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Die Baronin Wanda stand jetzt hinter LarS, der in der Betäubung seiner Sinne ohne Regung verharrte, nur den stieren Blick in die offene See wandte, als wären die Töne von dort ge« kommen. Jetzt beugte die Baronin ihren Kopf dicht an seine Schulter und hauchte an seine Wange. Lars fuhr bei der Empfindung dieses Hauches wie von einem elektrischen Schlage getroffen sichtbar zusammen Die Baronin sah die Wirkung ihres Atems und lächelte. Dann sagte sie ruhig, leidenschaftslos, als wäre sie plötzlich eine ganz Andere — mit einem Worte: eine Baronin gegenüber dem armen Fischerburschen geworden: „Guten Morgen. Lars Jensen. Ich bin früher hier, als ich versprach."
Lars zuckte zusammen unter der Wirkung eines eiskalten Wasserstrahls, der sein Inneres traf, wandte sich und starrte die Baronin an wie ein Wunder. Sie war allerdings gegen gestern auffällig toilettiert. Um ihre zierliche, schlanke Gestalt schmiegte sich ein grauer, bis auf die Füße reichender Bademantel, die mächtige Fülle des braunen Haares war noch aufgelöst und bedeckte Nacken und Schultern.
„Ich komme aus dem Bade", sagte die Baronin und schüttelte dabei die letzten Wasser- tropfen aus der Haarflut. „Und da ich auf dem Turm einen Menschen zu bemerken glaubte, der nur Sie sein konnten, so nahm ich den Weg hinter den Dünen herum — und da bin ich. Bitte erklären Sie mir ein wenig die Einrichtung dieses Leuchtturms, den Zweck seiner Apparate — was für ein mächtiger Hohlspiegel! Ich kann meine Gestalt drin sehen! Und Sie auch, Lars Jensen. So sehen Sie mich doch an, damit ich den Blick im Spiegel erwidern kann."
Lars halte sich einigermaßen gefaßt ffnd richtete, neben ihr stehend, sein Auge auf sie, während sie den Blick im Spiegel des Reflektors erwiderte. Aber was ihre Stimme in seinem Herzen gut gemacht hatte, verdarb ihr Auge im Spiegel wieder, denn der Blick war eiskalt, vornehm, abschreckend.
Lars begann ihr die Apparate zu erklären. Sie schien aufmerksam zuzuhören. Dann wandte sie mir bezauberndem Lächeln, wie denn das ganze Weib etwas von der Natur der Schlange hatte, deren Schuppenleib in um so prächtigerem Farbenspiele funkelt, je näher das Opfer kommt, auf das sie sich schnellen will, ihr Antlitz dem jungen Manne mit den Worten zu:
„Also wenn sich das Bild der Sonne im Spiegel des Riflektors zeigt — so etwa wie jetzt das meine dort — so erhellt es die graue Wasser wüste und leitet das irrende Schiff zum Hafen?"
Etwas unsäglich Bestrickendes lag in ihrem Auge, als sie dies sprach. Lars, der natürlich im mündlichen Ausdrucke viel weniger gewandt war, fühlte gleichwohl die Aehnlichkeit des ge- sichtlichen Beweises der Sonne mit dem Bilde der Baronin und wandte sich schauernd von ihr ab. Weshalb er schauerte, wußte er nicht klar.
„Dos Leben, Lars Jensen", fuhr die unbarmherzige Baronin fort, „ist eine so graue Wasietwüste. Aber die Sonne ist die Liebe, die das Lebensjchisf in den Hafen des Glücks leitet. Was meinen Sie Lars?"
Der aber stieß ein dumpfes Brüllen aus, das nur die starke Aeußerungsform eines Seufzers war. wandte sich von ihr und legte sich mit den Armen über die Ballustrade, als wolle er Hilfe gegen den unbändigen Sturm seines Blutes draußen bei der See juchen.
Wanda that nichts, als daß sie mit befriedigtem Lächeln dem Jüngling nachsah und mit der Spitze des kleinen Fußes an der eisernen Einfassung des Reflektors spielte. Dann aber raffte sie sich plötzlich zusammen und kehrte die vornehme Dame heraus.
„Lars Jensen," sagte sie kalt, „geleiten Sie mich den Turm hinunter, ich muß nach Hause."
