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AlnterHattender Heil.
Herzens-Adel.
Von R. B e Y e r.
(Fortsetzung)
Eine geraume Weile blieb der Patient allein.
So fand er denn Zeit und Muße, am Hellen Tage seine Umgebung in näheren Augenschein zu nehmen; Reichtum, Prunk und Luxus machten sich an dieser Stätte nicht breit, und dennoch, wie traulich und anmutend wirkte hier das Schlichte. Einfache in der Ausstattung durch den Reiz, den ihm Ordnungssinn und eine edle Geschmacksrichtung verliehen hatten.
Seine ganz besondere Aufmerksamkeit jedoch fesselte ein kleiner verhüllter Rahmen, der über dem Bett an der sonst leeren Wand hing.
Wessen Bild mochte es sein, über das sich der weiße Schleier neidisch herabsenkte?
Es mußte hier irgend ein besonderer Umstand obwalten, der ein derartiges Arrangement rechtfertigte» und dem Kranken erging es fast wie jenem Jüngling, der im Tempel zu Sais vor dem verhüllten Bilde der Gottheit stand, mit dem unwiderstehlichen Drang in der Seele, den Schleier zu heben.
Auch dem Patienten setzte die Versuchung, es zu thun, heftig zu, und nur die Scheu vor dem Mißbrauch des in ihn gesetzten Vertrauens, war mächtig genug, mit der Neugierde auch seine Hand niederzuzwingen, die er wiederholt zur Lüftung des Schleiers ausstreckte.
Olga's Eintritt machte seinem Grübeln und Kämpfen ein Ende. Ein fast glückliches Lächeln umschwebte ihren Mund, als sie auf das Lager zutrat und den Patienten zu der Aussicht auf seine baldige Genesung beglückwünschte.
Sie nahm ihren alten Platz wieder ein und richtete an den Kranken die Frage, ob sie ihm zur Abkürzung der Zeit etwas vorlesen dürfe.
Der Blick, mit dem jetzt der alte Herr seine liebliche Pflegerin einen Moment lang ansah, schien ihr in's Tiefste der Seele dringen zu wollen.
„Mein Fräulein!" sagte er dann, ihre Hand ergreifend. „Ihr gütiges Anerbieten fordert meine größte Dankbarkeit heraus. Sie wollen es aber nicht unbescheiden nennen, wenn ich so frei bin, die Wahl der Lektüre für mich in Anspruch zu nehmen."
„Durchaus nicht, mein Herr," antwortete Olga mit sanftem Lächeln. „Also, bitte!" —
„Wenn ich es offen bekennen muß, so ist gegenwärtig mein Sinn einzig und allein auf den Inhalt jener Blätter gerichtet, die das Schicksal beschrieben in das Tagebuch Ihres Lebens einfügte."
Olga senkte den Blick und ein Seufzer zitterte von ihren Lippen.
„Ihre edlen Züge," fuhr der alte Herr nach kurzem Schweigen fort, „spiegeln deutlich ab einen geheimen Kummer, der an Ihrem Herzen nagt, und Seelenstürme, die vielleicht schon zum Teil vorübergebraust sind, haben in Ihrem Blick, mein Fräulein, sowie in'den Linien Ihres Mundes sichtbare Spuren zurückgelassen. Wollen Sie also mir Ihr gütiges Vertrauen schenken und mir Ihre Lebens- und Leidensgeschichte erzählen? Sie dürfen überzeugt sein, daß -diese meine Bitte nicht müssiger Neu- gierde entspringt."
Diese Worte, aus warmem Herzen kommend, fanden auch einen Weg zum Herzen der jungen Dame. Es lag außerdem im Blick, in den Zügen, wie überhaupt in dem ganzen Wesen des Fremden etwas, was sie ungemein sympathisch berührte, ihr volles Vertrauen gefangen nahm. Sie entsprach nunmehr dem Wunsch des Kranken, indem sie in ihrer einfachen schlichten Weise zu erzählen begann:
„Sechszehn Jahre war ich alt, als mein Vater starb, und schon nach dreizehn Monaten folgte ihm die Mutter in die Ewigkeit. Der Kampf um's Dasein, wenn einstweilen auch nur in e,ner milden Art, nahm nun seinen Anfang. Durch gütige Vermittelung von einflußreicher Seite, kam ich in das Haus einer Geheimrats- Witwe, die sich meiner gesellschaftlichen Vereinsamung wohlwollend annahm und» in der
uneigennützigsten Weise für mein Bestes sorgend, eine mütterliche Hüterin meiner jugendlichen llnerfahrenheil wurde. Die reichen Schätze des Geistes und Herzens, durch die sich meine edle Wohlthäterin auszeichnete, wurden für mich zum lebendigen Bildungsmittel, das mich zu jener Stufe sittlicher Kraft emporsührte, die mir später von Nöten war, um den an mich herantretenden Kampf mit feindlichen Elementen siegreich bestehen zu können."
