Deutsches Weich.

Die Wiederwahl des bisherigen, vom Zentrum und den Freisinnigen gestellten Reichs» tagspräsidiums hat den hierüber allseitig ge­hegten Erwartungen entsprochen, nachdem kon- servativerseiks die Uebernahme des ersten Vize- Präsidenten - Postens abgelehnt worden war. Immerhin wird es einigermaßen bemerkt, daß die Konservativen bei der Wahl des Präsidenten nicht, wie die Nationalliberalen und Freikonser- vativen unbeschriebene Zettel obgaben, sondern gemeinsam mit den übrigen Parteigruppen des Hauses für Herrn v. Buol stimmten. Es liegt in diesem Vorgänge immerhin eine gewisse Auf­merksamkeit der Konservativen gegenüber dem Zentrum, welche von letzterem auch gebührend gewürdigt werden dürfte. Vielleicht erlangt das genannte Vorkommnis im Verlaufe der Reichs- tagssesfion noch politische Bedeutung, dahin, daß sich die Konservativen wieder mehr dem Zentrum nähern, da das Verhältnis zwischen den Konservativen und den Nationalliberalen offen­bar manches zu wünschen übrig läßt.

Um die Vorgeschichte des Rücktrittes Herrn v. Köller beginnt sich bereits ein förm sicher Kreis politischer Legenden zu weben. Die merkwürdigsten Vermutungen über die Ursachen für das Abschiedsgesuch dieses Ministers tauchen da aus. es lohnt indessen nicht. auf alle diese Kombinationen näher cinzugehen.

Berlin. 8. Dezbr. Der Antrag des Zentrums auf Aufhebung des Jesuiten­gesetzes, der den vorausgegangenen Reichs- tagssessionen sogleich nach Eröffnung des Reichs lags eingebracht wurde und dadurch die erste Stelle unter den Initiativanträgen erhielt, ist bis jetzt vom Zentrum noch nicht wieder ein­gebracht worden und dürste auch vorläufig dem Reichstage nicht unterbreitet werden.

Berlin, 8. Dez, Die drei national- liberalen Reichstagsabgeordneten Freiherr v Hehl, Graf Oriola und Hosang haben den Antrag Kanitz mit unterschrieben. Daraufhin werden sie heute in derNational Ztg." sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß ihres Bleibens in der nationalliberalen Fraktion nicht länger sein könne. Es heißt da zum Schluß: Wenn Anhänger dieses Antrags Mitglieder der nationalliberalen Fraktion bleiben könnten, dann würde man m weiten Kreisen, die am gemäßigten Liberalismus sesthalten, irre werden an der parlamentarischen Vertretung desselben,"

Die Konferenz zur Revision des Han­delsgesetzbuchs ist am Donnerstag zur Be­sprechung des Abschnitts über die Aktienge­sellschaften übergegangen, Der neue Ent­wurf deckt sich im Großen und Ganzen mit dem bestehenden Recht. In der Konferenz ent­wickelte sich am Donnerstag eine lebhafte Debatte über die einzelnen Punkte, namentlich die Defini­tion des Begriffs der Aktiengesellschaft, Firma und Sitz, Gegenstand des Unternehmens, Höhe des Grundkapitals, Gewinnberechnung und Ver­teilung, Vorstand der Gesellschaft ujw.

Württemberg.

Stuttgart, 6 Dez. Die Kammer der Abgeordneten hat heute den in der Kommis­sion mit 9 gegen 4 Stimmen angenommenen Antrag, an die Regierung die Bitte zu richten, die Einführung der fakultativen Feuerbestattung in Württemberg zuzulassen, mit 44 gegen 40 Stimmen genehmigt.

Stuttgart, 7. Dez. (Korresp.) Die hiesigen Demokraten der schärferen Tonart, welche entgegen den Warnungen des Kammerpräsidenten Payer und des Reichslogsabgeord. Galler unter Führung der Gebr. Haußmann jede Verständig­ung mit der Deutschen Partei bezüglich der Ge- meinderatswahlen abgelehnt und dafür ein Kartell mit der Sozialdemokratie eingegangen halten, sind durch den Ausfall der hiesigen Gemeinde­ratswahl bitter enttäuscht. Auch dem freisinnigen Teile der Einwohnerschaft Stuttgarts war der demokratisch-sozialistische Wahlzettel offenbar sehr unsympatisch und die Folge war, daß diesmal kein Demokrat aber noch weniger ein Sozial­demokrat auf das Rathaus gewählt wurde, obwohl die letzteren den letzten wahlfähigen Bürger aus ihren Reihen zur Wahlurne gebracht hatten.

