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schridungrn iu der inneren Politik zu erwarten sind. Allerdings werden hie und da gerade jetzt wieder einmal Ministcrkrisengerüchte aufgewärmt, sie betreffen diesmal den Staatssekretär des Auswärtigen Freiherrn v. Marschall. welcher einen dreimonatlichen Urlaub angetreten hat. Die Ministerkrisenschnüffler kommen nun mit der Behauptung, die ungewöhnliche Länge dieses Ur- laubs sei höchst verdächtig, es scheine sich bei der jetzigen Erholungsreise des Herrn v. Marschall nur um die Einleitung zu seinem baldigen Rück- trittr vom Amte zu handeln. Begründet wird diese Mutmahung von der baldigen Demission des Staatssekretärs des Auswärtigen durch den Hinweis darauf, daß der Kaiser mit der Jnsce- nierung des Prozesses Tausch-Lützow durch Hrn. v. Marschall nicht einverstanden gewesen sein soll. Inwieweit letztere Behauptung zutreffend ist, bleibt abzuwarten, jedenfalls dürften aber die mit dem jetzigen Urlaub des genannten her- vorragenden Regierungsmitgliedes zusammen­hängenden Rücktrittsgerüchte nur mit größter Vorsicht auszunehmen sein, Herr v. Marschall ist in der That recht leidend, da wird ihm ein dreimonatiger Erholungsurlaub wirklich nur gut thun.

Der Prozeß Tausch-Lützow. welcher zehn Tage lang vor dem Berliner Landgericht I. spielte, ist am Freitag nachmittag beendigt wor- den. Der Hauptangeklagte v. Tausch war ange- klagt des Amtsvergehens und des Meineids, sein Mitangeklagter Schriftsteller v. Lützow war des Betrugs und der Urkundenfälschung beschuldigt, begangen durch die aus dem Prozeß Leckert- Lützow bekannte Quittungssälschung. Mit letzterer Beschuldigung hing die eine Anklage gegen den Kriminalkommissar v. Tausch zusammen. Letzterer sollte diese ihm bekannte unrechtmäßige Hand­lungsweise seines Agenten v. Lützow nicht zur Anzeige gebracht und infolge dieser Unterlassung sich eines Amtsvergehens schuldig gemacht haben; doch ist dieser Anklagepunkt im Verlaufe des Prozesses bald wieder fallen gelassen worden. Des Meineids aber wurde v. Tausch beschuldigt, weil er im Prozeß Leckert-Lützow angeblich wider besseres Wissen eidlich versichert harte, daß er keinerlei politische Jntriguen gesponnen, keine Politik auf eigene Faust getrieben und seine Agenten nicht veranlaßt habe, politische Artikel in die Tagespresse einzuschmuggeln. Das ge­richtliche Urteil nun lautete auf Grund des Wahlspruches der Geschworenen gegen v. Tausch aus Freisprechung, gegen v. Lützow auf 2 Monate Gesängnis, welche Strafe als Zu» satzstrafe zu der Freiheitsstrafe zu betrachten ist, welche v. Lützow zur Zeit wegen Beleidigung des Staatssekretärs v, Marschall u.s.w. verbüßt. Der Staatsanwalt hatte gegen v. Lützow sechs Monate Gesängnis und außerdem 2 Jahre Ehr- Verlust beantragt; der Gerichtshof beschloß in­dessen auf Ehrverlust nicht anzuerkennen, da v. Lützow bei seiner Thätigkeit für die politische Polizei eine ehrenhafte Gesinnung überhaupt hätte kaum bewahren können. Was Herr von Tausch anbelangt, so geht er aus dem Prozesse allerdings nicht völlig mackellos hervor, nur waren die Beweise gegen ihn nicht erschöpfend genug, um ihn schuldig zu sprechen. Aber immer- hin ist doch durch den Prozeß festgestellt worden, daß Hr. v. Tausch keineswegs der Himmels- siürmer war, der etwa die Wege des Berliner Auswärtigen Amtes kreuzen wollte, ebensowenig hat er bei seinem kleinlichen Coulissenspiel irgend- welche Hintermänner gehabt. Dies, sowie die, abermalige Bloßstellung der politischen Polizei sind die bemerkenswerteste Ergebnisse des Tausch- Prozesses; ob und welche Folgen derselbe haben wird, das muß dahingestellt bleiben.

