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traulichkeit, ebenso wie er, trotz seines vielen Wissens, große Vorliebe für den Verkehr und das Gespräch mit Menschen ohne Bildung zeigte.

Freund der Diplomatie, und im Stande, seine Ansichten glänzend und beredt zu verteidigen, richtete er doch nichts dadurch aus, sondern war gewöhnlich selber schließlich der Angeführte, Be­trogene, und das Wort:Richtet Euch nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Thaten!" fand insofern beständig Anwendung auf ihn, als er ungeachtet allen Scharfsinns meist nur klug in der Theorie, doch nicht in der Praxis war. Aehnlich so verfuhr er auch im Punkt des Geldes! Mit großen Summen oft verschwenderisch-freigebig, war er förmlich knauserig-sparsam bei den kleinsten. Nannte man ihn später, als Englands König, doch nicht umsonst:Den Salomo des Nordens," und zugleich denweisesten Narren von Europa!"

König Jakob befand sich zur Zeit nicht in seiner Hauptstadt Edinburgh, sondern jagte für einige Wochen in der Umgegend von Perth, einer der schönsten Städte Schottlands, malerisch gelegen am Flusse Tay, die mehr als einmal schon Residenz der Könige Schottlands gewesen. Sonderbarerweise war nämlich Jakob VI. dazu­mal ein leidenschaftlicher Freund edeln Waid­werks, er, der obwohl es keineswegs an Persönlichem Mute ihm gebrach doch trotzdem kein entblößtes Schwert ohne Schauder blinken sehen konnte!

Nahe der Stadt Perth lag Schloß Gowoin- House, das Besitztum des Grafen Gowoin, eines Sohnes jenes Lord Ruthwen, dessen Haupt einst auf dem Blocke, als das eines Verräters an des damals 16-jährigen Königs Majestät, ge­fallen war. Während aber die beiden Söhne des enthaupteten Rebellen im Auslande erzogen wurden, und sich viele edle Herren um die nach dem Gesetz eingezogene Herrschaft Gowoin be­warben, erklärte der gutherzige König, der auf­richtig das traurige Los des stolzen Lords be­dauert hatte: Kein Anderer als der ältere von dessen Söhnen dürfe Graf von Gowoin sein! Ob und wie dieser und sein jüngerer Bruder: Lord Ruthwen, welche beide jetzt in ihrem heimatlichen Schlosse residierten, dem König diese Milde dankten, werden wir erfahren. An­scheinend führten sie allerdings nichts Feindseliges gegen ihn, den sie als Mörder ihres Vaters betrachteten, im Schilde, obwohl ihm freilich Allerlei zu Ohren kam, woran Jakob Stuart in seiner gutmütigen Unklugheit durchaus nicht glauben mochte, und zum Beweis dafür und seiner gnädigen Gesinnung, hatte er sogar ver­sprochen, der Einladung der beiden Herren Folge leistend, am heutigen Tage nach Gowoin-House zu kommen, um dort das Jagdmahl einzunehmen, nachdem er und sein Gefolge im nahen Park von Folkland den Prächtigen Zehnender erlegt hatten, auf den es diesmal abgesehen war. Die Kinder sollten nicht für die Schuld des Vaters büßen! Dieser an sich ja sehr schöne und edle Gedanke verleitete den König trotz aller Warnungen zu einer seiner gewöhnlichen thörichter Handlungen, die er auch in diesem Falle bitter zu bereuen haben sollte!

Groß, massiv und trutzig erhob es sich dort, das alte Schloß Gowoin-House, mit seinen weiten Gärten, die bis nach dem Fluß Tay sich hin­zogen, in herrlicher Lage, nahe der Stadt Perth und deren Kuppeln und Türme, und umrahmt von einem waldigen, romantischen Gebirg-Pano- rama. Zur Mittagsstunde etwa war's, als ein schöner junger Mann von ebenso kühnem als lebensfrohem Aeußern, in kleidsamer Jagdtracht, auf das lockige, Helle Haupt das Federbarrett gedrückt, auf beiden Schultern flatternde Bänder mit Schottlands Farben tragend, die Straße dahergesprengt kam, die von Perth nach Gowoin- House führte, als Plötzlich eine kleine Kavalkade seine Aufmerksamkeit erregte, und ihn veranlaßte, seinen feurigen Renner zu gemüßigter Gangart anzuhalten. Dieselbe bestand aus zwei wohlge­schirrten, stattlichen Reitpferden, auf denen, nebst dem üblichen Gepäck, zwei Personen in bestaubten Reisekleidern sich befanden, ein älterer Mann und dicht hinter ihm ein blutjunges Vürschlein. Solch ein Anblick wäre nur freilich nichts Seltenes, sondern bei den damaligen und dortigen Reise-

und Verkehrs-Verhältnissen nur etwas sehr All­tägliches gewesen, hätte nicht ein ihm unerklär­liches Etwas, sowie eine bittende Bewegung des älteren Reisenden, der offenbar ihn anzureden wünschte, den stets gefälligen und liebenswürdigen jungen Menschen bewogen, auf diese Bewegung mehr Gewicht zu legen, als er Wohl sonst gethan haben würde.

