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ertönte, entfuhr unwillkürlich ein bedauerliches: „Schon!?" Ellas Lippen.
„Ich fahre ebenfalls nach D. sagte Herr Brände! etwas unsicher; „dürfte ich mir vielleicht erlauben, in demselben Abteil —"
„Ach, wie hübsch", rief Ella fröhlich, „da können wir weiter plaudern. Es ist so langweilig. mit lauter fremden Menschen zu fahren." Daß Erwin Brändel ihr noch vor einer halben Stunde ebenfalls ein vollkommen Fremder war, kam ihr dabei nicht in den Sinn."
Und sie plauderten lustig weiter im Abteil. Er schilderte ihr mit einem Humor, den er bisher nicht an sich gekannt, sein Entsetzen, als ihm statt seines Violinkastens aus dem geöffneten Koffer die glitzerndeRosenwolke entgegengeleuchtet hatte und sie schauderte noch in der Erinnerung drollig zusammen, als sie von dem gespenster- haften,Klageion sprach, welcher auf ihren zornigen Fußstoß gefolgt war. Aber sein Vorwitz mit den goldenen Schuhen und den ihrigen mit den gewaschenen Handschuhen und der Briefüberschrift verschwiegen sie sorgfältig.
Ob cs wohl das drückende Gefühl dieser verheimlichten Schuld war. was die beiden plötzlich so still und sinnend werden ließ — und immer stiller und sinnender, je mehr sie sich dem Ziel ihrer Fahrt näherten? Herr Erwin Brändel staüd plötzlich wieder völlig im Bann seiner angeborenen Schüchternheit und über Ellas lustige Lippen glitt leise ein weh wütiger Seufzer.
„D.!" rief der Schaffner in den Abteil. — „Aussteigen!"
„Sie stiegen aus, jedes nach einem passenden Abschiedswort suchend und keins findend.
„Ach. Papachen, wie lieb von Dir, daß Du hier bist!" rief Ella plötzlich fröhlich, auf einen älteren, stattlichen Herrn zueilend. Und dann sah sich Erwin Brändel dem Herrn Oekonomie- rat Bahlsen, welcher eine Stunde von D. ein Gut besaß, vorgsstellt, und Ella weihte den Papa natürlich sofort in den tragischen Vertausch der Koffer ein. Der Oekonomterat, ein sehr lustiger Herr, lachte von Herzen über Ellas drollige Schilderung, meinte aber, das ließe sich besser drinnen im Wartesaal bei einem Glas Warmen erzählen. Man begab sich gemeinschaftlich hinein, und als man sich nach etwa einer halben Stunde fröhlichen Beisammenseins trennte, lud Herr Bahlsen Herrn Erwin Brändel sehr freundlich zu einem Besuch auf sein Gut ein, und als auch Ella auf seinen fragenden Blick errötend ein leises: „Wir wollen uns sehr freuen" — hören ließ, sagte Erwin Brändel mit einer Freudigkeit und Bestimmtheit zu, welche Papa Bahlsen, dem alles geschraubte, umständliche Wesen ein Gräuel war, überaus nett fand.
Und Herr Erwin machte von der Einladung einen sehr baldigen Gebrauch. Er hatte in der musikalischen Aufführung mitgewirkt, sein Spiel hatte Aussehen erregt, der Herzog war entzückt gewesen. Er trug seine Ernennung zum Kammer musikus und ersten Violinisten der B.'schen Hoskopelle in der Tasche, seine Zukunft war gesichert.
Das alles erzählte Erwin Brändel dem Herrn Oekonomierat Bahlsen, nachdem er beim Willkommen in dem tiefen Erröten und dem glücklich aufleuchtenden Blick Ellas die beseligende Antwort auf die Frage, welche ihm in der letzten Woche nicht aus dem Herzen gekommen war, gelesen halte. Und dann, als der Oekonomierat der Erzählung ein beglückwünschendes „freut mich, freut mich ganz außerordentlich!" entgegengesetzt hatte, fügte der junge Künstler noch die Frage hinzu, ob ein braver Mann mit solch einer, wenn auch noch bescheidenen Stellung es wagen dürfe, um die Hand seiner Tochter zu werben.