Die Dame hielt inne, sie schien ihre Gedanken auf einem Punkt zu konzentrieren, wohin auch alle ihre Empfindungen strömten.
Dem Scharfblick des alten Herrn konnten die mächtigen Wallungen ihres Innern nicht entgehen, die sich besonders in dem jähen Farben- Wechsel auf ihren Wangen äußerten. „Bitte mein Fräulein, fahren Siefort." sagte er. „und halten Sie sich versichert, daß Sie Ihre Mitteilungen in ein Menschenherz niederlegen, dem geschenktes Vertrauen heilig ist. Mein Ehrenwort darauf, daß Sie nie Ursache finden werden, es zu bereuen, mich zum Mitwisser Ihres Kummers gemacht zu haben."
Olga drückte ihr Taschentuch an die Augen, unter deren gesenkten Wimpern sich große Thränen hervordrängten. „Seltsame Umstände waren es, unter welchen wir, die Geheimrätin und ich, die Bekanntschaft eines jungen Herrn machten," erzählte sie weiter. Er hatte Gelegenheit gefunden, in einem für uns kritischen Augenblick helfend einzuspringen, wobei die Art und Weise der Bethätigung seines ritterlichen Sinnes den denkbar günstigsten Eindruck auf uns hcrvorrief. Gleichzeitig verstand es der Fremde mit seinem artigen und bescheidenen Wesen, sowie mit seinen überaus gefälligen Umgangsformen, uns schon in den ersten Augenblicken unserer Bekanntschaft einen hohen Grad von Achtung für seine Person einzuflößen. Bereits am nächsten Tage erhielt ich von ihm ein Schreiben, darin er mich unter schlichter Darlegung seiner Verhältnisse um ehrenhafte Annäherung bat. Ich zeigte den Brief meiner Herrin, die, für den jungen Mann entschieden eingenommen, durch ihren freundlichen Zuspruch meiner Willensmeinung jene Richtung gab, die den Absichten des Schreibers nicht zuwider lief.
„Der auch durch äußere Vorzüge hoch ausgezeichnete junge Mann war ein angehender Baumeister, der behufs Vollendung seiner theoretisch-praktischen Studien sich in der Hauptstadt aufhielt. Er war ein Rheinländer und Sohn eines Landpfarrers, halte aber seine Eltern auch bereits verloren. Da er die Glaub- Würdigkeit aller auf seine persönlichen Verhältnisse bezüglichen Angaben durch Urkunden und Briefschaften zu beweisen in der Lage war. so fanden weder die Geheimrätin, noch ich Ursache, seinen Worten Mißtrauen entgegenzubringen.
„Acht Wochen nach unserer ersten Begegnung war ich seine verlobte Braut! Bald darauf begleitete ich meine Herrin hierher, da sie von der würzigen Wald- und Bergluft dieser Gegend eine Linderung ihres Brust-Uebels erhoffte, an dem sie damals schon hochgradig litt. Bereits ihr Gatte hatte diese Villa zum zeitweiligen Sommer-Aufenthalt angekauft, und so bezogen wir denn dieselbe, sie, meine mütterliche Wohl- thäterin, leider nur für kurze Zeit, denn schon zehn Wochen nach unserer Ankunft, nahm sie der unerbittliche Tod von meiner Seite hinweg.
„Bei der Eröffnung ihres Testaments, zu der auch ich geladen wurde, erfuhr ich, daß sie mir diese Villa nebst allem Zubehör vermacht hatte, dadurch ihre mir stets bewiesene Güte in der hochherzigsten Weise krönend."
„Und Ihr Verlobter, Fräulein?" fragte der Kranke, der sehr wohl ahnte, daß er den Hauptinhalt ihrer Erlebnisse noch nicht vernommen habe.
„Zu Lebzeiten der Frau Geheimrätin besuchte uns Herr Buchwald, so hieß nämlich mein Verlobter," schaltete Olga errötend ein, „anfangs wöchentlich ein- bis zweimal, später seltener. Er teilte uns dabei wiederholt seine Absicht mit, sich durch Ankauf eines Bau-Etablissements selbständig zu machen, was in nächster Zeit ge- schehen sollte. (Fortsetzung folgt.)
