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Calw bezw. Liebenzell zu jedermanns Einsicht aufgelegt.
Einsprachen gegen die Wählerlisten wegen Aufnahmen unberechtigter oder wegen Uebergehung berechtigter Personen sind binnen der Ausschlutz- frist von einer Woche nach Beginn der Auflegung unter Beifügung der erforderlichen Bescheinigung bei dem Oberamt anzubringen.
Angefügt wird, daß nur diejenigen zur Teilnahme an der Wahl berechtigt sind, welche in die Listen ausgenommen worden sind.
Calw, den 14. November 1901.
K. Oberamt.
Amtm. Münz, gef. Stv.
Bekanntmachung.
Wegen Vornahme von Grabarbeiten für die Beinberger Wasserleitung ist die Ortsstratze in Beinberg bis auf Weiteres «nfahrbar. Calw, den 14. Nov. 1901.
K. Oberamt.
Amtm. Münz, gef. Stv.
Tagesneuigkeiten.
Calw, 14. Nov. (Cgsdt.) Mit der Errichtung der Oberamtssparkasse auf 1. Januar 1902 wird einem als dringend empfundenen Bedürfnis abgeholfen werden, und eS kommt damit unser Oberamtsbezirk in den Besitz eines Instituts, das nur segensreich wirken kann. In Unseren Nachbarbezirken bestehen schon länger Oberamtssparkassen, welche sehr gute Resultate aufzuweisen haben, und da die Einwohnerschaft unseres Oberamtsbezirks was Fleiß und haushälterischen Sinn anbelaugt, derjenigen der Nachbarbezirke nicht nachsteht, so ist ohne Zweifel auch für unsere Oberamtssparkasse ein rasches Aufblühen zu erwarten. In der That dürfte es einer Oberamtssparkasse nicht schwer fallen rasch populär zu werden, bietet sie doch dem Publikum nur Vorteile. Schon von 1 an bis zu 2000 -//L können von jedem Bezirksangehörigen Einlagen gemacht werden. Tie Einlageberechtigung ist also nicht abhängig von der sozialen Stellung des Einlegers, wie dies bei verschiedenen sonstigen Sparkassen der Fall ist. Der Einlagen- Zins fuß wird dem jeweiligen Stand des Geldmarkts angepaßt und beträgt zum Anfang 3,5 daneben sind die Einlagen bei der Oberamtssparkasse steuerfrei. Die Ersparnisse sind in einer Oberamtssparkasse absolut sicher angelegt, da für etwaige Verluste die Amtskorporation mit ihrem ganzen Vermögen haftverbindlich ist. Die Einlagen können beliebig lange stehen gelassen werden und vermehren sich von selbst dadurch, daß Zinse, welche nicht erhoben werden wollen, mit dem Ablauf des Kalenderjahrs zum Kapital geschlagen und mit diesem verzinst werden. (Zins- Kapitalisierung oder Zins aus Zins- Berechnung.) Rückzahlungen können jederzeit verlangt werden; bei kleineren Beträgen wird in der Regel die Einhaltung einer Kündigungsfrist nicht
gefordert werden. Für öffentliche Verwaltungen, namentlich Gemeinde-, Stiftungsund Kirchenpflegen, Schulfonds und Pflegschaften wird die Oberamtssparkasse hochwillkommene Gelegenheit bieten, Fonds und überschüssige Gelder vorschriftsmäßig anzulegen. Aber auch als Kreditinstitut wird die Oberamtssparkasse willkommen sein, und es ist schon dies von großem Wert, daß all' die Gelder, die bei der Oberamtssparkasse angelegt werden, im Bezirk bleiben und in erster Linie den Darlehen suchenden Bezirksangehörigen zur Verfügung-gestellt werden können. Die Ausleihung geschieht gegen die übliche 2fache Hhpothekensicherheit und zum laufenden Zinsfuß. Der Schuldner hat bei halbwegs geordneter Zinszahlung keine Kündigung zu befürchten, und er ist jederzeit in der Lage und ohne sich besondere Kosten machen zu müssen, der Kassenverwaltung seine Verhältnisse darzulegen, welche solche so weit wie möglich berücksichtigen wird. Gerade das wird für alle Interessenten von großem Werte sein, daß sie jederzeit und ohne besonderen Kostenaufwand mit der Kassenverwaltung schriftlich und mündlich direkt verkehren können, und ist zu erwarten, daß die Kassenverwaltung bemüht sein wird, jedermann in gefälliger und zuvorkommender Weise zu bedienen. Auch die Herren Gemcindebeamten, Geistlichen, Lehrer in den Bezirksorten werden der Oberamtssparkasse freundliches Interesse zuwenden und die Güte haben, jederzeit den Ortsangehörigen die gewünschte Auskunft zu geben. So sei nun die Oberamtssparkasse, die zunächst im hiesigen Rathaus untergebracht wird, jedermann warm empfohlen; möge ihr eine gute Zukunft beschicken sein!
