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Unterhaltender Teil.
Das Rätsel in Marmor.
Original-Novelle von Gustav Höcker.
(6. Fortsetzung)
Jemehr Wolfgang das Alleinsein mit seiner Braut mied, um so sehnlicher wünschte er die Gelegenheit herbei, mit Friederiken ohne Zeugen zusammen zu treffen. Er schrieb es der Ungunst des Zufalls zu, daß ihm dies nicht gelingen wollte; als er sie aber endlich einmal im Garten allein antraf, während Albertive nicht zu Hause war, kam er auf die Vermutung, daß sie ihm bisher geflissentlich ausgewichen war, denn sie machte Miene, ihm zu entschlüpfen.
„Bitte, bleiben Sie, Fräulein Friederike!" redete er sie an. „Ich stehe noch tief in Ihrer Schuld. Erst jetzt kann ich Ihnen danken für die thatkräftige Hilfe, die Sie meiner Mutter geleistet haben; ich thue es zugleich in ihrem Namen."
Er drückte sanft ihre Hand, die sich ihm nur schüchtern darbot. Ach, wie schwer fiel es ihm, diese Hand wieder frei zu geben, und dennoch übertraf sie an Weiße und Schönheit nicht die Hand der Schwester.
„Aus Albertine's Briefen mußte ich leider ersehen," antwortete Friederike, „daß sich der Gesundheitszustand Ihrer Frau Mutter seit jenem Unfälle nur wenig gebessert hat."
„So halten Sie also bereits aus den schriftlichen Mitteilungen Ihrer Schwester die kranke Dame wiedererkannt, der Sie sich hilfreich annahmen?"
„Schon während Ihres ersten Hierseins erwähnt Albertine Ihrer in einem Briefe. Was Sie ihr über ihre Aehnlichkeit mit einer Fremden gesagt hatten, die Ihrer Frau Mutter einen unbedeutenden Dienst erwies, sowie Ort und Tag, wo dies geschehen war, ließ über Ihre Persönlichkeit für mich keinen Zweifel zu."
„Dann freilich waren Sie auf unser Wiedersehen mehr gefaßt, als ich," versetzte Wolfgang.
„Doch ging ich diesem Wiedersehen nicht ohne Besorgnis entgegen; eS konnte nur die betrübende Rückerinnerung an eine schwere Stunde in Ihnen wecken."
„Im Gegenteil," rief Wolfgang warm, „Sie verklärten diese schwere Stunde, Fräulein Friederike! Wenn das Schicksal nicht umhin kann, uns harte Prüfungen zuzuschicken, so ist es mitunter schonend genug, Engel zu seinen Sendboten zu machen."
„Sie sagen mir Artigkeiten," versetzte Friederike, „auf welche eigentlich meine Schwester Anspruch hat."
„Weil sie meine Braut ist?" frug Wolfgang. „Für dieses Glück, wenn es ein solches ist, dürfte sie sich fast bei Ihnen bedanken."
„Bei mir?" rief Friederike.
„Ja! Ich suchte vergebens nach jenem Engel — und fand einen Menschen, der ihm äußerlich glich. Das ist in kurzen Worten die Geschichte meiner Verlobung mit Albertine."
Er hatte die letzteren Worte in herbem Tone gesagt. Friederike sah ihn mit ihren dunklen Augen groß und verwundert an, es blieb dahingestellt, ob über den Freimut, womit er cs bekannte, oder über das Geheimnis, welches er damit verriet. Wolfgang fürchtete» zugleich ihr schwesterliches Gefühl verletzt zu haben. Er suchte daher dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, indem er das eingetretene Schweigen unterbrach: „Engel können Wunder verrichten; sie haben Flügel und können am gleichen Tage an zwei Orten sein; sie können eine Geburtstagsgratulation schreiben und fünfzig Meilen davon einer hilfsbedürftigen Dame betspringen. Auch haben Engel Geheimnisse."
„Allerdings!" sagte Friederike in einem so bestimmten Tone, als wäre sie durchaus nicht geneigt, jene stumme Bitte ihrer Augen nach träglich zu rechtfertigen. Das erhöhte eine gewisse Unruhe, die Wolfgang über den Anlaß jener geheimen Anwesenheit in Leipzig empfand, nur noch mehr, und machte ihn um so begieriger, dem Geheimnisse auf den Grund zu kommen."
