392
Horb, 15. Juli. Heute nachmittag wurde von Kindern, die Erdbeeren suchten, im Gemeinde- wald an der Nordftettersteige die Leiche eines Erhängten aufgefunden. Ter Verlebte ist schon ziemlich stark in Verwesung übergegangen, etwa 40 Jahre alt, 1,60 w groß, trägt guten, blaukarrierten Anzug und eine Mütze, in der die Firma Hutmacher Schmucker in Vaihingen a. E. bezeichnet ist; auch fanden sich in seinen Taschen etwas über 8 Mark bares Geld vor. Die Personalien konnten bis jetzt nicht seftgestellt werden. Der Leichnam wird voraussichtlich nach Tübingen übergeführt werden.
Tübingen, 15. Juli. Der Schluß des Sommersemesters ist in diesem Jahre besonders reich an größeren Festlichkeiten. Im Vordergrund deS allgemeinen Interesses steht die Einweihung der neuen Neckarbrücke, die nun aus Samstag 27. Juli festgesetzt ist. Ganz so glänzend, wie es anfangs den Anschein hatte, dürfte diese Feier zwar nicht ausfallen. Der König wird der Einweihung nicht anwohnen, und auch der Minister des Innern wird der Feierlichkeit fernbleiben, was wohl hauptsächlich mit den bereits getroffenen Sommerurlaubsdispositionen zusammenhängt. Im klebrigen hat die Ministerialabteilung für Straßen- und Wasserbau die Vorbereitungen in Händen und die Stadtverwaltung wird sich in angemessener Weise beteiligen (durch ein Bürgerfest in den Alleen, event. Beleuchtung der Brücke ec.). Auf die Anwesenheit der Majestäten hofft man dann bei der im nächsten Jahre in Aussicht zu nehmenden Aufstellung des Eberhard-Standbildes, von dem zunächst nur das Gipsmodell vorhanden ist.
Fr eudenstadt, 16. Juli. In der Nähe des bekannten Sankenbacher Wasserfalls machte vorgestern mittag ein Herr K. E. Schwarz aus Homburg einen Selbstmordversuch. Er wurde von 2 Touristen aus Heilbronn in bewußtlosem Zustand, den Revolver neben ihm, aufgefunden und ins hiesige Bezirkskrankenhaus verbracht. Der Arzt hat jedoch keine Schußwunde, sondern einen Schädelbruch vorgefunden. Nach den Vorgefundenen Papieren erscheint ein Unglücksfall ausgeschlossen. Der Unglückliche ist noch am Leben, ist aber bis jetzt noch nicht zum Bewußtsein gekommen.
Balingen, 15. Jul. Seit Montag den 8. ds. Mts. wird der am 25. Januar 1862 zu Bühlerthann, OA. Ellwangen, geborene Kaspar Schimmele, Schullehrer in Unterkochen, derzeit Schulamtsverweser in Geislingen, OA. Balingen vermißt. Vor seinem Abgang hat er weder von seinem Reiseziel noch von seiner Rückkehr etwas verlauten lassen. Da Schimmele gerne Fußtouren machte, aber immer wieder rechtzeitig zur Verschling seines Amtes eingetroffen ist, liegt die Vermutung nahe, es könnte ihm ein Unfall zugestoßen sein. Beschreibung: Schimmele ist 165 em groß, hat dunkelblonden Vollbart, schwarze Haare, sowie gesunde, sonnverbrannte Gesichtsfarbe;
bei seinem Weggang trug er einen grünlich-braunen Anzug mit Juppe, schwarzen weichen Hut und Zugstiefel.
Stetten i. R., 15. Juli. Am letzten Samstag ging der letzte Kirschenwagen zum. Bahnhof ab und es kann nnn die Kirschenernte als beendet angesehen werden. Im allgemeinen fiel dieselbe zufriedenstellend aus; die Preise blieben sich während der ganzen Ernte ziemlich gleich. Das Gesamtquantum beträgt gegen 3000 Ztr. mit einer Einnahme von 30—35 000 gewiß eine schöne Frühjahrseiunahme. Der Stand der Brach- und Getreidefelder ist schön; die Weinberge stehen vorzüglich. Die Hofkammerweinberge sind bereits bespritzt und bcschwefelt. Die Bespritzung der übrigen Weinberge wird nun ebenfalls vorgenommcn. Auch die hier in größerem Umfang angebauten Hopfen zeigen schönen Stand, während die ausgedehnten Obsthalden Heuer leer stehen.
Weinsberg, 15. Juli. Im benachbarten Eberstadt hat sich die Flaschnersfrau Rieker vergiftet; ihre Tochter putzte nebenan mit Salzsäure, als die Frau plötzlich die Flasche nahm und das Gift trank, dem sie nach einer halben Stunde erlag. Tie Bedauernswerte hatte schon vor einigen Jahren wegen ihrer Wahnideen in eine Irrenanstalt verbracht werden müssen, aus der sie vor einem Jahr entlassen worden war.
