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fclsenbesetzte hügelige Landschaft, an die sich un­mittelbar südlich die judäische Bergwüste an­schließt. In dem Dorfe befindet sich das Haus des Lazarus, das seiner Schwester Maria und Martha, und auch eine tiefe Grotte wird als Grab des Lazarus gezeigt. Bethanien war für Christus, wenn er sich in Jerusalem aufhielt, der Gang, den er vom Tempel aus, wo das jüdische Leben pulsierte, zunächst vornahm. Die Häuser des Dörfchens gleichen heute, wie die meisten in Palästina, kleinen Kastellen; ein Wachtturm ragt mitten unter ihnen empor, ge­brochen und verwittert. Das ist der Flecken, in dem Maria den Herrn Christus gesalbt und wo er den Lazarus erweckte, dessen Namen in dem heutigen Namen des OrtesEl Azarieh" ent­halten geblieben ist. Die ländliche Einfachheit und Unberührtheit des Fleckens umwebt biblischer Geist. Man fühlt sich an geweihter Stätte. Die Linien des Horizonts sind dieselben ge­blieben, seit Jesu Augen über sie geschweift, die Felsen, die kein Erdreich zuzudecken vermochte und auf welchen die Dorfjugerw spielend sich tummelt, sind dieselben, die sein und seiner Jünger Fuß betreten. Es ist, als ob Maria und Martha noch nicht lange hinübergegangen seien, und das Auge sucht, alles Zweifels ledig, die Stelle, wo ihr Häuschen gestanden, wo sie ihr Gärtchen gepflegt.

Für den Dienstag hatten wir eine längere Tour ins Land in Aussicht genommen über Bethlehem nach dem toten Meer, von den Arabern heute Bahr-Lut, See des Lot ge­nannt, da Muhammed die Geschichte Lots in den Koran ausgenommen hat. Solch' eine Tour, die zu Pferde gemacht wird, erfordert gewisse Vor­bereitungen. Man muß sich in Jerusalem an ein Reisebureau wenden, welche dort ihre Maga­zine haben, ein Zeughaus von Zelten, Betten, Matratzen, Sätteln, Zäumen, Teppichen, Küchen­batterien, Tischen, Stühlen u.s.w. Dort werden fast täglich Karawanen ausgerüstet oder zurück­kehrende in Empfang genommen. Solch' ein Bureau sorgt für alles, Ausrüstung, Verpflegung, Personal, auch für den Scheikh, der eine jede Expedition zu begleiten hat, denn die Beduinen sehen es als eines ihrer Vorrechte an, die Führer durch die Wüste zu sein, und sie sorgen dafür, daß der alte Brauch nicht in Vergessenheit ge­rät, indem sie hier und da Alleinreisenden Ver­legenheiten bereiten.

Wir rückten morgens früh auf fünf Pferden, der Dragoman und der Scheikh ebenfalls zu Pferde und der Junge des Scheikhs auf einem Maultiere, aus dem Jaffa-Thore aus. Unsere Zelte, der Koch, die Lebensmittel, die Knechte gingen mit 6 Pferden und Maultieren direkt von Jerusalem nach Masaba, wo wir das erste Nachtlager aufschlagen sollten. Das Wetter war anfangs nicht günstig. Heftiger Wind u. Regen, dazu eine öde, steinige Gegend, die wir passierten. Links der Berg desBösen Rates", auf dem die Ruine des Landhauses des Kaiphas steht, wo die Juden Rat hielten, wie sie Christus fangen könnten, vor uns die Ebene Raphaim, wo David die Philister schlug. Als wir diese passierten, kamen wir an den Brunnen der drei Könige, wo ihnen der Stern erschien, welcher sie bis Bethlehem führte, weiter an dem griechischen festungsartigen Kloster Mar Elias vorbei und an das Grabmal der Rahel, ein einstöckiges Ge­bäude mit einer Kuppel, genau nach dem Text der heiligen Schrift.