Könnt Ihr mir nicht sagen, lieber Herr," redete ihn jetzt der Fremde an, während sein junger Begleiter, dessen offenbar noch sehr jugendliche Erscheinung ein großer Mantel und die breitkrampige, tief ins Gesicht gehende Kopf­bedeckung fast ganz verbargen, sich sehr tief über sein Roß bückte, als ob er dort am Riemenzeug und Gepäck allerlei zu ordnen fände,wo Wohl zur Zeit der König sich aufhalten mag? Ich hätte gar Notwendiges mit ihm zu sprechen, und etwas sehr wichtiges ihm zu übergeben, das von hohem Werte ist!"

Etwas erstaunt blickte der Jüngling auf den Fragenden. - Was konnte der schlichte Bürger, als welchen er den Mann beurteilte, Wohl so Wichtiges mit dem König zu verhandeln haben? Trotzdem erwiederte der Page König Jakobs, der hübsche John Ramsay, mit seiner gewohnten höflichen Freundlichkeit:Wenn die Sache eilt, mein guter Freund, so könnt Ihr gar nichts Besseres thun, als Euch mir anzuschließen. Ihr seht mich nämlich im Begriff, des Königs Ein­treffen hier in Schloß Gowoin-House anzukünden; bald naht er selbst, nach beendeter Jagd das Mahl dort einzunehmen. Ihr könnet nicht leicht eine zweite, so günstige Gelegenheit finden, denn seine Gnaden sind heut in besonders guter Laune."

Der Fremde wechselte einen kurzen, schnellen Blick mit seinem jugendlichen Begleiter, dann dankte er dem freundlichen Ratgeber, und bat ihn um die Gefälligkeit, ihn und seinen Knaben, der leider wie er sagte taubstumm sei, jetzt bei dem Schloßherrn und später bei dem König anzumelden, was der Page auch bereit­willig versprach. Weitere Worte zu wechseln, dazu gebrach es an Zeit, denn schon ließen von Ferne Jagdhörner sich vernehmen, weithin schallende Fanfaren blasend. Schnell setzte deshalb, die Reisenden freundlich grüßend, der junge Mann sein flinkes Roß wieder in schnellere Bewegung, um schleunigst den Auftrag seines königlichen Herrn auszuführen, es den beiden Andern überlassend, ihm langsamer nach dem unmittelbar vor ihnen liegenden Schloß zu folgen.

(Fortsetzung folgt.)

Vom Reichstage.

Die in diesem Sommer gewählten Reichs­boten haben sich zum ersten Male in Berlin ver­sammelt. Es dürfte daher von Interesse sein, zu erfahren, wie der neue Reichstag zusammen­gesetzt ist.

Die Zahl von annähernd 400 Abgeordneten bietet nicht weniger als 14Kategorien" dar. Es lassen sich darin ermitteln: 3 Universitäts- Professoren, 4 Angehörige der deutschen Arbeiter­schaft, 5 Bauernbündler, ebensoviel Aerzte, 8 Bundes-, Gesellschafts- oder Verbands-Ange­stellte, 9 Jugend-Erzieher, darunter etliche aus­geschiedene, 18 Vertreter des von manchem be­neideten Standes der Rentner, 22 Verwaltungs- Beamte verschiedener Art, zwei Dutzend Geistliche, ziemlich dieselbe Zahl Gewerbetreibender und Handwerker, über drei Dutzend Vertreter des Handels und der Industrie, rund 40 Publizisten, Redakteure, Schriftsteller, 54 Juristen, endlich nahezu 140Gutsbesitzer und Landwirte".

Man wird im Reichstage viele neue Ge­sichter erblicken und manche altbekannte vermissen, unter diesen die Konservativen Grafen Mirbach und Freiherrn von Manteuffel. Dagegen werden auf der Rechten drei Männer Platz nehmen: Graf v. Klinkowström, bekannt durch seine Herren­haus-Reden, der Hauptredakteur derDeutschen Tageszeitung", Dr. Oertel, und der frühere Re­dakteur der konservativenStuttgarter Deutschen Reichspost", und Sekretär der konservativen Partei Württembergs, Fr. Sch rem Pf. Beide gelten als tüchtige Redner. Auf der Rechten wird voraussichtlich auch der wieder in den Reichstag cintretenoe Abgeordnete Stöcker Platz

nehmen. Die Abgeordneten Ahlwardt und Dr. Böckel werden Wohl, wie vorher wieder eine Sonderstellung einnehmen.

