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ungehinderter zur Geltung bringen zu können, doch soll dabei trotzdem der Zusammenhang mit den Gemäßigt-Liberalen gewahrt bleiben. Viel- leicht aber überlegen sich die Herren auf der linksliberalen Seite der bayerischen Volksvertretung den ihnen zugeschriebenen Entschluß nochmals gründlich, denn eine formelle Trennung der Liberalen in zwei Gruppen würde die parlamentarische Stellung der liberalen Gesamtpartei Bayerns nur empfindlich schwächen.
Berlin, 9. Nov. Nach vorläufiger Er- Mittelung ist bei der Berufs- und Gewerbezählung am 14. Juni d. I. für das Deutsche Reich — die Zahlen für Preußen und die übrigen größeren Einzelstaaten sind schon mit- geteilt — eine ortsanwesende Bevölkerung von 51 758 364 Seelen festgestellt worden, die sich aus 25 405 934 männlichen und 26 352 430 Personen zusammensetzt. Da am 1. Dezember 1890 die ortsanwesende Bevölkerung 49 428 370 Seelen (24 230 832 männliche und 25 197 638 weibliche) betrug, so ergiebt sich für die Zwischenzeit eine Bevölkerungszunahme von 1,014 °/o. An dieser Bevölkerungszunahme sind alle preußischen Provinzen und alle Bundeöstaaten beteiligt, mit Ausnahme von Hohenzollern, das einen Rückgang von 0.006°/», und Lippe, das einen solchen von 0,870 °/-> aufweist. Die auffallende Bevölkerungsabnahme im Fürstentum Lippe erklärt sich jedoch dadurch, daß dort im Sommer regelmäßig sehr zahlreiche Personen als Ziegeleiarbeiter nach auswärts gehen.
Mainz, 9. Nov. In der Wallaustraße stürzte heute ein vierstöckiger unbewohnter Neubau zusammen. Man vermutet, daß zwei Dach- decker, welche dort arbeiteten, unter den Trümmern begraben sind.
Die Brauerei- und Spiritus-Gesellschaft vormals G. Sinner in Grünwinkel hat im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Reingewinn von 581,204 Mk. erzielt. Die Aktionäre erhalten 15 Prozent Dividende.
Württemberg.
Stuttgart. Bei dem bei den 8. württ. Infanterie-Regimentern in diesem Jahre gehaltenen Preisschießen sind unter den Offizieren Premierlieutenant Breyer, Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich 125, unter den Unteroffizieren Vizeseldwrdel Rädle, Inf. Reg. Kaiser Friedrich, und Unteroffizier Dath, Inf. Reg. 122, Kaiser Franz Joseph, als beste Schützen hervorgegangen. Die Ehrenpreise bestehen für den Offizier in einem Jnfanterieosfizierdegen neuen Modells, in welchem auf der einen Seite der Klinge: „Dem Premierlieutenant Breyer, Infanterie-Regiment Kaiser Friedrich Kronprinz von Preußen 125", auf der andern Seite derselben: „als besten Schützen 1895" eingraviert ist, für jeden Unteroffizier in einer silbernen Remontoirtaschenuhr mit doppeltem Gehäuse. Auf der äußeren Seite des Deckels ist der Namenszug des Königs mit der Königskrone darüber eingraviert, während der innere Deckel das Bild des Kömgs, von der Umschrift: „Dem Bizefeldwebel Rädle des Infanterie-Regiment rc. 125", bezw. „dem Unteroffizier Dath des Infanterie-Regiment rc. 122, als besten Schützen 1895" umgeben, trägt. Die Ehrenpreise werden diesen Schützen in feierlicher Weise durch die Kommandeure übergeben.
Stuttgart, 7. Nov. Der hiesige Sparund Konsumverein, durch dessen Konkurrenz ein Teil unserer Gewerbetreibenden schwer bedrückt ist. soll nun auch die Errichtung eines eigenen Garn- und Wollwarenladens beabsichtigen. — Der Aufsichtsrat des Vereins hat beschlossen, der Hauptversammlung für das 3. Vierteljahr d. I. die Verteilung einer Dividende von 11°/o vorzuschlagen.
Marktpreise.
Neuenbürg, S. November.
Butter, V, Kilo .^L 0 . 80 —0.95
Landeier . 0.08—0.09
Kisteneier ... 2 Stück 13 1 Stück 7
Pforzheim, 9. November.