„Freilich kann ich mir denken," nahm er
wieder das Wort, „daß man einen Brief voraus- datieren und Jemanden beauftragen kann, ihn an einem bestimmten Tage zur Post zu geben. Dann mag man getrost auf die Reise gehen und die Seinigen darauf schwören lassen, daß man an jenem Tage unmöglich in Leipzig gewesen sein könne."
„Sie haben das Wunder vollständig ergründet," sagte Friederike mit ruhigem Lächeln, und sehen also, daß es mit irdischen Mitteln vollbracht wurde. Hoffentlich werden Sie mich nun wieder unter die Sterblichen versetzen."
„Ganz wie Sie wollen. Aber der Magnet, welcher Sie in meine Heimatsstadt zog, ist für mich noch immer gleich tief verborgen, wie für die Ihrigen, und dennoch will mich ein gewisses Gefühl glauben machen, als besäße ich Anrecht auf Ihr Vertrauen."
„Ich kann Ihnen ein solches Anrecht nicht einräumen."
„Haben Sie dieses Anrecht etwa schon an einen Glücklicheren vergeben, als ich bin?" frug Wolfgang gereizt. „Ziehe ich in Betracht, daß davon in Ihrer Familie bis jetzt noch nichts verlautete, so fange ich an, Ihr Geheimnis zu durchschauen."
Ein dunkles Rot flog über Friedcrikens Gesicht, aber sie verharrte in Schweigen.
„Man kann auch in Herzensangelegenheiten reisen," fuhr Wolfgang fort, der sie zur Sprache reizen wollte. „Und das Herz ist pünktlich auf Tag und Stunde."
Friederikens Blick brannte in Wolfgangs Seele, als beobachte sie den Sturm, der sich darin zu regen begann.
„Soll das ein Tadel sein?" frug sie ruhig.
„Ich tadle nicht, ich klage nur. Verzeihen Sie. wenn die Klage den bitteren Ton des Tadels annahm. Was geben Sie mir zur Antwort?"
„Nichts!"
„Sie fühlen sich nicht berechtigt, meine Vermutung zu entkräftigen?"
„Nein!"
„Diese Lösung des Rätsels wäre die schmerzlichste, die es sür mich geben könnte!" rief Wolfgang.
„Aber sie wird Ihnen frommen!" antwortete Friederike und wandte sich, mit der Hand grüßend, dem Hause zu.
Wolfgang fühlte die ganze Schwere der erlittenen Niederlage. Das Weib, das alle Eigenschaften in sich vereint hätte, ihn zum glücklichsten Manne zu machen» erwiderte seine Liebe nicht. Sie hatte schon ihre Wahl getroffen, wo er noch frei war. Sie hätte ihm das vernichtende Nein! zurufeu müssen, auch wenn Albertine noch nicht seinen Ring am Finger getragen hätte. Und jetzt, wo Friederike ihm versagt war — selbst wenn er alle Hindernisse mit Titanenkraft aus dem Wege zu wälzen vermocht hätte — versagt durch ihren eigenen Willen, durch ihre Liebe zu einem Anderen, jetzt wuchs seine Liebe zu ihr bis zur Leidenschaft an, und in der Zerrissenheit seines Herzens ließ er sich mehr und mehr von dem politischen Strudel anziehen, der die Residenz in taumelnde Bewegung versetzte.
Schwärzer und schwärzer türmten sich die Wetterwolken am politischen Horizonte des Landes und der Residenz übereinander. Schon war ein starker Menschenhaufen nach dem Justizministerium gezogen, um die Anerkennung der deutschen Reichsverfassung zu fordern, und die Nachricht, daß die der Volkssache geneigten Minister aus ihren Aemtern geschieden seien, steigerte nur die Aufregung. Während Gerüchte vom Einrücken fremder Truppen von Mund zu Mund flogen, mehrten sich in den Straßen die bärtigen Gesichter mit Schlapphut und blutroter Feder, denen sich Kommunalgardisten und bewaffnete Turner anschlossen. Eines Nachmittags dröhnte ein Kanonenschuß durch die Luft; das erste Blut war geflossen. Man hatte einen Sturm auf das Zeughaus unternommen, ohne dasselbe der Militärmacht entreißen zu können. Der eherne Ton der Glocken, der sonst die Bewohner zum Dienste des Ewigen in die Gotteshäuser lud, erhob sich zum Sturmgeläute,
um die aufgeregten Massen zum offenen Aufruhr zusammenzurufen.