Tiefenbronn, 14. Juli. Bei dem heute Abend 6 Uhr über Tiefenbronn gegangenen Gewitter schlug der Bliz in das Haus des Waldhüters Guam, ohne zuzünden. Ter Blitz fuhr an den Verputzdrähten entlang im ganzen Hause herum und löste an verschiedenen Stellen den Verputz von Wänden und Decken. Tic im Zimmer anwesenden Kinder kamen mit dem Schrecken davon.
D o n a u es ch i n g en. Die etwa 15jührige Ottilie Maier von Vöhrenbach, welche sich längere Zeit zur Erholung bei Verwandten in Winterthur aufgehakten hatte, kam auf der Rückreise nach der Heimat gestern mittag 12 Uhr mit dem Zug von Singen hier an, fühlte sich aber derart unwohl, daß sie nicht weiter konnte und in einen Gasthof verbracht werden mußte, wo das Mädchen bald verschied. Die 58 Jahre alte Großmutter desselben. Leopoldine Maier, welche von Vöhrenbach hierher gekommen war, um ihre Enkelin abzuholen, ivurde vom Anblick der inzwischen ins Karlskrankenhaus übergeführten Leiche so erschüttert, daß sie einen Schlagansall erlitt, der heute morgen '/-6 Uhr ebenfalls den Tod zur Folge hatte.
Regens bürg, 16. Juli. Nach einer gestern abend eingetroffenen Depesche des „Regcnsb. Anz." wurden im Torfe Ebnath, Bezirksamts Kemnath, Oberpfalz, 17 Wohnhäuser und 16 Nebengebäude durch Großfeuer zerstört. Ein Knabe kam in den Flammen um. Der Notstand ist groß.
sie leicht verletzt. Er selbst war nach der Aussage des Sachverständigen Tr. Sedelmaicr an der Hand verletzt und gab an, er habe sich den Puls öffnen wollen. Die Ellinger hatte nach der Aussage des Sachverständigen Dr. Liebermeister 3 gefährliche Stiche am Hals und einen solchen am Kehlkopf. Das Vorleben des Angekl. kannte die Ellinger nach ihrer Aussage nicht. Staatsanwalt Dr. Cleß beantragte Tötungsversuch ohne mildernde Umstände zu bejahen, damit der Angekl. ins Zuchthaus komme. Der Verteidiger Dr. Sick plaidierte auf gefährliche Körperverletzung. Tic Geschworenen bejahten versuchte Tötung unter Verneinung mildernder Umstände. Hienach lautete die Strafe auf 3 Jahre Zuchthaus.
Stuttgart, 16. Juli. Die auf dem letzten Verbandstag der Wirte Württembergs in Calw zur Besprechung gebrachte Denkschrift über das Umgeld liegt nunmehr vor (Druck von Zeller und Schmidt). Das Schlußwort derselben ist in nachstehenden, gegen das neue Umgeldsgesetz vom 4. Juli 1900 gerichteten Sätzen zusammen- gefaßt:
„Aus vorstehenden Ausführungen dürfte eine hohe k. Regierung und die hohen Stände zu der Ueberzeugung gelangen, daß das neue Gesetz in keiner Weise geeignet ist, den Wirten das zu bieten, was dieselben im Mindestmaße verlangen können. Die Wirte müssen aber auch zu dem Ergebnis kommen, daß solange die k. Regierung den Hauptforderungen derselben, als Herabsetzung des Prozentsatzes der Steuer, Erleichterung der Einlagekontrole u. s. w. nicht entsprechen zu können glaubt, sie auch mit Abänderungen des Gesetzes nicht befriedigt werden können. Ohne Eingehen auf unsere berechtigten Forderungen seitens der Regierung wird der Kampf gegen das Umgeld in weit schärferer Weise als seither entbrennen und die alte Forderung der Wirte, Abschaffung des Umgelds, wird nur noch intensiver und nachhaltiger hervortreten. Wir gestatten uns deshalb, nochmals an eine hohe k. Regierung und die hohen Stände die ehrerbietigste Bitte zu richten, den gerechten Forderungen der Wirte Württembergs endlich Gehör zu schenken und bei der Durchführung der Steuerreform das Umgeld a b zus ch a ffen; wir sind dabei der festen Ueberzeugung, daß dies bei einigem guten Willen möglich sein wird. Tie Wirte würden bei Ausgleichung des durch Aufhebung der Umlage entstehenden Ausfalls gewiß auch wieder ein gut Teil beitragen müssen. Durch Aufhebung des Umgelds würde aber ein Stand, der schon seit Jahrzehnten gegen eine ungerechte Ausnahmebesteuerung kämpft, von dieser befreit. Nur dann, wenn die Umgeldfrage auf die von den Wirten beantragte Weise gelöst ist, wird im Wirtsgewerbe Ruhe und Frieden einkehren und der Ausspruch der Regierung, daß nunmehr die Klagen der Wirte verstummen werden, in Erfüllung gehen."
große Veränderung im Acußeren und im Wesen seines Schwagers vorgegangen sei, und er machte, als er mit Herbert allein war, die Bemerkung: „Wenn dein Onkel es so weiter treibt, wird es wohl nicht mehr allzulange mit ihm dauern."
