Ausland.
In Wien haben die antisemitischen Kund- gedungen sogar die Frauenwelt ergriffen. Der als Bürgermeister nicht bestätigte Dr. Lueger ist nicht nur bei der Wiener Bevölkerung eine gefeierte Persönlichkeit, sondern auch bereits von einer großen Tiroler Gemeinde einstimmig zum Ehrenbürger ernannt worden.
Dem amerikanischen Kongreß ist die Botschaft des Präsidenten Cleveland zugegangen, die sich in verschiedenen Punkten scharf gegen Deutschland wendet. Wir entnehmen ihr Folgendes: In bezug auf die Beziehungen zu Großbritannien weist die Bot« schaft auf die Note vom Juli d. I. hin, in der bestimmt erklärt wurde, daß die Politik der Vereinigten Staaten entschieden gegen eine auf dem Wege der Gewalt erfolgende Gebietserweite- rung irgend einer europäischen Macht auf dem amerikanischen Kontinent gerichtet sei. Die Vereinigten Staaten hätten daher Anlaß genommen, gegen eine Gebietsvermchrung von Britisch- Guyana, die den Rechten und Wünschen Venezuelas widerspreche, zu protestieren. Die ganze Frage müßte ohne Weiteres einem Schiedssprüche unterworfen werden. England habe auf diese Note noch nicht geantwortet. Sodan beklagt der Präsident den Konflikt auf Cuba. Trotz der Sympathie einzelner Amerikaner für jene, welche für größere Autonomie und Freiheit zu kämpfen scheinen, seien doch die Vereinigten Staaten verpflichtet, Neutralität zu bewahren und diese zu erzwingen. Bezüglich Armeniens führt die Botschaft aus, mehrere der bedeutendsten Mächte Europas hätten durch Vertrag nicht allein zum Besten ihrer eigenen Interessen sich Rechte gesichert und Pflichten übernommen, sondern als die Sachwalter der christlichen Welt. Ihr Recht sei, ein solches Verhalten seitens der türkischen Regierung zu erzwingen, welches brutale Äußerungen des Fanatismus verhindert. Wenn dies nicht gelinge, sei cs die Pflicht jener Mächte, dermaßen einzutreten, doß Sicherheit gegen solche schrecklichen Vvrkonmn sse gegeben sei, wie sie vor Kurzem die zivilisierte Welt erschütterten. — Bezüglich der Hondelsfragen verbreitet sich die Botschaft mit besonderem Nachdruck über die differenzielle Behandlung der amerikanischen Ausfuhr seitens Deutschland, wodurch die Ausfuhr sowohl von Vieh als anderen der Ernährung dienenden Erzeugnissen aufs Schädlichste betreffen würden. Der Präsident erwähnt sodann mit Bedauern die Thatsochc, daß amerikanische Versicherungs-Gesellschaften in Preußen mit Schwierigkeiten bedrängt und sogar von dort vertrieben würden; er fügt hinzu, die Vereinigten Staaten sollten sich unbilliger Unterscheidung nicht unterwerfen und regt an. Nctoisionsmaß- regeln zu ergreifen. — Deutschland wird die Antwort hierauf sicher nicht schuldig bleiben!
Unterhaltender Teil.
Der Uebrrfaü von Ueuenlmrg.
Von Albert Braun.
(Schluß.)
Der hierauff Versörtigte Bericht ist diß Besags: Erstlich: Der beschädigte Soldat — des empfangenen Streichs halb, ob es sich schon an- fangs böß ansehen laßen, hat ganz keine Gefahr mehr zu besorgen, und ist dcrselb wideruwb ganz frisch. Auch hat Würns sich verglichen und seind dabei gewetzt etliche seiner Rott Gesellen, zahlte den Balbiererlohn und die in solchem Verglich auffgewandten vicrthalben Gülden Zöhrung und sehen damit beide Thcill zufrieden und Wider Guthe Gesellen. Würns will diejenige, so ihn geholt, nit alle kennen. Ist dabey gcweßt der Lieutenant, etwa 40jährigen alltters, rede ganß niderländisch und Hab er ihn nur Lieutnant S taab nennen hören. Dkßglcichcn einer von Adel, noch leedigcn Standts und unterhalb Frannkhfurt daheimbd, den man Roßstein nenne. Wiederumd einer der Rieppurger, welcher in diesen Landen daheimbd. Item der Corpora!, Heinrich N. von Heylbronn oder da- selbst herumb daheimbd und entweder selbst ein Würth oder eines Wurths Sohn. Ferner der Trompeter, Conrad gehaißen, aus dem Westerich.
