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Bamnwollmiirkten will die flaue Stimmung nicht nur nicht aufhören, sondern sie macht immer noch weitere Fortschritte, so daß es nahezu den Anschein hat, als ob man in nicht allzulanger Zeit die Rohbaumwolle geschenkt bekommen könnte. Die Terminpreise für amerikanische Sorten sind abermals um 2—4 Points niedriger als am Schluß der Vorwoche. Auf den Baumwollgarn- und Tüchermarkten herrscht gleichfalls ausgesprochen flaue Stimmung und die Abschlüsse in > effektiver Ware beschränken sich trotz sehr ermäßigter Preise auf den allervrmgendsten Bedarf, während neue Kontrakte zur Zeit gar nicht zustande kommen. — Auf den Zuckermärkten hat die schon in voriger Woche em- getretene Ermattung weitere Fortschritte gemacht und die Preise sind abermals zurückgegangen.
Ausland.
In Belgien haben bei den Provinzial- rats- und Munizipalwahlen die Ultramontanen abermals bedeutende Siege über die Liberalen erfochten; sie besitzen jetzt ans dem Rathaus m Brüssel die Majorität
London, 8 . Nov. Der chinesische Botschafter ist von Paus zurückgekehrt — Ich erfahre aus bester Quelle die Bestätigung, daß die chinesische Kriegsflotte trotz wiederholter Warnungen sich in Port Arthur cinschließen ließ.
New-Jork, 8 . Nov. Die letzten Ergebnisse der Wahlen zeigen, daß die republikanischen Siege alle Erwartungen üderkreffen. Die populistische Partei erlitt eine große Niederlage in Colorado Kansas. Einer der bedeutendsten Kauf- leute Ncw-Iorks erklärte, er fürchte keineswegs einen neuen Mac Kinlcy-Tarif als Folge der Wahlen. Die republikanische Mehrheit in Jn- diania für Harrisvn übersteigt 50 000, diejenige in Ohio für Mac-Kinley beträgt 140 000
Unterhaltender Heil.
Der
Schloßhauptmann von Düsseldorf.
Novelle von Waldemar Berndt.
(Nachdruck verboten.)
(Schluß.
Wieder schwieg der Schloßhauptmann und sank tief in die Kissen zurück. Schwer atmete seine Brust und auf dem bleifarbenen Antlitz standen dicke Schweißtropfen. Auf's Neue reichte der Oberst dem Kranken den stärkenden Labetrunk und wiederum fachte derselbe die erlöschenden Lebensgeister an. Er schlug die halbgeschlossenen Augen auf und begann weiter zu erzählen:
„Der Tag der Thal war bestimmt — am Donnerstag. Die Herzogin hatte die vergangene Nacht im wilden Gelage durchschwärmt und war heute zeitig zur Ruhe gegangen. Die Glocken der Lambertuskirche verkündeten die zehnte Abendstunde, als ich leise, barfuß, das Schlafgemach der Fürstin betrat. Die Kammerfrauen waren ebenfalls zu Bert gegangen, ein Klingelzug neben dem Lager der Herzogin war dazu bestimmt, sie herbeizurufen.
„Da lag das schöne Weib und schlief, — schlief, als sei sie das schuldloseste Geschöpf auf Gottes Welt. Ein Grausen überkam mich, die Füße wollten mich nicht vorwärts tragen. Memme
— Feigting! rief es in mir und mit raschem Entschlüsse stürzte ich vorwärts, umklammerte den Hals der Herzogin und preßte ihn zusammen. Sie stieß einen unterdrückten Schrei aus, öffnete die Augen und sah mich an mit einem Blick, den ich mein Lebenlang nicht mehr vergessen habe. Der Kampf war kurz, wenige Minuten, und Alles war vorüber. Mit weit geöffneten Augen lag sie nun da, aber sie waren ohne Glanz, die Gesichtszüge hatten eine bläuliche Färbung angenommen und die Hände erschienen krampfhaft geballt. Wie von Furien gepeitscht, floh ich aus dem Gemach des Schreckens, aber von der Stunde an war meine Ruhe dahin, denn an meinen Händen klebte Blut — Blut
— Fürstenblut!"
Der Kranke schrie so laut und entsetzlich, daß es den Soldaten eiskalt überlief; er fand kein Wort des Trostes und der Beruhigung.
