am Vormittag erhoben, wegen einer leichten Verletzung am Fuß zunächst einen Doktor auf­gesucht und sich dann nach kurzem Aufenthalt in seinem Zimmer abermals entfernt habe, ohne irgend etwas zu hinterlassen. Eine kurze Zeit nur schwankte ich, was ich zunächst unternehmen solle. Bald aber war mein Entschluß gefaßt. Ich gab mich den höchst erschrockenen braven Leuten als Polizeibeamter zu erkennen und er­klärte. eine Durchsuchung der Effekten ihres Mieters vornehmen zu müssen. Zitternd öffneten sie mir die Thür meines Zimmers und bezeich- neten mir die Möbel, in denen sich seine Kleid­ungsstücke, seine Wäsche und seine Bücher befanden. Sie waren zwar sämtlich verschlossen, aber die Vermieter befanden sich ohne Seiberts Vorwissen noch im Besitze eines zweiten Schlüssels und so lagen denn die wenigen Habseligkciten des Verdächtigen bald offen vor mir da. Ihre Durchsuchung ergab zunächst keinerlei belastende Momente, und ich hatte schon die Hoffnung, noch irgend etwas vorzufinden, vollständig auf­gegeben, als ich auf dem Grunde eines unter allerlei Wäschestücken sorgsam verwahrten Käst­chens ein kleines Packet von Briefen entdeckte, in denen ich auf den ersten Blick die Handschrift der Frau Stein erkannte. Einen überzeugenderen Belastungsbeweis, als ihn diese Briefe bildeten, hätte ich mir nun freilich nicht wünschen können. Sie enthüllten mir das ganze niederträchtige Gewebe, das hinter dem Rücken des ahnungs­losen betrogenen Mannes angestiftet worden war. In den Ausdrücken glühendster Liebe redete das ehrvergessene Weib zu dem jungen Manne und fast in jedem Briefe kamen Wend­ungen vor, welche nur zu deutlich den Wunsch erkennen ließen, Stein möge durch seinen Tod das Hindernis aus dem Wege räumen, welches sich noch immer ihrer endlichen Vereinigung ent­gegenstelle. Am verhängnisvollsten aber war ein kurzes Schreiben, welches dem Datum nach erst vor vier Tagen geschrieben worden war und dessen Gefährlichkeit die Absenderin selbst durch die am Schluffe enthaltene dringende Bitte an­erkannt hatte, Seibert möge den Brief ebenso wie alle früheren, auf der Stelle verbrennen. Daß er es nicht gethan, sollte ihm jetzt zum Verderben werden! Das kurze Billet enthielt nämlich die hastig hingeworfene Mitteilung, Stein habe eine Reise nach F. angetreten und werde am zweitnächsten Tage mit dem Kurierzuge zu­rückkehren. Wenn es vielleicht auch eine arge Sünde wäre, so könne sie sich doch des Ge­dankens nicht enthalten, daß all' ihr Leid ein Ende hätte, wenn ihm auf dieser Rückfahrt et­was zustoßen sollte. Sie wolle zwar damit Seiberts neulich ausgesprochenen Plan keines­wegs gutheißen: aber es ginge ihr doch beständig durch den Kopf, daß sie durch Steins Tod nicht nur von einer unerträglichen Fessel befreit wer- den würde, sondern, daß sie auch unmittelbar nach seinem Ableben in den Besitz einer Ver­sicherungssumme von sechzigtausend Mark ge­langen würde, mit der man ja nach Amerika oder wer weiß wohin entfliehen könne. Ich hatte den bedeutsamen Brief eben sehr vorsichtig in meinem Portefeuille untergebracht, als die Wirtin mit ganz verstörtem Gesicht eintrat und uns meldete, daß Seibert soeben nach Hause ge­kommen sei. Ahnungslos folgte er ihr fast auf dem Fuße nach, aber als er die geöffneten Schiebfächer und die beiden Fremden erblickte, wurde sein Gesicht kreideweiß und seine Kniee schlotterten. Wie festgebannt blieb er auf der Schwelle stehen und ich sah. daß er von mittel­großer schlanker Gestalt war, rotblondes Haar und ein abgelebtes, bartloses Gesicht hatte. Mit jenem schwarzbärtigen beleibten Passagier also konnte er nicht identisch sein. Ohne ihm Zeit zu lassen, sich zu sammeln, trat ich auf ihn zu und erklärte ihn mit erhobener Stimme für ver­haftet. Er stammelte und rang vergebens nach Fassung. Das Schuldbcwußtsein war ihm auf die Stirn geschrieben; aber er suchte doch un­verkennbar nach einem Weg, der ihn retten sollte. Da stieß der Unterbeamte, der unter­dessen die Durchsuchung fortgesetzt hatte, einen Ruf der Ucberraschung aus und zog aus einem Rcisekoffer, dessen doppelten Boden ich vorhin

übersehen hatte, einen vortrefflich gearbeiteten Bart, eine Perrücke von derselben Farbe und eine Quantität Walle hervor, die offenbar zur Herstellung der Wohlbelcibtheit gedient Halle. Im Angesicht dieser erdrückenden Belastungs­momente brach der Verbrecher fassungslos zu­sammen und es war nicht mehr schwer, ihn zu einem vollen Geständnis zu bringen.

