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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung. ^
Höfen. (Eingesandt). Unlieb verspätet. Am letztenFrcitaghieltBäckermeisterGrötzinger, welcher seit ca. 6 Jahren sein Geschäft hier betrieb, seine Abschiedsfcier. Daß der Scheidende ein beliebter Bäcker und Gemeindemitglied war, beweist die zahlreiche Teilnahme, indem der Saal z. Ochsen bis auf den letzten Mann besetzt war. Toastiert wurde auf den Scheidenden von Karl Großmann, W. Sieb, Gg. Rohrer, Fuhr- werlbesitzcr Gentner und zum Schluß kam noch Briefträger Lamport, welcher noch aus treuer Anhänglichkeit dem lieben Scheidenden ein Gedicht widmete, welches allgemeinen Anklang fand und hier Platz finden wöge:
So naht sie denn die Scheidestunde,
Aus Flügelsohlen, der Moment,
Der Dich entrücket unsrem Bunde,
Den Freund von seinen Freunden trennt.
Die Kameradschaftsbande lösen
Willst Du, — Mögst Du es nie bereu'n, —
Es war sa hier so schon gewesen,
Doch nein, es hat nicht sollen sein.
Du wand erst nun aus unfern Thoren,
Vom schönen Höfen an der Enz,
Hast Dir zum neuen Heim erkoren,
Dort Schwabens zweite Residenz.
So wünschen wir Dir Glück zur Reise Und Deinem Meiste froh Gedeih'«,
Mögst Du auch dort in jeder Weise Mit Deinen Lieben glücklich sein.
Ob wir auch schmerzlich hier Dich missen,
In unfern Herzen lebt Dein Bild,
Wenn wir Dich dort recht glücklich wissen,
Ist unser bester Wunsch erfüllt.
Mag uns auch trennen Raum und Zeiten,
Soll unsre Freundschaft fort besteh'n,
Bedingen wir auch hier beim Scheiden:
Ein Lebewohl aus Wiederseh'n!
Dem Scheidenden wünschen wir fernere Zukunft alles Glück, ein herzliches Lebewohl! Auf Wiedersehen!
Deutsches Weich.
Unser Kaiser hat ein Bild malen und dem russischen Zaren schenken lassen, das in diesen Wochen viel besprochen wird. Da cs in den Schaufenstern vieler Kunsthandlungen zu sehen ist, brauchen wir es nur kurz zu beschreiben. Es stellt den Kampf zwischen Christentum und Buddhismus dar. Von Osten her kommt mit Feuer und Drachengesichtern das Heidentum des gelben Mannes und bedroht den Kreml in Moskau, die Petcrskirche in Rom, den Kölner Dom, die Hohenzollernburg, die Industrie und Landwirtschaft Europas. Auf einer Bergeshöhe sammelt der Erzengel Michael die europäischen Völker, Deutschland, Rußland, Oesterreich, Italien und England, lauter woffenkräftige Frauengestalten. Ueber den europäischen Völkern glänzt in den Wolken das Kreuz, mit welchem Kaiser Konstantin vor langen Jahrhunderten die Heiden besiegte. Die Unterschrift des Bildes heißt: „Völker Europas wahrt eure heiligsten Güter! Wilhelm, I. L.
Ueber dieses Bild urteilt der bekannte Pfarrer Naumann in feiner „Hilfe":
„Wir finden nicht, daß das Bild künstlerisch besonders wohlgelungen sei, aber das thut nichts zur Sache, was es sagen soll versteht jeder. Es will den Völkern Europas sagen: lernt Weltpolitik treiben! Derselbe Kaiser, von dem das Wort stammt, daß unsere Zeit unter dem Zeichen des Verkehrs steht, zieht nun die Folgerungen aus diesem Wort. Der Weltverkehr verändert die äußere Politik. War bisher die Politik ein Ringen und Streiten der kleinen Kulturvölker Europas, so treten nun die ungeheuren Völker auf, von denen die Deutschen und die Franzosen für sich allein nichts bedeuten. Diese Völker sangen an aufzuwachen ; doch sind sie halb im Schlaf, aber ein feines Ohr hört schon den Schlachtruf der letzten Weltperiode: Buddha oder Christus!
Europa wird sein wie Griechenland war, als die Perser es bedrohten, wie Frankreich war, als Attila durch Mitteleuropa jagte, es wird die Hüterin einer großen, edlen Kultur sein müssen. Das kann es nur, wenn es Waffen trägt und in Waffen einig ist. Wenn Europas Völker sich jetzt bekämpfen wollen, so ist es kurzsichtig, wenn sie jetzt abrüsten wollen, so ist es eine Schwäche, die von der Zukunft unserem Geschlecht nicht wird vergeben werden. Wenn wir nicht begraben sein wollen wie Kleinasien und Syrien, dann brauchen wir Macht.