„Die Thal hat sich furchtbar an mir gerächt, ich habe gräßlich zu leiden gehabt," fuhr der Schloßhauptmann mit leiser Stimme fort. „Ein Mädchen, das mir nach Jahren meine Frau schenkte, wurde, je mehr sie sich entwickelte, das leibhafte Ebenbild der Gemordeten und er
innerte mich dadurch täglich, stündlich an meine grausige Thal. Jeden Donnerstag aber, sobald die zehnte Abendstunde schlägt, muß ich in das Schlafgemach der Herzogin, eine unsichtbare Gewalt, die Menschen nennen es auch Macht des bösen Gewissens, zieht mich dahin und in den furchtbarsten Seelenqualen verbringe ich dort, vor dem Bette und dem Bilde der Gemordeten. eine entsetzensvolle Stunde. Das ist das Geheimnis jenes Zimmers; Tag und Stunden des Mordes kehren allwöchentlich wieder und eben so oft durchlebe ich alle Schrecknisse jener unheilvollen That."
„Hat man nicht nach dem Thäter geforscht?" fragte der Oberst.
„Das wohl." versetzte der Schloßhauptmann, „aber man betrieb die Untersuchung sehr lässig. Man war froh, daß das Land befreit war und das Volk atmete erleichtert auf. Allgemein wurde angenommen, einer ihrer verschmähten Günstlinge sei der Thäter und als man nach einigen Bemühungen dessen Spur nicht fand, ließ man die Angelegenheit ruhen. Dein Vater verließ nach dem Tode des blödsinnigen Herzogs die Stadt und zog nach Böhmen; jetzt weißt Du auch, weshalb er seinen Namen änderte, der Name Schenker war mit dem Morde der Fürstin zu eng verknüpft.
„Aber jetzt sind meine Leiden zu Ende. Als ich vor einigen Monaten draußen im Lager der Spanier bei Zons war, um dem General Montalvo eine Botschaft unserer Fürstlichen Gnaden, des Herzogs, zu überbringen, hielt ich mein Pferd an einer Marketenderbude an, um einen Schluck Branntwein zu nehmen; ein altes Zigeunerweib trat aus dem Zelt und brachte mir das Gewünschte. Sie sah mir scharf in's Antlitz, erfaßte dann meine Hand und verfolgte die Linien derselben mit ihrem Zeigefinger. „Ihr habt kein gutes Gewissen," sagte sie dann, „eine schwere Schuld lastet auf Euch und Ihr werdet nicht eher Ruhe finden, als bis die Stätte Eurer Unthat vernichtet ist. Was das Weib damit meinte, ich wußte es nicht, heute ist es mir klar. Das Feuer hat das Gemach des Entsetzens vernichtet und mir winkt endlich die heißersehnte Ruhe des Grabes "
Er sprach die letzten Worte leiser, io daß der Oberst sich niederbeugen mußte, um ihn zu verstehen. Aber kaum hatte er geendet, als ihn ein heftiger Stickhusten überfiel, der ihm den Atem benahm. Rasch holte der Graf die beiden Mädchen herbei und als diese an das Lager des Sterbenden traten, seufzte dieser noch einmal auf, streckte sich und war verschieden.
Drei Tage später führte man den Haupt- mann Knolling und den Küchenschreiber Gallus mit gefesselten Händen hinaus nach dem Hochgericht, wo sie ihre Schuld am Galgen büßten.
Die Justiz damaliger Zeit machte nicht viel Umstände und die Aussagen der Fischerstochter und des kaiserlichen Oberst genügten vollständig, die Brandstifter für überführt zu erachten. Die begleitenden kaiserlichen Truppen hatten Mühe, die Verbrecher vor der Wut des Volkes zu schützen, denn nur der Umsicht des Obersten und den fast übermenschlichen Anstrengungen seiner Leute war es zu danken, daß die Stadt und der größte Teil des Schlosses erhalten geblieben war. Der Herzog und die Bürgerschaft ließen denn auch den Kaiserlichen eine ansehnliche Geldsumme als Entschädigung und Belohnung zugehen, Klingenburg selbst aber lehnte jeden derartigen Beweis des Dankes ab.
Als er indes nach drei Monaten mit der Geliebten in der Sanct Lambertuskirche an den Altar trat, um sich der Trauer um den geschiedenen Vater wegen in aller Stille trauen zu lassen, konnte er es nicht verhindern, daß die ganze Stadt an dem Glück der Neuvermählten freudigen Anteil nahm, die Kirche in einen Blumengarten verwandelte und ein vollständiges silbernes Tafelgeschirr als Hochzeitsgabe schenkte.
