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HlnterHattender Teil.
Das Rätsel in Marmor.
Original»Novelle von Gustav Höcker.
8^ Fortsetzung)
Sechs Jahre lang, ernster Arbeit gewidmet und durch nichts gehoben und erfreut, als was aus der Arbeit quillt, hatte er Amerika seine neue Heimat genannt, als seine Gesundheitsverhältnisse ihn nötigten, sichzu kurzem Aufenthalte in die alte Heimat zurückzubegeben. In den letzten achtzehn Monaten war er mit zunehmender Heftigkeit von einem körperlichen Leiden heim- gesucht worden, für welches nur die Heilquellen Karlsbads Hoffnung auf Genesung boten. Er durfte die Reise getrost wagen, ohne daß er befürchten mußte, erkannt zu werden. Der strenge Ernst seines Wesens hatte sich seinen Gesichtszügen mitgeteilt; die jugendliche Blüte deS vierundzwanzigjährigcn Freiheitskämpfers war abgesallen und anders, als sonst, spiegelte sich in seinem Antlitz sein vergeistigtes Wesen. Die ehemalige Ueberfülle des Haupt- und Barthaares, die längst schon dem amerikanisch, nüchternen Zuschnitt gewichen war, fiel jetzt vollends unter Scheere und Messer, so daß selbst seine näheren Freunde ihn nicht wiedererkannten.
Wolfgang landete in Havre und nahm den Weg über Paris, wo er sich eines geschäftlichen Auftrags für seine Zeitung zu entledigen hatte, durch Süddeutschland nach Karlsbad. Einmal der alten Heimat so nahe, so konnte er es sich nicht versagen, die Rückreise über Dresden und Leipzig anzutreten. Er wollte in der Residenz seinen Vetter Rabeling aufsuchen, mit dem er einen Briefwechsel unterhalten hatte, bis vor zwei Jahren die Nachrichten von demselben aus- geblieben waren, und nach Leipzig, seiner Vaterstadt. zog ihn das Grab seiner Mutter. Auch einem Friedhofe der Residenz hatte er einen Gang zugedacht. Dort war, wie er gelesen, den Maigefallenen ein Denkmal errichtet worden. Er hoffte die Gräber einiger seiner Mitkämpfer zu finden, die an seiner Stelle gefallen waren und deren Namen er noch treu im Gedächtnisse bewahrte.
Wolfgang langte in später Nachmittagstunde in der sächsischen Residenz an, und da er am gleichen Abende seine Reise fortzusetzen gedachte, so bestieg er am Bahnhofe eine Droschke und ließ sich zunächst nach dem Friedhofe fahren. Hier stieß er auf jenes geheimnisvolle Rätsel, welches ihn, dem Lebenden, sein eigenes Grab und seinen Leichenstein schauen ließ.
„Wohl mag menschliches Irren die Herzen trennen Und für trüglichen Schein kämpft sich der Wandrer ins
Grab.
Doch die Treue harrt aus und blickt hoffend hinüber, Wo vor dem himmlischen Lichte die Binde herabsinkt Und, was entzweit war, zu ewigem Bunde sich eint."
Wolfgang las die Verse immer wieder von Neuem, bis er sie auswendig wußte. Nur Albertine konnte es sein, welche aus diesen Worten sprach. Menschliches Irren und trüglichen Schein nannte die Lieblingstochter des Bureau- kraten auch über des Bräutigams vermeintlichem Grabe noch die politischen Ueberzeugungen, für die er damals eingetreten war; aber das treue Andenken, welches sie ihm bewahrt, bewegte sein Herz tief; sicher war auch der Kranz von ihrer Hand an seinem erst kürzlich verflossenen Geburtstage dargebracht worden. Wolfgang fühlte sich durch diese über das Grab hinaus reichende Treue beschämt; er war ihrer nicht würdig, denn er hatte, in seinem Herzen wenigstens. Albertine längst die Treue gebrochen, noch ehe ihr Vater ihr Verlöbnis mit dem Barrikaden- Helden auflöste.
So sicher Wolfgang über die Urheberschaft dieses Denkmals war, so beschloß er doch, sich darüber völlige Gewißheit zu verschaffen. Der Totengräber den er beim Verlassen des Friedhofs traf und darüber befrug, vermochte keine Auskunft zu geben, aber in einer bescheidenen Ecke des Grabsteins hatte Wolfgang den Namen Kretfchmar gelesen. Jedenfalls war es die Signatur des Bildhauers, der das Denkmal verfertigt hatte. Bon ihm hoffte er die sicherste Auskunft zu
erhalten. Der Totengräber wußte Straße und Haus genau anzugeben, wo sich die Bildhauerwerkstätte befand.
