718
seinen Dank den jubelnden Anwesenden aus. In der Mitte des Saales nahm das Oberhaupt der jungen französischen Republik, denn als solches konnte Robespierre mit Recht gelten, mit seinen Begleitern Platz. Die Menge aber begann zu singen und zu joblen.
Die beiden Freunde hatten nun so recht Gelegenheit, den gefürchteten Diktator Frankreichs, der die ganze Welt von sich reden machte, beobachten zu können.
Von schlankem, fast zierlichem Körperbau mit von dunklen Locken umrahmtem Kopfe saß in tadellos schwarze Kleidung gehüllt der Schreckensmann da. welcher der Nationalversammlung von Frankreich getrotzt, die gewandtesten Redner niedergedonnert und Furcht und Schrecken im ganzen Lande verbreitet halte. „Die Menschen, die Dich demütigen," so pflegte er zu sagen, „gehören Dir." Wie er so dasaß, die dünnen Lippen von einem heiteren Lächeln umspielt, mit der Miene der Unschuld, da hätte gewiß Niemand in ihm den fürchterlichen Menschenhaß, die blutdürstige Tigernatur vermutet und auch Niemand geahnt, daß dieser selsame Mann eine Beharrlichkeit das Charakters besaß, welche ihn mächtiger und gefährlicher machte als das Genie mit seinen kühnen Sprüngen. Bon den einen als Tyrann gehaßt und als ein Mann von nur mittelmäßigem Talent hingestellt, galt er den Andern wiederum als der größte Patriot und Menschenfreund, der sich durch Seelenwürde, Unbestechlichkeit und hoche Sittenreinheit auszeichnete.
Noch saßen die beide Freunde, stumm die Gruppe der Pariser Demagogen beobachtend, an ihrem Tische, als sich die Thüre des Saales abermals öffnete und wiederum Männer eintraten, deren Kleidung und Gestchtszüge deutlich verrieten, daß es Männer der That, Leute der niedersten Sorte waren.
Einer der Neuangekommenen sprach mit sonorer Stimme: „Bürger, soeben ist es uns am Quai Voltaire gelungen, wieder zwei hoch- geborene Spione, einen Grafen mit seiner Tochter zu verhaften. Beide sind bereits auf dem Wege nach Porte Libre!" Wieder wurden Beifallsrufe aus der Menge laut. „Hoch die Guillotine!" — „Nieder mit den Anhängern Hugo von Capet's!" erscholl es abermals wüst durcheinander.
Während bei den Worten des Jakobiners die Menge durch Geiohle und Flüche gegen die Spione des Königtums ihre Zustimmung kund- gab, lehnte sich plötzlich, wie von einem jähen Blitzstrahle getroffen, der schöne blonde Mann in den Stuhl zurück, nur mit Mühe seine innere Aufregung bemeisternd.
„Hast Du das Gräßliche vernommen, Martin", flüsterte er leise dem Freunde zu, Jeanette und ihr Vater sind gefangen und in Porte Libre! — komm laß uns gehen!"
„Bemeistere Deine Aufregung, Armand," murmlte der Schwarze, welchen wir Martin nennen hörten, eine Uebereilung Deinerseits kann uns beide ins Verderben stürzen!"
Wenige Augenblicke später verließen, unbeachtet von der johlenden Menge, die zwei Freunde das Klublokal der Jakobiner.
Als sie die mondbestrahlte Gasse betraten, herrschte daselbst noch lautes flutendes Leben, denn Gruppen singender Männer und Frauen zogen hin und her.
„Was nun? Freund!" begann tiefaufalmend Martin den Arm des wie sinnlos vor sich hinstarrenden Freundes ergreifend.
„Ich gehein die Conciergerie, Martin, denn ich muß sie sehen, sprechen und retten, und wenn mir das nicht gelingen sollte, nun so will ich mit ihr, die ich über alles liebe, sterben," gab der Gefragte zur Antwort.
„Vergebliche Mühe, Armand!" erwiderte der Elftere, „Deine Leidenschaft reißt Dich zu unüberlegten Schritten fort, denn sobald Du Deine Gesinnungen und Deine Beziehungen zu der Familie Nordenne verrätst, wirst Du aus einem Befreier der Unglücklichen selbst ein Häftling, dessen Kopf unter dem Fallbeile fällt — komm daher mit mir, in meiner entlegenen Behausung wollen wir ungestört und unbeobachtet beratschlagen, was zu thun ist. Bor Allem behalte kaltes Blut."
