570
im Verein mit einem bulgarischen Polizeipräfekten und einem Gendarm aus der Welt geschafft hatte. Für alle diese Mörder haben die Richter mildernde Umstände angenommen; zwei sind zu lebenslänglichem Kerker und einer zu 6'/, Jahren verurteilt worden. Blut fließt demnach nicht für das vergossene Blut jener beklagenswerten Frau, deren sich der Rittmeister Boitschew als einer lästig gewordenen Geliebten entledigen wollte, obgleich er ihr die Ehe versprochen hatte. Der Rittmeister hat nicht etwa eigenhändig die Geliebte, die Mutter seines Kindes, gemordet, sondern nur die „Beseitigung der Person" von dem Polizeipräfekten Novelitsch verlangt. Der Mord ist schließlich von Untergebenen im dienst, lichen Austrage erfolgt. Es wurde bereits bei Beginn des Prozesses und früher auf die ver- rotteten Zustände hingewiesen, welche dieser Fall in Bulgarien aufgedeckt habe. Der Verlauf des Prozesses hat es nur bestätigt, was man schon bei der Ermordung des für sein Vaterland be. geisterten Staatsmannes Stambulow seststellen mußte, daß nämlich der Kulturstandpunkt, das Rechtsbewußtsein in diesem Lande auf einer sehr liefen Stufe stehe. Der Rittmeister Boitschew und der Polizeipräfekt Novelitsch werden nun ihre lebenslängliche Kerkerstrafe abbüßen und zwischen Kerkermauern über die Scheußlichkeit ihrer That Nachdenken können, wenn — sie nicht eines Tages begnadigt oder sonstwie befreit werden. Zu wundern hätte sich darüber nie- mand in einem Lande, wo geständigen Mördern der scheußlichsten Art mildernde Umstände zugebilligt werden.
Unterhaltender Teil.
Neues Leben.
Skizze von Curt Heinrich.
Wie er grau geworden ist . . . nein, weiß, schneeweiß. Es ist nur ein schneller Seitenblick, den er in den Spiegel geworfen hat auf seiner stillen, unermüdlichen Wanderung durch das Zimmer. Ader jetzt bleibt er wieder stehen, die Hände auf dem Rücken. Und aus den blauen Augen mit dem feuchten Schleier dringt ein schärferer Glanz. Ja, weiß, aber nicht alt . . . nicht alt; noch liegt der Grenzstein seiner Lebens- straße wohl weit vor ihm, noch kann er Schritt halten, und wenn sein König wieder rufen sollte, dann wird noch einmal auch er zur Stelle sein . . . noch ist er nicht alt. „Und der Junge ... o Gott, der Junge!" . . . Als wenn der Schmerz ihn zu überwältigen droht, preßt er sekundenlang die Hände vor's Gesicht, und dann geht es weiter über die weichen, mattfarbenen Teppiche in langsamen, festen Schritten . . . „Der Junge ... der Junge . . .!"
Die Dämmerung kommt. Es wird jetzt schon so früh dunkel. Und draußen raschelt der Wind durch die entlaubten Kronen; kein frisches, mutiges Brausen ist das, sondern ein unheimliches, heiseres Pfeifen und Stoßen. Es ist die böse Zeit . . .
Der General tritt an das Fenster neben den Schreibtisch; in seinem frischen, aber von so mancher Lebens- und Wettersalte gefurchten Antlitz zuckt es und bebt es. Lange blickt er hinaus in den frühen Novemberabend. Von Westen zieht eine neue Wolkenschaar heran, dunkel in phantastischen Gestalten, und dahinter, durch alle Lücken und Risse hervorquellend, ein tiefes, glänzendes Abendrot. Bis in den Garten hinein, zwischen die grauen Plantagenstämme glimmt der Widerschein. Wie die einzelnen Blätter dort noch festsitzen; lauter gelbe, verwelkte Dingerchen, aber sie halten aus.
Und wenn es sein Junge ebenso gemacht hätte, wenn es doch nicht wahr wäre, wenn er sich gerettet hätte? . . . Bah, Unsinn . . . aus dem Taifun rettet sich so leicht Keiner.
Wie das knarrt und poltert!
Dieser häßliche, unheimliche Wind. Und das Abendrot. Ob er es auch noch so gesehen hat, der Junge.
