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thört hatte. Daß dieser mehr das Opfer des schlauen Weibes, als dessen Mitschuldiger ge­wesen sei, schien beinahe sicher; dennoch mußte er zur Verantwortung gezogen werden. Auch bei der Verhandlung beharrte Blazek auf seinen früheren Anssagen, er wußte nichts anzugeben, was zur Entdeckung jener Frau hätte führen können. Er wurde zu längerer Gefängnisstrafe verurteilt; schon früher hatte Gerichtsrat Lang freiwillig seine Entlassung genommen, da der Präsident eine Diszipliaruntersuchung gegen ihn beantragen wollte. Ein kleines Vermögen ge­stattete ihm, unabhängig zu leben; er gedachte daher einige Zeit auf Reisen zu verbringen, dann wollte er sich der Literatur seines Faches widmen. Vorher wünschte er jedoch die zwei Rätsel zu lösen, von welchen das eine die Flucht Marbod's, seinen Verstand, das andere, das Verschwinden seiner Braut, sein Herz beschäftigte. Denn eben spurlos und unerklärlich wie Marbod war auch Frau v. Vülau verschwunden, und Läng s Nach­forschungen blieben ebenso resultatlos, wie jene der Polizei. Einmal war ihm der Gedanke ge­kommen, ob nicht die beiden Vorfälle in Be­ziehung zu einander ständen; aber nach reiflicher Erwägung aller Umstände kam er zu dem Schlüsse, daß solche Annahme thöricht sei. Nie hatte Frau v. Bülau eine Aeußerung gethan, die hätte schließen lassen, daß sie Marbod kenne, und Lang erinnerte sich, daß er selbst ihr zuerst den Vor­fall in dem Hotel zu B. erzählt habe und sie diese Mitteilung mit nicht größerem Interesse, als jeder andere gezeigt hätte, entgegengenommen habe. Vergeblich grübelte er nach, was wohl die Ursachen der plötzlichen Abreise jener Frau gewesen sein mochten, die ihm eine Leidenschaft eingeflößt hatte, deren Gewalt er selbst jetzt erst zu fühlen begann.

Diese Leidenschaft war es, die ihn Hinaus­trieb in die Welt, um auf's Geratewohl die Ver­lorene zu suchen. Er war fest überzeugt, daß er sie finden werde, obwohl er nicht wußte, in welchem Teile des neuen oder alten Kontinents er sie suchen sollte. Die fatalistische Idee, ein Zufall müsse ihm die rechte Spur weisen, be­herrschte ihn ganz und gar, so daß er bei seinen Reisen keinem Plane folgte, sondern je nach Laune bald dahin, bald dorthin sich wandte.

(Forts etzung f olgt.)

Die Kaiserreije nach Jerusalem,

m.

3 Konstantinopel.

Konstantinopel eignet sich wenig zu längerem Aufenthalt. Der gesellige Verkehr beschränkt sich auf die Botschafter-Hotels und die Häuser der europäischen Kolonien. Es giebt kein Lokal, um den Abend zu verkürzen, keinen Korso, keinen Ort, an welchem sich die elegante Welt zu Wagen oder zu Fuß bewegen könnte, es sei denn, daß man diesüßen Wasser von Europa" in den Sommermonaten dazu zählt. So nämlich nennt in Konstantinopel der Volksmund ein von Wasser durchzogenes Wiesenthal am obern Ende des Goldenen Horns, wo sich am Freitag nachmittag ein (gutes Stück türkischen Volkslebens abspielt, und wo bei Skutari an den süßen Wasser Asiens zwei kleine Flüsse münden, nachdem sie sich vor­her vereinigt haben, die süßes Wasser enthalten, während das im Goldenen Horn salzig ist. Die Flüßchen durchfließen das Thal Kiathanä und hierher in dieses Thal, welches mit hübschen Baumgruppen und saftigen Wiesen geschmückt ist, wo zahlreiche Kaffeehäuser und Brücken sich be­finden, pilgern an jedem Freitage, dem türkischen Wochenfeiertage, viele Tausende türkischer Frauen zu Fuß, zu Wagen, auf Eseln und Pferden, Per Dampfer und im schnellen Kaik, um die Ein­förmigkeit ihres Daseins für einen Tag in der Woche zu vergessen.

