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Droschke an, um so schnell als möglich nach dem Gasthause zur Stadt Lübeck zurückzugelangen, das er schon um die Nachmittagszeit, also vor einer ganzen Reihe von Stunden verlassen hatte.
Dieser Gasthof zählte ohne Zweifel zu den am wenigsten eleganten und bequemen Logierhäusern, welche die alte Hafenstadt aufzuweisen halte. Wenn er sich schon in seiner äußeren Gestalt sehr wenig anheimelnd und einladend präsentierte, so entbehrte er in seinem Innern vollends aller Annehmlichkeiten und jeglichem Komforts. Zur Linken des Hausstures lag eine schmale, halbdunkle Gaststube, aus welcher ein widerwärtiger Dunst von erwärmten Spirituosen und schlechtem Tabak wie in einer dichten Wolke hervorquoll und unmittelbar neben der stets geöffneten Glasthür dieser Gaststube thronte auf einem verschossenen Ledersopha die unförmliche Gestalt eines Mannes mit dem roten aufgedunsenen Gesicht eines Gewohnheitstrinkers. Es war der Besitzer des Gasthauses, welcher von diesem bequemen Beobachtungsposten aus nicht nur die Gaststube und ihre Besucher vollkommen beherrschte, sondern auch die Hausthüre unausgesetzt im Auge behalten konnte, eine Vorsicht, die um so dringender geboten war, als er bei der Durchschnittsbeschaffenheit seiner Gäste stets auf heimliche Entweichungsversuche vor Bezahlung der Rechnungen gefaßt sein mußte. Als er jetzt das langsame Heranroffeln eines Wagens vernahm und zu seinem nicht geringen Erstaunen hörte, daß derselbe vor seinem Hause hielt, richtete er sich so eilfertig empor, als es bei seiner schwerfälligen Gestalt und bei der merkliche» Unsicherheit seiner unteren Gliedmaßen überhaupt möglich war und schlürfte hinaus; denn er meinte nicht anders, als daß sich ein Fremder von ungewöhnlicher Vornehmheit hierher verirrt haben müsse. Ein Ausdruck lebhaften Erstaunens trat auf sein schwammiges Gesicht, als er den jungen Mann aussteigen sah, der unter dem Namen Bernhard Schmidt schon seit zwei Tagen bei ihm wohnte.
„Alle Achtung, Herr Schmidt", meinte er mit einer Stimme, die nur widerwillig aus seinem fettigen Innern zu kommen schien. „Haben Sie inzwischen das große Los gewonnen, daß Sie in einer Droschke herumkutschieren? Vor ein paar Stunden hatten Sie doch nicht einmal Geld genug, Ihre kleine Zeche von gestern und heute zu bezahlen."
„Ich habe mir eben inzwischen Geld verschafft, Herr Meincke", war die kurze und hastige Antwort des jungen Mannes, der offenbar durchaus nicht geneigt war, sich in eine längere Unterhaltung mit dem halb betrunkenen Wirt einzulassen. „Hier diese Anzahlung wird Sie hoffentlich vorläufig darüber beruhigen, daß wir Ihnen nichts schuldig bleiben werden!"
Er reichte ihm zwei von den Goldstücken, die er vor kurzem von dem Unbekannten erhalten hatte, und dieser ganz unerwartete Beweis weitgehender Zahlungsfähigkeit wirkte so überwältigend auf den wackeren Herrn Meincke ein, daß er eilfertig sein Käppchen Herabriß und mit einer schwankenden Bewegung, die wohl eine Verbeugung vorstellen sollte, die Versicherung abgab, daß er niemals gezweifelt habe, es mit einer sehr noblen und vornehmen Herrschaft zu thun zu haben.
„Wie geht es dem Fräulein?" fragte Bernhard, der sich bereits der Treppe zugewandt hatte, mit ängstlicher Spannung. „Es ist doch hoffentlich während meiner Abwesenheit keine Verschlechterung in ihrem Befinden eingetreten?"
„O nein, durchaus nicht — gewiß nicht!" versicherte der Gasthofsbesitzer. „Ich bin sogar überzeugt, daß sich das Fräulein sehr wohl befindet, denn es verlangte schon vor mehreren Stunden eine Tasse Bouillon oder ein Glas Wein. Dergleichen Gelüste hat man doch nur, wenn man sich sehr wohl befindet."
„Nun? Und sie hat hoffentlich das Verlangte sogleich erhalten?"
