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Ausland.
Der französische Minister des Auswärtigen Berthelot scheint wegen seiner sozialdemokratischen Vergangenheit seitens Rußlands mit großem Mißtrauen behandelt zu werden und will deshalb eine leichte Erkrankung dazu benützen, um von seinem Amt zurückzutreten, doch ist seine Rücktrittserklärung noch nicht offiziell erfolgt. Man nimmt an. daß der frühere Minister des Auswärtigen, Hanotaux. wieder dieses Portefeuille übernehmen werde. Die Sitzungen der französischen Deputiertenkammer haben bis jetzt einen größeren Skandal noch nicht gebracht, obgleich die Erregung unter den Abgeordneten fortwährend sehr groß ist. Die Deputiertenkammer steht unter dem Bann der Furcht vor weiteren Enthüllungen in der Panama-Angelegenheit, nachdem man bei dem Gehilfen Artons, Souligoux, wichtige Papiere beschlagnahmt hat.
In der italienischen Kammer hat sich Crispi am Dienstag in bemerkenswerter Weise zur allgemeinen Lage geäußert. Er legte dar, er habe sein Verhalten in den Beziehungen zur Kirche niemals geändert. Der Dreibund sei nie so fest als heute gewesen. Im Orient thue Italien seine Schuldigkeit, indem es mit den anderen Mächten gemeinsam vorgehe. Wenn der 8tatu8 quo m der Türkei aufhören sollte, würden sich die früher begangenen Fehler nicht wiederholen.
London. 4. Dez. Lord Chamberlein hat hinweisend auf die Wichtigkeit, daß ein möglichst großer Teil der Handelsprodukte zwischen Groß- brilanien und den britischen Kolonien der Erzeugung der heimischen Industrie gesichert bleibe, von den Gouverneuren telegraphisch detaillierte Angaben mit Angabe der Ursachen über die ausländischen Einfuhren eingesordert, welche die britischen Waren verdrängten oder verdrängen.
Aus Konstantinopel verlautet: Im Jildiz-Kiosk sei ein mißlungenes Attentat aus den Sultan verübt worden. Zahlreiche Ber- Haftungen wurden vorgenommen.
In der Türkei scheint allmählich eine Wendung zum Bessern einzutreten. Die Schilderhebungen in Armenien haben zum größeren Teil aufgehört, da die Aufrührer kein Geld haben und solches weder von London noch von Petersburg aus bekommen konnten. Die Frage der zweiten Stationsschiffe für die auswärtigen Botschafter in Konstantinopel ist noch immer nicht definitiv erledigt. Allem Anschein nach verzichtet Rußland auf ein zweites Stationsschiff für den Botschafter Nelrdow. Die Dreibundmächte drängen mit ihren diesbezüglichen Forderungen auch nicht sehr stark und so bleiben nur England und Frankreich übrig, welche der Sultan aber hinzieht.
Vermischtes.
„Mut und Glück."
Eine Gefechtsszene vom 30. Nov. und 2. Dez. 1870.
Mancher brave Soldat thut durch einen langen Krieg hindurch ununterbrochen seine Schuldigkeit — kämpft wie ein Löwe im großen Haufen, aber er hat das Glück, unverwundet zu bleiben, und dazu das Unglück, daß sich ihm nirgends eine Gelegenheit zu persönlichem „Sichhervorthun" bietet, dann wird fein Name wohl in Ehren genannt, aber damit ist's alle. Der Mut allein thut's eben auch nicht. In den Gegensatz zu den braven Massenkämpfern treten jene intuitiv veranlagten energischen Soldaten, die nach der Gelegenheit, selbständig zu wirken, suchen. Das Finden kommt dann von selbst. Sie bringen nicht nur ihr eigenes Können Labei zur Wirkung und Erfolg, sondern sie sind es auch, die zur Nachahmung reizen — den Ehrgeiz herausfordern und sich der guten Sache doppelt dienstbar erzeigen. -
Gewiß ist's nicht so von Ohngesähr gekommen, daß sich ein junger Unteroffizier des Württembergischen 2. Jägerbataillons im Zeitraum von 4 Tagen nicht nur das eiserne Kreuz I. und II. Klasse erwarb, sondern auch noch die württembergische goldene Militärverdienstmedaille, die sächsische St. Heinrichsmedaille und den russischen St. Georgsorden IV. Klasse auf die Brust gehestet bekam, — beiläufig eine Kombination, die sich selten wiederholen dürste und hier nur Erwähnung findet, weil sie doch zur Frage treibt: Was that Herr Wilhelm Köhrer?
„Ich hatte Glück!" sagte er selbst. Aber das Kriegsglück ist eben eine Sache, die man zu ergreifen verstehen muß. Das klingt alles so selbstverständlich,
was er uns dann erzählt, als ob's nichts gewesen wäre — und doch weiß jeder, der des Königs Rock trug, daß ein ganzer Mann dahinter steckt:
„Die 3. Jägerkompagnie erhielt beim Ausfälle der Franzosen am 30. Nov., in der Schlacht bei Villiers, den Befehl, das von den Franzosen stark besetzte Belair, Von uns .Jägerhaus' genannt, zu nehmen, ein Gehöft, 1000 Meter westlich Champigny, am oberen Rande der Weingclände gelegen.
