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bäuden, nein, vom Giebel jedes Hauses soll die Trauerflagge wehen, die russische Flagge, wie sie ja auch im vorigen Jahr, damals freilich freudevoll und frei, jeden Giebel umflatterte."
_ Lolöil": „Frankreich weint mit Rußland—"
— Journal äe 8 vöbats": „Ein unvergeßlicher Monarch, heldengroß in seiner Art. ein loyaler und einfacher Mann, der nur das Glück seines Landes, den Frieden der Welt gewollt hat. der Frankreich die Ehre erwies, es für würdig zu halten (!). seine Empfindungen zu teilen". — „lübrs karole": „Frankreich hat soeben seinen besten Freund verloren .... die Menschheit ihren edelsten Sohn." — „IickrunÄseant" (das rotradikale Blatt Rocheforts): „Auf unsere Sympathien, Franzosen, hat Alexander III. ein heiliges Recht; er protestierte gegen die brutale Gewalt zu Gunsten des mißhandelten Rechtes, in der Stunde unserer Vereinsamung reichte er uns die Retlerhand." — Wenn Frankreich ein sibirisches Gouvernement wäre, die Presse könnte nicht größere Schmeichelreden ersinnen. Die würdige Haltung der patriotischen und nicht gerade russenfresserischen Presse Deutschlands ehrt den Toten mehr als diese kritiklose Schweifwedelei.
Zola und Leo XIII. Wie vorauszusehen war, ist das Gesuch Emilie Zolas um eine Audienz beim Papste abschlägig beschieden worden.
Zlnteryattender Heit.
Der
Schloßhauptmann von Düsseldorf.
Novelle von Waldemar Berndt.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Zwischen den Mauern des Schlosses und dem Rhein zog sich ein schmales Ufer hin, welches bei Hochwasser überflutet war, aber breiter und breiter wurde, je mehr der Strom zurückging. Auf diesem Landstreifen standen die Männer.
Jetzt befanden sie sich dicht unter dem Fenster des ersten Stockwerkes, aus welchem Marie hinabschaute; sie konnte in der Finsternis nicht gesehen werden, während sie die Personen deutlich unterschied, freilich ohne ihre Gesichtszüge erkennen zu können. Die Männer blieben stehen und beratschlagten, aber so leise sie auch sprachen, das Mädchen verstand in der Stille der Nacht fast jedes Wort.
„Hier ist das Fenster, von welchem ich Euch sagte", hörte Marie eine Stimme, an deren weichem, weibischem Klang sie sofort den Küchenschreiber Gallus erkannte.
„Aber hier in diesem Flügel ist doch auch Eure Wohnung!" meinte ein Anderer, und auch hier wußte die Lauscherin augenblicklich, daß der Sprecher der spanische Hauptmann Knolling wer. Wer hätte auch sonst zu dieser geheimnisvollen Stunde mit dem Schreiber verkehren sollen? Aus dem im Weidengebüsch erlauschten Gespräch wußte sie, daß die Männer nichts Gutes planten — waren sie jetzt vielleicht in der Ausführung ihres Verbrechens begriffen? Fast schien es so und das Mädchen spannte jeden Nerv, jede Fiber an. darüber Gewißheit zu erlangen.
„Meine Wohnung? Gewiß", versetzte der Schreiber, „aber wasthutdas? Umsoweniger wird man auf mich Verdacht werfen und was ich in Sicherheit bringen wollte, ist längst glücklich beseitigt."
„Man hat die Fenster des Erdgeschosses verdammt hoch angebracht", sagte Knolling, emporblickend, „wahrscheinlich ist das wegen den Ueberschwemmungen des Rheins geschehen. Es wird mir Schwierigkeiten machen, da hinauf zu kommen, und doch will ich der Rächer an dem Menschen sein, der mir immer dann in den Weg tritt, wenn ich am Ziel zu sein glaube, und dann kaltblütig und hohnlachend meine Pläne zerstört."
„Ihr steigt zuerst ein. Herr Hauptmann, wir Beide, der Rottenmeister und ich, sind Euch behülfstch. Ader nicht lange zögern, die Zeit ist kostbar."