Rosen heim (Oberbayern), 8. Juni. Am Pfingstsonntag abends gegen 8 Uhr schlug der Blitz bei einem schweren Gewitter in die bei Stephanskirchen gelegene Pulverfabrik, wo­durch die Polierhütte, in der etwa 30 Zentner Pulver zum Versand bereit lagen, in die Luft flog. Ein zweites, etwa 30 Schritt von der Hütte entfernt stehendes Gebäude geriet in Brand und flog nach drei Minuten gleichfalls in die Luft. Im ganzen sind etwa 100 Zentner Pulver aufgeflogen und 11 Baulichkeiten zerstört worden. Auch die umstehenden halbmeterstarken

Bäume wurden entwurzelt. In dem zwei Kilometer entfernten Stephanskirchen, sowie in Rosenheim, welches eine Stunde von der Pulver­fabrik entfernt liegt, wurden Thüren und Fenster durch die Gewalt des Luftdrucks heraus­gerissen. Ein Bediensteter der Pulvevfabrik soll leicht verletzt sein.

Trier, 5. Juni. In Zelhügen wurden 5 Personen, die sich unter einem Baume be­fanden, vom Blitz erschlagen.

Württemberg.

Stuttgart. Die Bibliothek der k. Zentralstelle für Gewerbe und Handel im Landrsgewerbemuseum wurde gestern um 10 Uhr eröffnet. Die Bibliothek ist leicht zu erreichen; sie befindet sich im Flügel an der Kauzleistraße und nimmt die ganze Front von einem Kuppelturm zum andern ein. Herrliches Licht erfüllt den Bibliotheksaal, der durch 2 Stockwerke reicht. Der Besucher trägt seinen Wunsch nach dem oder jenem Werke bei einem der bediensteten vor; in wenig Augenblicken liegt dasselbe vor ihm aus einem der Tische. Der Besucher kann sich niederlassen, wo er will; er hat die Wahl zwischen 6 langen polierten Tafeln. Wo sich der Besucher auch niederläßt: überall hat er das herrlichste Licht bei Tag und Nacht. Den Tischen entlang leuchten 24 Glühlichter; an den Enden dieser Reihe steht je ein Kandelaber; von der Gallerte spenden 10 Bogenlampen ihre Lichtströme.

Oberndorf, 4. Juni. Mit dem vorgest­rigen Tage ist der letzte Rest der Mitglieder der K. ottomanischen Waffenübernahme- Kommission von hier verschwunden und die Türkei hat nun hier keine Vertreter mehr. Der in letzter Zeit als Chef fungierende Oberst­lieutenant Bifat Bcy wurde der Kommission in Karlsruhe zugeteilt, wo die Türkei noch 50 Mill. Patronen in Bestellung gegeben hat. Der Se­kretär der hiesigen Kommission, welcher mit der­selben vor 11 Jahren hierher beordert wurde, ist nach seiner Heimat am goldenen Horn zu- rückgekehrt. Eine Anzahl junger Muselmanen, die in der Gewehrfabrik dahier ihre technische Ausbildung erhielten, verlegten höherem Befehl gemäß ihren Aufenthalt ebenfalls nach Karls- ruhe, wo sie zu ihrer weiteren Ausbildung Hörer der Baugewerbeschule werden sollen. In ihrer Glanzzeit zählte die türkische Kommission dahier über 20 Personen. Man kann diesen nach­rühmen, daß sie sich durchweg taktvoll benommen und daher vielfache Freundschaftsbande geknüpft haben.

Heilbronn, 8. Juni. Gestern vormittag ist ein Wagen der elektr. Straßenbahn in Brand geraten, während Leute in denselben einsteigen wollten. Der Rauch drang unter dem Sitze hervor und als man diesen beseitigte, schlug das Feuer empor. Es scheint, daß die Motorachse infolge des ungeheuren Verkehrs sich warm ge- laufen und entzündet halte. Die Straßenbahn vermag den Verkehr kaum zu bewältigen.

Heilbronn, 5. Juni. Ein 16jähriger Malerlehrling wurde vorgestern vom Hitzschlag getroffen, wobei die ihm Hilfe leistenden Per- sonen die überraschende Wahrnehmung machten, daß der Junge an verschiedenen Körperteilen, besonders aber auf dem Rücken, viele btutunter- laufene Stellen hatte, von welchen er in einem lichten Augenblick behauptete, daß ihm dieselben sein Vater mit einem Farrenschwanz beigebracht , habe. Der Knabe wurde in das Spital ver­bracht und da die Möglichkeit vorliegt, daß der Schlaganfall mit der vorher erlittenen Mißhand­lung im Zusammenhang stehen könnte, wurde der Kgl. Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. Der Vater giebt zu, den Knaben geschlagen zu haben, jedoch nur deshalb, weil derselbe ver- gangene Woche 2 Tage nicht gearbeitet habe.

Heilbronn, 3. Juni. Gestern Mittag wurde auf dem neuen Friedhofe eine aus Weins- berg gebürtige Frau getroffen, welche einen ganzen Arm voll Blumen auf dem Friedhofe von verschiedenen Gräbern weg gestohlen halte, weshalb sie vom Friedhofaufseher angehalten und von der Polrzei festgenommen wurde. Wenn man bedenkt, wie viele Gräber dadurch ihres Schmuckes beraubt wurden, abgesehen von

der Pietätlosigkeit, so möchte man gegen solche Personen seinen Unmut oft gerne handgreiflich Luft machen.