Bei den Nationalliberalen vermißt man von Bennigsen, Hammacher, die Professoren Ennec- cerus, Friedberg und Osann. Prof. Paasche ist ist bei der Ersatzwahl für den verstorbenen Prof, v. Cuny gewählt, und damit wird der schnellste Redner und Schrecken der Stenographen dem Reichstage erhalten bleiben. Neu wird der nationalliberalen Fraktion der Geschäftsführer des Alldeutschen Verbandes, Dr. Lehr, ange­hören. Das Zentrum wird im großen u. ganzen dieselben Männer aufweisen, wie im letzten Reichs­tage. Dr. Lieber, Bachem, Hitze, Schädler, Lingens werden wieder da sein. Es fehlt Prä­sident Frhr. v. Boul, der sich nicht hatte wieder aufstellen lassen. Dagegen wird Graf v. Ballestrem wieder in den Reichstag einziehen. Bei der Freisinnigen Volkspartei hat sich ebenfalls wenig geändert. Bei der Freisinnigen Vereinigung giebt es viele Offiziere ohne Soldaten: Prof. Hänel, Brömel, Schräder, Dr. Siemens, Rickert. Der redeeifrige Dr. Barth ist im Wahlkampfe unter­legen. Die aus acht Mann zusammengesetzte süddeutsche Volkspartei hat in den Gebrüder Haußmann ein Zwillingspaar aufzuweisen.

Die Sozialdemokratie stellt, den stärksten Prozentsatz an neuen Gesichtern: 21! Wir finden darunter 3 praktische Gewerkschaftsführer: die Arbeiter-Sekretäre von Nürnberg und Stuttgart, Segitz und Agster, und den Vorsitzenden des Holzarbeiter-Verbandes, Kloß in Stuttgart. Da die sozialdemokratischen Arbeiter bei Einbringung von Anträgen nach dem Alphabet unterzeichnen, wird man nächstens viel von Anträgen des Abg. Agster hören. Bisher war Auer der erste.

Arbeiter sind unter den 56 sozialdemokrati­schen Abgeordneten vier. Dagegen sitzen in der Fraktion 26 Redakteure und Schriftsteller. Die sozialdem. Fraktion umfaßt ferner 21 selbst­ständige Gewerbetreibende, Wirte u. Fabrikleiter also nach sozialdemokratischer Auffassung Ausbeuter". Bemerkenswert ist schließlich noch das Verhältnis der sozialdem. Abgeordneten zur Religion: 28 sind konfessionslos, 7 freireligiös, 12 evangelisch, 2 katholisch, 4 mosaisch. Die Abgg. Auer, v. Vollmar und Bebel wollen auch bei der Religions-Angabe etwasApartes" haben. Der Abg. v. Vollmar schreibt geheimnisvoll, er betrachte die Religion als Privatsache, verweigere also die Auskunft. Der Abg. Bebel nennt sich mutigreligionslos", und der Abg. Auer giebt vielsagend an, er seikatholisch getauft".

sTheorie und Praxis.sIhre Frau hat gestern in unserem Verein einen sehr interessanten Bortrag über moderne Kochkunst gehalten. Wa­rum sind Sie nicht auch mitgekommen?Ich konnte nicht, ich mußte wegen meines verdorbenen Magens zu Hause bleiben."

Telegramme.

Berlin, 6. Dezember. (Reichstag.) 1. Sitzung. Das Haus ist gut besucht. Alters­präsident Dr. Lingens eröffnet die Sitzung um 2.15 und erklärt, daß nach Ablehnung der Uebernahme des Präsidiums seitens des Abg. Dieben wegen Krankheit er mangels Wider­spruchs das Präsidium übernehmen werde und beruft ein provisorisches Bureau. Der Namens­aufruf ergiebt die Anwesenheit von 317 Abgg. Das Haus ist somit beschlußfähig. Staatssekr. v. Posadowsky ist erschienen. Während der Feststellung des Ergebnisses des Namensaufrufs werden die einzelnen Vorlagen verlesen. Morgen Mittwoch 2 Uhr Präsidiums- und Schriftführer- Wahl.

Berlin, 7. Dez. Die Bundesstelle zur Vorbereitung der Handelsverträge beschäftigte sich gestern zunächst mit der Errichtung einer deutschen Handelskammer in Konstantinopel. Der Vorsitzerde des Bundes der Industriellen, Fabrikbesitzer, Dreyse, begiebt sich demnächst zur Einleitung der Finanzierung des Unternehmens nach Konstantinopel. Ferner wurde die Frage der Errichtung von kleinasiatischen oder deutsch­türkischen Export-Syndikaten beraten.

Redaktion, Druck und Berlag von C. Meeh in Neuenbürg.