Die Begrüßung der Schwäger war — wenn auch weit entfernt, herzlich zu sein — nicht unfreundlich. Der eine war zu formengewandt, um es einen Gast fühlen zu lasten, daß er ihm lästig sei. Der andere hielt es für geraten, nicht länger den Empfindlichen zu spielen, sondern der Notwendigkeit ihre beste Seite abzugewinnen. Konnte er doch hier eine Zeitlang ohne Sorgen leben, bekam gute Speisen und Getränke und hatte keine Ausgaben. Da mußte er schon ein Auge zuvrücken und die Gesellschaft seines Schwagers mit in den Kauf nehmen.
Für Herbert gab es so viel zu thun, daß sein Wunsch nach Thätigkeit vollste Befriedigung fand. Schon nach wenigen Tagen erklärte Onkel Franz, daß der Neffe nicht daran denken dürfe, ihn wieder zu verkästen.
„Mir hat schon lange jemand gefehlt," sagte er, „der meine rechte Hand ist. Der Inspektor ist tüchtig und zuverlässig, aber was du mir in jeder Beziehung bist, kann er mir nicht sein "
Dem jungen Grafen bekam die Arbeit gut und er begann, sich sichtlich zu erholen. Er hatte keine Zeit zum Nachdenken, arbeitete sich hungrig und war nach vollbrachtem Tagewerk so müde, daß er die ganze Nacht hindurch wie tot schlief. Einen sehr wichtigen Einfluß übte auch auf ihn das Bewußtsein aus, dem Onkel, dem er so viel verdankte, nützlich zu sein. Der Vater, der sich noch als Rekonvaleszent aufspielte, ließ sich pflegen und bedienen. Er machte mit der Baronin und den Kindern Spaziergänge und Fahrten; spielte mit dem Kandidaten, der die Knaben erzog, Bezique und mit der häßlichen Miß, die die Mädchen unterrichtete, Dame; las Zeitungen und ab und zu ein Buch; aber auf die Dauer fühlte er sich in Schloß Altstein nicht so behaglich wie in dem kleinen
Gasthause in W . . .., und er langweilte sich hier bald — trotz der bequemen Lebensweise — tätlich. Es ging ihm zu spießbürgerlich regelmäßig in der Häuslichkeit zu. Pedantisches Leben nach der Uhr war nie nach seinem Geschmack gewesen und beständig mit Leuten von beschränkt-tugendhaften Ansichten zu verkehren, noch weniger. Er sehnte sich fort aus dem Hause, in dem er sich wie ein Gefangener vorkam, und schrieb klägliche Briefe an Carola, in denen er seine bedauernswerte Lage schilderte und den Wunsch aussprach, von seiner lieben Tochter gesund gepflegt zu werden. Eines Abends teilte er Herbert strahlenden Gesichtes mit, Carola habe ihm Reisegeld geschickt und ihn gebeten, den Sommer bei ihr zu verbringen.
„Und du wirst hinfahren?" fragte Herbert stirnrunzelnd.
„Natürlich. Sie ist so gut wie du mein Kind und hat dasselbe Anrecht, den Papa bei sich zu haben. Auch war sie ihr ganzes Leben lang bedeutend liebevoller und bester gegen mich. Warum sollte ich ihre Bitte nicht erfüllen?"
„Du fährst nicht zu deiner Tochter, sondern zu deinem Schwiegersöhne — vergiß das nicht."
„Daß ich in seinem Hause wohne, läßt sich nicht ändern, aber mein Besuch gilt einzig und allein meinem Kinde. Sie schreibt mir, sie sei so viel allein und sehne sich nach mir. Wer könnte sie auch bester zerstreuen und erheitern als der Vater."
„Du bist nicht stark genug für eine so weite Reise," wandte Herbert ein.
„Ich? Nicht stark?" Der alte Herr lachte. „Ich nehme es wieder mit den jüngsten Leuten auf. Sieh mich doch an! Mache ich einen kranken Eindruck? Ich fühle mich gesund wie ein Fisch im Wasser."
(Fortsetzung folgt.)