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Mnteryatteuder -ett.
FideLio.
Erzählung von Gustav Höcker.
In dem freundlichen, nicht luxiös, aber mit feinem Geschmack ausgestattetcn Gemach vollendete eben vor dem Spiegel eine junge Frau ihre Toilette zum Ausgehen. Sie mochte kaum vierundzwanzig Jahre zählen; in der Haltung und Bewegung ihrer schlank gewachsenen Gestalt vereinte sich Grazie mit aristokratischer Vornehmheit. Unvergleichlich goldblondes Lockenhaar umzog wie eine Wellenbrandung das klassisch modellierte Antlitz; in den großen Veilchenaugen schimmelte der sanfte Schmelz der Jugend und Frische wie im Morgenthau. Ihr Gemahl, der Historien- und Genre-Maler Arthur Reinhold, in einem bequemen Hausrock, ging langsam im Zimmer auf und ab. Ein ausgeprägter interessanter Künstlerkopf krönte seine hohe Gestalt. Obwohl er erst im Beginn der Dreißiger stand, war sein Schritt doch unsicher und vorsichtig; zuweilen erhob er die feinen weißen Hände und streckte sie vor sich hin, als ob er im Dunkeln tappe und sich vor dem Anstoßen fürchte. In der Thal wandelte der Maler in finsterer Nacht, denn er hatte sich infolge einer Erkältung ein schweres Augenleiden zugezogen und war seit Monaten der Sehkraft beraubt. In der Weltstadt. in welcher er lebte, genoß er den Vorteil, von einem der berühmtesten Augenärzte behandelt zu werden, den er am Arme seiner Gattin fast jeden Nachmrttag besuchte, und dieser hatte ihm Hoffnung aus gänzliche Wiederherstellung ge macht, aber nur zu lange schon mußte Reinhold's künstlerisches Schaffen ruhen, welches die einzige Quelle seiner Einnahme bildete, und noch monatelang hatte er sich mit Geduld zu wappnen, ehe er. im glücklichen Falle, wieder zu Pinsel und Palette greifen konnte.
„Giebst Du Dich wieder trüben Gedanken hin?" srug die juuge schöne Frau mit einem Blick auf die sorgenvoll gefaltete Stirn ihres Mannes.
Ich denke an die Zukunft, Dora", ant- wortete er. „Der Ertrag meines letzten Bildes muß nun bald zur Neige gehen. Was dann?"
„Mache Dir doch keinen unnützen Kummer, Arthur," versetzte sie in heiterem, aufmunternden Tone, „in unserer Kasse herrscht noch immer Wohlstand. Ich kaufe in der Markthalle viel wohlfeiler ein. als Christine und feilsche wie ein Jude. Ich habe gelernt, das Geld auf's spar- samste einzuteilen, und habe vielerlei Einschränkungen getroffen."
„Ich mcinesteils aber merke nichts davon," entgegnete Reinhold, „es geht mir an Essen und Trinken nichts ab, aber es fehlt mir an keiner meiner gewohnten Bequemlichkeiten, dabei zahlst Du den Arzt und die Apotheke und erachtest es nicht einmal für nötig, die für unsere Verhält- niste doch viel zu kostspielige Wohnung aufzukündigen. Entweder kann ich nicht rechnen oder Du verstehst Dich auf's Zaubern. Höre, liebe Dora, solltest Du etwa an Deine Eltern geschrieben haben? Sollten wir etwa von Almosen dieser Stolzen leben, die Dich so gut wie verstoßen heben?"
„Nein, Arthur." beteuerte die junge Frau, „ich schwöre Dir's bei allem, was mir heilig ist, daß ich diesen demütigen Schritt nicht ge- than habe, sie wissen nicht einmal um Dein Un- glück. Doch jetzt will ich mich von Dir verab- schieden," fügte sie mit einem säst besorgten Blick auf die Uhr hinzu.
„Du gehst wieder zu Professors? Natürlich! Ich habe mich schon so oft verwundert über Deinen jetzt so regen Verkehr mit dieser Familie, zu der wir eigentlich nur ziemlich ober- flächliche Beziehungen unterhalten haben. Jetzt vergeht keine Woche, wo Du nicht an drei, vier Abenden zu ihnen eingeladen bist."
„Gönnst Du mir's nicht?" frug Dora mit sanftem Vorwurf. „Ist es nicht liebenswürdig von diesen Leuten, daß sie sich meiner an- nehmcn?"
„Wenn ich das nicht dankbar anerkennen müßte," antwortete der Maler, „so würde ich mich kaum darüber hinwegsetzen, daß mich seit
meiner Erkrankung weder der Herr Professor, noch eine der Töchter auch nur ein einziges Mal besucht haben. Doch will ich kein Egoist sein. — Nun. gute Nacht, Dora, denn wenn Du nach Hause kommst, schlafe ich doch schon längst. Unterhalte Dich gut!"