Und plötzlich überfallen ihn die Erinnerungen. Dort aus dem Westen kommen sie, wo jetzt langsam, still eine glühende Tinte nach der anderen verblaßt. Jetzt ist es nur noch ein
fahles, zitterndes Gelb, in dem die dunklen Wolkenschiffe hastig dahinschwimmen.
Vor dreißig Jahren hat er geheiratet, seit fünf Jahren ist er Witwer. Und es ist gut so. Wenn sie das hätte aushalten müssen, was er heute erfahren hat. ... Es wäre gar nicht gegangen . . . nein, partout nicht . . . Dieser Wolfgang, um den sich Alles drehte in ihrem Leben, der Einzige, der Erbe, der Sonnenschein . . . aus einmal ist er nicht mehr. Ein konvul- stoisches Zittern geht hier durch die hohe Gestalt des einsamen Mannes. Ein Wirbelsturm im fernen Osten, dem Seiner Majestät Schiff nicht gewachsen ist, ein Kampf von wenigen Minuten — und er, sein Junge ist nicht mehr . . . Nun ist er ganz allein. Nein, er versündigt sich — er hat noch eine Tochter. Und auf Berensberg wissen sie es noch nicht. Er wird nachher selbst hingehen auf dasTclegraphenbureau.
Immer dunkler wird es.
Vor dreißig Jahren. Der Junge hat es nicht erfahren können, solche Liebe; solch' Prinzeßchen. wie er es sich damals herausgefischt hat aus dem glänzenden Gewühl des Hofballes. Mein Gott ist das eine Liebe gewesen und ein Glück! Er war ja nicht mehr ganz jung damals, älter als Wolfgang. Und dann das erste Kind, welche Seligkeit. Sre durften es nicht lange behalten. Bis der Wolfgang kam, vor fünf, undzwanzig. Ein hübscher Bengel, ein Pracht- junge . . . O Gott ... ja, ein Wildfang und herzensgut. Als er damals erklärte, er müsse zur See gehen, da hat die Mutter zuerst auf. geschrieen: „Nein, nein, mein Junge, nicht auf's Wasser, nicht auf's Meer!" Der Bengel sagte kein Wort, aber am nächsten Tage ging das Bitten und Betteln schon wieder los, bis er ihn schließlich mit einem „in Gottes Namen denn laus", zur Thür hinauswarf, um sein armes, liebes Weib zu trösten.
„Er kommt ja wieder, Kind, paß mal auf, über's Jahr ist er wieder da, noch einmal so groß und frisch."
„Gewiß ja, Gustav, in Gottes Namen." Sie hatte sich drein ergeben.
Und er kam zurück, und wie ihm die Uniform stand . . . Aber so still ist das Wiedersehen gewesen, und dann sind sie zusammen hinaus gegangenen den grünen Tpheu- Hügel.
„Du. Junge, sie hätte Dich so gerne noch gesehen".
Und beiden waren die Thränen die Backen hcruntergekollert.
Dieser Wind.
Die kleine Hete, das Nesthäkchen, hat sich denn auch noch verlobt, ein achtzehnjähriges Kiekindiewelt. Fast vor einem Jahre war die Hochzeit. Er wurde zur Disposition gestellt; er wollte sich seine Haare nicht färben lassen. Und nun war noch der Junge — und die Erinnerungen.
Brr ... es wird kalt und fast ganz dunkel ist es geworden.
Das Telegramm liegt noch auf dem Schreib- tisch. Vor zwei Stunden ist es gekommen — von Bagitz aus dem Reichsmarine-Amt. Er kann es ja schon auswendig:
Lieber Freund!
Als erster will ich die schwere Freundespflicht erfüllen und Dir die Mitteilung machen, daß Dein guter, tapferer Wolfgang vorgestern den Tod für's Vaterland gefunden hat. S. M. S. „Albatroß" ist mit der gesamten Besatzung im Taifun verloren gegangen. Es drückt auch mir fast das Herz ab. Aber Mut! Dein alter Friedrich v. Bagitz."
Herrgott, alter Herrgott, warum hast Du das zugelassen? Hatte der Junge wirklich nichts Anderes mehr zu thun, als schon in dieses große, feuchte Grab — für's Vaterland zu gehen? Er fühlt, wie es in ihm zittert, als wollte das Herz nun nicht mehr weiter schlagen, in den trüben, kalten Tag hinein. Er muß gehen . . . hinaus, in die Luft. Aber erst will er das Telegramm für die Kinder aussetzen. Er klingelt nach Licht. In demselben Augenblick hört er unten die Glocken schallen. Wer mag das sein?