denn die Opposition ist immer fleißiger beim Wählen;, gleichwohl sind die demokratisch sozial­istischen Kandidaten gegenüber den Kandidaten der vereinigten Ordnungsparteien, wie sie be- zeichnender Weise sogar der Beobachter nennt und indirekt zugiebt, daß seine eigenen Freunde und Kartellbrüder auf die Unordnung es abge­sehen haben, mit durchschnittlich 800 bis 1000 Stimmen in der Minderheit geblieben und auch nicht ein einziger der ihrigen zieht diesmal in das Stuttgarter Rathaus ein. Es zeugte nicht gerade von großer diplomatischer Klugheit der Brüder Haußmann, daß sie die ihnen angebotene Ver­ständigung der Deutschen Partei ablehnten, denn sonst hätten sie mindestens 3 Volkspartciler bei der Wahl durchgesetzt, während sie jetzt nicht nur das Nachsehen haben, sondern bei der schwer vor den Kopf gestoßenen Deutschen Partei bei künftgen Gemeinderatswahlen nicht so leicht mehr ein Entgegenkommen finden dürften. Nach den letzten Landtagswahlen freilich glaubten die Brüder Haußmann die ganze Welt vollends im Sturm erobern zu können und werden nun sehr unsanft daran erinnert, daß die Welt rund ist und sich drehen muß.

Heilbronn, 8. Dezbr. Gestern früh wurde hier die Nachricht bekannt, der hier stadt­bekannte Milchfuhrmann von Schloß Stettenfels sei nachts zuvor als Leiche mit seinem Fuhrwerk heimgekommen. Da man allgemein ein Ver­brechen vermutete, begab sich gestern die Staats­anwaltschaft und das Gericht nach Schloß Stetten­fels. Die Sektion der Leiche ergab, daß der Milchfuhrmonn infolge allzu reichlichen Genusses von neuem Wein während des heftigen Sturmes auf seinem Kutschersitz sich erbrochen hatte, wo­bei ihm ein Gegenstandin die falsche Kehle geriet", woran er erstickte. Er hatte bis Gruppen­bach 3 Begleiter aufsitzen lassen, einer derselben lenkte das Fuhrwerk. In Gruppenbach stiegen diese 3 Begleiter aus, um einzukehren, während sie den nach ihrer Meinung blos schwer bezechten Milchfuhrmann sitzen ließen. Als sie wieder ans dem Wirtshaus herauskamen, stand das Fuhrwerk noch immer da. Jetzt erst gewahrten sie, daß der unbewegliche Kutscher tot sei und schon vor der Ankunft in Gruppenbach gestorben sein müsse. Sie gaben nun dem Pferde einen Fitzer" und so gelangte das Milchfuhrwerk mit dem toten Fuhrmann abends nach Schloß Stetten­fels. Nach den 3 Begleitern wird gefahndet.

Ulm, 7. Dez Nach der Volkszählung vom 2. Dez. hat die Stadt Ulm 39 307 Einwohner, davon männliche 22 138, weibliche 17 169. Nach der Zählung von 1890 betrug die Einwohner­zahl 36191. Die Zunahme ist also 8,6 °/o gegen 7,6°/» im Jahre 1890. An Militär­personen wurden 7018 gezählt.

Weingarten, 7. Dez. Obgleich im An- zeigeteil desOderschwäbischen Anzeiger" zu der hiesigen Gemeinderatswahl 27 Vorschläge ge­macht waren, wurden die bisherigen Gemeinde­räte nnedergewählt.

Ausland.

Ein neuer Skandal zieht für Frank­reich anscheinend herauf. Der PariserFigaro" kündigt an, daß nächstens in der Deputierten­kammer große Mißbräuche, durch welche der Siaat beim Bau von Bahnen in Algier um Millionen geschädigt worden sein soll, zur Sprache gebracht werden würden. Das Blatt behauptet, den Vertrauten des Barons Reinach sei es ge­lungen, Verwallung und Gesetzgebung derartig zu beinflussen, daß diese algerischen Machenschaften bis jetzt nicht bekannt geworden seien. Sollten diese Behauptungen desFigaro" sich als wahr erweisen, so hätte ja das Ministerium Bourgeois eine prächtige Gelegenheit, seinestarke Hand" zu bekunden und in den algerischen Machen­schaften gehörig durchzugreifen.

Der englische Feldmarschall Lord Roberts hat in seiner kürzlich in Dublin ge haltenen Rede über die Lage in Ostafrika recht beherzigenswerte Mahnungen für die englische Regierung und das englische Parlament ausge­sprochen. Ec betonte, daß England auf über­raschende Ereignisse in Ostasten gefaßt sein müsse, diese sowohl, als auch die Machtstellung Eng­lands und sein Kolonialbesitz erforderten eine

starke Flotte und ein gut ausgebildetcs, wohl- organisiertes Heer. Daß das englische Heer­wesen sehr im Argen liegt, ist ;a aller Welt bekannt; will England seine Stellung unter den Mächten behaupten, so muß es durchgreifende Reformen auf militärischem Gebiete einsühren. vor allem aber das System der allgemeinen Wehrpflicht annehmen.

