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Eisig blies der Wind, doch glühendheiß Wurde es ihm bei dem Gedanken: Wenn Du den Hof verfehlst, wenn Du hineinläufst in dieses Land, wo oft auf Meilen nur eine einzige An­siedelung sich findet, was dann? Dann begräbt der Schnee Dich unter weicher Decke, bis die Wölfe Deine Gebeine herauswühlen oder die Geier! Unwillkürlich lief er rascher vorwärts, so rasch die keuchende Brust, die zitternden Kniee es gestatteten, in Todesangst die Ermüdung be­kämpfend, weiter, immer weiter!

Auf dem Säter war Jngeborg allein zu Haus mit den Mägden; die Knechte waren draußen bei den Herden. Ich war nach Travanger mit Erikson gegangen, der dort dem Postboten einen Brief mit Bestellungen für den Kaufmann in Hammerfest mitgeben wollte. Um uns bangte sie sich nicht; sie wußte wohl, daß ihr Vater bei solchem Wetter in Travanger blieb und mich nicht gehen ließ. Aber Mr. Wilson! Sie hatte Wohl gesehen, daß er nach dem Fjord gegangen war. Seit Beginn des Schneesturmes war eine Stunde fast vergangen; selbst wenn er nicht bei den ersten Anzeichen des Unwetters sich auf den Weg gemacht hatte, hätte er schon zurück sein können. Er war dort draußen im Schneesturm, in höchster Lebensgefahr!

In der Brust des Mädchens begann ein seltsamer Kampf. Wenn er draußen zu Grunde ging, so war sie gerettet von dem unbequemen Freier, so war das Haupthindernis ihrer Ver­bindung mit Nils Tornbred aus dem Wege ge­schafft. Dann war zu hoffen, daß der Vater nachgeben werde!

Aber war sie nicht eine Mörderin, wenn sie den Engländer draußen im Schneesturm um­kommen ließ, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihm Hilfe und Rettung zu bringen?

Düster blickte ihr Auge in die Glut des mächtigen Herdfeuers. Hätte Jngeborg in der ersten Klasse einer unserer höhern Töchter­schulen Moralphilosophie und Ethik gehört, so wäre es ihr ja keinen Augenblick zweifelhaft ge­wesen, daß sie die Pflicht habe, unter Hintan­setzung aller persönlichen Regungen Mr. Wilson zu Hülse zu eilen. Allerdings hätte eine junge Dame modernen Genres auch Wohl nach wenigen Schritten die Unmöglichkeit erkannt, in solchem nordischen Schneesturm ein Rettungswerk aus­zuüben: sie hätte sich seufzend zurückgezogen und im Stillen dem eigenen Heroismus, der sie solchen Versuch wagen ließ, Weihrauch gestreut. Jngeborg war eben ein einfaches Naturkind, mehr instinktiven Trieben als philosophischen Reflexionen gehorchend. Ihr sagte nach kurzem Kamps dieser instinktive Trieb, daß es ihre Pflicht sei, ihren Nebenmenschen zu retten, selbst unter Gefährdung des eigenen Lebens. So warf sie ein warmes Tuch, wie die Bewohner jener Gegend es selbst weben, um die Schultern und tastete sich, in der Rechten das große Herdenhorn haltend, am Zaun entlang bis nach dem Hügel, der am süd­lichen Ende des Gehöftes sich erhob. Eisig er­starrend wehte dort der Wind das Kind der Nordlandsrecken achtete seiner nicht. Straff auf­gerichtet, die Füße fest in den lockern Schnee wurzelnd, stand sie da, und aus hoch erhobenem Herdenhorn scholl der dumpfe Ton in die Weite, langgezogen, von Zeit zu Zeit sich wieder er­holend, bald nach dieser, bald nach jener Richt­ung hin.

Nicht weit vom Säter entfernt lag, auf dem Boden hingestreckt, Halb vom Schnee bedeckt, Mr. Wilson. Unfähig, noch weiter anzukämpfen gegen die tobenden Elemente, war er zusammen­gebrochen, mutlos, kraftlos. Mochte das Ende kommen; er fühlte sich unfähig, weiter zu kämpfen, unfähig, noch einen Schritt zu thun. Eine zu­nehmende Mattigkeit bemächtigte sich seiner, ein heißes Sehnen nach Ruhe, Ruhe um jeden Preis, selbst um den des Lebens!

