeschriebenen Gesuche aller Art (Mädchensteüen, Geldgesuche u. s. w.) erhalten wir tagtäglich Anfragen per Postkarte oder in Briefen, denen
keinerlei Brief-Porto für Antworts-Erteilung beigelegt ist. Wir machen darauf aufmerksam, daß wir solche Anfragen künftig nicht mehr berücksichtigen können. Exped. ds. Bl.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.