Die Nachricht von Goldfunden in Deutsch-Ostafrika bestätigt sich. Der Be­auftragte der deutsch ostafrikanischen Gesellschaft, der Geologe Dr. Stapff, hatte im vergangenen Oktober an mehreren Punkten westlich von Tanga das Vorkommen von goldhaltigem Quarz fest- gestellt. Inzwischen ist Dr. Stapff gestorben, die Gesellschait hat daher den englischen Berg- Ingenieur Marlin mit der Aufgabe betraut, die vou Dr. Stapff gemachten Goldsunde völlig klar zu legen.

Im Senat der Vereinigten Staaten von Nordamerika wurde der Antrag eingebracht, die amerikanischen Häfen zu befestigen. Ein zweiter Antrag verlangt energische Maßregeln zum Schutze der in der Türkei lebenden Ameri­kaner. Ein dritter Antrag enthält die Forder­ung, die Insurgenten auf Cuba als kriegführende Macht anzueckennen,

Kelly, der englische Tonkünstler fand, daß sein Talent nicht genug lohne; er beschloß also, einen Weinhandel damit zu verbinden. Er fragte deswegen Sheridan um Rat.Ich habe nichts dagegen", sagte dieser,schlage Ihnen aber vor, auf Ihr Schild zu sctzen:Kelly. Musikhändler und Weinkomponist".

Telegramme.

Berlin. 8. Dez. In maßgebenden Kreisen gilt die Ernennung des Regierungspräsidenten Frhrn. von der Recke von der Horst in Düsseldorf zum Minister des Innern als unmittelbar bevorstehend.

Berlin, 8 Dez. Der Kaiser fuhr heute nachmittag 5'/« Uhr in das Reichskanzler­palais und hatte daselbst eine längere Unter­redung mit dem Reichskanzler. Von da fuhr der Kaiser in das Palais der Kaiserin Friedrich und nahm daselbst am Diner teil. Abends wohnte der Kaiser derMenzel-Feier" in Kroll's Etablissement bei.

Berlin. 8. Dez. Anläßlich des 80. Ge­burtstags des Malers Adolf Menzel über­brachte der Chef des kaiserlichen Zivilkabinets, Geheimrat v. Lucanus, an Menzel im Aufträge dis Kaisers das Ernennungsdekret zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Titel Ezzellenz. Bei der heute vormittag stattgefundenen Gratulations- Cour der Akademie der Künste für Adolf Menzel hatte der Kaiser eine Ehrenwache vom 1. Garde- Jnf.-Reg. in der Uniform der Fredericianischen Garde entsendet. Geheimrat Miesner überreichte dem Jubilar im Aufträge des Kaisers eine Bronzebüste des Kaisers in Lebensgröße. Von zahlreichen Kunst-Genossenschaften wurde Menzel zum Ehrenmitglied, von zahlreichen Städten zum Ehrenbürger ernannt. Auch sehr viele Gratu- lationstelegramme sind cingegangen. Kaiser Franz Joseph verlieh dem Jubilar das Ehren­zeichen für Kunst und Wissenschaft.

Wien, 9 Dez. Gestern fanden mehrere antisemitische Frauenversammlungen statt, an welchen Dr. Lueger und Prinz Lichtenstein teil- nahmen, ein Zwischenfall kam nicht vor.

Konstanrinopel, 9. Dez. Im letzten Ministerrat wurde außer der Angelegenheit Said Pascha's auch ein Erlaß im Sinne allge­mein verständlicher Reformen sowie eine die Gleichberechtigung verkündende Proklamation seitens des Sultans beraten und empfohlen. Ob der Erlaß tatsächlich ergehen wird, kann mit Sicherheit nicht vorausgesetzt werden.

London, 9. Dez Reuter meldet aus Konstantinopel vom 7. Dez.: Als der Sultan gestern nach dem Selamlik die Moschee verließ» gelang es einem Mann in türkischer Kleidung mit einer Bittschrift in der Hand den Truppen­kordon zu durchbrechen und der Mann stürzte bis zum Wagen des Sultans vor, er wurde aber sofort verhaftet. Der Sultan war höchst erschreckt und wurde sehr bleich. Der Inhalt der Bittschrift ist nicht bekannt.

Redaktion, Druck und Beklag von C. Meehin Reuenbürg.