Damit schritt sie auf die Treppe zu, und Lars folgte mechanisch, wie Einer, den ein heftiger Schlag vor die Stirn betäubt hat.
> Unten an der Pforte des Turmes wandte sich die Baronin nach dem verstörten Begleiter um.
„Lars Jensen, Sie besitzen ein Fischerboot Wollen Sie mich morgen eine Strecke weit in
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die See fahren und mirH die Umgebung der Insel zeigen?"
„Ich will, Frau Baronin", war die dumpfe Antwort. Lars lüftete seinen Fischerhut und die Baronin nahm den Weg nach dem Dorfe.
Wenn sie die Absicht hatte, mit berechnetem Vorgehen die Seele des jungen Mannes lang sam zu betäuben, sie auf Leben und Tod und zu jedem Opfer zu gewinnen, so konnte sie heute mit dem Erfolge zufrieden sein.
(Fortsetzung folgt.)
Lies -eine Zeitung!
Im vorigen Jahrhundert und teilweise noch in diesem, unterrichtete man sich von politischen und lokalen Begebenheiten gegenseitig durch Briefe, deren Stil in den Händen geistreicher, gebildeter Leute, namentlich auch Damen, zu einer besondern Kunstform ausgebildet wurde; sind uns doch Briefe erhalten, die ebenso gut den Titel eines Essays oder einer Erzählung tragen könnten, Briefe, die ein vollständiges Programm, eine besondere Weltanschauung auf- weisen. Das hat sich im Laufe der Jahre durch das rapide Anwachsen der Tageslitteratur vollständig geändert; niemand will zum Brief- schreiben heutzutage mehr Zeit haben, weil es den Betreffenden meistenteils an Stoff mangelt; man schickt sich einfach unter Kreuzband das betreffende Lokalblatt, in welchem die Beschreibung eines Sängerfestes, Unfalles oder sonstigen erwähnenswerten Vorkommnisses besser» ausführlicher und schneller berichtet wird, als man es selber könnte; im Inseratenteil zeigt man seine Verlobung, Vermählung oder die Geburt eines Sprößlings an und erwartet geduldig die 10 Gratulationen uud die 100 Anpreisungen von für den vorliegenden Fall nützlichen Waren, die einem dann zugeschickt werden. Man beschwert sich immer seltener brieflich bei der Polizei, was stets umständlich ist und manchmal gehässig erscheint, sondern bei der Zeitungsstelle, welche den Stoff in gemeinnütziger Absicht verallgemeinernd bespricht.
In der Rubrik „Sprcchsaal" oder „Stimmen aus dem Publikum" bieten die meisten Zeitungen eine Gelegenheit zu einem öffentlichen Meinungsaustausch, die, wenn es sich um kommunale Interessen und nicht etwa um kleinliche oder persönliche Zänkereien handelt, recht oft benutzt werden möge. Politischer Diskussion pflegt die Zeitung ihre Spalten gewöhnlich zu verschließen, und das mit Recht; denn sie kann zu keinem positiven Ergebnis führen, da die Gegner auf zu verschiedenem Standpunkte stehen oder nur schwer vereinbare materielle Interessen vertreten. Der Ort, solche Gegensätze zu mildern — auszugleichen werden sie ja niemals sein — ist das Parlament, aber nicht der Sprechsaal einer Zeitung. „Politik verdirbt den Charakter" ist ein oft und mit Unrecht gebrauchtes Wort. Sie verdirbt den Charakter nur, wenn Hitzköpfe ohne fundamentale Bildung und praktische Lebenserfahrung sich in leidenschaftliche Erörterungen stürzen. Die Sucht, sich vor seinen Mitbürgern als Reformator aufzuspielen und seine oft eingebildete Rednergabe glänzen zu lassen, trägt nicht wenig zur Entstehung jenes Sprichwortes bei. Eher könnte man noch behaupten. Politik verderbe den Stil; denn was das Druckpapier manchmal an Phrasendrescherei, Bombast und Schwulst, falschen Konstruktionen u. s. w. zu erdulden hat, ist nicht zu beschreiben.