Die Männer hoben den korpulenten Offizier nicht ohne Anstrengung in die Höhe, bis
er den Rahmen des Fensters erfassen konnte; dann stieg er in's Innere.
„Die Pcchkränze her, Rottenmeister", flüsterte er dem Dritten der Verschworenen zu; „ich will Euch eine Hochzeitsfackel anzünden, daß Ihr zeitlebens keine Beleuchtung mehr brauchen sollt. Ihr habt doch die Thüren von außen gut verschlossen, Meister Küchenschreiber?" fuhr er zu diesem gewendet fort, „der schöne Herr Oberst soll schmoren, wie ein Eber am Spieß, und Ihr Rottenmeister haltet gut Wacht im Kahn, damit wir sofort abrudern können, wenn ich zurückkehre."
„Vergeßt nicht, Herr Hauptmann, die schmale Holztreppe rechts führt nach dem Dachboden hinauf, das morsche Holzwerk muß prächtig flackern", erinnerte Gallus. „Ich werde inzwischen die andere Seite besorgen und gebt acht, das alte Nest brennt sofort über und über wie eine Strohpuppe. Aber verweilt nicht lange, merkt Euch, was ich gesagt habe: dort, nahe am Turm ist die Pulverkammer, wenn das Feuer bis dahin gelangt, fliegt die ganze Bude in die Luft."
„Seid unbesorgt um mich, ich fliege nicht mit!" lachte Knolling, „aber freuen werde ich mich, wenn ich den kaiserlichen Prahlhans Klingenburg einen tüchtigen Luftsprung machen sehe, bei welchem er unterwegs Arme und Beine verliert."
Mit Hilfe des Rottenmeisters schwang sich jetzt der Schreiber empor und der lange, dürre Mann erreichte mit Leichtigkeit das Fenster und verschwand.
Marie wurde starr vor Entsetzen, die furchtbare Gefahr, in der sie Alle schwebten, machte sie erbeben bis in das innerste Mark. Bei der Bauart dieses Teiles des Schlosses, den dürren Schindeldächern und altem Holzfachwerk, war ein Entrinnen kaum möglich, wenn der Brand nicht sofort erstickt werden konnte und daran war jetzt, mitten in der Nacht, gar nicht zu denken. Sie wollte aufspringen und Hilfe rufen, die Bewohner des Schlosses zu alarmieren — sie vermochte cs nicht, wie gelähmt blieb sie an den Stuhl gebannt, die Füße versagten den Dienst, Angstschweiß netzte ihre Stirn.
Da schien es ihr, als erhelle sich plötzlich der nächtliche Himmel; Heller und immer Heller ward es um sie her und ein deutlich vernehmbares Knistern und Prasseln schlug an ihr Ohr; kein Zweifel, das Schloß brannte.
Marie sprang auf, es war, als durchströme plötzlich neues Leben ihre Adern, der lähmende Bann war von ihr gewichen. Von namenloser Angst getrieben, eilte sie durch die Gänge, Hülfe und Feuer rufend, an die Thüren donnernd, weckend und lärmend, daß Niemand von den Bewohnern im Schlafe zu verharren vermochte. Die Treppe herauf stürmten kaiserliche Soldaten von der Wache, aus den Zimmern stürzten schreckensbleich halb angekleidete Gestalten, Domestiken, Beamte, fremde Gäste, die im Schlosse Unterkommen gefunden hatten — cs war ein wirres, drängendes, schreiendes Durcheinander.
Einer der Ersten war der Oberst; den Feldmantel umgeworfen, trat er heraus auf den finsteren Korridor, um zu sehen, was es gäbe. Aber der Brandgeruch und das Geräusch der emporflammenden Lohe ließen ihn nicht lange im Zweifel und sein erster Gedanke war die Geliebte und deren Vater. Eilig lenkte er seine Schritte nach deren Gemächer.
Plötzlich trat ihm eine Gestalt entgegen, die er in der Finsternis nicht zu erkennen vermochte; beiden schien diese Begegnung sehr unangenehm zu sein.
„Wer seid Ihr?" rief der Oberst den Fremden an. „wie kommt Ihr um diese nachtschlafende Zeit ins Schloß?"