Als die junge Frau gegangen war. legte sich ein trauriger Zug um den Mund des Malers. Mochte Dora unter den jetzigen Umständen auch mehr denn je das Bedürfnis einer Zerstreuung fühlen, so empfand es Reinhold doch schon längst mit stillem Schmerz, daß die Gattin ihn in seinem Leiden so viel der Gesellschaft und Pflege der alten Dienstmagd überließ, während sie sich in seinen gesunden Tagen keine Stunde glücklich gefühlt hatte, wo sie seine Gegenwart entbehren mußte.
Während er sein langsames Auf- und Ab wandeln im Zimmer sortsetzte, blieb er mitunter an einer bestimmten Stelle stehen und sog mit der Nase die Luft ein, die offenbar mit Rosen- duft erfüllt war. Er wußte, daß er vor dem Spiegelschrank stand und mit dem verschärften Geruchsorgan des Blinden hatte er nach und nach herausgefunden, daß der Duft von dort Herkommen müsse. Um sich endlich davon zu überzeugen, erhob er sich auf den Fußspitzen und ließ seine Hand über dem Schranke hin- gleiten. Er erfaßte ein großes Bouquet und warf dabei eine Porzellanvase um. die auf dem Schranke hinrollte und dann mit schrillem Klange auf dem Fußboden zersprang. Gleich darauf wurde die Thür aufgerissen und auf der Schwelle erschien die ehrwürdige Christine, welche der Krach aus der Küche herbeigeholt hatte. Sie erschrak nicht so über die zerbrochene kostbare Base, als über das mächtige Rosenbouquet in den Händen ihres Herrn, der es mit fast fieber- sicher Hast auf allen Stellen betastete.
„Was ist das für ein Bouquet?" srug er nach der Thür gewendet.
„Ei, Sie haben es der gnädigen Frau ja an ihrem Geburtstage geschenkt", antwortete Christine nach einigem Besinnen, „ich habe es selbst besorgt."
„Ich erinnere mich aber doch genau, daß kein Band daran war," wandte Reinhold ein, während er ein breites Band,, das sich wie Atlas anfühlte, durch seine Finger zog
„Das wird die gnädige Frau wahrscheinlich erst später daran vcfestigt haben", antwortete Christine in verlegenem Tone.
„Mein Bouquet war auch bei weitem nicht von solcher Größe", behauptete der Maler weiter.
„Ei freilich," lenkte die Alte in scherzendem Tone ein, „sonst müßte es ja seitdem gewachsen sein!"
Reinhold ließ sie in dem Glauben, daß ihre Antworten ihn befriedigt hätten, aber er wußte sehr wohl, daß sie die Unwahrheit sprach, denn abgesehen von jenem abweichenden äußeren Kennzeichen, die ihm das Gefühl seiner Finger verraten hatte, hielt der Duft eines Bouquets nicht vierzehn Tage lang; so viel Zeit war aber seit Doras Geburtstag verflossen, während, nach dem Duft zu schließen» den dieses Bouquet ausströmte, die Rosen erst gestern gebrochen sein konnten. Die Thatsache, daß diese Blumengabe von anderer Hand, als von den seinigen stammte, und daß er davon nichts wissen sollte, stand also fest. In keinem Zustande ist der Mensch so leicht dem schleichenden Gifte des Argwohns zugänglich, als in dem der Blindheit, wenn er spürt, daß es in seiner nächsten Umgebung Geheimnisse giebl, für welche die traurige Nacht, zu der er verurteilt ist, selbst den Deckmantel liefern muß. Der Gedanke, daß sein Weib, welches er fast wahnsinnig liebte, ihn verraten könne, womit zugleich auch die Widersprüche seiner rätselhaften Existenz ihre Lösung fanden, machte dem blinden Gatten das Blut in den Adern sieden. Freilich fühlte er sich beschämt, wenn er bedachte, daß ein Weib kaum größere Beweise ihrer Liebe und Hingebung zu bieten vermochte, als er sie von Dora empfangen hatte. Einer zwar wenig bemittelten, aber vornehmen altadeligen Familie entstammend, umworben von ebenbürtigen und dabei reichen Freiern, hatte Dora mit allen Standesvorurteilen gebrochen
und sich mit Eltern und Verwandten Überwürfe» um die Gattin des bürgerlichen Malers >» werden, in welchem sie erst den Künstler verehrt und dann den Mann lieben gelernt hatte.
(Fortsetzung folgt.)