Landbutter, '/»Kilo.-4L 0.90 1.05
Süßrahmbutter.<4t 1.10—1.20
Landeier 2 Stück .14—15 ^
Kisteneicr, 2 Stück.12—13 ^
Stuttgart, 9. November.
Saure Butter, Vs Kilo. ^ 1.—
Süße Butter, >/- Kilo . . . . 1.10—1.20
Frische Eier 10 Stück . 70 ^
Kalkeier, 10 Stück. 60 ^
Ausland.
Aus der Schweiz, 8. Novbr. Vom Hinterrhein wird starke Schwellung des Wassers gemeldet, ebenso von den Gewässern des Waadtlandes.
Aus der Schweiz. 5. Nov. Vom Pi- latus-Kulm wird der „Neuen Züricher Ztg." über die Wirkung des Föhnwetters geschrieben: Seit einigen Tagen bedeckt ein dichter Nebelschleier das Thal, während hier oben lachender Sonnenschein und sommerliche Wärme herrscht. Tiefblau strahlt der Himmel, und in seltener Klarheit grüßen die frisch beschneiten Bergriesen vom Säntis bis zu den Diablerets herüber; zu unseren Füßen aber wogt und Walt das Nebel- meer. Täglich kommt noch ein Bahnzug von Alpnach-Stad herauf und bringt ein Trüpplein verspäteter Touristen, sowie Nachrichten aus dem Thale.
Aus hohem Norden, 6. Nov. In Skandinavien ist der Winter frühzeitig eingetreten. Der Schnee liegt schon seit einiger Zeit fußhoch, und in manchen Teilen herrschte bei Anfang November eine außerordentliche Kälte. In Jemtland war das Thermometer schon auf — 22 Grad Celsius gesunken. Von Pitea am Bottnischen Meerbusen wird berichtet, daß die Schiffahrt für dieses Jahr- geschlossen ist; auf den Fjorden liegt ungefähr 10 Centi- meter starkes Eis. Aehnlich sind die Verhält- nisse in Norwegen, Schlittenfahrt, und Schneeschuhsport werden schon seit einiger Zeit ausgeübt.
Dem Berliner „Kleinen Journal" wird aus Sofia gemeldet, der Sultan habe seine sämtlichen persönlichen Adjutanten aufhängen lassen. Aus Paris wird gemeldet: In hiesigen diplomatischen Kreisen wird die Lage in Konstantinopel ernster als je aufgefaßt. Sollte der neue Großvezier der europäischen Verwaltung nicht entsprechen, so wäre nach Ansicht maßgebender Kreise ein europäisches Protektorat über die Türkei unvermeidlich.
vermischtes.
Deutsch sprechen, deutsch schreiben!
Berlin, 1. Oktober 1895.
Herrn N. N. in N.
Wir empfingen Ihr geehrtes Gestriges und deponierten heute, Ihrer Ordre gemäß, ox Depot
M. 2000,— 3 proz. preuß. Konsols unter Benutzung des beigefügten Formulars bei der Reichsbank zu unserer Decharge. Den Doxotsokeiil lassen wir folgen.
Hochachtend
.Bank.
Solche und ähnliche-Briefe pflegen tagtäglich umhergesandt zu werden und durch die große Zahl ihrer Fremdworte aufzufallen. Wir meinen, nachdem die Reichsbank in ihrer amtlichen Sprache schon seit langer Zeit eine Sprachläuterung vorgenommen und nicht minder alle anderen Behörden — ausgenommen die Justiz — die Fremdwörter thunlichst ausgemerzt haben, läge auch den großen Handelshäusern und insbesondere den großen Bankanstalten die Pflicht des möglichst ausschließlichen Gebrauches deutscher Worte ob. Der obige Brief ließe sich doch ebenso einfach schreiben wie folgt:
„Wir empfingen Ihr geehrtes Gestriges und hinterlegten heute gemäß Auftrag aus Ihrem Wertpapierbesitze 2000 M. rc. unter Benutzung des eingesandten Schriftstücks bei der Reichsbank zu unserer Entlastung."
Wenn die Reichsbank den Ausdruck „Depotschein" fast als einziges Fremdwort noch beibehielt, so hält sie denselben — mit gewissem Recht — für wellbürgerlich, dann ist er aber deutsch „Depotschein" und nicht „Dopotsokom" zu schreiben. Uebrigens meinen wir, daß der Ausdruck „Besitzschein" auch keinerlei Unklarheit auf- kommen lassen könnte. Dr. R."
