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Die Wirtschaftliche Vereinigung des Reichstags ging am Mittwoch abend zur Be- sprechung des Börsengesetzes über. Abgeordneter Dr Hahn (fraktionslos) hatte das Referat über diese Frage übernommen und entwickelte seinen der Börse gegensätzlich gesinnten Standpunkt in eingehenden Ausführungen. Graf Arnim (Reichsp.) ging in ähnlicher Weise, wie der Referent, vom Gesichtspunkte aus. daß die Ausschreitungen der Börse einzudämmen seien, und plaidierte namentlich für die Einschränkung des Terminhnndels in Produkten. Die Debatte führte vorläufig zu keiner Beschlußfassung.
Der Vorstand des Reichstags hatte vor der Empfangsaudienz des Reichstagspräsidiums durch den Kaiser beschlossen, das sünfund- zwanzigjährige Jubiläum der Gründung des deutschen Reichs am 18. Januar 1896 durch ein Festbankett in der Wandelhalle des Reichstags zu begehen. Der Kaiser eröffnete sodann dem Reichstagspräsidium, daß er selbst ein Fest im hiesigen Schlosse an diesem Tage zu geben gedenke. Mit Rücksicht auf dieses Fest haben Erwägungen in den maßgebenden Reichstagskreisen Platz gegriffen, das Reichstagsfest entweder auf einen andern Tag zu verlegen oder ganz oufzugeben.
Aus Rudolstadt, 13. Dez. wird berichtet: Infolge einer zufälligen Entladung eines Gewehrs in der hiesigen Kaserne wurde ein Soldat gelötet, andere wurden unbedeutend verletzt.
Württemberg.
Ehingen, 15. Dez. Das Gesamtresultat der vorgestrigen Reichstagswahl im XV. württb. Wehlkreis liegt nun vor. Es erhielten Gröber 10 346. Quidde 3289, Schmid 2277, Kloß 110 Stimmen. Gröber ist somit gewählt.
Marktpreise.
Neuenbürg, 14. Dezember.
Butter, V 2 Kilo.-4L 0.95—1.—
Landeier.«4L 0.08—0.09
Kisteneier .... 2 Stück 13 1 Stück 7
Pforzheim, 14. Dezember.
Landbutter, V» Kilo.0.95 1.05
Süßrahmbutter.vkL 1.10—1.20
Landeier 2 Stück.14—16 ^
Kisteneier, 2 Stück.12—14 ^
Stuttgart, 14. Dezember.
Saure Butter, Vr Kilo. -4L 1.—
Süße Butter, V, Kilo .... -4L 1.10—1.20
Frische Eier 10 Stück . 70 ^
Kalkeier, 10 Stück. 60 ^
Ausland.
Seit vierzehn Tagen setzen in Wien die Führer der antiliberalen Parteien, die Deutsch- nationalen im Verein mit den Christlich-Sozialen, alle Hebel in Bewegung, um der Bevölkerung Wiens das Lesen der liberalen Zeitungen abzu- gewöhnen. Die Bemühungen haben einen geradezu verblüffenden Erfolg aufzuweisen, so daß man von einem Auflagenkrach spricht. Die Unterstützung, die die Regierung der liberalen Presse angedeihen ließ, hat sich als nutzlos erwiesen. Von Seiten der liberalen Abgeordneten der Stadl Wien ist nun die Regierung aufmerk' sam gemacht worden, gegen die Boykottbestrebungen cinzuschreiten. Mit welchem Erfolge, Wird die nächste Zukunft lehren.
Rom, 14. Dez. Kardinal Melchers ist heute früh 6 Uhr gestorben Melchers, geboren zu Münster am 6, Januar 1813, wurde zum Kardinal ernannt am 27. Juli 1885. Er war 1866 Erzbischof von Köln geworden und 1875 wegen seiner Stellung zu den Kuiturkampf- gesetzen abgcsctzt worden. 1885 verzichtete er.
Paris, 13. Dez. Präsident Faure sandte der Königin von Madagaskar durch den Zivil- Residenten La Roche ein prachtvolles Halsband im Werte von 120000 Fr.
Newyork, 14. Dez. Heute angekommene transatlantische Dampfer berichten, daß ihre diesmalige Ueberfahrt von kolossalen Stürmen und ungeheuren Beschwerden begleitet war. Bei einigen war das Takelwerk zu steinharlen Eis- Massen gefroren.
Unterhaltender Aett.
Pierre St. Robert.