Dies etw a ist der Inhalt des Bildes. Wir freuen uns an diesem weiten Ausblick in die Völkergeschichte und wollen gern alles thun, um diese kaiserlichen Gedanken zu verarbeiten und zu vertreten. Es ist ja im
Arbeiter stände und unter sozialistisch denkenden Gebildeten viel Abneigung gegen „Militarismus." Wer versteht dieses Gefühl nicht? Aber dieses Gefühl allein macht eine schlechte Politik. Zur Politik gehört die Beobachtung der vorhandenen Thatsachen, der gegenwärtigen und der kommenden. Auf letztere uns hinzuweisen ist der Wille des Kaisers."
Uebrigens hat der Maler Knackfuß dem Pariser „Matin" ein Schreiben geschickt, worin er sich über die Deutung der von ihm nach einer Skizze des Kaisers hergestelllcn allegorischen Zeichnung wie folgt äußert:
„Die Erklärung, nach der die in dem wolkenbedeckten Himmel schwebenden Mächte sich aus die Ereignisse im äußersten Osten beziehen, entspricht nicht vollständig der Idee, die die Komposition des Bildes geleitet. Diese Figuren haben trotz ihrer asiatischen Gestalt eine allgemeine Bedeutung: der Drache und der Buddha verkörpern im weitesten Sinne die Mächte der Zerstörung und der Verneinung."
Der Kaiser habe also, meint Knackfuß, an eine Versinnbildlichung des Kampfes gegen den Umsturz gedacht.
Wtteryaktender Heil.
Der Ueverfall von Neuenbürg.
Von Albert Braun.
(Fortsetzung.)
Vier Tage darauf (24. Nov.) hält plötzlich am Hellen Mittag ein Trupp Reiter vor dem Bären, cs ist „hochermelter Herr Markgraf Karl in selbstaigencr Persohn" mit etwa einem Dutzend seiner Reiter. „Hochermelter Herr" stürmt in den Bären und läßt den erschrockenen „Bärcn- würth" mit schlimmen Worten an, eilt dann auch in den Stall, um nach Würnßer zu suchen, und da er ihn nicht findet, fragt er den Wirt, wer hier zu befehlen habe. Der Vogt Johann Wolfgang Werthwein ist „in Amblsgcschäften gen Stuttgarter! verraist" und wird durch den Stadtschreiber vertreten, der aber selben Tags „der Grimmen und Leibes Schwachheit halb" das Belt hütet. Der Markgraf ist wütend; der Wirt muß ihm die Wohnung zeigen, und „strackhs zu Fuß" eilt er mit beihabenden Reitern die hohe Stiege hinauf in des so schwer kranken Stadtschreibers Losamcnt und in die Kammer hinein, setzt einen Fuß auf das Bett und fuchtelt nun mit seinem Wehrlcin dem zum Tod er schrockenen Vogtamtsverweser vor der Nase herum, ihn „ungestimm und ziemlich hart mit Befragen anrennend, wer ihm Bcfelch und Gewalt ge geben." Der also Geängstete erholt sich endlich etwas und zeigt an, daß gemeine Statt von jeher ein solch Recht gehabt und daß dies immer anerkannt worden. Auch sei er, der Stadt- schrcibcr, krank gcwcßt als Würnßer verhört worden, wisse also nichts davon. Der Markgraf aber giebt sich nicht zufrieden und will wissen, wer ihm seinen Reiter aufgehalten. Al^ er erkundet, daß dies der Vogt gethan, erzürnt er noch heftiger und droht, er wollte denselben guter Ding zerprügeln lasten, wenn er ihn hätte. „Mit noch vielmaligem, ganz ernstlichem und bedrohlichem Begehren und Erfragen: „Was, Ihr (eum venia, — folgt ein gar greulich Schimpfwort, so hier nicht wiederzugebcn) wölltend mir meinen Reiter ausihalten? Was geht mich Eure Freiheit an, ich geb Freiheit, nicht Ihr!
— Ich sehe wohl, es möcht (mit abermaliger unterthöniger Reverenz zu schreiben) ein jeder loser Schelm, Dieb und Mörder Herkommen, so wölltend sie ihn auffhaltcn, einmal, ich will meinen Reiter haben oder will hier sterben."
„Da der Markgraf noch weiter wütete und tobte", fährt der Stadtschreiber in seinem Bericht fort, „und ich krank gelegen und nur mein Hausfrawen im Losament, auch der Bärenwllrlh sehr gezittert und ein großer Theill Burger — darunter doch auch zwar, die Kriegs gewohnt
— die andre aber insgemein arme, harlschaffcnde LiUth, nicht im Stättlin gcwißt, sondern außerhalb srohnten, hat man den Reiter in einer solchen schnellen Eyl und Eraigneten Tumult endlich paßiren Laßen mäßen.
Jnmoßen dann vielgcdachier Herr Markgraf Carl diißen Reiter gleich in vestißio aufs Pferd setzen und durch andre seine Reiter, die zu Pferd alle miteinander mit auffgezogencn Pistohlen auff ihn gewarttet, fortführcn lassen.
