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Aukrh alLend er Heil.
Das Rätsel in Marmor.
Original-Novelle von Gustav Höcker.
(11. Fortsetzung)
„Es thut wir weh," versetzte Wolfgang gekränkt, „daß Du meinen reinen Motiven eine so üble Deutung unterlegst, als ob ich mit Deinem Wohl und Wehe ein übermütiges Spiel triebe. Muß ich Dir's noch einmal sagen, daß mich nur dankbare Anhänglichkeit zu Dir geführt hat? Und ist es denn nicht natürlich, wenn ich mich, aus der weiten Ferne in die Heimat versetzt, danach sehne, an meiner Mutter Grabe zu stehen, das ich noch nie besucht, und der Theueren, deren Leben durch meine Schuld verkürzt wurde, eine Thräne hinabzuweinen? Aber Du willst eS nicht, Vetter, Du erblickst darin eine Gefahr für Dich — und so werde ich es unterlassen, so schwer es mir auch fällt, dem Drange meines Herzens zu widerstehen. Drüben über dem Meere bin ich mein eigener Herr. Hier in diesem Lande darf ich nicht vergessen, daß meine Freiheit Dein Geschenk ist, ein Gnadengeschenk obendrein, denn ich konnte Dir's nicht vergelten, was Du um mich wagtest. Gehab Dich wohl und nimm hiermit mein Wort, daß ich mit dem nächsten Eisenbahnzuge direkt dem Meere entgegeneile, über welches der Arm Eurer Polizei nicht hinausreicht."
„Gut," sagte Rabelmg, „diesmal nehme ich Dich beim Worte. Doch noch eins. Kann ich Dir mit Etwas dienen? Kann ich Dir irgendwie nützlich sein? Ich bin in günstigen Vermögens- Verhältnissen. Vielleicht könnte ich Dir Sorgen abnehmen. Es ist das einzige, was ich für Dich zu thun vermag. Aber ich würde es gern thun."
„Für meinen Beruf quillt der Segen der Arbeit in Amerika zwar nicht besonders reich," entgegnete Wolfgang stolz, „doch habe ich genug zum Leben und meine Wünsche sind bescheiden. Ich danke Dir daher für Dein Anerbieten, ich brauche nichts."
Rabeling stand einen Augenblick wie beschämt da. Mit bedauerndem Achselzucken entriegelte er sodann die Thür, um den Vetter hinaus zu begleiten. Erst nach einer sorgfältigen Rekognoszierung auf Borsaal und Treppe entließ er Wolfgang. Als dieser sich an der Hausthür noch einmal umwandte, stand der Vetter noch auf der Mitte der Treppe und winkte noch einmal herablassend mit der Hand.
Mit einem eigentümlich bitteren Gefühle des Verlassenseins schritt Wolfgang von dannen. Er hatte gehofft, in der ihm gänzlich entfremdeten Heimat endlich einen Menschen zu finden, dem er sich als das geben durfte, was er war; er hatte sich der Stunde gefreut, wo er mit dem einzigen noch lebenden Angehörigen seiner Familie über entschwundene Tage und mancherlei Anderes, was sein Inneres bewegte, sich werde in traulichem Gespräche ergehen können, — und mußte sich ausgewiesen sehen, als ob er die Pest ins Haus schleppe. So also hatten sich die Dinge verändert. Rabeling war ein reicher Mann geworden. Er besaß ein Haus und eine Apotheke, er hatte Familienbande geknüpft und war zu Ansehen gelangt. Das Alles hatte ihn verändert, und er sah in dem Flüchtling nicht mehr den Verwandten, den er zu einer Zeit, wo er wenig oder nichts zu verlieren hatte, einst Freiheit undLebenrettete, sondern nurden unwillkommenen, gefährlichen Gast, dessen Aufnahme für sein Ansehen, seinen Ruf und seine, eigene Freiheit verderblich werden konnte.
Mit diesen Enttäuschungen beschäftigt, erreichte Wolfgang den Bahnhof, und fast war es ihm eine Genugthuung, gerade die Abgangszeit eines Kourierzuges getroffen zu haben, der ihn nach der weiten Fremde wieder entgegentrug, in die er nun einmal verstoßen war. Er nahm seinen Platz in einem Coup6 2. Klaffe, und bald lag die Residenz mit dem ungelösten Rätsel, welches ihm jene Grabsteininschrift in den Weg geworfen, hinter ihm. Weiter und weiter rückwärts floh die von hohen Türmen und Kuppeln überragte Häusermaffe, durch deren Labyrinthe er gern noch einmal zu dem Häuschen des Bildhauers gepilgert wäre, der vielleicht jetzt
von seiner Reise zurückgekehrt war und ihm einen wichtigen Aufschluß hätte geben können . . .