* Calw, 14. Nov. Der November hat uns schon eine recht fühlbar werdende Kälte gebracht. Je kälter die Nächte, desto schöner sind aber die Tage. Prächtiger Sonnenschein herrscht gegenwärtig auf der Höhe, rein ist die Luft und dementsprechend auch die Aussicht. Von Zavelstein, Altburg, Alt- und Neubulach aus genießt man zur Zeit einen schönen Ausblick auf die Berge der schwäbischen Alb. Unsere Tannenwälder mit ihrem leuchtenden Blau und zarten Violett, unsere frisch grünen Wiesen bieten auch jetzt noch einen wundervollen Anblick. Tie Bauthätigkeit wird von diesem Wetter günstig beeinflußt. An den angefangenen Baüten wird noch eifrig gearbeitet, um die verschiedenen Arbeiten vor der Einwinterung zum Abschluß zu bringen. Einen schönen Wohnsitz hat Hr. Bauunternehmer Gehring am neuen Weg geschaffen. Das Gebäude präsentiert sich von jeder Gegend aus sehr vorteilhaft; man übersieht von den Wohnungen aus die ganze Stadt und das Thal auf- und abwärts. Neben dem Anwesen sind noch einige Bauplätze gelegen, die förmlich zum Ueberbauen herausfordern. Auf der Höhe gegenüber, auf dem Entenschnabel, hat sich Hr. Bahnhofrestaurateur Schmitz einen reizenden Ruhesitz gebaut, von dem aus man eine schöne Aussicht hat; das Gebäude hat eine recht freund
liche, sommerliche Lage. (Nebenbei sei bemerkt, daß etwas weiter oben an dem gegenwärtig als Steinbruch gebrauchten Platz ebenfalls einige Bauplätze sind, die zu den schönsten der Stadt gehören dürften). Die von der Stadt am Schießberg erbauten Häuser sind schon längere Zeit bewohnt. Wenn von der neuen Altburger Steige ein Verbindungsweg zu diesen Häusern angelegt sein wird, so werden diese hoch und gesund gelegenen Gebäude wohl bald nicht mehr einzeln dastehen. Einen schönen Anblick gewähren die von den Vereinigten Deckenfabriken oberhalb der Gasfabrik erbauten Arbeiterhäuser. Die Gebäude enthalten freundliche und praktisch eingerichtete Wohnungen; ihre Lage ist durchaus gesund und schön. Am Fußweg nach Hirsau erbaut sich Hr. Fabrikant Gustav Wagner eine Villa, die im nächsten Jahr zur Ausführung kommen wird. Das frühere Gasthaus zur Kanne wird gegenwärtig von der Stadt umgebaut und vergrößert und zu mehreren Wohnungen eingerichtet; hinter dem Haus wird ein freundliches und sommerliches, einfaches Wohnhaus erstellt werden. Einige ältere Wohnhäuser sind in diesem Jahr sehr schön restauriert worden; wir nennen besonders das in der unteren Marktstraße gelegene Wohnhaus von Jourdan-Maier-Streckcr. Die schöne und reiche Holzkonstruktion dieses Gebäudes kommt nun zur vollen Geltung.
Calw, 15. Nov. In Stainmheim fand gestern eine von tragischen Umständen begleitete Hochzeit statt. Die Hochzeit des jungen Paares war auf 11 Uhr festgesetzt, eine Stunde vorher mußte die Braut jedoch am Totenbette ihres VaterS ^-stehen, der erkrankt und unvermutet gestorben war. Der Verstorbene war Michael Beck, Wittwer und Vater von 12 Kindern. Da zur Hochzeit schon alles gerüstet war, so konnte dieselbe nicht mehr abgesagt werden. Es läßt sich denken, daß durch diesen unglücklichen Zufall die Stimmung des jungen Paares eine sehr gedrückte war.
Calw. Am nächsten Montag Abend konzertiert ein ob seiner Leistungen berühmt gewordener Komiker, Hr. O. Lamborg aus Wien, im Dreiß'schen Saale hier. Der Künstler veranstaltete während dieser Saison 3 Soireen in München vor überfülltem Hause unter nicht enden wollendem Beifall des fröhlich begeisterten Publikums. Lamborg ist Deklamator, Sänger, Pianist und Komponist, dabei speziell Humorist; er will nicht das Publikum durch den Zauber der Töne in eine weihevolle Stimmung versetzen, das Gegenteil hievon zu erzielen ist sein Ehrgeiz, er bezweckt daß in seiner Soiree, wie in einer lustigen Posse, recht viel gelacht werde. Die „Mainzer Nachr," berichten über des Komikers Auftreten: „Als Schlußnummer führte uns Lamborg den Zukunftsvirtuosen vor, die Löwenmähne, das arrogante Auftreten, das nonchalante Fortschleudern der total überflüssigen Noten waren Momente von zwerchfellerschütternder Wirkung. Natürlich sind einem solchen Zukunftsvirtuosen die Mittel eines großen Konzertflügels nicht ausreichend.