Dennoch geht an alle die Mahnung: lies deine Zeitung, und zwar vollständig, nicht bloß Familrennachrichten, Inserate und Lokales, sondern auch den politischen Teil. Ein ruhiger, sachlicher Leitartikel bringt fast immer ein Stück aktueller Geschichte; und wer auf Bildung An- spruch macht, wer ein guter Patriot sein will, muß sich auch für das Geschick seines Vaterlandes interessieren, muß auch von seiner innern Ent- Wicklung unterrichtet fein. Nur wer den ur- sächlichen Zusammenhang der Dinge begriffen Hot, wird nicht von plötzlichen Wendungen überrascht sein, er wird sie voraussehen und seine Handlungen darnach einrichten.
(Zum Konkurrenzkampf.) In der Industriestadt Nagold in Württemberg scheinen zwei Kollegen energisch für ihre reelle Ware einzutreten, wie folgende Inserate im Nagolder „Gesellschafter" darthun. Der eine offeriert „Selbstgebundene" Gesangbücher mit der Anpreisung: „ich mache darauf aufmerksam, daß ich allein meine Gesangbücher alle selbst anfertige, also keine Fabrikware führe" — der andere pariert diese Erklärung: „daß sämtliche Gesangbücher, wo in Nagold verkauft werden, von Menschenhänden gemacht sind." So dürfte denn der Erfolg für keinen ausbleiben. Ehret unserer Hände Fleiß!
Eine nachahmenswerte Bekanntmachung, durch welche die Bezeichnung „Bauer" wieder zu Ehren gebracht werden soll, hat. der „Danz. Ztg." zufolge, der Landrat v. Boddien in Filehne (Provinz Posen) erlassen. Lie lautet:
Es ist aus bäuerlichen Kreisen mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Bezeichnung „Bauer" zu Ungebühr mehr und mehr, besonders durch Einfluß der Behörden, verschwindet. Ich werde von jetzt ab diese ehrende Bezeichnung in den amtlichen Schreiben wieder überall gebrauchen und namentlich den nichtssagenden Ausdruck „Besitzer" dadurch ersetzen, da ich weiß, daß unsere bäuerlichen Wirte das Land nicht bloß besitzen, sondern auch bebauen wollen, was ihnen eben zur Ehre gereicht. (Recht so!)
Ein Gesetz gegen die Errichtung allzu hoher Häuser, der sog. „Wolkenkratzer", soll in New-Iork erlassen werden. Das Gefetz will vorschreibcn, daß kein Gebäude höher als — fünfzehn Stockwerke sein dürfe. Das Gesetz ist sehr mild gegen diese ungeheuerlichen Häuser.
(Kein Wunder!) Er: „Ich hörte neulich, daß ein geschickter Graveur zur Herstellung der Platte, von welcher die Tausendmarkscheine gedruckt werden, beinahe ein Jahr braucht". — Sie: „Wirklich? Da darf es einem auch nicht wundern, daß die Tausendmarkscheine so rar sind!"
(Frech,j Herr: „Warum gehen Sie denn nicht arbeiten, warum bringen Sie Ihre Zeit mit Betteln hin?" — Bettler: „Haben Sie schon einmal gebettelt?" — Herr: „Nein, selbstverständlich nicht." — Bettler: „Na, denn wissen Sie noch nich, was Arbeit is!"
(Fürchterlich.) .: „Rekrut
Mayer, Sie Kapitalesel, wie heißen Sie eigentlich mit Ihrem Vornamen?' - Rekrut, „Friedrich,
Herr Lieutenant." — .: „So,
jetzt ist die Blamage vollständig, führt der Mensch auch noch den Vornamen des großen Schiller."
(Der gefällige Kellner.) Gast (zum Kellner); „Bringen Sie mir ein paar Witzblätter." Kellner: „Bedoure, werden gerade alle gelesen. Soll ich vielleicht einstweilen selbst einige Witze für den Herrn machen?"
(Eine berechtigte Inschrift.) Auf der Straße zwischen Osnabrück und Bramsche war 1846 ein Haus erbaut, das heute noch folgende Inschrift trägt:
Erbauet ohne Branntewcin Soll dieses Haus ein Zeugnis sein,
Daß Zimmermann und Mauermann Gut ohne Branntwein leben kann.
Charade.
Das Dritte der zwei Ersten Wie sagt cs oft jo rein WaS gerne Dir verborgen Im tiefsten Herzensschrein.
Wie schnell vergeht das Ganze Als Zeilenmaß gedacht,
Und doch hat cs urplötzlich
Ost Glück — oft Leid gebracht. 8.1.
Redaktion, Druck uud «erlag von L. MeeD tu Reuenbürg.