Hier verließen wir den Weg nach Bethle­hem, welches wir schon von fern sahen und ritten zunächst nach den Teichen Salomo's, drei großen, terrassenförmig übereinanderliegenden Wasserbasfins, die wohl aus der ältesten jüdischen Zeit stammen und früher die Brunnen im Tempel Salamonis durch einen Aquädukt mit Wasser versahen. Jetzt sind sie zwar noch in Gebrauch, aber nur für Bethlehemiten. Und so ritten wir an der dorthin führenden Wasserleitung entlang, bis wir gegen Mittag das auf einem Berge be- legene und ähnlich wie Jerusalem mit seinen Häusern, Kuppeln und offenen Bogenhallen sehr stattlich aussehende Bethlehem erreichten. Wir ritten sofort zur Geburtskirche, die von der Kaiserin Helene und ihrem Sohne Konstantin

in den Jahren 327333 erbaut wurde. Es ist eine fünfschiffige Basilika mit korinthischen Säulen, deren Kapitäle schlecht in Cement re­stauriert sind. Das Schiff bis zum Transept ist für alle Welt zugänglich und wird man dort von einer Anzahl Bethlehemiten belästigt, welche Rosenkränze u. dgl. verkaufen. Das Transept und der Chor sind durch eine Wand abgeschlossen. Sie gehören der griechischen Kirche und sind sehr reich und bunt dekoriert. Von dem Altar geht man in die Krypta hinab, in welcher ein silberner, in den Marmorfußboden eingelegter Stern die Stelle bezeichnet, wo Christus geboren wurde, und dicht daneben befindet sich auch der Platz, wo die Krippe stand. Alles in dieser Grotte in natürlich mit Marmor bekleidet, ver­goldet, bemalt, viele geweihte Lampen, Straußen- eier u. dgl. hängen von der Decke, geweihte Kerzen brennen. In der marmornen Krippe liegt eine Wachspuppe, die das Christuskind vorstellen soll. In danebenliegenden Grotten, durch welche man bis ins lateinische Kloster geht, sieht man neben andern Kapellen auch die­jenige der 2000 Kinder, die beim Bethlemiti- schen Kindermord umkamen. Das Ganze macht auf den mit der heiligen Geschichte nicht Ver­trauten den Eindruck, als sei Christus als Fürsten­sohn in Sammt und Seide geboren worden. Die erhabene Einfachheit und Armut der Ge­burt Christi, wie sie die Evangelien darstellen, ist hier durch hohlen Prunk entstellt.

Zur Kaisersahrt in das heilige Land. Jildiz Kiosk, die Residenz Sultan Abdul Hamids II. Jildiz-Kiosk, was soviel wie Sternen-Landhaus bedeutet, heißt die unweit des andern am Bosporus befindlichen Schlosses Dolma Bagdsche belegene Lieblingsresidenz des Padischah. Jildiz-Kiosk, ist der Mittelpunkt einer Gruppe von Palästen, Landhäusern und Kasernen innerhalb eines weitläufigen ummauerten Parkes. Im Sternen-Palast erteilt der Groß­herr die Audienzen uno von hier aus begiebt er sich jeden Freitag unter großen Zeremonien in die von ihm selbst erbaute Moschee Hamidie. Dieser, Selamlik genannte Besuch bildet so ziem­lich die einzige Gelegenheit, den Sultan zu sehen, weshalb es für die in der Märchenstadt am Goldenen Horn weilenden Fremden als großer Vorzug gilt, die Auffahrt des Sultans aus nächster Nähe ansehen zu dürfen.

Die Agia Sofia oder Sophien­moschee in Konstantinopel, welche durch das deutsche Kaiserpaar besucht wird, ist eine ehemalige christliche Kirche, im Aufträge Kaiser Justinians von Anthemios von Tralles und Jsidoros von Milet erbaut und 537 vollendet. Die große Kuppel stürzte 558 infolge eines Erdbebens ein, wurde aber alsbald wieder her­gestellt. Nach der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 ließ Sultan Mohammed II. die der göttlichen Weisheit (Hagia Sofia) errichtete Kirche zur Moschee umwandeln und mit Minarets umgeben; die Mosaiken wurden übertüncht.

Laupheim, 19. Okt. In dem benach­barten B. setzte ein ehrsames Schneiderlein eine übrige Mark in eine Lotterie und gewann auch eine Tabaksdose", wie es in der Ziehungsliste hieß. Der Meister der Nadel war aber kein Schnupfer, hielt die Dose für einen Luxus und verkaufte den Geivinn um 2 Ellen Hosenzeug im Wert von 2 ^ Der Käufer zog den Ge­winnst ein und machte ein recht lustiges Gesicht, denn die Dose war aus Silber und zu 35 ^ im Wert angeschlagen. Der Meister Zwirn da­gegen ist seither schlecht gelaunt und kann die Foppereien, die er jetzt aushalten muß, gar nicht ertragen. Er hat geschworen, nie mehr zu setzen.