Herr Meincke räusperte sich verlegen, und erst nach einer längeren Kunstpause entgegnete er:
„Eigentlich wohl nicht! Ich wußte doch nicht -—"j
„Erbärmlicher!" schrie Bernhard auf, indem er in der Thal für einen Moment nicht übel Lust zu haben schien, sich auf den vorsichtigen Wirt zu stürzen. „Eine solche Herzlosigkeit ist schmachvoll und niederträchtig! — Auf der Stelle sorgen Sie dafür, daß das Verlangte gebracht werde, oder ich verlasse noch an diesem Abend Ihr Haus!"
Er hielt es nicht für notwendig, eine Antwort abzuwarten, sondern eilte, so schnell ihn nur seine Füße tragen wollten, die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo verschiedene mit Nummern versehene Thüren die Eingänge zu den besten Fremdenzimmern des Gasthauses zur Stadt Lübeck bezeichneten. Bor einer dieser Thüren blieb Bernhard stehen, und er legte sein Ohr dicht an dieselbe, um vor seinem Eintreten zu erfahren, was etwa drinnen geschehen möge. Er brauchte nicht lange zu lauschen, um sich darüber zu gewisser«; denn ganz deutlich klang ein leises, herzbrechendes Weinen zu ihm heraus, ein Ton, der selbst erneu Wildfremden unläglich gerührt haben würde, der diesen jo nahe beteiligten jungen Mann aber geradezu zur Verzweiflung bringen mußte. Zaghaft klopfte er an und als nach einer kleinen Pause eine matte weibliche Stimme „Herein!" gerufen hatte, trat er in das enge und dürftig ausgestattete Gemach. Es war vollständig finster in demselben, denn Herr Meincke, der bis dahin große Zweifel in die Zahlungsfähigkeit seiner beiden jungen Gäste gesetzt, hatte sich wohl gehütet, ihnen vor Empfang der ersten Zahlung auck noch eine Kerze anzuvenrauen. Nur die unmittelbar vor dem Hause brennende Straßenlaterne warf ein wenig von ihrem flackernden, rötlichen Licht in das einzige Fenster, so daß zuweilen ein trüber zitternder Schimmer über den dem Fenster zunächst liegenden Teil des Zimmers huschte. Es glitt dann jedesmal über die Umrisse der schlanken und offenbar noch sehr jugendlichen weiblichen Gestalt, welche dort in der Ecke saß, in der Müdigkeit und Gebrochenheit ihrer Haltung deutlich genug bekundend, daß ein schweres seelisches oder körperliches Leiden, oder auch vielleicht eine Vereinigung von beiden auf ihr laste. Zwar hatte sie aufgehört zu weinen, als sie sich jetzt dem eintretenden jungen Manne zuwandte, aber ihr unverkennbares Bemühen, einen gewissen zuversichtlichen Klang in ihre Stimme zu legen, als sie ihn willkommeu hieß, hatte doch nur einen sehr geringen Erfolg.
„Gott sei Dank, daß Du wieder da bist, Bernhard", sagte sie, „ach ich habe mich so unsäglich um Dich geängstigt."
„Mein armes teures Lieb!" rief der junge Mann, seine Erregung gleichfalls nur mühsam bemusternd. „Welch' ein Schicksal hast Du um meinetwillen auf Dich genommen! Was mußt Du um Deiner Liebe willen dulden!"
„O. sprich nicht so, mein Freund, bat sie innig, ihm ihre Hand reichend, die er zärtlich an seine Lippen sührte. — „Ich bin es, die Dich um Verzeihung zu bitten hat, weil ich mit meinem Kleinmut und meiner Schwäche Deine Sorgen nur noch vermehre, statt Dir tapfer und ermutigend zur Seite zu stehen, und weil meine Verwirrung und Unachtsamkeit allein die Schuld daran trägt, wenn wir einen jo schweren und unersetzlichen Verlust erleiden mußten.
(Fortsetzung folgt.)
(Das Musterbild eines Bürgermeisters) zu besitzen, darf sich der kleine Ort Wltz Helden im Kreise Solingen rühmen. Dieser Mann lehnte jüngst eine ihm zugedachte Gehaltserhöhung ab, womit die Gemeindeverordneten ihn erfreuen wollten, und jetzt hat er seiner Ge- meinde für den beabsichtigten Neubau eines Rathauses den erforderlichen Bauplatz geschenkt. Damit aber hat die Freigebigkeit des Bürgermeisters noch nicht ihren Abschluß gefunden, denn auch zu den Baukosten hat er einen baren Zuschuß von 2000 oiL gespendet! Dieser brave Mann heißt Voßwinkel und ist Junggeselle.
Der zweite Hauptgewinn der Marienburger Geldlotterie fiel auf Nr. 229 230 nach Berlin und harrt dort noch der Abnahme durch den Gewinner.