Wie im Toben der entfesselten Natur, clemente die gequälte Menschenbrust aufjauchu so weidete sich Wolfgang an dem wild eul'. brannten Kampfe, der das Unterste zu oberst kehrte und vortrefflich zu dem Zustande skW zerrissenen Herzens paßte.
(Fortsetzung folgt.)
Haigerloch, 17. April. Eine heuti Nachmittag im Gasthaus zum Hirsch hier abge. halten? seltene Festlichkeit nahm ein tragiM Ende. Fünf achtzigjährige Männer Drechsler Josef Keßler. Fidel Schalter, IM Hohenemser von hier, Joses Huber von Weildors und Konstantin Münzer von Gruol hatten sich zusammengefunden um ihren 80sten Geburtstag festlich zu begehen. Freunde, Verwandte und Bekannte hatten sich in großer Zahl eingesunden, so daß man den Hirsch bis auf den letzten Platz gefüllt fand. Die Stimmung war im ganzen Saale eine sehr gehobene. Reden, Toaste und vielstimmige Lieder wechselten miteinander ab. Ein Redner wies darauf hin, wie schön cs sei, ein so hohes Alter zu erreichen und dabei noch so rüstig und gesund zu sein. Da erhob sich einer der Achtziger, der alte Schaller — ein landbekannter Witzbold — und sprach: Meinetwegen, ihr könnt lange sagen, achtzig sei ein schönes Alter, mir wär's doch lieber, ich wäre erst 50! sprachs und setzte sich unter großem Beifall. Und gerade auf diesen schnurrigen Alten lauerte der Sensenmann schon vor der Thüre. Kaum hatte er das Wirtshaus verlassen, so schwanden in ihm die Lebenskräfte, erstarb in den Armen der Seinen, noch ehe er seine Wohnung erreicht hatte. Das rasche Ende hatte wohl ein Herzschlag infolge der Aufregung herbeigeführt.
Dr. Volke ding, welcher am 27 Febr. ein Jahr der über ihn verhängten vierjährigen Gefängnisstrafe in Darendorf bei Düsseldors verbüßt hatte — so berichtet die Zeitschrift sür Homöopathie von dem bekannten Kurpfuscher - war auf Antrag seines Verteidigers der psychiatrischen Anstalt in Grafenberg überwiesen worden, um auf seinen Geisteszustand beobachtet zu werden, doch hat das Oberlandesgericht in Köln nach den stattgehabten Erhebungen die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt und Dr. B. ist wieder nach Darendors gebracht worden. Dort hat man bald darauf einen Aufseher, der ihm heimlich Speisen zugestellt hatte, entlassen.
Daß der bekannte Berliner Schusterjungen-Witz noch nicht ausgestorben ist, dafür einen kleinen Beleg. In den neuen Straßenteilen und Vororten Berlins haben die Häuser meist einen kleinen Vorgarten. Natürlich ist der „Fleck Landes" nicht groß und außerdem durch die Eingänge zum Hause und zu dem Laden in kleine Streifen geteilt. Als ich nun kürzlich in einem solchen Miniaturgärtchen von der Größe einer mäßigen Stube beschäftigt war, Frühjahrstoilette zu machen, kam so ein kleiner Drei-Käsehoch vorbei und sah mir eine Weile aufmerksam zu. Plötzlich sagte er mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt: „Sie, lieber Herr, verloofen Se sich nich' in Ihre« Park!" Sprachs und schlug sich seitwärts in die Büsche.
sSicheres Kennzeichen.) Rechtsanwalt: „Also, — um Ihrem verschwundenen Gatten auf die Spur zu kommen, ist vor Allem eine genaue Beschreibung nötig; — hat er vielleicht ein besonderes Kennzeichen?" Frau: „3«' wohl — er hat 'n Bandwurm!"
sEin neues Amt.) Theaterdireklor: „3ch kann keinen Schauspieler engagieren, mein lieber, ich gebe ja nur Pantomimen!" — Schauspieler: „Könnten Sie mich denn nicht wenigstens dabei als Souffleur verwenden, Herr Direktor?
Pünktlichkeit ist eine Zier Doch später kommt man ohne ihr.
««dÄtto», ,»h v«rl,g oo« S. t»