Wolfgang halte nicht weit zu geben, als er an ein kleines Haus mit einem Vorplatze kam. wo rohe Granit- und Marmorblöcke mit fertigen und in der Ausführung begriffenen Monumenten jeden Styls in wirrem Durch- einander standen und rührige Gesellen mit klingenden Schlägen die Meisel in das spröde Gestein trieben. An der Vorderseite des Häuschens war in großen schwarzen, unmittelbar auf die Mauer gemalten Buchstaben zu lesen: „Anfertigung undNiederlagevon Grabdenkmälern. C. G. Kretschmar. Bildhauer." Wolfgang betrat daS Atelier im unteren Stock des Hauses, wo unter einer Masse anderer Figuren das arg verstaubte, über Lebensgröße hinausragende Gypsmodell eines Engels mit segnend vor- gestreckten Händen dcnEintretendengewissermaßen bewillkommnet?. Eine jüngere Frau kam aus einer Glasthüre, welche in die Wohnung des Bildhauers führte und erkundigte sich nach Wolfgangs Wünschen.
„Kann ich Herrn Kretschmar sprechen?" frug dieser.
„Mein Mann ist verreist," gab die Frau zur Antwort.
„Ich wollte mir nur eine neugierige Frage erlauben," sagte Wolfgang. „Ich war Jahre lang abwesend von hier und fand heute bei einem Gange über den Friedhof das Grab eines gewissen Wolfgang Ritter. Der Denkstein ist aus dem Atelier Ihres Herrn Gemahls. Als naher Verwandter des Verstorbenen interessiert es mich, zu wissen, wer der Besteller dieses Denkmals war."
„Wolfgang Ritter war sein Name?"
Wolfgang bejahte.
„Aha! der Maigefallene," sagte die Frau nickend und nahm aus einem mit Gypsspritzern übersäten Schreibpulte ein Geschäftsbuch, um in demselben nachzuschlagen.
„Sie scheinen sich des Falles ganz speziell zu erinnern," äußerte Wolfgang, durch jene Bemerkung aufmerksam gemacht. „Wissen Sie vielleicht Näheres über den Verstorbenen?"
„Es war kurze Zeit nach meiner Verheiratung," versetzte die Gefragte, „vor vier Jahren, als mein Mann an dem Denkstein gerade arbeitete, während ich ihm zusah. Er war nämlich Soldat gewesen und hat 1849 als einberufener Reservist im Straßenkampfe gegen die Freischaaren im Feuer gestanden. Doch berührt Sie dies vielleicht unangenehm, weil der Gefallene ein naher Verwandter von Ihnen war."
„Bitte, fahren Siefort," ermutigte Wolfgang die Bildhauersfrau mit einer verbindlichen Handbewegung. „Ihr Herr Gemahl hat nur seine Pflicht erfüllt. Für mich ist aber Alles, auch das Geringste, von Wichtigkeit, was ich über meinen Verwandten erfahren kann."
„Als der Aufstand bekämpft war," ergriff die Frau wieder das Wort „und die Freischaaren flüchteten» befand sich mein Mann bei einer Patrouille, welche verschiedene Häuser nach Verstecken absuchte. Bon einem Huuse wußte man ganz bestimmt, daß ein Flüchtling dahin seine Zuflucht genommen hatte. Wirklich fand man auch den Gesuchten, aber mit einer Kugel in der Brust. Er war bereits tot."
„Und der tote Flüchtling hieß —"
„Wolfgang Ritter," ergänzte die Frau des Bildhauers. „Mein Mann war zugegen, als man ihn fand und erinnerte sich dieses Namens wieder, als er nach Jahr und Tag den Grabstein für den Gefallenen anfertigre. Es waren noch mehrere Nebenumstände dabei, die ich aber vergessen habe."
„Wann kehrt Ihr Herr Gemahl von seiner Reise zurück?" frug Wolfgang, der gespannt zugehört hatte.