Er hatte seit etwa einem halben Jahre ein heimliches Liebesverhältnis mit Frau Stein unterhalten und hatte, da sie ihm versprochen hatte, ihn nach dem Tode ihres Mannes zu heiraten, längst den Plan gefaßt, den Unglück­lichen zu ermorden. Da Stein sehr häufig auf Reisen war, schien ihm das Eisenbahn-Koupee für die Ausführung seines entsetzlichen Vor­habens der geeignetste Ort zu sein und er hatte der Frau Stein von der Art desselben umständ­lich Mitteilung gemacht. Wie sie cs ausgenom­men, dafür war ihr obenerwähnter Brief der beste Beweis, wenn sie sich auch stets gehütet hatte, geradezu ihre Zustimmung auszusprechen. In der gut gelungenen Verkleidung, in welcher ihn der Schaffner gesehen hatte, war Seibert dann unter Benutzung einer anderen Eisenbahn­linie nach F. gereist und hatte sich gleichzeitig mit Stein zur Abfahrt des Kourierzuges auf dem Bahnhof eingefunden. Vorsorglicher Weise hatte er sich nur ein Billet bis zur letzten Sta­tion vor der Hauptstadt gelöst und bis dahin hatte er die Fahrt in Gesellschaft seines Opfers zurückgelegt, ohne auch nur ein einziges Wort mit ihm zu wechseln. Als der Zug vor der er­wähnten Station hielt, war er ausgestiegen, hatte aber einen Msment, in welchem der Schaffner anderweitig beschäftigt war, benutzt, um in das Koupee zurückzulehren, ein Umstand, der seinem Mitreisenden durchaus nicht auffällig erscheinen konnte, da Stein beim Halten des Zuges immer nur für einige Augenblicke aus seinem Halbschlummer auffuhr. Auch jetzt war er sogleich wieder eingeschlafen und unmittelbar nachdem der Zug sich wieder in Bewegung ge­setzt hatte, war der verhängnisvolle Schuß von Seibert aus nächster Nähe abgefeuert worden. Dann hatte der Mörder den abgeschossencn Re­volver neben sein bewußtloses Opfer gelegt, hatte die Waggonthür geöffnet und war, von der Dunkelheit des Winterabends begünstigt, so geschickt hinausgesprungen, daß er außer einer sehr leichten Verstauchung am Fuß, keinerlei Verletzungen davongetragen. Zu Fuß war er dann in die Hauptstadt zurückgekehrt und hatte noch in derselben Nacht an einem sicheren Ort ein Rendezvous mit Frau Stein gehabt, in welchem er sie von dem glücklichen Erfolg seines Unternehmens in Kenntnis setzte. Darauf, daß sie selbst ihn denunzieren werde, war er aller­dings nicht gefaßt gewesen; ich aber hatte die menschliche Habgier richtig genug beurteilt, als ich darauf gerechnet hatte, sie durch den droh­enden Verlust der Versicherungssumme zu einem freiwilligen Verrat ihrer Mitwissenschaft, an der ich von vornherein nicht gezweifelt hatte, zu bringen. Zum Ueberfluß hatte nun auch die Vergleichung der Denunziation mit dem in meiner Gegenwart geschriebenen Brief überzeugend dargethan, daß beide von derselben Hand her­rührten und die Verhaftung des schändlichen Weibes konnte unbedenklich erfolgen. Sie ge­berdete sich dabei wie eine Rasende und leugnete beharrlich alles ab Offenbar hatte sie erwartet, daß Seibert aus Ritterlichkeit sie nicht mit in sein Verderben ziehen würde. Natürlich hatte sie sich darin gründlich getäuscht, denn der Ver­ratene rächte sich mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen und als sich seine Mitangeklagte endlich von der Last der Beweise erdrückt sah, gab sie das Lügen auf und verharrte in einem trotzigen, finsteren Schweigen.