Die ehemalige Braut, welche ihn als einen Toten betrauerte — er mußte sie im Irrtum zurücklaffen, ohne daß ihm auch nur der Versuch gegönnt war, ihrem verschollenen Namen aus die Spur zu kommen.
Weit, weit hinter ihm lag die Stadt, wie ein Traum, der ihm noch einmal mit lebendiger Frische vergangene Stunden vorgegaukelt, bis auf jenes Weib sogar, das mit der ganzen Zaubergewalt früherer Tage sein Herz aufs Neue berückte, wo er längst mit dieser Verhängnis- vollen Episode seines Lebens abgeschlossen zu haben glaubte.
Die plötzliche Verdunkelung des offenen Eoups'enstcrs durch die Büste des Kondukteurs und der Ruf: „Ihre Billets, meine Herren," scheuchte unseren Reisenden ausseinen Gedanken auf.
„Hamburg!" las der Kondukteur mit lauter Stimme auf dem ihm von Wolfgang überreichten Billct und gab ihm dasselbe zurück
„Hamburg!" ließ er sich abermals vernehmen, indem er auch Wolfgangs Coupägenossen das präsentierte Billet wieder einhändigte, um dann zu verschwinden und seine halsbrecherische Wanderung von Coup6 zu Coupö fortzujetzen.
Erst jetzt nahm Wolfgang von dem einzigen Reisegenoffen Notiz, den er, ganz mit sich selbst beschäftigt, bisher nicht beachtet, ja kaum bemerkt hatte. Er war sich nicht recht klar, ob er ihn schon einmal im Leben irgendwo gesehen hatte, oder ob es nur das allgemein Typische war, was ihm in diesem Gesichte den Eindruck des Bekannten machte. Es war ein jüngerer Mann mit einem sorgfältig gepflegten schwarzen Backenbarte, dessen beide Hälften ein feiner Schnurrbart, verband. Der Mund mit den perlenweißen Zahnreihcn und die etwas gebogene Nase gaben dem Gesicht einen vorherrschend sinnlichen Ausdruck. In dem glänzenden, dunkelbraunen Auge lag etwas, was Frauen dämonisch anziehen konnte, für Männer aber eher etwas Abstoßendes hatte, denn wo dieses Auge auf keinen Sieg blicken konnte, da trat etwas unangenehm Forschendes und ein starkes Selbstbewußt>ein hervor. Den Kopf bedeckte ein feiner weißer Seidenhut, als sollte dadurch der Kontrast der schwarzen Haare noch mehr hervorgehoben werden. Wolfgang hätte sich kaum in der Stimmung befunden, dem Aeußcren seines Mitpaffagiers so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wenn dieser ihm nicht ein gewisses, zuvorkommendes Interesse zugcwandt hätte, als einem Mitreisenden nach dem gleichen, weitentfernten Endziele der an- getrctenen Fahrt. Es war dem Fremden anzumerken, daß er sich gern mit Wolfgang unterhalten hätte, und da dieser in seinem Schwelgen verharrte, so knüpfte der Andere selbst das Gespräch an, indem er sein Vergnügen zu erkennen gab, daß Beide bis Hamburg Reisegefährten sein sollten. Die Unterhaltung bewegte sich um die zurückzulegcnde Reisestrecke, um Wagenwechsel und Anschluß der Züge; sie griff zurück auf die Sehenswürdigkeiten der Residenz und eilte voraus nach der großen Hafenstadt an der Elbe. Der Fremde führte zumeist das Wort, bis er plötzlich einen Hustenanfall bekam und Wolfgang um die Erlaubnis bat, eines der Fenster schließen zu dürfen, da er, einer Er- kältung wegen, sich dem Luftzuge nicht aussetzen dürfe, welcher sich eben bemerkbar machte. Er holte aus seiner Tasche eine kleine Dose mit Brustbonbons hervor, die seinen Husten zu beruhigen schienen und bot Wolfgang ebenfalls davon an.
„Sehr zu empfehlen, sagte er mit Bezug auf die Bonbons, die Wolfgang )edoch ablehnte, „man bekommt sie in der ganzen Residenz nirgends in solcher Güte, wie in der Einhorn, apotheke."
„In der Einhornapotheke?" wiederholte Wolfgang, seltsam berührt von dem Zufalle, der ihm so unerwartet seinen Vetter wieder in Erinnerung brachte.
„So oft mich der fatale Husten heimsucht," fuhr der Andere fort, „hole ich mir von Rabeling diese Medizin. Rabeling heißt nämlich der Besitzer der Einhornapotheke."