Widerstandslos zog der Sprechende seinen Freund Armand mit sich fort. Nach einer halb- ständigen Wanderung betraten sie ein altertüm- liches Haus in einer entlegenen Gasse der Stadt, wo sich die Wohnung Martins befand.
Bald saßen hier die beiden Freunde im tiefernsten Gespräche beisammen und beratschlagten auf welche Weise die Opfer der Revolution vor dem Tode gerettet werden könnten. Georges Martin, von Beruf Journalist und Mitarbeiter eines weitverbreiteten republikanischen Blattes, dessen Herausgeber der fanatische Abgeordnete Loustalot in Paris war, war im Herzen königlich gesinnt und ein treuer Freund seines Studiengenoffen Armand, des jungen Edelmannes aus der Normandie, er galt als findiger Kopf und war eine von den Jakobinern geachtete Persönlichkeit. Geraume Zeit hatten beide Freunde beratschlagt.
Plötzlich fuhr Armand empor. „Ich hab's Freund! Was auch immer mein Schicksal sein möge, für das Leben des geliebten Mädchens will ich Alles wagen, auch mein eigenes Leben!"
„Nun, welches ist Dein Plan?" fragte ge- spannt der Journalist.
„Ich werde selbst ein Henker, ich trete in die Reihen der Pickenmänner der Conciergerie!"
„Ein gewagtes Spiel, Freund! Du setzest Dein Leben auf eine verlorene Karte!" fiel Martin dem Sprechenden ins Wort.
„Und wenn dies der Fall wäre, Freund", fuhr jetzt Armand fort, „ohne Jeanette will ich nicht leben; wüßte ich die Gellebte nicht mehr unter den Lebenden, nun ich böte mich sofort den Henkern als Opfer an, da mir mein Leben wertlos erscheinen würde. Mein Entschluß ist gefaßt."
(Fortsetzung folgt.)
Berlin, 9. Okt. R u d. Falb sagt heute: Die Menge und die rasche Aufeinander, folge aller Depressionen steht in auffallendem Gegensätze zur Seltenheit derselben im vorangegangenen Sommer. Die Gesamtniederschläge des Monats September erreichen die Grenze der in einem Monate überhaupt möglichen Regenmenge. Die Uebereinstimmung mit unserer September-Prognose ist daher um so auffallender, als sonst der September ruhig und ziemlich trocken zu verlaufen pflegt. Und namentlich ist das Auftreten der Stürme und Ueberschwemm- ungen, genau in den kritischen Terminen, wieder eine ganz auffällige Bestätigung unserer Theorie. Vom 13. ab erwarten wir wieder eine neuerliche Zunahme der Niederschläge bei normaler Temperatur. Vom 17. ab ist eine Abnahme der Temperatur und der Niederschläge wahr- scheinlich. Der 21 . ist ein kritischer Tag 3 . Ordnung, welcher sich bereits durch Schneefälle auf den Höhen auszeichnen dürfte. Unmittelbar darauf wird es trocken und erst in den letzten Tagen des Monats ist wieder wärmeres Wetter mit Regen zu erwarten.
Telegramme.
Berlin, 11. Okt. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Kaiser Nikolaus hatte sich bei seinen ersten Besuchen, die den befreundeten Kaisern von Oesterreich und Deutschland galten, überzeugen können, daß der europäische Friede in diesen beiden Fürsten seine eifrigsten Schützer besitzt; ebenso dürfte er England mit der Zuversicht verlassen haben, daß auch von dieser Macht keine Gefahr für die Harmonie des europäischen Konzerts droht. Aber auch das letzte Bild, das sich dem Zaren und seiner Gemahlin in Frankreich bot, wird geeignet gewesen sein, ihn als erleuchteten Fciedensftirsten mit hoher Befriedigung zu erfüllen. Daß ein Einvernehmen zwischen Rußland und Frankreich besteht, ist mltten unter den rauschenden Festen und unter dem Jubel der französischen Bevölkerung wiederholt in Tischreden des Kaisers von Rußland und des Präsidenten der französischen Republik zum Ausdruck gekommen. Wir sehen keinen Grund, nach dem Verlauf der Pariser Festtage die in Deutschland herrschende ruhige und objektive Beurteilung der französisch-russischen Beziehungen irgendwie zu modifizieren. Da
bisher kein ernster Jnteressenwiderstreit zwischen beiden Staaten vorhanden war und solange ein solcher nicht besteht, ist der natürliche Fall gegeben, daß beide Staaten ein gemeinsames Vorgehen beobachten und sich ihre Unterstützung in den Fragen der gemeinsamen Interessen leihen. Man ist in Deutschland mit Recht davon überzeugt, daß insbesondere Rußland dieses Einvernehmen nicht zu kriegerischen Zwecken ausbeuten sondern es friedlichen Aufgaben dienstbar machen will. Anderseits hat Deutschland keine Politischen Interessengegensätze auszugleichen, weshalb wir um so unbefangener den glänzenden Verlaus der Festtage in Cherbourg, Paris und CHLlons konstatieren können.