Mit kräftiger Stimme ruft er dann: „Herein!"
Der Telegraphenbote.
Der General faßt schwankend nach der Brust. Was ist das? Mein Gott . . . Wenn's doch . . .
„Geben Sie her!"
Er reißt das Papier auf und liest: „Brensberg.
Ein Junge. Alles famos abgelaufen. Hurrah!
Hete, Fritz, Fritz jr."
Der erste Enkel . . . Und dann legt er das Telegramm zu dem andern. Friedlich liegen sie nebeneinander, der Todesbrief und die Botschaft neuen, frischen Lebens. O Gott . . . Und draußen rast pfeifend der Sturm entlang. Woher? . . . Wohin?
(Ein amerikanisches Wunderkind.) Florizel Fabrice Valbane Reuter ist der Name des sechsjährigen Wunderknaben aus Chicago, der mit erstaunlicher Virtuosität die schwierigsten Musikstücke auf der Violine spielt und selber schon Tänze und Märsche komzoniert hat. Er ahmt in seinen Kompositionen die verschiedensten Instrumente: Violine, Cello, Flöte u. Klarinette» alle in ihrer besonderen Klangfarbe nach. Ein Wiegenlied „Moses im Schiisröhricht" hat dieser Wunderknabe gleichfalls verfaßt. Dabei hat er ein außerordentliches Gedächtnis und ein für sein Alter überraschendes Wissen; auf Fragen aus den verschiedensten Gebieten weiß er sofort die richtige Antwort zu geben. Am hervorragendsten aber ist sein musikalisches Talent. Wagner ist sein Lieblingskomponist. Er hat dabei ein gutes Gemüt, ist religiös und hängt mit inniger Liebe an seiner Mutter.
(Neue Zigarrenautomaten.) Automaten, bei denen die Zigarre nach Einwurf des üblichen Nickels sich dem Raucher brennend präsentiert, sind nach einer Mitteilung des Intern. Patentbureaus von C. F. Reichest in Berlin eine Neuerung, die einem Herrn Gustav Blau in Berlin kürzlich patentiert wurde. Das Anzünden geschieht auf elektrischem Weg, indem die Zigarre nach Auslösung des Abgabemechanismus gegen einen dadurch gleichzeitig ins Glühen gebrachten Draht gedrückt und angebrannt wird. Das nächste auf diesem Gebiete wird wohl sein, daß der Apparat auch noch den Raucher der Qual, die Automaten-Zigarren rauchen zu müssen, überhebt und dies selbst besorgt, wenn es die Qualität des erhaltenen Krauts als wünschenswert erscheinen läßt.
sAus der Jnstruktionsstunde.) Unteroffizier: „Wenn Sie einer der Herren Offiziere einen Mantel holen heißt und es beginnt gerade zu regnen, wie tragen Sie da den Mantel?" — Rekrut: „Mit dem Futter nach innen." —. — Unteroffizier: „Richtig, aber warum?" — Rekrut: „Weil es meistens zerrissen ist."
(Kindlich.) „Bist', Herr Wachmann, haben Sie nicht einen Papa ohne kleinen Buben gesehen? Ich bin der kleine Bub!"
(Im Restaurant.) Gast: „Kellner, in meiner Suppe schwimmt ein graues Haar." —> Kellner: „Entschuldigen Sie, unsere hübsche blonde Köchin ist leider nicht mehr da."
(Sächsische Gemütlichkeit.) Wirt (zum letzten Gast): Mei gutestcs Herrche, wollen Se sich gefälligst Ihren Baletot anziehen, ich will Se nämlich nu nausschmeißen."
Telegramme.
Berlin, I.Aug. Der kaiserliche Botschafter in Rom v. Bülow, welcher gestern hier eingetroffen ist, begiebt sich morgen von Berlin nach Kiel zur Begleitung Sr. Majestät des Kaisers nach Petersburg.
Wien, 1. Aug. Berichten aus Oesterreich und Schlesien zufolge, hat sich die dortige Lage gebessert. In Gmunden ist das Wasser gesunken. Nach Meldungen aus Villach mußte die Bahnstrecke Selzthal-Kleinreifling u. Hieflau- Eisenerz. sowie die Msthalbahn für den gesamten Verkehr bis aus weiteres gesperrt werden.
Redaltion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neue nbürg.