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Der Oberlieutcnanl ließ sich wieder an den Tisch nieder.
„Der Alte ist zähe!" schrie er und schlug mit der Faust aus den Tisch, daß die Gläser klirrten. „Ader wartet, Kameraden, ich will dem alten Fischblut doch zeigen, daß ich es aus seiner Seelenruhe zu bringen vermag!"
Mit diesen laut gesprochenen Worten langte Sz. nach dem dritten Kirschkern.
„Jetzt gilt es Ihre Stirne!" rief Sz, zu dem Fremden hinüber und im selben Augenblicke sauste auch schon der Kirschkern durch die Luft, um eine Sekunde später an der Stirn des alten Herren abzuprallen.
Wie früher hob dieser das Geschoß schweigend auf. Eine leichte Errötung zeigte sich hierbei auf seinen Gesichtszügen,
Den Kirschkern in der Hand näherte sich der Beleidigte dem Offizier. Sein kalter Blick schien jetzt den Uebermütigen in den Grund zu bohren, als sich der kleine Mann an die Offiziere wandte.
„Meine Herren," sagte er mit sonorer, den Slaven in der Ansprache verratender Stimme; „Sie haben gesehen, wie ich von Ihrem Kameraden beleidigt wurde. Jede Beleidigung aber fordert Satisfaktion." Dann wandte der Sprecher sich an den Oberlieutcnanl und setzte hinzu: „Momentan bin ich nicht in der Lage von Ihnen Graf Sz. die Satisfaktion fordern zu können, da mich Geschäfte in eine andere Gegend rufen. Doch seien Sie überzeugt. Graf, daß ich Sie zu finden wissen werde und dann hoffe ich. daß Sie meiner Forderung Genüge leisten."
Mit diesen Worten hatte sich der Fremde umgekehrt, dem Wirte eine größere Silbermünze auf den Tisch geworfen und die Stube verlassen.
Sonderbar. Keiner der Anwesenden wagte es, den Fremden um den Namen zu fragen und als sich die Thüre hinter dem Manne schloß, trat feierliche Stille ein.
Einige Minuten wirkte die Ueberraschung noch, dann ging die Unterhaltung wieder in Fluß. Umsonst. Es wollte allen Offizieren nicht mehr gelingen, einen frohen Ton in die Gesellschaft zu bringen.
Selbst Graf Sz. hatte seinen Humor verloren und blickte ernst vor sich hin.
Man trennte sich bald, ohne jedoch nicht zuvor des kleinen fremden Mannes und seines mutigen Auftretens gedacht zu haben.
(Schluß folgt.)
Jugweiler, 1. Dez. EiiuEhemann, der nach der bürgerlichen und vor der kirchlichen Trauung seine Frau verläßt, dürfte eine Seltenheit sein. Hier ist ein solcher Fall gestern vorgckommen. Als das junge Ehepaar vom Rathause in die Wohnung zurückgekehrt war. wurde die junge Frau plötzlich ohnmächtig. Dies nahm sich der Gatte, ein Schmied, so zu Herzen, daß er die Wohnung verließ und durchbrannte. Bis jetzt hat man noch keine Spur von ihm entdeckt. Man denke sich den Schrecken der jungen Frau, nachdem diese wieder zum Bewußtsein gekommen war. In Begleitung ihres Bruders begab sie sich nach ihrem Heimatsorte Schillersdorf, wo die Hochzeitsfeier stattsinden solle.
Rappenau, 29. Nov. Dieser Tage pas sierte einem hiesigen Bürger folgendes heilere Mißgeschick. Derselbe hatte am Montag ziemlich viel Neuen getrunken. Nach Hause gekommen, suchte er ein durststillendes Mittel und geriet hierbei an die zum Backen bestimmte flüssige Bierhefe, die er für Kaffee hielt. Nachdem er sich diesen Labetrunk zu Gemüte geführt, sagte er zu seiner Ehehälfte: „Alte, heute sich aber der Kaffee arg bitter." Der Trunk scheint ihm im übrigen gut bekommen zu jein.
Ein wirklicher Glückspilz ist der Bahn- Hofs-Restauerateur Gehlhaar in Oschatz. Er spielte bei der vorigen sächsischen Landeslotterie ein Zehntel des Loses, welches mit dem Hauptgewinn gezogen wurde. Bei der jetzigen Lotterie erhielt er wiederum ein Zehntel von 300 000 cM. Als der Gewinner einige Tage später bei dem Kollekteur in Leipzig seinen Gewinnanteil abholte, machte ihm derselbe die Mitteilung, daß er bereits wieder auf ein anderes Los mit 3000 -M
herausgekommen sei. — Um so betrübter ist die überwiegende Mehrzahl der anderen Spieler.