Einmal noch schreckte er auf, ehe er durch die Arme des Schlafes in die des Todes glitt. Ein Ton traf sein Ohr, den er oft gehört, der wohlbekannte Ton des Herdenhorns. Neues Leben, neue Kraft goß dieser Ton, goß die wiedererwachende Hoffnung durch seine Adern. Mühsam raffte er sich auf, stolperte, fiel, sprang wieder aus, in fieberhafter Angst, seine Sinne

möchten ihn getäuscht haben. Nein, nein! Da schallt es nocheinmal, das Horn, näher schon; er ist auf dem rechten Wege! Bald springt er, bald kriecht er, nur vorwärts, vorwärts, ehe der erlösende Ton verstummt und tiefes Schweigen, das Schweigen der Einöde, das Schweigen des Todes wieder ihn umgibt! Einem gehetzten Wilde gleich hastet er vorwärts, die Hand auf das Herz gepreßt, dessen ungetümer Schlag die Brust zu sprengen droht, da noch einmal klingt das Horn, dicht vor ihm eine mensch­liche Gestalt taucht auf im Schneenebel ein halberstickter Schrei ringt sich aus seiner Kehle, dann bricht er zusammen zu Füßen derer, die ihn gerettet hat, zu Füßen Jngeborgs.

Sie hatte ihn gesehen, sie ergreift ihn, das Horn fallen lassend, sie hebt ihn empor, trägt ihn hinein in das Wohnhaus. Auf sein Lager wird er gebracht, dann flößt sie ihm stärkenden Wein ein, den er selbst mitgebracht hatte; endlich schlägt er die Augen auf, aber er erkennt sie nicht.

Wochenlang ringt seine kräftige Natur mit dem Fieber, das die Ueberanstregung ihm zuge­zogen hat, endlich bleibt sie Sieger. In seinen Augen ist nicht mehr der irre, unstete Ausdruck ; klar und verständig blickt er mich an, der ich gerade an seinem Bette wache, und fragt nach den nähern Umständen seiner Rettung. Ich er­zählte sie ihm auf seinen Wunsch ganz genau so, wie ich sie von Jngeborg erfahren habe; ich verschweige ihm absichtlich nicht, welche Ueber- windung es das Mädchen gekostet hat, ihn zu retten, der ihrer Liebe größtes Hindernis ist.

So werd' ich .. . zur Belohnung ... sie nicht heiraten! ? murmelte Mr. Wilson vor sich hin und drehte sein Antlitz nach der Wand.

Einige Stunden darauf ließ er den Alten rufen und in dessen und meiner Gegenwart unterschrieb er eine auf seinen Wunsch von mir aufgesetzte Urkunde, laut welcher er Jngeborg den genauen Betrag der auf dem Säter noch haftenden Summe schenkte, nachdem er bei dem Alten als Freiwerber für Nils Tornbred aufgetreten war und dessen Jawort unter solchen Umständen rasch erhalten hatte. Sobald er einigermaßen herge­stellt war, reiste er ab. Er hat sich nie wieder auf Knut Eriksons Säter sehen, nie wieder etwas von sich hören lasten.

Trarbach, 10. Okt. Den vom hiesigen Kasino ausgesetzten Preis von 1000 Flaschen des besten Moselweins für ein neues Mosellied erhielten, wie derFranks. Ztg." gemeldet wird, die Dichterin Frau Rüden - Hillner und der Komponist Julius Wolfs. Das weibliche Ge­schlecht hat also auch hier, wie seinerzeit Frida Schanz mit ihrem Rheinweinlied, den sogenannten stärkeren Dichterkollegen geschlagen.

Gundelfingen, 12. Okt. Ein hiesiger Geschäftsmann hat folgenden grausigen Auf­trag durch eine Postkarte erhalten:Geehrter Herr! Da wir nächsten Freitag oder Samstag kommen, so können Sie 300 Köpfe hinrichten lassen." Der Auftrag soll auch ausgeführt worden sein, aber nicht mit dem Fallbeil, sondern mit einem gewöhnlichen Taschenmesser. Der Schauplatz war auf einem Krautgarten.

Für die nächste Zeit lautet die Halb­jahrs-Prognose von Falb: 13. bis 15. Okt.: Es stellen sich neuerdings Regen ein. Sie sind am 14. und 15. am stärksten und weit ver­breitet. Die Temperatur geht etwas zurück. Der 15. ist ein kritischer Termin l. Ordnung. 16. bis 17.: Nachdem im Gebirge stellenweis Schnee gefallen ist, wird es kälter und auf einen oder zwei Tage schön und trocken. 18. bis 31.: Es tritt nun eine längere Periode anhaltender und zum Teil auch ergiebiger Regen ein. Um den 26. sind Gewitter wahrscheinlich. Zu dieser Zeit besteht Hochwassergefahr. Der 29. ist ein kritischer Termin l!. Ordnung.