„Sind Sie mit Herrn Rabeling näher bekannt?" frug Wolfgang.
„Ich kenne ihn wohl an die zehn Jahre.« antwortete sein Mitreisender mit einer gewissen Wichtigthuerei.
„Der Mann soll Glück gehabt haben," warf Wolfgang hin, den es interessiere, über die Verhältnisse des Vetters m-hr zu hören, als er von diesem selbst hatte erfahren können. „Es war die Rede davon, er habe durch die Erfindung eines neuen Putzpuloers den Grundstein zu seiner Wohlhabenheit gelegt."
Der Fremde zog eine spöttische Miene und entgegnete: „Er wollte allerdings einmal eine solche Erfindung gemacht haben, aber einen Erfolg hat er nie damit erzielt. Schwerlich würde übrigens die Eifindung oder Verbesserung eines so wohlfeilen Artikels hinreichen, uni Jemanden zur Wohlhabenheit zu verhelfen."
„Ich bin zu wenig Geschäftsmann, um das beurteilen zu können," erwiderte Wolfgang, der seinen Reisegefährten im Verdacht hatte, daß entweder seine vorgebliche genaue Bekanntschaft mit dem Apotheker eine hohle Prahlerei gewesen sei, oder daß er zu jener Kategorie von Leuten zählte, die sich darin gefallen, Anderen zu widersprechen. „Gleichviel," fuhr Wolfgang fort, „Rabeling betrieb früher, soweit mir bekannt, ein kleines Droguengcschäfl im bescheidensten. Style und hat es zum Besitz einer schönen Apotheke gebracht, mag auch oas Meiste dazu vielleicht eine reiche Heirat beigetragen haben."
. „Haha! eine reiche Heirat!" lachte der Fremde auf. Dann beugte er sich vertraulich gegen Wolfgang vor, hielt ihm seinen Daumen hin, drückte diesen mit zwei Fingern und sagte, jedes Wort scharf accentuicrcnd: „Ich versichere Sie, nicht so viel, als unter das Weiße meines Nagels geht, hat ihm seine Frau mitgebracht.'
Hierauf lehnte er sich wieder ins Polster zurück und heftete sein dunkles Auge mit dem unangenehm forschenden Ausdruck fest aus den sichtlich erstaunten Wolfgang, der für den Augenblick nicht wußte, was er antworten sollte.
„Wenn Sie über die Verhältnisse RabelingS so genan unterrichtet sind," unterbrach er endlich bas eingetretene Schweigen in einem Tone, wie man ihn Besserwissern gegenüber anzuschlagen pflegt, denen man auf den Zahn fühlen will, „so werden Sie jedenfalls auch die eigentliche Quelle seines Vermögens anzugebtn w'ssen, obwohl es mich im Grunde genommen nichts angeht."
Der Gefragte verharrte in seiner zurück- gelehnten Haltung und erwiderte, während er behaglich beide Füße streckte: „Diese Quelle ist eine reiche Verwandle des Rabeling."
„Eine Verwandte seiner Frau," warf Wolfgang wie ergänzend ein.
„Nicht seiner Frau," widersprach der Reisegefährte, den Kopf wiegend, wie in spöttischem Unmute über die schwere Fassungsgabe des Anderen. „Die alte Dam? ist seine eigene leibliche Tante."
Ueber Wolfgang's Antlitz flog eine dunkle Röte. Fast hätte er glauben mögen, der Fremde habe es darauf abgesehen, ihn durch herausfordernde Lügen zu reizen. Er nahm sich jedoch zusammen und entgegnete mit leidlicher Ruhe:
„So viel mir bekannt, sind überhaupt keine Verwandle Rabeling's mehr am Leben."
Dem Anderen aber entging cs keineswegs, daß Wolfgang sich in der Frage erhitzte. Mit einer Ueberlegenheit, als sei er seiner Sache so gewiß, daß rhn jeder Widerspruch kalt lasse, versetzte er:
„Die alte Tante aber ist am Leben, das weiß ich ganz genau; lebt sogar bei Rabeling selbst, und Alles, was er sein nennt, verdankt cr ihr. Freilich weiß die Welt wenig von ihrer Existenz, denn sie thut keinen Schritt aus dem Hause, wenn man diesen Ausdruck überhaupt auf Jemanden anwenden kann, der Lurch ein Lähmung amGebraucheseinerFüße verhindert ist."
(Fortsetzung folgt.)
sModerncs Wundcr.j Er: „Es geschehen heute keine Wunder mehr." — Sie: „Doch, gestern erst hat mir ein Herr im überfüllten Pferdebohnwagen Platz gemacht."
Nedotti«», Lrust n»r Birlog vo» ». t« Nenmbürg.