Aus der Schweiz. 26, Nov. Der bekannte Geologe Professor Albert Heim berechnet in der Bierteljahrsschrift der Naturfvrschenden Gesellschaft in Zürich annähernd das absolute Alter der Eiszeit. Trotz der von ihm als unvermeidlich erkannten Fehler kommt er zu dem Ergebnis, daß seit dem Rückzug der diluvialen großen Gletscher der letzten Vergletscherung Wenigstens 10 000, höchstens 50 000 Jahre vergangen sind und daß es sich bei der Frage nach dem Alter der Eiszeit weder um einzelne wenige Jahrtausende, noch um Jahrhundrrtaujende, wohl aber um einige Jahrzehntansende handelt.
Bärenjagd in Tyrol. Im Thal von Daone, einem Seitenthal des oberen Jndicarien, in der südwestlichen Ecke Tyrols, wurde vorige Woche von zwei Männern aus Daone, welche auf die Gemsjagd gegangen waren, eine Bärin erlegt. Dos Tier wog 67 kg und war etwa 7 Jahr alt.
Von Wölfen überfallen. Aus der Gemeinde Hidos in Ungarn wird gemeldet, daß dort Freitag abend eine von einer Hochzeitsfeier durch den Wald heimkehrende, aus etwa 20 Personen bestehende Gesellschaft von Wölfen überfallen wurde. Dreizehn Personen gelang es. wenn auch ziemlich verletzt, zu entkommen, während die übrigen den Bestien zum Opfer sielen. Die ganze Bevölkerung dcS Dorfes ging bewaffnet in den Wald, fand aber nur spärliche Kleiderreste vor.
Auf einem Kirsch bäum gestorben ist zu Nodda bei Villazzano ein gewisser Franz Furtoni. Er wollte auf demselben einige Zweige abschnciden und wurde hierbei wahrscheinlich vom Schlag getroffen. Der Mann war in einer Stellung auf dem Baume, als ob er hatte schlafen wollen. Die unten befindlichen Kinder merkten erst, als er auf ihr Rufen nicht antwortete, daß er tot sei.
Sämtliche Kalender auf das Jahr 1895 sind in Rußland mit Beschlag belegt worden bezw, deren Ausgabe verhindert worden. Da die Kalender noch vor dem 1. Nov. dem Todestage des Zaren Alexander, gedruckt worden sind, so sind sie insofern für das Jahr 1895 wertlos, als im nächsten Jahre im russischen Reiche infolge des Thronwechsels die sog. Galatage auf andere Daten fallen. Die Galatage sind die Namens- und andere Gedenktage in der Kaiserlichen Familie.
(Feine Unterschiedes „Was ist der Unterschied zwischen einer Statue und einem Frischling?" — „Mir unbekannt" — „Eine Statue ist eine Bildsäule und ein Frischling ist ein Wildsäu'lc!" — „Sehr neu. Ader ich will noch einen Unterschied zwischen beiden sogen."
— „Da bin ich neugierig." — „Sehr einfach: Die Bildsäule ist von Eber lein und das Wildsäu'lc ist ein Eberlein!"
(Nur für Natur!) Krauthuber (zu seinem Nachbar einem Anhänger des Naturheilverfahrens, der im Garten seinen Jungen prügelt): „Hören Sie mal, Herr Nachbar! Gehört diese Prozedur auch zur Naturheilmethode?" — Nachbar: „Nee, des ist Naturkeilmethode!"
AuS dem Briefkasten des „Kladderadatsch:" Tübingen. Der „Schwarzw. Bote" vom 22. Nov. enthält folgende Anzeige: „Einen za hmen Fuchs hat zu verkaufen Erhard Fuchs, Oberndorf a. N." Es ist nicht hübsch, daß ein Fuchs den andern verkauft.
(Redensarten.! „Wir sind ein Herz und eine Seele", sagt John Bull zum Russen. — „Was kann unsere Freundschaft erschüttern?" fragte der Hund die Katze. — „Das Bischen Konstantinopel", schmeichelte John Bull. — „Das Bischen Indien", meinte Iwan Knuto- witsch. — „Die Dardanellen", lispelte John.
— „Der Suezkanal", flüsterte Iwan. — „Wir
haben dieselben Interessen", sagte John. — „Wenn Rubel und Pfund dieselben Zinsen tragen", schmunzelte Iwan. — „Gottlob, sie sind einig", sagte alle Welt. (Kladd.)