Rechen-Aufgabe.

Die Herde eines Schäfers wurde auf 300 Stücke geschätzt; der Schäfer sagte aber, es seien weniger. Dividiere man ihre Zahl durch 8, so bleibe als Rest 6; bei der Division durch 7 oder 6 ergebe sich als Rest jedesmal 2. Wieviel Schafe waren es? -ü-

Telegranrnre.

Paris, 14. Oktober. Der Alarmruf der heutigen republikanischen Morgenblätter über das Vorhandensein einer Militärverschwöruna läßt plötzlich erkennen, daß die Furcht vor einem Staatsstreich in der That nicht unbegründet zu sein schien. Es wird versichert, die Regierung habe schon seit einigen Tagen die Anzeichen und Beweise für staatsgefährliche Umtriebe des ehe­maligen Generalstabchess Boisdeffre erhalten derselbe habe mit dem als streitbarer Politiker bekannten Jesuiten-Pater Dulac in Versailles geheime Zusammenkünfte, an denen auch der Gouverneur von Paris, General Zurlinden teilnehme. Als Ergebnis dieser Zusammenkünfte seien zahlreiche Schreiben nach Paris befördert und dort zur Post gegeben worden. Der Re­gierung seien einzelne dieser Briefe in die Hände gefallen. Es erscheine ferner als feststehend, daß in der letzten Zeit eine Anzahl als Royalisten geltender Offiziere nach Paris und eine große Zahl von Offizieren republikanischer Gesinnung in die Provinz versetzt worden seien. So sei die Regierung nicht nur zu der Ueberzeugung, sondern auch zu dem Beweise gelangt, daß ein militärischer Gewaltstreich im Werke sei. Morgen, Samstag früh, sollte er aus­geführt werden. Es war bekannt, daß der Kriegsminister, General Chanoine, heute Paris verlassen würde, um der Feier einer Denkmals­enthüllung in der Provinz vorzustehen.

Paris, 14. Okt.Droits de l'honime" fügen den Nachrichten der Morgenblätter hinzu, es handle sich nicht nur um den Telegramm­wechsel, der die Regierung über die wirkliche Lage aufgeklärt habe, sondern auch um die Reise eines Generals, der am Dreyfushandel eine hervorragende Rolle gespielt, nach dem Auslande, wo er lange Beratungen mit dem Prinzen Victor gehabt habe. Auch zahlreiche englische Persönlichkeiten nahmen an den Begegnungen teil. Besonders der Herzog von Manchester. Der Geheimagent des Herzogs von Orleans sei eine liebenswürdige Dame, und der Herzog werde anläßlich des Wiederzusammentritts der Kammer nach Paris kommen.

Paris, 14. Okt. Die allgemeine Stimm­ung ist erregt und gedrückt. Ueberall wird die öffentliche Discussion von der Besprechung des angeblichen Staatsstreichs beherrscht. Die Zeit­ungen werden verschlungen, dagegen ist der Reise­verkehr sehr gesunken. Die Züge, welche in Paris ankommen, sind auffallend leer, die aus Paris abgehenden stark gefüllt. Telegramme aus der Provinz an hiesige Blätter und Handels­häuser fragen wegen der angeblichen Verhaftung des Miltärgouverneurs von Paris, Generals Zurlinden, an. Hier ist nichts davon bekannt. (Die Agentur Havas hat das Gerücht bereits als unbegründet erklärt. Das Ganze zeigt aber, welche Unruhe sich der Provinz bemächtigt hat!) Der Ausstand dauert fort, scheint aber ruhiger zu sein, trotzdem ist die Stimmung viel unruhiger als gestern. Obwohl keine direkte Veranlassung vorliegt, erhält sich die Ansicht,es werde et­was geschehen."

Paris, 14. Okt. Alle Bahnhöfe von Paris werden heute Nacht für den Fall von Unruhen militärisch besetzt werden.

Falmouth, 15. Okt. Der engl. Dampfer Mohegan" von der atlantischen Transportlinie auf der Fahrt von London nach New-Aork mit 200 Passagieren an Bord, scheiterte gestern Abend bei Cap Lizard. Nach den letzten Nach­richten sind mehrere Personen ertrunken, als ein mit Passagieren angefülltes ^ Rettungsboot sich dem Lande näherte. 30 Personen sind bei Forthousstock gelandet. DieMohegan" ist ge­sunken. Es wurden nur 31 Personen gerettet.

BestMiM «ils SeilWM"

für das Vierte Huartak

können noch immer bei den Poststellen und Post­boten gemacht werden. In Neuenbürg abonnier man in der Geschäftsstelle d. Bl.

Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.