Einst und jetzt. Nur kaum zwei Menschenalter zuriickgerechnet, 1830, also zu einer Zeit, die viele Aeltere von uns selbst noch miterlebt haben, gab es m ganz Europa überhaupt bloß 114 Städte, welche mehr als 30000 Einwohner hatten. Davon kamen auf das Deutsche Reich (einschließlich Straßburg und Metz) 18. Die. erste Stelle nahm schon damals Berlin ein. Es war der Größe nach die 10. Stadt Europas und zählte 222000 Einwohner. Dann folgte Hambma (an 23. Stelle mit 114000 Einw.i, Breslau (39. Stelle 83 000 Einw.), Dresden (43; 72000), München 51 - 68000), Königsberg (53; 65000), Köln , 59; KZ Ms' Danzig (60; 62 500), Straßburg (73; 52000), Franb furt a. M. (74; 52000); Metz (79; 47 900), Magdebnra (92; 42000), Bremen (94; 41000), Leipzig (95; 41 VW Nürnberg (101; 40 000), Braunschweig (106; 380vv) Aachen (107; 37000), zuletzt Augsburg 114; 34000Y Das sind auf die 18 Städte 1133000 Menschen. Und heute? Nach der Volkszählung von 1895 weist das Deutsche Reich allein nicht weniger als 102 Städte mit mehr als 30000 Einwohner auf. Von diesen Städten kommen auf Preußen 62, Bayern, 9, Kgr. Sachsen und Baden je 5, Reichslande 4, Württemberg und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Anhalt je 2, Braunschweig, Sachs en-Koburg-Gotha, Sachsen-Altenburg, Reuß j. L. je 1. Sie bergen in ihren Mauern 10810291 Menschen. 28 Städte haben sogar über 100000 Einw. 68 schwanken zwischan 20 000 bis 30000, 180 zwischen 10000 bis 20000 Einw. Welche Fülle von Reflexionen können Pessimisten Optimisten nicht allein schon an dies gewaltige Amoachsen der größeren Städte knüpfen! Me Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
(Wie weit die Konkurrenz geht.) Em Gothaer Blatt teilt den nachstehenden Oringinalbrief eines gutsituierten Brauereibesitzers mit: „Herrn. . ..Gastwirt in . . . Hierdurch verpflichte ich mich, wenn und so lange Sie das ganze Bier, welches Sie für Ihre Wirt- schast bedürfen, zum Ausschank von mir entnehmen, Ihnen pro anno zu liefern: 1) das Stroh für Ihr Weh (Ziegen und Schweine), was Sie gebrauchen, 2) die Spreu für Ihr Vieh (Ziegen und Schweine), was Sie brauchen, ferner pro anno ein hübsches gesundes Saugschwein und 4) entweder ein paar Zentner Futterrüben oder Kartoffeln. Besten Gruß von ***." Wenn das nicht zieht... (Aehnliche wenn auch leichtere Fälle von übertriebenem Konkurrenzmanöver in der modernen Bierindustrie ließen sich noch mehr anführen.
(Wer kauft eine Insel?t Daß eine ganze Insel feilgeboten wird, kommt nicht alle T age vor. Der einzige Bewohner und Besitzer der Hallig Südfall stellt seinen Grundbesitz, 250 Demath groß, mit lebendem und totem Inventar zum Verkauf. Der Liebhaber werden sich jedenfalls nicht viele finden, denn das Leben aus einem solchen Nordsee-Eilande ist mit großen Mühseligkeiten verknüpft. So muß beispiels weise ein Bewohner der Hallig Habel allwöchentlich sich eine Labung Trinkwasser für sein Vieh mit einer Segeljolle von Ockholm kommen lassen.
Der heißeste I u n i seit einem halben Jahrhundert. Die bekannten „ältesten Leute" können sich nicht erinnern, jemals einen derart heißen Juni erlebt zu haben, wie den heurigen, aber auch die meteorologische Wissenschaft vermag, so lange sie regelmäßige tabellarische Aufzeichnungen macht, demselben keinen anderen an die Seite zu stellen. Der diesjährige Juni übertrifft alle seine Vorgänger im letzten halben Jahrhundert nicht nur in absoluter Wärmeentwicklung, sondern auch in Bezug auf die Beständigkeit seiner abnorm hohen Temperatur. Von den ersten 17 Tagen des Monats waren nicht weniger als 15 sogenannte Sommertage mit 25,0 Grad Celsius und darüber im Schatten.
(Das gute Kind.) Karlchen: „Papa, ich sitze jetzt nicht mehr auf her letzten Bank!" — Vater (erfreut): „Das ist hübsch von Dir! Da hast Du zehn Pfennige! Aber nun erzähle mir mal, wie das gekommen ist!" — Karlchen: „Die letzte Bank wird angestrichen!"
(Beim Wort genommen.) Sie (seufzend): „Ach Gott, ich bin so müde! Hab' wieder den ganzen Tag genäht." — Er: „Na, das ist doch keine Arbeit. Ich kannte einen Herrn, der sagte immer das Nähen sei für die Frauen, was das Pfeifen für die Männer." — Sie: „Na, dann nimm 'mal hier Fritzens Hosen und pseis' drei Flicken drauf. „
(Anzeige.) Es wird eine Französin gesucht — am liebsten eine geborene.
Redaktion, Druck und Verlag von L. Meeh in Neuenbürg.