Aus London wird ges chrieben: Das Neueste im Bereinwesen, was London aufweist, ist der Schutzverein unglücklicher Ehemänner. Kürzlich erschien vor dem Polizeigericht der Themse ein Mr. Richard Dust, um sich bei dem Richter Rat zu holen, wie er seine teuere Gattin zur Ruhe und Milde bekehren könne. Auf Befragen mußte er zugeben, daß sie es nicht bis

zu Thätlichkeiten treibe und so mußte ihm denn der Richter erklären, er könne ihm kein Mittel angeben, wie er sein Hauskreuz los werde. M Entrüstung verließ Mr. Dust den Saal, begleitet von einer Anzahl von Zuhörern, die in den, nächsten Bar mit ihm zusammen den Verein gründeten. Wie es heißt, ist derselbe in starkem Wachsen begriffen.

(Geschmackvolle Verwechslung.) Zimmer­herr:Teufel, der Kaffee ist aber schön stark!' Dienstmädchen:Ach? Da habe ich Ihm,, Wohl den meinen gegeben?"

Mitleidig.)Ja, meine Gnädige, eine Nacht am Nordpol dauert vierzig Tage." Was Sie sagen! Die armen Nachtwächter."

sSchonungsvoll.j Studiosus (nach miß­lungener Referendarprüfung an seinen Vater schreibend):Lieber Vater! Meine Adresse ist genau dieselbe geblieben wie im Vorjahre!"

Dreisilbige Scharade.

Die erste Silbe schreibt und sprecht Ihr stets mit weiblichem Geschlecht;

Man schneidet sie, wo Zwei sich lieben, Dem Kranken wird sie vorgeschrieben.

Der Reiter, Radler, Turner, Schütze,

Der Duellant auf Schuß, auf Degen,

Er muß, daß Kraft und Mut ihm nütze, Mein zweites Wort genau erwägen.

Habt beide Wörter ihr gefunden Und flugs zu einem Wort verbunden,

So müßt Ihr dessen letztes Zeichen

Es ist jetzt überflüssig streichen;

Und seht Ihr zu, was nun entstand:

Im fernen Osten ein Räuberlandst -ü-

Telegramme.

Berlin, 20. Okt. In der Antwort des Reichskanzlers auf die Eingabe der deutschen Kolonialgesellschaft, die dasKolonialblatt" ver­öffentlicht, heißt es,diplomatische Gepflogen­heiten sowie politische Rücksichten stehen jetzt noch der Veröffentlichung des Inhaltes und des Ver­trages zwischen Deutschland und England ent­gegen, die erfolgt, sobald sie ohne internationale Bedenken und ohne Verkennung der eigenen Interessen Deutschlands möglich und angemessen ist. Die Verpflichtung der wirklichen Wahrung dieser Interessen ist die alleinige Richtschnur der kaiserlichen Regierung." Der Ausschuß der Kolonialgesellschaft beschloß am 18. d. M, in einer Resolution, obige Begründung anzuerkennen und die weitere Entwickelung der Dinge abzu­warten.

Berlin, 20. Okt. Ein Telegramm von heute Vormittag aus Mabein Jildis meldet: Das Kaiserpaar kehrte gestern Abend von der prachtvollen Beleuchtung der Bosporusufer um Mitternacht zu Schiffe zurück. Heute früh begab sich das Kaiserpaar nach dem asiatischen Ufer, um von dort mit der auatolischen Eisen­bahn nach Herete zu fahren, wo die großen Teppichfabriken des Sultans besichtigt werden.

Mecheln, 20. Okt. Zwischen Mecheln und Terneuzen wurden heute Vormittag durch den Zusammenstoß eines Personen- und eines Güterzuges zwanzig Personen mehr oder weniger schwer verletzt. Der Materialschaden ist groß.

Wien, 20. Okt. Wie die Polit. Corresp.' erfährt, trifft der russische Minister des Aeußeren, Graf Murawiew, zu mehrtägigem Aufenthalt in Wien ein und wird vom Kaiser in besonderer Audienz empfangen. Der Minister begab sich von hier direkt nach Livadia, um dem Kager Nikolaus über verschiedene politische Tagesfrage« Vortrag zu halten und dessen Befehle entgegen­zunehmen.

Paris, 20. Okt. In einer Kundgebung des Gemeinderats heißt es: Da Forschungsreisen und Kolonialexpeditionen der Nationen immer als Werk der Civilisation hingestellt werden, so wünscht der Gemeinderat, daß die MWW) Regierung ohne die materiellen und moralische Interessen des Landes zu vernachlässigen, alles aufbieten werde, um einen Streit mit Engtan wegen der Faschodafrage zu vermeiden. ^

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.