Ich führte als Unteroffizier einen Zug und als nach längerem Feuergesechte zum Sturm übergegangen wurde, gelang es mir, mit meinen Leuten zuerst heran zu kommen, den Eingang zu zertrümmern und in das Innere einzudringen. Das ganze Nest steckte voll und von Ergeben war zunächst keine Rede.
Bald waren wir so zwischen der Gesellschaft thätig, daß alles Schießen von selbst aufhörte, und es dauerte denn auch nicht lange, bis die Waffen fielen und ich das ganze Nest ausnahm. Es waren etwa 100 Mann, die ich zu Gefangenen machH, und — nun kommt das Glück bei der Sache — es waren der Kommandeur und fünf Offiziere des Mobilgardenregiments ,Vendöe' dabei. Die nahm ich mir natürlich persönlich. Daß ich bei dem immerhin blutigen Nahekampfe unverwundet blieb, daß ich mit der bloßen Hand den Degenstoß eines Lieutenants bei Seite und ihn dafür über den Kopf schlug, dazu mögen wir auch nebenbei meine guten Augen geholfen haben und daheim ein bischen Fleiß im Fechtunterrichte.
An dem Abend sagte mir mein Bataillons-Kommandeur Dinge, die mich hätten stolz machen können. Aber ich erinnerte mich nur, daß er vom Eisernen Kreuz gesprochen.
Für den 2. Dezember war ein Angriff auf die Franzosen in Champignh befohlen. Schon in der frühesten Morgenstunde stand das 2. Jäger-Bataillon an demselben Gehöfte, das ich vor wenigen Tagen ausgeräuchert hatte, bei Belair, bereit. Um 7 Uhr ging die 3. Kompagnie gegen die Südostseite von Champigny vor und stieß auf lebhaften Widerstand.
Ich bekam den speziellen Auftrag, mit meinem Halbzuge eine stark besetzte Schanze — eine Art Barrikade — zwischen der Mairie und der unteren, südlichen Dorsstraße gelegen, zu nehmen und zu besetzen.
Das war nun bereits nicht so einfach, wie es sich erzählt! Kaum hatte ich, auf der unteren Straße, dicht an der Marne-Niederung vordringend, die Querstraße erreicht, welche durch die Verschanzurig abgesperrt war, als ich mit mörderischem Feuer empfangen wurde. Bon Haus zu Haus drangen meine Jäger vor, aber nicht ohne beträchtliche Verluste zu erleiden. Endlich kam's zum Sturme. Die Schanze wurde wohl genommen — die Situarion blieb dennoch schwierig. Aus hohen Häusern, sogar vom Kirchturme herab, schlugen die Kugeln auf uns nieder und daß auch die übrigen Kompagnien keinen raschen Erfolg hatten, das mußte ich zu meinem Schrecken wahrnehmen. Aber — hier war ich und hier wollte ich bleiben, wenn ich schon nicht weiter konnte.
Einer beträchtlichen Ilebermacht widerstanden meine Jäger durch lange Stunden mit anerkennenswerter Ausdauer.
Unsere Patronen waren verschossen — wir holten uns die Munition von Gefallenen und Verwundeten. Auch die ging zur Neige. Schießen mußten wir, wenn ich nicht aus meiner Stellung herausgedrängt werden sollte! Da — fand ich einen Ausweg: ich nahm die Chassepots der gefallenen Franzosen und die Patronen dazu und mit neuen Kräften wurde das Feuer ausgenommen.
Vom Park herüber hörte ich das Rollen des Schnellfeuers sich in den Donner der Kanonen mischen. Auch in weiterer Ferne vernahm ich die Heftigkeit des Kampfes — vom Bois de la Baude und herüber von Bry — ich war und blieb festgebannt an die eroberte Schanze.
Als gegen 10 Uhr das Feuer zunahm, wurde auch ein neuer Angriff gegen meine kleine Truppe versucht, aber durch wohlgezielte Schüsse abgewiesen.
Um diele Zeit kamen preußische Truppen zur Unterstützung. Die Feinde aus Champigny völlig zu verdrängen gelang uns zwar nicht, doch wurde die Osthälfte besetzt und mit Einbruch der Dunkelheit das Jägerbataillon an die Kiesgruben nördlich Champigny plaziert. Mein tzalbzug hatte eine der Hauptstellungen dem Feinde gegenüber genommen und durch fast 12 Stunden allein verteidigt. Wenn meine Jäger nicht so brave Leute gewesen wären, dann wärs mir wohl schwerlich gelungen — darin hatte ich wieder Glück.
Erst als mir das Kreuz erster Klasse verliehen wurde, da erkannte ich, wie glücklich man überhaupt nur als Soldat sein kann.