„Er kann morgen kommen; es wäre aber auch möglich, daß er noch einige Tage länger ausbliebe, je nachdem ihn seine Geschäfte aufhalten." entgegnete die Bildhauersfrau. während sie das Bestellungsbuch aufschlug und den Zeigefinger suchend über die Seiten gleiten ließ, bis
derselbe, von Wolfgang aufmerksam verfolgt endlich auf einer bestimmten Stelle haften blieb' Hier ist der Eintrag," bemerkte die Fra» „Als Besteller des Grabsteins befindet sich d^' Name Kammrodt eingeschrieben. Ob es ein Herr oder eine Dame war, ist freilich nicht beigefügt."
Wolfgang neigte befriedigt das Haup,. „Der Name genügt mir vollständig," sagte er bankte der Frau für ihre Bemühungen und verabschiedete sich mit höflichem Gruß.
(Fortsetzung folgt.)
Mutmaßliches Wetter am Dienstag den 26 . April. Während über Skandinavien, sowie über Norddeutschland der bisherige Hochdruck sich behauptet so daß der neue Lustwirbel aus dem atlantischen Ozean' dessen Vorposten in Irland eingetroffen sind, keine wesentlichen Fortschritte in östlicher Richtung machen kann, nimmt der Hochdruck im Golf von Biskaya wieder zu, flacht den an der Riviera aufgetretenen Luftwirbel ab und bringt gleichzeitig die Lufteinsenkungcn in Süddeutschland vollends zur Auflösung. Demgemäß ist für Dienstag und Mittwoch bei fortgesetzt frischer Temperatur teils trockenes und auch zeitweilig auf. heiterndes Wetter zu erwarten.
Telegramme.
Köln, 24. April. Nach einer Meldung der „Kölner Zeitung" haben in Antwerpen mehrere amerikanischen Schiffe die Abfahrt verschoben, weil sie befürchten, von spanischen Kreuzern aufgefangen zu werden. Mehrere spanische Schiffe nahmen in aller Eile dort große Mengen von Steinkohlen an Bord. Die Antwerpener Diamantindustrie, welche bekanntlich einen bedeutenden Absatz nach den Verein, Staaten hat, ist vom Kriege sehr in Mitleidenschaft gezogen, da die Ausfuhr nach Amerika stockt. Die Zahl der unbeschäftigten Diamantschleifer ist dort auf 1500 gestiegen. Man befürchtet. daß noch mehr brotlos werden.
New-Aork, 24. April. Gestern sind die Befehle erteilt worden, in einer Anzahl amerikanischer Häfen Minen zu legen. Die einzelnen Plätze sind nicht bekannt. Die Minen sollen indeß so bewacht werden, daß die Schiffe befreundeter Nationen keinen Gefahren ausgesetzt sind.
New - Aork, 25. April. Eine Depesche des „New-Iork-Herald" aus der Festung Monroe besagt, die Kreuzer Mineapolis und Columbia seien mit dringender Ordre in See gegangen, um dem Dampfer Paris entgegen zu fahren und denselben zu geleiten.
Madrid. 25. April. Der Ministerrat beriet von 11 Uhr vormrtlags bis 2 Uhr. Das Budget wurde genehmigt. — Die Minister besprachen die Telegramme über die Beschlagnahme von Schiffen. Der Regierung liegt eine amtliche Meldung hierüber nicht vor. Man weiß nur, daß der Dampfer „Paris" gezwungen wurde, in einen englischen Hafen zu flüchten.
Madrid. 25. April. Marschall Blanco telegraphiert aus Havanna: die amerikanische Flotte sei, nachdem sie sich Havanna auf 5 Meilen genähert hatte, in nördlicher Richtung verschwunden. General Macias telegraphiert aus Portorico, daß nichts Neues zu berichten sei.
Madrid. Nach Privattelegrammea aus Havanna herrscht unter den dortigen Spaniern fortgesetzt große Begeisterung. Der frühere Jnsurgentensührer Maceo sucht zur Bekämpfung der Amerikaner 3000 Cubaner zu sammeln. Bei einem Gefecht mit den Insurgenten in der Provinz Havanna ist der frühere Führer der Aufständischen gefallen.
Keywest, 25. April. (Reutermeldung) Der spanische Kreuzer Catalina 12 Meilen von Havanna ist von dem amerikanischen Stahl' kreuzer Detroit aufgebracht und nach hier b-' bracht worden.
Keywest. 24. April. Das amerikanische Kanonenboot „Helena" brachte heute früh den Dampfer „Miquel Jover" auf, der mit Baumwolle und Getreide von New Jork nach Barcelona unterwegs war, und schleppte ihn in den Hase ein. Der „Miquel Jover" ist ein Dampfer von etwa 2000 t. .
Redaktion» Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.