Der Oekonomierat starrte ihn mit offenem Munde an. Diese Nonchalance war denn doch fast zu groß! Und ein Musikant — ein Künstler, ein Mensch, welcher vom praktischen Leben so wenig Ahnung hatte, daß er, im Stande wäre, bei einer Feldbestellung Gries und Graupen zu säen.
„Nein, Madel, das ist kein Schwiegersohn für mich!" rief er seinem Töchterchcn zu, als
das letztere verlegen mit irgend einer Frage in diesem kritischen Augenblick ins Zimmer trat.
Aber Erwin Brändel suchte den erregten Vater zu überzeugen, daß er als Sohn eines Landpfarrers doch nicht in so hchrrsträubender Unkenntnis des zumMenschendascin-Notwendigsten aufgewachsen sei und Ella wußte so schmeichelnd und kosend die weichen Arme um des gestrengen Papas Hals zu schlingen und so beweglich darzustellen, daß es um ihr Dasein überhaupt geschehen sei, wenn er seine Einwilligung versage, daß der Oekonomierat schließlich mit einem ergebungsvollen: „Nun, denn, in Gottes Namen — nehmt Euch!" ihre Hände in einander legte.
Und als dann Erwin Brändel einen jubelnden Brief an seine Mutter geschrieben und Ella ein paar zitternde, glückliche Worte hinzu» gefügt hatte, tauschten sie auch noch das letzte Geständnis ihrer beiderseitigen vorwitzigen Kofferuntersuchungen aus und das, womit sie sich alsdann diese gegenseitige Schuld verziehen, war auch wieder nur ein Austauschen, das süßeste, beseligendste von allen.
(Bauernregel für September.) Ist Aegidi (1) ein Heller Tag, ich dir schönen Herbst ansag. — So wie an St. Aegidius, das Wetter vier Wochen bleiben muß. — Wie sich's Wetter um Mariä Geburt (18 ) thut verholten, so soll sich's weiter vier Wochen gestalten. — Matthäiwetler (21.) hell und klar, brirgt guten Wein im nächsten Jahr. — Nach vielen starken Scptewber- gewittern wird man im Hornung vor Schnee und Kälte zittern. — Gewitter im September deuten auf Schnee im Februar und auch auf ein gutes Kornjahr. — Am Semptemberregen ist dem Bauer und Winzer gelegen. — Sep- temberregen kommt den Saaten und Reben gelegen. — Blühen die Rosen noch spät im Garten, kann man auf einen gelinden Winter warten. — Halten die Vögel lange bei uns aus, so ist auch das warme Wetter lange noch nicht aus. — St. Michaeliswein (29.) — Herrenwcin; St. Galluswein (16. Okt.) — Bauernwein. — Wenn Matthäus (21.) weint statt lacht, er statt Wein dann Essig macht. — Mariä Geburt ziehn die Schwalben furt. — Zu Michaelis Nord und Ost bedeuten starken Winterfrost. — Soviel Reif und Schnee vor Michaelis, soviel auch nach Walpurgis. — Wie der März war. wird der September, und wie der Juni der Dezember.
(„Recht freundlich, meine Damen!") Man schreibt der „Frkf. Ztg." aus Betzdorf: Der hies. Gesangverein beging das Fest seiner Fahnen- weihe in der üblichen Weise Auch 12 Ehren- jungfrauen wirkten hierbei mit und zur Er inncrung an den denkwürdigen Tag wollten sich die reichgeschmückten Schönen photographieren lassen. Auf einem hohen Podium nehmen sie Platz, der Photograph arrangiert die Gruppe wirkungsvoll: „Recht freundlich meine Damen, jetzt gehts los!" Mit fürchterlichem Krachen brachen die Bretter des Podiums durch und Beine, Arme, Köpfe, weiße Kleider und bunte Unterröcke bildeten ein wüstes Chaos. Zum Glück blieben alle Knochen heil und nur verschiedene Schrammen und Beulen sind den Beteiligten als Erinnerung an die verkrachte Aufnahme geblieben.