Hier kann man das türkische Volksleben be­trachten: Kinder in Phantastischen Kostümen machen den Eindruck einer Maskerade, die auf dem Boden ausgebreiteten Teppiche und Stroh­matten am Rande des Wassers, die fliegenden Kaffeeschänken, welche hin und her Kaffee, Eis, Früchte und Gebäck anbieten, die fidelnden Zigeuner, die bulgarischen Hirten, welche die

Sackpfeife mißhandeln, die bunten Staatskarosfen der Vornehmen, die jungen, auf der Fahrstraße galoppierenden Reiter, das alles ist unter dem Zusammenklingen der Flöten, Geigen, Schalmeien, Pauken, Dudelsäcke und Tamborins für den Fremden ein farbenreiches und interessantes Bild.

Sehenswürdigkeiten Konstantinopels, an denen kein Fremder Vorbeigehen kann, sind die Aja Sofia, der Selamlik und der Bazar. An jedem Freitag besucht der Sultan eine Moschee von seinem Palast Aildiz Kiosk aus unter dem Aufmarsch der Truppen, die Spalier bilden in festlicher Auffahrt. Der Zweck dieses sich wöchent­lich wiederholenden Schauspiels ist der, den Sultan als treuen Anhänger des Propheten, als Kalifen Beherrscher aller Gläubigen seiner Hauptstadt und seinen Truppen zu zeigen. Freilich in dem gebeugten Manne mit dem sorgen­schweren Antlitz, der heute auf dem Thron der Kalifen sitzt, dürfte auch der treueste Ottomane den geistigen Nachfolger Muhammeds II., des Eroberes von Byzanz, kaum erblicken.

Man zeigt den Fremden auch das Serail, einen großen mit Festungsmauern und Thürmen umgebenen Garten, in dem eine Anzahl von Gebäuden stehen, die einst dem Sultan zur Re­sidenz dienten; jetzt sind Ministerien darin und Wohnungen der verwitweten Sultaninnen. Die mit Divanen, Teppichen und Kronleuchtern möb­lierten Kiosks u. Empfangssäle, die dicke Platane der Janitscharen, die Nägel, an denen die Köpfe der enthaupteten Paschas einst bei Bab Humaium ausgehängt, das Loch in der Mauer, durch welches die schuldigen Sultanninen in einem Sack in den Bosporus geschleudert wurden, die Waffen in der Kirche der heiligen Irene, welche ein Arsenal geworden, hatten nur ein unterge­ordnetes Interesse.

Seit acht Jahrhunderten werden in der Schatzkammer des Serails die kostbarsten und seltensten Edelsteine, die prachtvollsten Wunder­werke der Kunst angesammelt, silberne und goldene Waffen, die mit großen Diamanten verziert sind, große Thronsessel, die mit Rubinen, Perlen und Brillanten ausgelegt sind, Theetassen u. Kistchen aus einem einzigen Smaragd gearbeitet, Millionen und Millionen sind in den großen finsteren Sälen aufgehäust, wo man die kostbaren Metalle und die Perlen in tausend phantastischen Farben leuchten sieht. In einem Saale stehen an den Wänden viele mit unerhörter Pracht gekleidete Wachspuppen gleichförmig aufgereiht. Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts wurde jedesmal, wenn ein Sultan starb, in dieses geheime Zimmer eine lebensgroße Wachsfigur gebracht, welcher man die Galakleider des verstorbenen Monarchen anlegte. Man gab ihr wundervolle Waffen, be­deckte sie mit Edelsteinen von unermeßlichem Werte, und so blieb sie stehen, überschüttet mit Reichtümern, die für immer verloren sind. Die langen und üppigen Gewänder sind eigenartige Brokatstoffe mit großen, geheimnisvollen Mustern, deren Farben allmählich verschossen sind. Die herrlichen Dolche, deren Knöpfe aus einem ein­zigen Edelsteine gemacht sind, werden mit der Zeit vom Rost verzehrt. Die 28 türkischen Herrscher, die von der Eroberung Konstantinopels bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts regiert haben, stehen dort als Puppen in dem dunklen Raume, stumme Zeugen verflossener Größe und Pracht.

Die zur Ausnahme unseres Kaisers und seines Gefolges vom Sultan angeordneten Um­bauten und Neueinrichtungen sind nahezu voll­endet. Die für den Kaiser bestimmten Wohn- räume liegen im sogen. Tsit Kiosk, dem als Neubau eine große und prunkvoll ausgestattete Empfangshalle angefügt wurde. Die Gesamt­kosten der vorgenommenen Umbauten werden ausschließlich der inneren Ausstattung auf 1 Mill. Mark berechnet.