Die andern seind eben Reitter geweßt. Die Reitter, so Würns besucht, haben allhie kein ander muthwillen geübt, alß daß sie mit dem Würth der Zech halb, alß wann er zu thewer rechnet, zu marckten und daran abzubrechen, darnach die Pferdt uff der Gassen gesprengt und entlich miteinander zum Thor hinauß zu rennen und die Staig auffhin ettliche Schiß zuthun im Brauch haben."
Würns sagt: „er seines Theills begehr der Freyheit ganß nit mehr, dann es sich Gott Lob mit seinem Gegenteil! wider gebeßert, also daß er sein guther Bruder sehe, wünscht, daß dieser Handel vermittelt wär."
Er wird nun auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs „durch handgebende Treue verpflichtet, ohne Verlaub nicht zu weichen oder flüchtigen Fuß zu setzen." Da die Sache sich in die Länge zieht und „dieweil sich seine mit Höchstem Verlangen erwartete Erledigung alsolang verweilet, thut er zu Zeit, namentlich wenn er des Weines empfindet, sehr würsch und unwillig zu werden und vermeint, fürstliche Gnaden könnten's mit Markgraf Carln außmachen. Er sey in allen nahend in die achtzehn Wochen allhie auff und seye ihm länger bleiben sehr hochdeschwehrlich und unmöglich. Eine frisch verwegne Haut ist ihm nichts zuviel, mit armen schlechten Burgern und Unterlhanen allerhand unruhige Händel zu üben. Sagt, was er bei Ließen Zeitten, da allerorten so starkh Kriegswerbungen sehen, allhie in Faullheit verligen soll. Wann's dann mit ihme angezaigle Beschaffenheit hat, ist er ein trutzigcr Gesell, abdcm sich eine gemeine Bürgerschaft hochluklagen thut, und bittet sürstl. Gnaden, gemeine Statt mit dem Würns gnädig zu verschonen."
Da sich die Sache verzieht, beginnt er sein eigenwillig trutzig und tollwütig Leben u. Wesen über vielfältiges Verwarnen je länger, je mehr zu üben, einer gemeinen armen Bürgerschaft zu großer Bcschwerd und Ungelegcnhcit. Eines Sonntag abends hat er abermalen ein wildes tolles Wesen angefangcn und eine große Zeche g>habt, drang hernach in Hans Maisenbacheis Haus ein (der als Kviporal in Urach geküßt, ollwo ihn seine Hausfrau besucht), sich wild und roßend stellend und die Magd also ängstigend, daß sie zum Laden hinausgesprungen, die Kinder aber hat er zum Haus hinausgcschmissen. Nachdem er alles gut versperrt, ist er mit dem Licht im Stall und überall herumgeloffen und hat die Nachbarn mit greulichem Wüten und verschmitzten Schmähwortev schwer beleidigt und gedroht, er wolle sie alle wie Kraut zusammenhacken, auch dies bekräftigt, indem er mit entblößter Wehr auf Tisch und Bänke hincingehaucn. Er wird nun in den Turm gesetzt, der Herzog aber übermalen gebeten, eine arme Bürgerschaft von ihm unbeschwert zu lassen, da zu besorgen sei. wenn er fürbaß allhie verbleiben sollte, er möchte ein Unglück stiften oder eine Entleibung vornehmen. Der Herzog lufiehlt, den Schlingel jder Händel halben 10 Tag im Turm aufzuhaltcn und ihn nicht sortziehen zu lassen, bis er seine Atzung bezahlt habe.
Wegen des „Atzes" wendete sich die Stadt an Markgraf Friedrich von Baden, der dafür gutsprichr. Im Mai überbringt Hannß Albrecht v. Sperbeiseck, sürstl. würnb. bestellter Kommissarin, einen herzoglichen Befehl, der verlangt, die vier beteiligten badischen Reiter sollten hand- treu versprechen, „weder von sich noch durch Antrieb anderer sich dergleichen mehr zu unter- ziehen." Nach Bezahlung ihres Atzes und Verwarnung, nie mehr gegen die württ. Landesoberhoheit also zu fehlen, sollten sie wieder hin- ziehen. „Hat sich also dieser Handel mit diesem geendet, daß man den Reiter fortpoßiren laßen, hat aber eben Behrig so viel Gellt allhero geschickt, daß sich die Würth um den dargeborgtcn Atz haben können bezahlt machen."