Nur Marie fehlte bei der Feier; sie war wieder in die dürftige Hütte ihres Vaters zurückgekehrt und nichts konnte sie bewegen, die Freundin zum Altäre zu begleiten. Regina ahnte, was in ihr vorging und ehrte die Gründe ihres Fernbleibens; der Oberst aber wirkte ihr,
deren Wachsamkeit die sofortige Entdeckung des Feuers zu danken war, ein Jahrgchalt aus, das sie in den Stand setzte, ihrem Vater ein sorgenfreies Alter zu bereiten. Und als der Fischer endlich das Haupt zur ewigen Ruhe legte, trat die Vereinsamte in das Klosten der Carmeliter- innen ein; sie hatte mit der Welt abgeschlossen.
Oberst von Klingenburg nahm bald seinen Abschied und zog sich mit seiner jungen Frau aus seine böhmischen Güter zurück; das wilde Kriegshandwerk verträgt sich nicht mit dem stillen häuslichen Glück, welches die Liebenden fortan umschwebte.
Einige Bauernregeln für November. Ist an Allerheiligen der Buchenspahn trocken, wir im Winter gern hinter dem Ofen hocken: ist der Spahn aber naß und leicht, so wird der Winter statt trocken, recht feucht. — Allerheiligen bringen Nachsommer (den Altweibersommer). — An Martini Sonnenschein, tritt ein kalter Winter ein. — Wenn die Gänse um Martini auf dem Eise stehen, so müssen sie um Weihnachten im Kote gehen. — Sperret der Winter zu früh das Haus, hält er sicher nicht lange aus. Bleibt aber der Vorwinter aus, so kommt der Nachwinter mit Frost und Braus.
Telegramme.
Berlin, 9 Nov. Der „Krenzztg." zufolge ist die Nachricht, daß die Komposition des Kaisers „Sang an Aegir" durch ministerille Verfügung in den oberen Klassen der höheren Lehranstalten zum Gegenstand einer Besprechung gemacht werden sollte, unzutreffend.
Berlin, 9. Nov. Nach der Rückkehr aus Livadia nahm heute Professor Leyden seine Vorlesungen wieder auf; das Auditorium begrüßte ihn stürmisch, wofür er dankte. Leyden erzählte sodann, daß seine kurze Abwesenheit ein Stück Weltgeschichte gewesen ist und ihm ewig in Erinnerung bleiben werde.
München, 9. Nov. Der Reichskanzler Fürst v. Hohenlohe empfing gestern die hier beglaubigten Diplomaten. Bor der Tafel wurde der Reichskanzler vom Prinzregenten in Privataudienz empfangen. An der Tafel nahmen außer den anwesenden Prinzen sämtliche Staatsminister und der preußische Gesandte teil. Der Prinzregent trank dem Reichskanzler zu und unterhielt sich nach der Tafel noch längere Zeit mit ihm. — DerPrinzregent stattete dem Reichskanzler, Fürsten Hohenlohe, einen längeren Besuch ab.
Stuttgart, 10. Novbr. Gestern Abend 8^14 Uhr beim Einfahren des von Backnang kommenden Güterzugs 873 in die Station Bietigheim fuhr demselben eine leere Güter- zugs-Maschine entgegen und stieß mit demselben zusammen. Die leere Maschine wurde zurückgeworfen , blieb aber auf dem Geleise stehen und wurde stark beschädigt. Die Maschine vom Güterzug entgleiste und wühlte sich in den Boden ein. Der Führer Abele und Heizer Schüle wurden heruntcrgeworfen und erlitten Verletzungen. Zugmeister Gienger, der an seiner Bremse stand, wurde in den Gepäckwagen hineingeworfcn und erlitt innere Verletzungen. Der Gepäckwagen wurde auf die Maschine geworfen. Zugmeister Gienger hat blos dem Umstand sein Leben zu verdanken, daß er zurück statt herunter geschleudert wurde. Dem Bremser Hirtle wurden beide Beine abgedrückt. Ein Arzt war gleich zur Stelle. Der Materialschaden ist groß.
Paris, 10. Nov. Ein Individuum versuchte 8 . d. Mts. nachts das Magazin des Arsenals von Brianyon anzuzünden. Als er sich ertappt sah, schoß er auf seinen Verfolger und entkam.
London, 9. Novbr. Reuters Bureau meldet aus Shanghai von heute: Nach den letzten Nachrichten aus der Mandschurei zog sich die chinesische Armee in die Berge zurück, wo sie durch Hunger und Kälte schwer leidet. Die japanische Armee lagert in Fungwanlschin zwischen Wiju und Mukden. Die Japaner verfolgen die chinesischen Truppen nicht. Port Arthur wird von 15 000 Chinesen, meist Rekruten verteidigt. Man glaubt deshalb nicht, daß es lange werde Widerstand leisten können.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.