Eine Erinnerung an den Feldzug 1870/71 von I. B. Muschi.
(Schluß.)
Unter den Mannschaften des Hels'schen Detachements herrschte eine hochgradige Aufregung über den Vorfall, die nur durch das dem deutschen Soldaten eigene Disz'plingefühl übertroffen wurde. Mit finsteren Blicken schauten die Soldaten auf die drei Gefangenen, welche man nach der Wohnung des Kommandanten führte.
Ewald v. Hels stellte ein kurzes Verhör milden Franktireurs an; ihre Gesichtszüge deutlich zu unterscheiden verhinderte die bereits eingetretene Dämmerung.
Derartige Verhöre waren auch meist sehr kurz und zermonienlos. Hels begann: „Einer von Euch möge meine Fragen beantworten. Ihr habt eine deutsche Patrouille hinterrücks überfallen?"
„Ja," antwortete einer der Männer, „auch wir waren auf dem Potrouillengange, Feind gegen Feind."
Warum bebte Ewald beim Klange dieser festen, stolzen Stimme? Es war eine menschliche Stimme, die an sein Ohr drang, und doch weckte sie ihm Erinnerungen an einen Mann, dem er sich zu Dank verbunden fühlte, doch wie sollte der mit seinen ruhigen, vernünftigen Ansichten, mit seiner unparteiischen Beurteilung des Krieges unter die wilde, kein Gesetz achtende Schaar der Franctircurs geraten sein! Es war nicht denkbar.
Ewald fragte weiter: „Bekennt Ihr Euch schuldig, zwei Mann einer deutschen Patrouille durch Aufhängen ermordet zu haben?"
Wieder antwortete dieselbe Stimme: „Wir sind keine Verbrecher, die bekennen, sondern freie Verteidiger Frankreichs, die sich ihrer Thaten rühmen dürfen. Wir führen Krieg mit Euch — und im Kriege soll es häufig Vorkommen, daß der Tod plötzlich an den Menschen herantritt. Endet den Krieg, verlaßt Frankreich — und der Tod hört auf, unter Euch zu würgen!"
Jetzt trat Hans mit dem Lichte ein, er stellte den silbernen Leuchter auf den Tisch, die Kerze flackerte auf und beleuchtete mit einemmal die Männer. Hels blickte scharf nach dem Sprecher, nun schwand ihm jeder Zweifel, der Mann, der vor ihm stand, war sicher Pierre St. Robert aus Bar-le-duc, zwar etwas verwildert im Aussehen und herabgekommen in der Kleidung, aber gewiß St. Robert der Ouvrier, der ihm dereinst so viel Achtung abgenötigt hatte.
„Unglücklicher Mann, muß ich Euch in der Gesellschaft Wiedersehen?"
Es schien, als leuchte bei dieser Anrede eine Art Rührung über das Antlitz des Gefangenen hin, er senkte die Augen zu Boden, dann kehrte rasch der wilde Trotz in die Züge zurück; von Hels ließ die beiden anderen Franktireurs abtreten und befahl, ihn mit Pierre allein zu lassen. Er löste dem Manne die Banden und lud ihn ein, am Tische Platz zu nehmen. Freundlich bot er ihm ein Glas Wein an, das St Robert hastig leerte.
„Pierre," sagte der Offizier nach kurzem Schweigen, „Ihr wißt, was Euch erwartet, Ihr wißt aber auch, wie sehr ich Euch verpflichtet bin. Ich möchte in der That Alles thun, was mir die Pflicht erlaubt, um Euch zu retten, Vor Allem müßt Ihr jede Gemeinschaft mit den Franctircurs adleugnen, dann werden sich Mittel und Wege finden lassen, Euch vor dem Tode zu bewahren "
„Gebt Euch keine Mühe: mein Schicksal kenne ich und muß cs erdulden, das Vaterland verlangt dieses Opfer. Ihr meint cs gut." setzte er hinzu, „aber Ihr seid ein Feind Frankreichs und von einem solchen will ich keine Gnade ...."
„Pierre, wir wollen uns in keine Erörterungen politischer Art einlassen, Ihr wäret früher anderer Ansichten, Gott sei's geklagt, daß ein Mann wie Ihr sich von augenblicklichen Erwägungen hat hinreißen lassen, vernünftigen Grundsätzen untreu zu werden. Jetzt handelt
es sich auch nicht um die äußerste Verteidigung politischer Ansichten, sondern um etwas rein menschliches, um die Rettung Eures Lebens. Wenn Ihr mir versprecht, ruhig nach Bar-le-due zu Eurer gewiß tiefbetrübten Frau zurückkehren und die ungesetzliche Sache der Franctircurs zu verlassen, dann will ich um Eures sonst edlen Charakters willen Vorkehrungen treffen, daß Ihr ungehindert unsere Vorpostenkette passieren könnt."