Mannheim, 15. Sept. Ein tragikomisches Geschick ereilte einen Bauersmann im Oden­wald. Er hatte beim Verkauf von Schafen einen guten Erlös erzielt und in der Freude darüber sichEeinen" so angesäuselt, daß er im Straßen­graben Nachtquartier nahm. Im Traum hielt er fünf Hundertmarkscheine für wollige Lämmchen

und zerrupfte sie. Als er morgens erdachte lag er in den Schnitzeln des Papiergeldes ae! bettet, von denen manche bereis ein Spiel des Windes geworden waren. Ob die Nummern der Scheine noch ersichtlich waren, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

jVegreiflicher Jrrtum.j Alter Achtund­vierziger (aus dem Himmel auf Berlin herunter- sehend, wo gerade die Elektrizität der Straßen­bahn versagt hat und alle Wagen hintereinander stehen): Donnerwetter, bauen sie jetzt aber anständige Barrikaden!

(Schlau.) Sie:Komm, Fritz, wir wollen jetzt nach Hause gehn." Er:Geh' nur vor­aus, ich will erst langsam austrinken." Sie: Aber Dein Glas ist ja leer, was willst Tii denn da austrinken?" Er:Das nächste.'

(Guten Appetit.)Wovon leben Sie?' Ich bin Degenschlucker!""

Telegramm.

Berlin, 18. Sept. Der nationalliberali Parteitag wurde unter dem Vorsitz des Abg, Hammacher heute Vormittag im Reichstags­gebäude eröffnet. Hammacher widmete dm Fürsten Bismarck einen warm empfundene« Nachruf.

Wien, 18. Sept. Der Kaiser fuhr m 6 Uhr nach Schönbrunn. Von dem deutscher Kaiser und den übrigen allerhöchsten und höchster Herrschaften hatte sich der Kaiser bereits in der Hofburg verabschiedet. An dem Diner bei deutschen Botschaft nahmen außer dem Reichs kanzler Fürst zu Hohenlohe auch StaatssekretL v. Bülow, die Mitglieder der deutschen Botschaft sowie das Gefolge und die Ehrenkavalliere dk- Kaisers teil. Nach der Tafel hielt der Kam Cercle und fuhr sodann direkt zum Bahnhof Einen offiziellen Abschied hatte er dankend ai gelehnt. Nach herzlicher Verabschiedung tra Kaiser Wilhelm um 9 Uhr die Rückreise nas Berlin an.

Wien, 18. Sept. Bei der Leichenfeil kamen 23 schwere Ohnmachtsfälle vor. Etp 70 Personen wurden von leichterem Unwohlsei befallen, jedoch wird kein ernsterer Unglücks)» gemeldet.

Paris, 18. Sept. Es bestätigt sich, da der Justizminister die Einleitung des Dreyfm Prozesses mit dem Hinweis auf die Fälschmi des Oberstlieutenants Henry und die Wide sprechenden Gutachten über das Bordereau b gründet. Einzelne radikale Blätter sprechen si entschieden gegen die Wiederernennung di Generals Znrlinden zum Militärgouverneur vl Paris aus. Dies würde nicht angehen, selk wenn Zurlinden eine vom Präsidenten Fau dahingehende Zusage erhalten hätte. Zurlindl habe sich durch sein Rücktrittsschreiben öffentli gegen die Entscheidung der Regierung aufgeleh und es wäre bedenklich, ihm den Oberbefehl üb die ganze Pariser Garnison anzuvertrauen.

Paris, 18. Sept. Die meisten Blätter b glückwünschen sich zu der Entscheidung d Ministerrates und sind der Ansicht, daß der -b schluß die Bürgerschaft beruhige und der er Schritt zur Revision des Dreyfus-Prozesses s Vor den Bureaux einiger Blätter kam es geste abend zu Kundgebungen; es wurden die lm ausgestoßen:Es lebe Brisson, hoch dre -b Vision! andere riefen: Nieder mit Brisson, mec mit der Revision. !Die Polizei zerstreute r leichter Mühe die Manifestanten.

Paris, 18. Sept. Die Kommission Justizministerium, welche gutachtlich sich über o Antrag auf Revision des Dreyfus - Prozeß äußern soll, tritt am Mittwoch vormittag ? sammen und beginnt dann die Prüfung Aktenmaterials betreffend Dreyfus.

Udine, 18. Sept. Der Prinz von New erklärte heute auf der Durchfahrt dem Burg Meister auf dem Bahnhof, daß die Gerüchte einem gegen ihn geplanten Attentat falsch si>

Petersburg, 19. Sept. Prinz Hemr von Preußen ist mit einem Sonderzuge i Usuribahn in Chabarowsk eingetroffen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.