Hall, 7. Juni. Ein frecher Diebstahl wurde Samstag früh gegen 4 Uhr hier an einem den Wochenmarkt besuchenden Landmann ver­übt. Als derselbe nämlich einen Korb voll junger Schweine auf den Schweinemarktsplatz verbrachte, wurde ihm inzwischen von seiner in der Blend­statt hinter der Wirtschaft zurSonne" stehen­den unbewachten Wagen herab ein weißer Korb mit etwa 30 Pfund Butter entwendet. Möge es gelingen, des frechen Diebs habhaft zu werden.

Oberstenfeld, 4. Juni. Während des heute Nachm, über unserer Gegend nieder­gegangenen Gewitters, das wolkbruchartigen Regen und starke elektrische Entladungen brachte, wurde Rosenwirt Häuscrmann von hier auf dem Felde vom Blitze erschlagen.

Ausland.

Das ungarische Kabinet Bauffy hat einen großen Erfolg zu verzeichnen. Die Re­gierung wurde ermächtigt, eine Reihe von Ge­setzentwürfen militärischen Charakters dem Reichs­tage vorzulegen, und sie hat von dieser Er­mächtigung bereits Gebrauch gemacht. Die Vorlagen betreffen die Vermehrung der ungarische« staatlichen Stiftungsplätze im gemeinsamen Heere» die Errichtung einer Militär-Akademie in Ungarn, ferner die Errichtung einer Honved Oberreal­schule und zweier Honved-Kadettenjchulen. Dieser Erfolg erfüllt die Ungarn mit Stolz» wird aber von den andern Volksstämmen schwerlich mit gleicher Befriedigung ausgenommen werden.

Der regelrechte Wa ffe n stil l st a n d zwischen der Türkei undGriechenland ist jetzt endlich abgeschlossen worden. Der einzige heikele Punkt war noch die Frage der Ausdehnung des Waffenstillstandes auf die beiderseitigen Seestreitkräfte, doch auch diese Angelegenheit hat inzwischen ihre Regelung gefunden, speziell willigte das Athener Kabinet in die Aufhebung der Blokade Volos durch die griechische Flotte und in die Freigabe der Schiffahrt im Golfe von Arta. Hoffentlich werden nunmehr infolge des Waffenstillstandes die in Konstantinopel begonnenen Verhandlungen über den Friedensschluß ihren flotten Fortgang nehmen. Aus Kreta wird berichtet, daß unter den Aufständischen eine ruhigere und versöhn­lichere Stimmung Platz zu greifen scheine; z. B. soll der Jnsurgentenführer eine Gemeinde­polizei errichtet haben um eine weitere Verwüst­ung des Eigentums der Mohamedaner zu ver­hindern.

A t h e^n, 4. Juni. Das Gerücht bestätigt sich, daß König Georg angesichts der schwierigen Lage des Landes beschlossen habe, bis auf Weiteres auf den dritten Teil der Zivilliste zu Gunsten des Staatsschatzes zu verzichten; dem Ministerium ist die betreffende Weisung zuge­gangen. Wie verlautet, dürfte auch Kronprinz Konstantin einen Teil seiner Apanage dem Staat zur Verfügung stellen.

Konstantinopel, 7. Juni. Es wird versichert, die Botschafter hätten bei der gestern Nachmittag stattgehabten Beratung ein Memor- randum vorgelegt über die Abgrenzung von Thessalien, über die Höhe der Kriegsentschädig- ung und über die Frage der Kapitulationen.

Die Russenschwärmerei der Fanzosen, welche sich in letzter Zeit erheblich abgekühlt hatte, wird durch die Nachricht von dem nun doch noch erfolgenden Gegenbesuche des Präsi­denten Faure am russischen Kaiserhofe vermutlich eine Auffrischung erfahren. Wie jetzt feststeht, trifft Herr Faure zu dem genannten Zwecke am 25. Juli in Petersburg ein, begleitet vo n Minister des Acußern. Hanotaux und vom GeneralstabS- chef Boisdeffce. Sicherlich werden sich diese Repräsentanten derArairäe Nation" bei ihrem bevorstehenden Besuche in Petersburg von rus­sischer Seite mit Liebenswürdigkeiten überhäuft sehen, daß aber das Ereignis endlich das ruffisch­französische Bündnis zeitigen werde, dies könnte höchstens eine leere Hoffnung der französischen Revanchepatrioten sein.

Aus Frankreich, 7. Juni. Eine fürchterliche U e b e r s ch w e m m u n g,