Vom nächsten Schwurgericht wurde Seibert zum Tode und Frau Stein zu zehnjährigem Zuchthaus verurteilt. Der Landesfürst begnadigte Seibert zu lebenslänglichem Kerker, und Beide sind dann auch in der That im Zuchthaus ge­storben.

sGroßer Unterschieds Freier:Eines möchte ich noch bemerken, Herr Direktor: mein Onkel

ist notorisch reich und ich bin sein Erbe!"- Direktor:Es wäre mir sehr angenehm, wenn das notarisch wäre."

Telegramme.

Berlin, 23. Nov. DemMilitärwochen­blatt" zufolge ist Kaiser Nikolaus II. von Rußland zum Chef des Kaiser Alexander-Garde- Grenadier-Regiments Nr. 1 ernannt worden. Der russische Botschafter Graf Schuwalow wird nach den Vermählungsfeierlichkeiten aus Petersburg hierher zurückkehren, um dem Kaiser sein neues Beglaubigungschreiben als Botschafter des Zaren Nikolaus II. zu überreichen.

Berlin, 24. Nov. DerLokalanzeiger" meldet aus Petersburg: Wie verlautet, wird der Zar nächstes Frühjahr die Höfe von Berlin und Wien besuchen.

Hamburg, 24. Novbr. Graf Herbert Bismarck erklärt in den Hamburger Nachrichten die Meldung von seinem angeblichen Interview durch einen Berichterstatter der Pall Mall Gazette für eine reine Erfindung. Das englische Blatt müsse das Opfer einer großen Täuschung ge­worden sein.

Karlsruhe, 23. Nov. Die Versammlung der Vertreter der mittelbadischen Gemeinden für Handel und Industrie erklärte sich für die Schiff­barmachung des Oberrheins und richtete an die Regierung die Bitte, die technischen Vorarbeiten vorzunehmen.

Wien, 24. Nov. Die Telephonleitnng von hier nach Berlin ist nunmehr fertiggestellt und wird am 1. Dezember dem Betrieb über­geben werden.

Paris, 23. Nov. Deputiertenkammer. Die öffentliche Meinung fängt an, sich etwas mehr für den Kriegszug nach Madagaskar zu erwärmen; so war denn heute der Besuch der Kammer stärker als gestern. In den Wandel­gängen war man der Meinung, daß die Be­ratung heute noch nicht zu Ende geführt werden würde. Nach Erledigung der laufenden Geschäfte führt Andre Lebon aus, er werde die ge­forderten Kredite für Madagaskar, ohne einen Pfennig zuzulegen oder abzuziehen, bewilligen, weil die Regierung und die Kammer sich bereits verpflichtet hätten, aber er bedauere, daß der Krieg unternommen werde, wie auch jedermann die Expedition nach Aegypten bedauere. (Beifall.) Graf Douville-Maillefeu erklärt, obschon er ein Gegner der Regierung sei, werde auch er dafür stimmen, weil die Regierung zum ersten Male das Parlament freimütig darüber aufge­klärt habe. Der Krieg von 1870 sei nicht be­endet, es sei bloß Waffenstillstand. Der Friede werde erst dann unterzeichnet werden, wenn die Franzose» wieder vereinigt seien. Frankreichs Ehre sei unversehrt. Frankreich lebe, man mW es weiter entwickeln. (Beifall.) Frankreich müsse auch mit einem Auge nach Ostasien blicken, und um daselbst stark aufzutreten, sei das beste Mittel, sich auf Madagaskar niederzulassen. Redner schließt mit dem Rate, die neuen Ausgaben durch Ersparnisse im Kriegsbudget mittels Herabsetzung der Dienstzeit von 3 auf 2 Jahre auszugleichen. Der Minister des Auswärtigen, Hanoiaux, legt die handelspolitischen Vorteile der franzö­sischen Vorherrschaft in Madagaskar dar und fährt fort, mehr als das sei im Spiele, der Ehre Frankreichs gelte es; darum müsse seine Schutzherrschaft über Madagaskar erklärt werden. Das Parlament schloß sich dieser Politik an, indem es den Vertrag von 1885 genehmigte, an den die Regierung und die Kammern sich seither gehalten haben. (Beifall.) Der Minister fordert die Kammer schließlich auf, die Gelder zu bewilligen und so ihre Handlungen in Ein­klang mit ihren Kundgebungen zu bringen. (Lebhafter Beifall)

Petersburg, 24. Novbr. Die gestern angeblich von hier stammende aber von Berlin aus verbreitete Meldung, wonach Erzherzog Karl Ludwig sich gegen die baldige Vermählung des Zaren ausgesprochen und bei seiner Abreise von keinem Mitglied des russischen Kaiserhauses zur Bahn geleitet worden sei, beruht auf einer ebenso willkürlichen als handgreiflichen Er­findung.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.