Rosenkäfer (Junikäfer) sind am Besten im Morgentau abzuschütteln und zu töten. Von Ungeziefer und besonders Blattläusen bleiben die Rosen meist frei, wenn man sie recht feucht hält, weil sie dadurch auch gegen die Angriffe dieser Schädlinge überraschend gekräftigt werden.
Liebes Kind, wenn ich in der Sitzung zu- rückgehalten werden sollte und spät nach Hause kommen müßte, schicke ich Dir durch einen Dienst- mann einige Zeilen. — Nicht nötig. Männchen, ich habe sie jetzt schon aus Deinem Rocke genom. men.
(Gute Entschuldigung.) Mama: Wo hast Du denn die 50 Kreutzer her, Fritz? — Fritz; !
Die hast Du mir doch gestern für die Heiden !
gegeben. — Mama: Warum hast Du sie nicht dem Lehrer abgeliefert? — Fritz: Weil der Lehrer heut zu mir gesagt hat, ich wäre der reine Heide.
Ihr Freund, Herr Lieutenant, ist, wie ich höre, nach Afrika gegangen. Hat es ihm der Arzt anqe- > raten? — Nem, sein Advokat.
Telegramme.
B e r l i n , 27. Juni. v. Kotze und Frhr. v. Schräder wurden von der Strafkammer > wegen Zweikampfs mit tödlichen Waffen zu ! je 3 Monaten Festung verurteilt. ^
Kiel, 27. Juni. Bei dem Diner an Bord der „New-Dork" bei dem kommandierenden Admiral des Geschwaders Kirkland nahm außer dem Kaiser und dem Prinzen Heinrich auch der kommandierende Admiral Knorr teil.
Der Kommandeur des amerikan. Flaggschiffes „New Jork" hat den Kaiser gebeten, daß das schnellste Raceboot seines Kriegsschiffes nach der Prinzessin-Tochter des Kaisers „Viktoria" benannt ^ werden dürfe, was der Kaiser huldvollst ge- i stattet hatte. Admiral Kirkland brachte ein Hoch i auf den Kaiser aus. In seiner Erwiderung ersuchte der Kaiser den Admiral, dem Präsidenten der Bereinigten Staaten seinen Dank dafür zu übermitteln, daß die amerikan. Schiffe zu der Kanalfeier erschienen seien. Er freue Sich, daß es den Amerikanern in Kiel gefallen habe. Der > Kaiser schloß mit einem Hoch auf die Vereinigten Staaten. Der Besuch des Kaisers dauerte bis 1'/, Uhr morgens. Beim Abschied begleitete Admiral Kirkland den Kaiser bis ans Fallreep, während die Musik die deutsche Nationalhymne spielte.
Hamburg, 28. Juni. Banknoten- fälscher-Prozeß. Thiel und Cronemeyer wurden zu 8, Neßler zu 4, Deschow zu 3 Jahren Zuchthaus und Weber zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. !
München, 27. Juni. Das „Süddeutsche ! Korrespondenzbureau" verbreitet offiziös: Ein Berliner Blatt bringt die Nachricht, die Kaiserreise nach München sei darauf zurückzuführen, daß der Prinzregenl von Bayern sein Erscheinen bei den Hamburger Festlichkeiten abgesagt habe, weil die Kaiserin beim Festmahle durch einen s
Senator zu Tische geführt werden sollte. Diese ^
Nachricht ist selbstverständlich eine ganz aus der Luft gegriffene frivole Erfindung.
Laibach, 28. Juni. Mit 10. Juni werden tagtäglich in einem Hause in St. Veit j zahlreiche oft 20 und mehr Erdstöße verspürt.
Am 23. Juni wurde eine starke Erderschütterung von intensivem mehrstündig anhaltendem Schwefel, geruch mit vernehmbarer Rauchentwicklung be- ! obachtet.
Rom, 27. Juni. Man kündigt für die morgende Kammersitzung einen neuen Antrag über Beziehungen Crispis zu Herz an.
Wird er zurückgewiesen, so will die äußerste Linke den Sitzungssaal verlassen. — Cavollitti will gegen Crispi Anzeige bei dem Staatsanwalt erheben.
Madrid, 28. Juni. Canovas teilte im Ministerrat die Depesche des Marschals Campos mit, welche eine Verstärkung von 14,000 Mann für nötig erachtet, um in Cuba nach der Regenzeit die Offensive zu ergreifen.
London, 28. Juni. Chatelin wurde zum Präsidenten der Lokalverwaltung ernannt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.