„Ich kann und will kein solches Versprechen geben." sagte Pierre in aufgeregter Weise. Seine Augen funkelten in wilder Glut, er stand vom Stuhle auf. — ein rascher Griff in die Brust- tasche seiner Blouse und von Hels sah ein Messer in seiner Hand blinken. Ehe der Offizier eine Bewegung der Abwehr machen konnte, war der beabsichtigte Stoß geschehen, jedoch bedeutend gemildert, da Hans im letzten Augenblicke dem Wütenden in den Arm gefallen war. Der treue Diener war hinter einer Portiere stehen geblieben und hatte mißtrauisch den Franctireur beobachtet. Hels war niedergefunken, er hatte eine breite Bcustwunde empfangen, die zum Glück durch die Abwehr des Dieners nicht allzu tief war.
Ehe Ewald wieder zum Bewußtsein kam, hatte das gerechte Schicksal die gefangenen Franctircurs ereilt, sie waren an den nächsten Bäumen aufgehängt worden.
-j- H
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Ewalds Gesundheit, die ohnehin noch nicht ganz befestigt war, hatte durch die in Rambouillet erhaltene Wunde wieder bedeutend gelitten, er ward zwar nach kaum einer Woche soweit her- gestellt, daß er evacuiert werden konnte, allein diensttaglich wurde er nicht befunden, man bewilligte ihm einen zweimonatlichen Urlaub. Er reiste bald mit Hans der deutschen Heimat zu und kam auch durch Bar-le-duc. Trotz des Widerspruchs seines treuen Dieners beschloß er, das Haus St. Roberts aufzusuchen. Er fand die von Pierre verlassene Frau in großem Elend, sie hatte, um ihr Leben zu fristen, ihr Häuschen verpfändet, und klagte dem Offizier unter Thränen ihre Not. Ihr Schmerz und ihr Entsetzen kannte aber keine Grenzen, als sie von Ewald das Ende ihres Mannes vernahm.
Ach, ich habe es ihm ja vorhergesogt, daß es so kommen würde," jammerte die Arme. „Und wie hart war er noch vor seinem Weggange gegen mich! Als ich ihn beschwor, doch ruhig hier zu bleiben, warf er mir wütend meine deutsche Abkunft vor, denn ich bin eine Elsässerin. Ach, ich hatte ihn so gern — und er war vor dem Ausbruche des unglückseligen Krieges ein so verständiger, ruhiger und arbeitsamer Mann!"
Sie konnte vor Weinen nicht weiter reden.
„Was werden Sie nun beginnen, arme Frau? Ihre Heimat, das Elsaß, wird deutsch werden, und ist dies einmal geschehen, dann wird man Sie hier in Bar-le-duc noch stärker an- feinden, als dies durch ihren Mann geschehen! Sie haben mir so viele Wohlthaten erwiesen, daß ich gerne dazu beitragen möchtej, Ihr Unglück zu mildern. Ich besitze ein großes Gut in Rheinpreußen und werde mich nach Beendigung des Krieges wieder ganz seiner Bewirtschaftung widmen. Meine Mutter wird alt und braucht eine tüchtige Stütze im Hauswesen; kommen Sie zu ihr, sie wird Ihnen eine zweite Heimat bereiten. Ueberlegen Sie meinen Vorschlag; ich verlasse Sie jetzt, mein Diener wird morgen hierher kommen und Ihren Entschluß entgegennehmen."
Die unglückliche Frau lächelte dankbar unter Thränen und versprach das großmütige Anerbieten überlegen zu wollen; darauf schieden die beiden Deutschen.
Frau St. Robert erkannte bald, daß der Vorschlag des deutschen Offiziers ein ehrenvoller und gutgemeinter fei; als Hans am anderen Tage bei ihr vorfprach, war sie bereit, bei Herrn von Hels als Wirtschafterin einzulreten. Sie ordnete ihre Angelegenheiten und traf nach einigen Wochen auf dem Hels'schen Gute ein.
Sie gewöhnte sich rasch in die neuen Verhältnisse ein und nach Jahr und Tag reichte sie dem braven Hans ihre Hand, um einen neuen, glücklicheren Bund für's Leben zu schließen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.