Wildparkstation, 12 . Okt. Der Kaiser und die Kaiserin trafen gestern Abend um lg Uhr 30 Min. hier ein und fuhren nach dem neuen Palais.
Gotha, 12. Okt. Zum sozialistischen Parteitage sind 300 Delegierte und Delegiertinnen aus allen Teilen Deutschlands erschienen. Die Reichstagsfraktion ist größtenteils anwesend. Die Abgeordneten Singer und Bock wurden zn Vorsitzenden erwählt.
Wien, 11. Okt. Meldungen des (Wiener Corr.-Bureaus.) Nach Meldungen aus Kon- stantinopel vollführten gestern einige 10 g seit Wochen unbezahlte Arbeiter des Marine- Arsenals vor der Admiralität stürmische Demonstrationen. Die Arbeiter wollten nach dem Mdiz-Kiosk ziehen, wurden aber an diesem Vorhaben nur mit Mühe durch teilweise Befriedigung ihrer Ansprüche verhindert. — Die Nach, richt, daß die ägyptische Prinzessin Nasli, dir Tochter des 7 Mustapher-Hazli-Pascha, der Sitzung des jungtürkischcn Komiles, welches sie seit langer Zeit unterstützte, beigewohnt habe, erregte im Wldiz-Kiosk großer Unwillen und veranlaßte eine Reklamation in Kairo.
Paris, 11 . Oktbr. Ein amtliches Telegramm meldet, daß der neue Oberbefehlshaber auf Madagaskar, General Galieni seine Stellung in Tananarivo am 28. v. M. angetreten habe. Die Provinzen, in denen Unruhen herrschen, sind zu Militär-Territorien erklärt worden. Oberst Gonard hat 40 üw von Tananarivo in der Richtung nach Majunga einen Erfolg über die Aufständischen davongetragen.
Paris, 11 . Oktbr. Präsident Faure richtete an den Kricgsminister ein Schreiben, in welchem er ihn bittet, der Armee von den mit dem Kaiser von Rußland gewechselten Worten Kenntnis zu geben und hinzufügt: „Die unter Ihrem Befehl und unter der bewährten Führung Ihrer Generale an der Revue von Chalons beteiligten Truppen haben einen überaus imposanten Anblick gewährt. Ich sende Ihnen die herzlichsten Glückwünsche und danke im Namen des Landes der Armee."
Paris.-11. Okt. Der König von Griechenland ist heute vormittag hier eingetroffen und am Bahnhof von dem spanischen Gesandten und dem Kommandanten Burgeois empfangen worden, welch' letzterer den König im Aufträge des Präsidenten Faure begrüßte.
Paris, 12. Oktober. Der Minister des Aeußern, Hanotaux hatte gestern Nachmittag abermals eine Unterredung mit Schischkm. Letzterer gedenkt heute, (Montag) Paris zu verlassen.
London, 11. Okt. Der Erzbischof von Chanterbury ist heute vormittag während des Gottesdienstes in der Hawarden-Kirche vom Schlage getroffen worden. In das nahe Pfarrhaus verbracht, verschied derselbe.
London. 12. Okt. Im Hydepark fand gestern eine Kundgebung von Arbeitern gegen die Metzeleien unter den Armeniern statt. Mve Resolution wurde angenommen, welche die Regierung auffordert, einen Druck auf die Machte zu Gunsten eines gemeinsamen energischen Vorgehens auszuüben, wodurch dem Sultan die Macht genommen würde, den Blutkarneval fortzusetzen. Die Regierung könne der begeisterten Unterstützung der Londoner Bevölkerung versichert sein. Unter der Menge befanden M viele Armenier. Die Teilnehmer waren wenige zahlreich als gewöhnlich. _-
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh tn Neuenbürg.