Stuttgart, 7. Sept. (Auch ein Jubiläum.) Bei einem hiesigen Werkmeister bat gestern ein Maurer für heute um Urlaub. Als Grund gab er an. eS seien heute 40 Jahre, daß er an einem Neubau 3 Stock hoch herab, gestürzt sei, ohne Schaden zu nehmen. Diesen glücklichen Jubiläumssturztag pflege er zu feiern!
(Eine Riesendame.) Zum größten Amu- sement der Passagiere, welche dem Zuge, der lO Uhr morgens von Oreil in Paris eintrifft, entstiegen, stieg aus einem Gepäckwagen eine prächtige Negerin, deren kolossaler Umfang es ihr nicht gestattete, in einem gewöhnlichen Coups Platz zu nehmen. Sie reist unter dem Namen einer Prinzessin Campbell de Toronto und hat ein Gewicht von 236 Kilo. Ihre Arme haben einen Umfang von 75 Centimeter, die Brust einen solchen von 2 Meter 10 Zentimeter und mißt die Taille I Meter 80 Centimeter. Die Prinzessin, welche eine wunderschöne schwarze Hautfarbe hat. zählt 32 Lenze, «sie erhielt auf der Weltausstellung in Chicago beim Schönheitswettbewerb der farbigen Rasse den ersten Preis.
(Neues Wort) Freundin: „Wenn Dein Mann dir den neuen Sommerhut nicht kaufen will, mußt du einfach in Ohnmacht fallen!" — Ehefrau: „Das that ich auch, aber gegen den Barbaren tun ich rein o h n m a ch t s l o s!"
(Ländliche Kritik.) Hiesl (nachdem er eine Weile einem sehr modernen Maler zugesehen, für sich): „'s is allweil no' besser, ma' thuat so was, als wenn ma' was anstellt!"
Nach Rud. Falb dürften um den 9. ds. bereits die Wirkungen des kritischen Termins vom 11. (II. Ordnung) merkbar werden. Vom 12. bis 16. Sept. erwartet er trockenes und sehr kühles Wetter, stellenweise Reif, vom 17. bis 22. milderes, regnerisches Wetter, gefolgt von Dchneefällen im Hochgebirge, darauf Tem- peratursall- — Die Vorhersagung Falbs, daß anfangs September bei verhältnismäßig tiefen Temperaturen, regnerisches, windiges, ja zum Teil stürmisches Wetter bestehe, ist diesmal leider voll und ganz eiagetroffen.
Auflösung der Aufgabe in Nr. 14-1.
19 X 59 - 1121 7 X 97 — 679 1800
Richtig gelöst von Emilie Müller, Neuenbürg; L. Seyfried, Calmbach; Maria Toussaint, Wildbad; Ernst Bertsch, Arnbach; Anwalt Dittus, Obernhausen; Michael Oelschläger, Oberlengenhardt; Rosa Schaible, Dennach.
Telegramme.
Wien, 10. Sept. Kaiser Franz Josef ist heute mit großem militärischen Gefolge zu den Korpsmanövern nach Totis abgereist. Kaiser Wilhelm wird am Vormittag des 12. Sept. in Totis eintreffen. Am selben Nachmittag werden noch der besonders geladene Chef des russischen Generalstabcs, General Obrutschew, sowie die Militärattaches ankommen.
Newcastle (Colorado), 1. Sept. Ein Personenzug der Denver- und Rio Grande- Eisenbahn stieß gestern mit einem Viehzuge zusammen. Dabei gerieten mehrere Wagen des Personenzuges in Brand. Man befürchtet, daß 40 Personen ums Leben gekommen sind.
Sidney (Ausstralien), 10. September. Die hiesigen Blätter bezeichnen die heurige Getreideernte als ausgezeichnet und schätzen den zu erwartenden Ertrag auf 11600 000 Büschels, wovon 2 500000 Büschels zur Ausfuhr gelangen dürften.
Briefkasten d. Red. Nach rk. Die gesandte Mit- teilung bietet doch zu wenig allgemeines Interesse für die Leser des diesseitigen Bezirksblatts. Warum soll auch das erwähnte Vorgehen eines Einzelnen am dortigen Platze gerade durch unser Blatt veröffentlicht werden, wo doch dort 3 Blätter sind. Interessant ist an der Sache allerdings, daß das alte Wort „Wer Andem eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" sich gerade an dem betr. Herrn Organisator bewährt hat. Im Uebrigen wollen wir für diesmal von der Ausnahme Ihrer Notiz absehen, bitten aber um Ihre fernere Mitarbeit.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.