Der leidige Handel und die Ausdehnung der sechs Wochen auf über sechs Monate hatte für die Zukunft seine Folgen, indem „der Jähheit nit mehr gebraucht worden." Im Jahr darauf zwar „halten vier ledige Bursche von Wimbsen (Wimsheim) um gemeiner Statt Frey- heit an. waßmoßen sie mit andern in Schlag
handlung geraten, darüber sie die Nothwöhr gebrauchen mäßen und einer unter ihnen umkommen."
Der Ueberfall der Freistadt durch den Markgrafen Carl muß weit umher ruchbar geworden sein. Deshalb weitst sich das Siättlin 1624 an den Herzog: Die Freiheit sei wenig bekannt und der Stein „unansichtbar" wie ein Markstein. Der angeborene Landessürst wird deshalb qehorsamlich gebeten, ein „steinern Saul oder Zeichen mit derselben fürstl. Wappen" allen Vorüberreiscnden zu besserem Gemerk aufrichten lasten, damit diese Freiheit „in bessern Beruf, forderist fürstl. Gnaden, dann auch gemeiner Statt dabei habenden Interesse kommen und gereichen möchte." Die Neuenbürger versprechen, diese Gnade in „keinen Vergeß stellen" zu wollen.
Die hierüber erwartete fürstl. Resolution entspricht dieser Bitte nicht und so steht der alte, unscheinbare Stein heute noch an der Steige und wird von wenigen bemerkt.
In den Stürmen des 30jährigcn Krieges, die auch in Neuenbürg schrecklich gewütet haben, gab'S ja so viele Totschläger und waren die „Schlaghandlungen" so allgemein geworden, daß man einer Freistätte nicht mehr bedurfte.
Nach dem Kriege erinnerte man sich derselben witder. So floh !6ö6 Jakob Ed erlin von Bülfingen, 1660 Hannß Enderl in. ein Buchtruckher Gesell, und 1673 Hanr.ß Schmid Götz von Mönßhcim in Besorgung eines begangenen tödtlichrn Stichs oder einer ungefähr- liehen Schlaghandlung hicher.
Ob die „ungefährlichen Totschläger" abge- nommen haben, oder das Auge dcs Gesetzes von nun an so streng gewacht, daß die Ucbelthäter gleich gefaßt und in Numero Sicher gebracht werden konnten, wer will's sagen, — kurz die Ncucnbürger Chronik berichtet nichts mehr von solchen, „welche umb Gemeiner Statt Freyheit angehalten"; aber Uebersälle gabs von da an bis zum Jahre 1815 genug: Franzosen, Schweden, Oesterreicher, Bayern, Sachftn, Kosaken — alle statteten dcm stillen Schwarzwalbstädlchcn trotz seiner Weltabgcschicdenheit ihre Besuche ab, ohne sich hernach zu entschuldigen.
Die Mauern Neuenbürgs mußten nach der großen Feuersbrunst des Jahres 1783 fallen, die Thore wurden abgetragen und die Gräben aufgesüllt. Auch der alte Bären fiel mit 70 anderen Gebäuden damals dem furchtbaren Brand zum Opfer, erhob sich aber bald wieder und dient wie noch manch andere „offene Herberg" dem und jenem auf etliche Wochen als Aufenthaltsort, allerdings nicht mehr solchen Gästen, die „in Besorgung eines schlimmen Streichs" hicher gekommen, (denn diese finden heuzutage auch in der alten Freistadt Neuenbürg ihr Freiquartier auf 6 Wochen in dem bekannten Hotel „auf dem Graben", dem Haus mit den kleinen Fcnsterlin und den eisernen Gardinen darvor), sondern denjenigen Gästen, die in unserer herrlichen Umgebung, frische, harzduftende Lust für die be- staubten Lungen, Ausspannung vom Alltags» getricbe und Ruhe für ihre überarbeiteten Nerven suchen. Möge die neuerdings wieder erwachte Baulust und die Errichtung einer neuen Wasserleitung dazu beitragen, daß Neuenbürg in dieser Hinsicht als Freistätte immer mehr in Gebrauch komme.
(Dauerhafte Ware.) Wulkower (Inhaber eines Kleidermagazins): „Herr Rosenheim, Sie hab'n gestern wieder zu viel getrunken, das schad't dem Geschäft!" — Rosenheim: „Wieso schad't das dem Geschäft, wenn ich abends was trink'?" — Wieso? Wenn Sie abends was getrunken haben, hab'n Sie in der Früh so ä Zitternis in de Händ, daß Sie beim Vorzeigen von die billigen Hosen allemal herunterschütteln die Knöpp!"
(Sonderbar.) Anwalt: Sind Sie verheiratet? — Schauspieler: Nein. — Anwalt: Und was sind Sie in ihrem Berufe? — Schauspieler: Heldenvater!
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.