Aus „Kriegserinnerungen", Verlag von Bong und Co., Berlin.
(Wer ist der Schöpfer des Deutschen Reiches?) Im „Sommerfelder Wochenbl." wird augezeigt: „Reform-Sandalen. Hygienische Fußbekleidung, besonders für Turner, Radfahrer und Touristen. Alleiniger Fabrikant des Deutschen Reiches Th. Reiche, Sommerfeld, Bez. Frki.-Od." — Nun weiß man ja doch endlich, so schreibt der „Kladderadatsch" launig, wer das Deutsche Reich zustande gebracht hat und Fürst Bismarck wird seine schon von Poulteney Bigelow gebührend zarückgewieienen Ansprüche schwerlich noch aufrecht erhalten.
Berlin, 30. Novbr. In der „Nordd. Allg. Ztg " liest man folgendes: „Schlafe patent", das ist das Allerneueste. Ein hieß Patentmöbelfabrikant hat ein Schild über seinem Geschästslokal angebracht, welches obige Kürzung trägt: „Wasche mit Luft", „Koche mit Gas", „Bade zu Haus", „Tanze eliunAount." Diesen Reklameausdrückcn reiht sich nunmehr „Schlafe patent" an die-Seite.
(Boshaft.) A.: Der Karl muß, als er sich verlobte, einen schönen Schnupfen gehabt haben! — B.: Warum meinst du das?
A.: Weil man bei einem Schnupfen keinen Geschmack hat.
(Bedenkliche Zusage.) „Was hat Ihnen Papa auf den Antrag um meine Hand geantwortet, lieber Erwin?" — „Papa sagte: Gern werde ich ihr Schwiegervater, lieber Freund, aber tragen Sie mir es später nicht nach!"
Telegramme.
Berlin, 5 Dez. Das Staatsministerium ist heute nachmittag zu einer Sitzung zusammen- getreten. Gestern nachmittag fand eine vertrauliche Besprechung der Mitglieder des Ministeriums beim Reichskanzler statt. Bei dem Besuch des Kaisers im Reichskanzlerpalais nahm der Kaiser einen längeren Bortrag des Reichskanzlers entgegen.
Berlin, 5 Dez. Der „Nationalzeitung" zufolge besagen die Berichte der kommandierenden Generäle über die vierten Bataillone, die Einzelausbildung der Mannschaften sowie die Exerzier- und Dienstfertigkeir sei sehr gut, in. folge des außerordentlich günstigen Zahlenverhältnisses zwischen den Schülern und den Lehrkräften; aber schon vom Kompagniedienst aufwärts finde eine ausreichende militärische Ausbildung nicht mehr statt. Die Generäle befürworten die baldige Abänderung der Organisation, damit die Zahl der militärisch minder Geschulten nicht zu stark anwachse. Das militärische Jn- einanderleben zwischen Mannschaften und Vorgesetzten sei bei den vierten Bataillonen im Gegensatz zu den Vollvataillonen fast ausgeschlossen. Eine etwanige Abänderung vor Ablauf des Quinquennats werde sich nur vollziehen innerhalb der jetzigen Friedenspräsenzstärke auf Grund der Aufrechterhaltung der zweijährigen Dienstzeit, und im Wesentlichen unter Jnnehaltung der im Etat ausgeworsenen Mittel.
Berlin, 6. Dez. Die Volkszählung ergab eine Bevölkerungsziffer für Berlin von 1 674 III Einwohner.
Hannover, 6. Dezbr. Der Kaiser, welcher gestern nachmittag hier eingetroffen ist, begab sich abends ins Theater; er wurde dreimal durch Hochrufe begrüßt.
Bremen , 6. Dez. Der englische Dampfer „Mandura" ist in der Mitte des Atlantischen Ozeans untergegangen. Die Mannschaft ist bis auf einen gerettet.
Herford, 5. Dez. Bei der Reichstags- Stichwahl im Wahlkreise Halle-Herford siegte Quentin (ntl.) mit 8955 über Weihe (kons.) mit 8636 Stimmen.
M ü n ch e n , 5. Dez. In dem benachbarten Markldorfe Holzkirchen sind nach hieher gelangten Mitteilungen heule Abend mehrere Brauereianwesen und mehrere andere Häuser abgebrannt. Die Feuerwehr von München wurde requiriert.
Paris, 5. Dez. Der Senatspräsident Challemel-Lacour ist heute Morgen gestorben.
Rom, 6. Dez. Dem „Messagero" zufolge kam auf dem Postbureau der Kammer aus Frankreich ein Brief an in schlechtem Französisch, nebst einer Kassette in Form der Postpakete an die Adresse Cavalottis. In der Kassette war ein Fläschchen mit rötlicher Flüssigkeit eingewickelt. In Watte wurden Papierschnitzel gefunden. Das Fläschchen wurde im Präsidial- burcau niedergelegt und die Flüssigkeit wird chemisch untersucht. Man glaubt, es handle sich um einen schlechten Scherz.
Mit einer Beilage
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neue nbürg.