(Naiv) Johann, haben Sie dem Schneider gesagt, daß er zum „Ersten" sin- Geld kriegt!"
— „Jawohl, Herr Lieutenant! Ich Hab ihm
l sogar Ihr Ehrenwort gegeben!" — (Soli- ' daridät.j „Karoline. daß Du nicht etwa verrätst, daß mern Kamerad bei Eurer Köchin gewesen ist!" — „I. wo — wir haben doch auch unser Solidatitätsgefü hl!" — (Unwillkürliche Verstärkung.) „A : „Deine Schwiegcrmama wird Euch, wie ich gehört habe, besuchen, wenn denn?" — B.: „Anfang Dezembrrrrr!"
(Fl. BlO
Bei de» Berliner Standesämtern ist im Lause des Monats November nicht weniger als 17 mal für Knaben der Vorname Aegir an« gemeldet worden. Welche erfreuliche Bereicherung unseres Namensregisters! Wie schön und vornehm klingt es: A egir Sch ultze" , „Aegir Meyer" oder gar „Aegir Pincus"! Von einem entsprechenden weiblichen Nomen ist noch nicht die Rede. Derselbe ließe sich aber leicht finden und würde Aegira oder Aegiria lauten. Koseformen wären: Aege. Gira, Girchen, Gi.sch und Gusch. (Kladd.)
A. In den Zeitungen steht, daß wir 28 lebende Minister haben. Das ist doch wohl zu viel. — B. Bewahre! Es sind noch viel mehr da, wenn mann alle Klassen zählt. — A. Giebt cs denn da auch Klassen? — B. Versteht sich. Wir haben Minister in 8pv, Minister in rv und Minister a. D. — A. Ja so! Daran hatte ich nicht gedacht. Dann giebt es allerdings sehr viele.
Telegram »n e.
Berlin, 5. Dez. Die freie Vereinigung der Inhaber griechischen Wertpapiere hielt gestern Abend eine große Protestversammlung ab, um die Interessen der Inhaber zu wahren. Die Versammlung beschloß, eine Audienz beim Kaiser nachzusuchen, um demselben die zahlreich eingelaufenen Notschreie deulsch.r Gläubiger zu unterbreiten.
Berlin, 5. Dez. Wie die „Zoff. Ztg." erfährt, ist RegierungSass-ssor Sachs, der für die Umgestaltung der offiziösen Presse auser- sehen ist, bereits aus Straßburg hier cinge- trvffen und den zuständigen Stellen vorgestellt worden.
Berlin, 5. Dez. Der Gesundheitszustand des Fürsten Bismarck ist durchaus günstig. Die Uelnrsiedlung nach Friedrichsruh erfolgt in 8 bis 14 Tagen.
Berlin, 5. Dez. Die sozialistische Reichs- tagssraklion trai gestern zusammen. Bebel und Vvllmar waren dazu erschienen. Der Streit zwischen beiden kam dabn zur Sprache. Die Fraktion beabsichtigt, einen Antrag auf Ausdehnung des Koalitionsrech's auf die Landarbeiter einzubringen.
Berlin, 5. Dezbr. Die deutsch soziale Reformpartei, die gestern tagte, hat beschlossen, sechs Initiativanträge einzubruigcu, darunter einen Antrag auf Verhinderung der Zulassung ausländischer Juden, einen Antrag zum Schutze der Handwerker und einen Antrag in Sachen der Konsumvereine.
Pforzheim, 5. Dez. Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Dr. Rüdt hat hier seine treuesten Anhänger, welche zu seinen Gunsten neulich auch eine Resolution gefaßt und ihn außerdem eingeladen haben, in nächster Zeit hier einen Vortrag zu halten. Daß Dr. Rüdt diese Einladung, die ihm doch eine willkommene Gelegenheit gegeben hätte, seinen Standpunkt darzulegen, aus Gesundheitsrücksichten abgclehnt hat, wird von Eingeweihten ats Beweis dafür angesehen, daß er seine Sache für verloren hält.
London, 5. Dezbr. Die Times meldet aus Kobe: Mehrere 1000 Tonghaks griffen am 28. November die japanische Streitmacht bei Kongou an und wurden unter großen Verlusten zurückgeschlagen, 2 Anführer wurden gelötet. Die Times meldet ferner aus Philadelphia: Der von Japan aneekaufte Kreuzer Esmeralda ist am 29. November abgegangen.
Bestellungen
auf den
Gnzthiiler
für den Monat Dezember
wollen bei den Poststellen (in Neuenbürg bei der Redaktion) gemacht werden.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.