Aus Belgien, 6. Nov. Der Inspektor für öffentliche Gesundheitspflege in Gent, Charles Lambert, ist einer Vergiftung erlegen, die er sich durch Kosten einer von der Polizei beschlagnahmten Wurst zugezogen hat. Der Schlachthausdirektor und ein Arbeiter, die gleichfalls von der Wurst genossen, sind mit einer Erkrankung davongekommen. Die Wurst war aus Pferdefleisch hergestellt, das in Fässern aus England kommt. Eine Gewähr für die Unschädlichkeit dieses Fleisches,, von dem nach neuesten Erhebungen jährlich in Antwerpen 500 000, in Gent 300 000 Kilogramm eintreffen, scheint es nicht zu geben, denn Lambert hatte die von ihm erprobte Wurst zuerst mikroskopisch untersucht und dabei nichts Verdächtiges entdeckt. Was soll aus der Welt denn noch werden, wenn alle Liebe und Treue aus dir entschwindet, o Wurst?
Alpacca. Der weltbekannten Firma H. A. Jürst u. Cie. ist es gelungen, auf ihren Walzwerken ein Metall (Alpacca) herzustellen, das eine durch und durch silberweiße Farbe hat. Dieses Metall findet hauptsächlich Verwendung als Unterlage für versilberte Bestecke. Bestecke mit der Jürst-Alpacca Unterlage sind geeignet, acht silberne Bestecke zu ersetzen; dabei ist der Preis niedriger als der, der seither in Handel befindlichen Marken. Wie wir erfahren, hat die Firma R. Wernle in Stuttgart (Königsstraße 13 beim Schloßplatz) den Alleinverkauf dieser Bestecke für Stuttgart. Erwähnt mag noch werden, daß dieses Metall durch seine außerordentliche Härte eine sehr große Wiederstandsfähigkeit hat.
(Im Eisenbahnwagen.) Herr: „Gleich kommen wir durch einen Tunnel. Sie fürchten sich doch nicht? — Fräulein: „O nein, wenn Sie sich etwas mit der Zigarre in Acht nehmen wollen."
(Kindermund.) Mama (im Laden zum kleinen Lieschen, das vom Kaufmann ein Bonbon geschenkt bekommen): „Nun, Lieschen, wie sagt man?" — Lieschen: „Bitte noch eines!"
Telegramme.
Berlin, 10. Nov. Durch einen starken Sturmwind, der gestern Abend herrschte, wurde das Gerüst der im Bau befindlichen neuen Garnisonskirche in der Höhe von 18 m umge- risscn und stürzte unter donnerähnlichem Krachen auf das Dach der Kirche, welche erheblich beschädigt wurde. In der Mühlenstraße wurde das Gerüst eines Neubaues umgerissen. In anderen Stadtteilen sind zahlreiche Spiegelscheiben zertrümmert worden. — Als Nachfolger des Frhrn. von Hammerstein ist, wie die „Posener Ztg." meldet, der Landrat des Kreises Pieschen, von Röll, zum Chefredakteur der „Kreuzzeitung" bestimmt. — Aus Wien meldet die „Boss. Ztg.": Graf Goluchowski äußerte beim gestrigen Wochenempfang des diplomatischen Korps, selbst wenn die Kräfte der Pforte zur Unterdrückung der Unruhen nicht ausreichen sollten, könne doch immer nicht ernstlich von Kriegsgefahr gesprochen werden, da die Großmächte in dem Entschluß übereinstimmlen, den Frieden Europas aufrecht zu erhalten.
Kassel, 10. Novbr. Bei der steinernen Brücke an der Kasseler Schleuse wurde ein Motorboot an ein Wehr geworfen. Von 7 Insassen sind 3 ertrunken.
Gifhorn, 10. Nov. Auf der Station Isenbüttel fand heute ein Zusammenstoß zweier Züge statt. Beide Lokomotiven und 15 Wagen entgleisten und wurden teilweise erheblich beschädigt. Personen kamen nicht zu Schaden.
Madrid, 10. Nov. In dem Speisesaal des Knabenpensionals San Ios6 in Sabadell explodierte eine Bombe, zwei Zöglinge wurden schwer verletzt. In einem Nonnenkloster zu Pilboa platzten 3 Dynamitpetarden, ohne jedoch Verluste von Menschenleben zu verursachen. Die Attentäter sind verhaftet. In einem andern Nonnenkloster fand letzthin eine Dynamitexplosion statt.
Redaktion, Druck und^Berlag von E. Meeh in Neuenbürg.