Familie geblieben. Wenn jemand Auskunft über Antony Melstrom geben kann, so ist sie es."
Es entstand eine kurze Pause bis die erwartete Dienerin eintrat. Mrs. Matthews war noch vom alten Schlag; trotz ihrer siebzig Jahre ging sie kerzengerade und hatte adlerscharfe Augen. In ihrem altmodischen schwarzen Kleids, der seidenen Schürze, dem weißen Mulltuch und der hohen steifen Haube, einer Tracht, die fünfzig Jahre früher üblich gewesen, war sie der Gegenstand heimlichen Spottes für die Jungfern, die mit ihrer Herrschaft Gardenholm besuchten; aber Mrs. Mattehws blickte mit großer Verachtung auf sie herab, denn nach ihrer Meinung taugte die Dienerschaft der neuen Zeit nichts mehr. Als sie eingetretcn war, machte sie eine tiefe Verbeugung vor Lady Culwarren und blieb dann aufreckt stehen, trotzdem ihr ein Stuhl angeboten wurde.
„Mr. Ashfold hat mir eme seltsame Mitteilung gemacht, Mrs. Matthews," redete die Gräfin sie an, „und da Sie vielleicht mehr darüber wissen als irgend ein anderer, so habe ich Sie rufen lassen."
„Wenn ich Ihnen irgend eine Auskunft geben kann, will ich es gern thun," versetzte die Dienerin ehrerbietig.
„Nun gut," fuhr die Lady fort, „Sie kannten meinen Gemahl von Kindheit an und waren stets hier im Schlosse. Antworten Sie mir ehrlich: Westen Sohn ist Antony Melstrom?"
Diese unvermittelte Frage schien der alten Dienerin alle Geistesgegenwart zu rauben. Sie schlug die runzeligen Hände zusammen und konnte vor Schrecken kein Wort hsrvorbringen. „Westen Sohn, Milady?" rief sie endlich. „Doch natürlich der Ihrige! Schenkten Sie ihm nicht heute vor 21 Jahren das Leben? Westen Kind sollte er denn sein?"
„Das möchte ich von Ihnen hören, Mrs. Matthews", fiel die Gräfin rasch
ein. „Bis heute hielt ich auch Antony für meinen Sohn, doch Mr> Ashfold hat mir soeben ein Schreiben meines verstorbenen Gatten gezeigt, worin es heißt, daß er es nicht sei."
„Genau so!" mischte sich der Advokat nun in's Gespräch.
„Ein völliges rechtskräftiges Dokument, besagend, daß der Sohn der Gräfin kurz nach der Geburt starb und Mr. Antony an seine Stelle trat. Wenn Sie Etwas in dieser Sache misten, sagen Sie es ruhig, das Geheimnis ist ja jetzt aufgedeckt."
Aber Mrs. Matthews gab keine Antwort; mit verständnislosem Blick schaute sie abwechselnd auf ihre Gebieterin und den Advokaten, der etwas so Ungeheuerliches behauptete.
„Hat mein Herr wirklich Hinterlasten, daß Mr. Antony nicht sein Sohn ist?" fragte sie endlich in ungläubigem Ton.
„O nein, Mrs. Matthews, Sie irren!" fiel die Gräfin sarkastisch ein. „Das Dokument bestätigt nur, daß er nicht mein Sohn sei."
Die alte Dienerin verstand sofort die Bedeutung dieser Worte. Ich bitte Milady um Verzeihung," sagte sie mit fester Stimme, „aber Sie thun dem gnädigen Herrn Unrecht mit solchem Verdacht. Ich habe ihn auf meinen Armen gewiegt und weiß, daß er bis an sein Ende gut und treu war. Wenn er ein fremdes Kind für das (einige aufnahm, so geschah es, um Ihr Leben zu retten, nicht aber in irgend einer niederen Absicht. Sie können sich darauf verlassen, Milady!"
„Ich sehe, Sie wissen um die Geschichte, Mr. Matthews," erwiederte die Gräfin, „und ersuche Sie daher ernstlich, alles zu sagen."
Miß Paget, deren Augen mit unverkennbarer Angst an dem Gesicht der alten Frau hafteten, trat jetzt dicht auf sie zu. „Mut, Matthews," flüsterte sie. „Sagen Sie, was Sie misten."