Weil! diesem Handel in so unversichertem, geschwinden Uebcrjoll wir arme Unlerihanen nicht vor sein können, Sie wöllen uns dcßwegen
in keinem ungnädigen Verdacht halten, sondern vielmehr vor allem ferneren unbillichen Gewallt gnädig schützen und also hin wie hero unser gnädiger Fürst und Herr sein und bciben, allß- dann derselben zu Gnaden Wir U'iß hiebiy in Unterthönigkeit befehlen thun.
Den 24. Novembris a. v. 1619.
Euer fürstl. Gnaden uuterthönig gehorsame:
Vogt, Amtsverweser, Bürgermeister, Gericht
und Rat zu Newenbürg."
Diesem ist noch nachzutragen, daß die Reiter vor ihrem Abzug das Thor besetzten vnd nach dem Schmied suchten, um ihre Pferde beschlagen zu lassen. Da sie diesen lange Zeit nicht finden konnten, scheinen einige Burger doch wieder sich von ihrem Schrecken erholt zu haben, wenigstens machte der „Balbier" den Versuch, dos Thor zu schließen, während der „Küster" seine Courage in kräftigen Worten zeigte. Markgraf Carl aber verstand keine» Spaß und verfolgte sie mit gezogener Wöhre, und er würde ihnen wohl etwas zu Adler gelassen haben, wenn sie sich nicht lehnest in ihre Häuser grflücktet hätten. Endlich gehl's unter Johlen unv Schreien die Steige hinauf, und da doch etwas darausgehen muß, erschießt der Markgraf aus der auf der Höhe weidenden Gräfenhauser Herde ein Schwein, das er später mit 7 Gulden büßen muß.
Herzog Johann Friedrich von Württemberg machte nun seinen also überrumpelten Neucnbürgern den Vorwurf der Mut- und Sorglosigkeit und forderte den Vogl auf, den Freihcilsbrief einzusenden. Der Rat der Stadt führte als Entschuldigung an, daß die meisten Burger Tiuchel gegraben hätten und daß in gewcrtem Handel nicht wohl über 8 — 10 Burger im Stättlin gewesen, welche, „alß arme, harthschosfende Lüthe. ihrer armen Wclb und Kinder gesorgt und sich in die Wöhr nicht gerüst gehabt. Sollte man dann den Sturmstraich haben ergehen laßen, dörfte wohl übel ärger worden sehn, sintemahl manns in benachbarten Dörfern, weil! das Stättlin sehr tief liegt, nickt bald hören thut," (Ein Rnter sagt später aus, wenn der Würnßer nicht fortgelassen worden wäre, hätte der Markgraf das ganze Regiment aufgebotcn.)
Der Herzog von Württemberg beschwerte sich über die Verletzung seiner Freistadl Neuenbürg mit Eifolg.
„Freyllag, den Zehenden diß (Dez.) Morgens vormittag zwischen 9 und 10 Uhr brachten zween vom Adel mit noch bei sich gehabten 5 Rerttern oft genannten Würnßer wieder hierher mit dabey gcthanem Bericht: Jhro fürstl. Gnaden Markgraf Carl sehe noch ein Junger Mann, sei falsch berichtet worden und Hab damahlcn noch ein halben Rausch gehabt und bitten, demselben Ein solches nicht ungleich auszudcultcn." Vom regierenden Markgrafen Georg Friedrich von Baden hätten sie Befehl empfangen, Würnßer „wiederumb allhier in die Vorige Stell der Frey- heit zu liefern, Herwegen sie dann Ihn anjetzo wieder wollten gestellt haben. Die Reiter haben allhie zu Mittag geßen und sich in Wortten und Geberden gar sanft und beschaiden gczaigt. Der Markgraf läßt sich entschuldigen und hat darneben alles Guthe anerbottcn,"
Würnßer, der einen Tag in Eisen geschlagen worden und schon wieder auf dem Weg nach Straßburg war, um Soldaten anzuwerben, wurde zurückgcholt und sollte nun vuf Weisung des Korporals 1 oder 4 Tage hier bleiben, bis der Handel erledigt sei. Das ging aber nicht so fchnell. Denn nachdem die Ncuenbürger Orts- obrigkeit dies alles „fürstl. Gnaden zu gnädiger Wißenschaft unlerlhönig berichtet, ist weiterer füist!. Befelch ergangen: Man solle Würnßer fragen oder sich fönst belerncn, wie cs mit demjenigen, den er verwund! und von dcßwegen er sich in die Freyheil Salvirt, bewandt, ob Sel- drlger noch vey Leben, oder seither verstorben:" Auch sollte murr die Namen der Reiter erkunden und wo sie dahaimdd sind, und insbesondere den Umstand, daß Würnßer Besuch erhält, dazu Benutzen, die Reiter „unvermerkter Dinge auszufragen, und falls einer an der Befrcyung mit- gethan und unter Unser Obrigkeit bettelten, sollt man ihn IN Ein Helberg verstrickhcn."
(Schluß folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.