(Zur Warnung!) Die Zeit der Reife der Nachlschattenbeeren hat jetzt begonnen. Es seien daher alle Eltern und sonstigen Personen, denen die Beaufsichtigung von Kindern obliegt, dringend ermahnt, bei Spaziergängen u. s. w. ein wachsames Auge darauf zu haben, daß die Kinder nicht die furchtbar gefährlichen Giftbeeren pflücken und essen. In Gärten, auf Schutthaufen, an Wegen und Hecken, überall findet man den unfern so nützlichen Kartoffeln aufs engste verwandten, tief dunkelgrünen schwarzen Nachtschatten in großen Mengen wachsen. Die Pflanze fällt den Kindern durch ihre den Heidelbeeren ähnlichen Beeren in die Augen, und diese werden von ihnen leicht auch für eßbar gehalten. Es genügt aber schon der
Genuß von 10 bis 15 solcher Beeren, um den Tod herbeizusühren. Man sollte daher aufs eindringlichste den schwarzen Nachtschatten soviel wie irgend möglich vertilgen, vor allem jedoch die Kinder vor dem Genuß seiner verlockenden heimtückltchen Giftbeeren warnen und streng behüten.
Die Apfelernte wird im allgemeinen nicht gut in Deutschland und damit wiA dbs Schreckgespenst der deutschen Apfclzüchter, "das von Jahr zu Jahr an Umfang zunimmt, die amerikanische Konkurrenz abermals näher gerückt, denn bei steigender Nachfrage steigt naturgemäß auch die Einfuhr; sind aber die Absatzkanäle erst einmal erschlossen, so sind sie selbst bei guter Ernte schwer wieder zu schließen. „Amerika produziert billiger wie Deutschland", heißt es dann wohl, — richtiger wäre: „Amerika produziert praktischer wie wir." In der neuesten Nummer des praktischen Ratgeber im Obst- und Gartenbau setzt ein deutscher Landsmann, Herr Richter, seine hochinteressanten Mitteilungen über amerikanischen Obstbau fort, speziell schildert er diesmal den Apfelbau auf den Inseln des Sees Champlain, von wo die Aepfel durch den Champlain-Kanal zum Hudson und auf diesem Wege nach New Jork geschafft werden. Hier hat man endlich den leidigen Sorlcnwirrwar überwunden und sich auf den Anbau einiger weniger guten Aepfel- u. Birn- sortcn verlegt. Wir können das Studium dieser hochinteressanten Aufsätze nur allen Obstzüchtern auf das dringendste empfehlen; die neueste Nummer des praktischen Ratgebers wird gern umsonst zugeschickl von der Kgl. Hofbuchdruckerei Trowitzsch u. Sohn in Frankfurt a. O.
(Sie hat ihre Gründe) Lucie: „Du willst also den jungen Fischer nicht heiraten?" — Adele: „Nein." — Lucie: „Und warum nicht?" — Adele: Mama mag seine Familie nicht, Papa hält nicht viel von seinem Charakter, mir sagen seine Umgangssormen nicht zu . . . und dann, will ich Dir sagen, hat er noch nicht um mich angehallen."
(Kaserneuhofblüte.) .:
Grenadier Knutschte, wenn Adam und Eva nicht schon den Sündenfall begangen Hütten, Ihre Kniebeuge hätte uns dann sicher aus dem Paradies raus gebracht!
(Bedenkliche Anzeige.) Ein junges anständiges Mädchen wünscht sich zu verändern.
Die Radfahrerin.
Ach! Das edle Weib von heute,
Das bekanntlich Rosen flicht,
Spricht vom Zweirad und vom Dreirad, Doch vom Spinnrad spricht es nicht.
Und der Junggesell von heute,
Folgt errötend ihrer Spur;
Spricht vom Zweirad und vom Dreirad Doch von Heirat — schweigt er nur.
Bilderrätsel.
(Nachdruck verboten.l
WMiW «Ils -eil „ClizMer"
für den Monat September werden noch von sämtlichen Postanstalten und Postboten angenommen. In Neuenbürg abonniert man bei der Exped. d. Bl.
Redaktion, Lrvck und Verlag von L. vieeh in Reuenbürg.