„Lützen und Düsseldorf, denkt an diese beiden Worte, heute halten wir Abrechnung!" zischte der Angeredete zwischen den Lippen hervor und mit gewaltiger Kraft schleuderte er den Oberst zur Seite, daß dieser beinahe gestürzt wäre. Aber der junge Mann eilte ihm nach und mit kräftiger Faust packte er ihn am Koller.
(Fortsetzung folgt.)
Telegramme.
Berlin, 4. Novbr. Bei der gestrigen Beratung im Reichsgesundheitsamt über das Diphtherieheilserum wurde betont, die praktischen Erfahrungen seien weitaus noch nicht ausreichend, um eine allgemeine Einführung unter staatlicher Kontrolle anzubahnen. Die Vertreter Preußens befürworteten die Uebernahme der Fabrikation durch den Staat, die Vertreter der Mehrzahl der süddeutschen Staaten meinten, daß von Staatswegen vorläufig noch nicht einzugreifen sei.
Berlin, 4. Nov. Eine auf heute vormittag einberufene Anarchistenversammlung, die sich mit dem Frankfurter Parteitag der Sozialdemokraten zu beschäftigen gedachte, wurde vor der Eröffnung polizeilich aufgelöst wegen lieber- schreitung der zwischen der Anmeldung und Eröffnung gelegenen Frist.
Klagenfurt,4. Nov. Auf dem hiesigen Exerzierplatz wurden gestern 16 Dynamitpatronen gefunden.
Göppingen, 5. Nov. Bei der gestrigen im Saale zum goldenen Rad stattgefundenen demokratischen Bezirksversammlung erhielt der Privatier Er Hardt die meisten Stimmen als Kandidat für die Landtagswahl. Erhardt sagte die Annahme einer Kandidatur noch nicht definitiv zu.
Bern, 5. Novbr. Die Volksabstimmung verwarf mit 319 000 gegen 140 000 Stimmen (13'/r gegen 8'/2 Kantone) den sogen. Beutezugantrag. sÄnm. der Red. Das Jniliativ- begehren ging dahin, daß der Bund von dem Erträgnisse d«r Zölle an die Kantone je zwei Francs für den Kopf nach Maßgabe der jeweiligen letzten Volkszählung ermittelten Wehrbevölkerung zu verabfolgen habe.j
Livadia, 4. Nov. An der Leiche des verewigten Kaisers werden täglich 2 mal Seelenmessen abgchalten, welchen der Kaiser, die Kaiserin- Witwe und andere Mitglieder des Kaiserhauses beiwohnen. Nach Ankunft des Sarges aus Petersburg wird die Leiche aufgebahrt und jedermann zugänglich gemacht werden.
Petersburg, 4. Nov. Ein kaiserliches Manifest vom 2 . Novbr. besagt: Heut hat die hl. Salbung unserer geliebten Braut nach orthodoxem Ritus zu unserer und ganz Rußlands Beruhigung stattgefunden. Dieselbe hat den Namen Alexandra Deodorowna und den Titel Großfürstin und kaiserliche Hoheit erhalten. Anläßlich der erfolgten Salbung der kaiserlichen Braut fand heute in der Isaak-Kathedrale ein leckeum statt, dem die Notabilitäten, die Generalität und das Offizierskorps beiwohnten.
Petersburg, 5. Nov. Die russische Presse begrüßt den Glaubenswechsel der Prinzessin Alix freudig, da dieselbe nunmehr unlöslich mit Rußland verbunden sei. Das Vorgehen des Kaisers Wilhelm, an dessen aufrichtiger Gesinnung für Rußland und herzlicher Freundschaft für den Zaren Nikolaus kein Zweifel bestehe, wird allseitig sympathisch begrüßt.
London, 5. Nov. Laut Meldung aus Jokohama gehen die Japaner siegreich vor. Hongwangscheng ist eingenommen. Die Chinesen sind geflüchtet und haben 300 Mann verloren. Die Japaner haben ferner außer Port Arthur auch Tasten Wan erobert. Am Samstag soll ein weiteres, schweres Seegefecht stattgefunden haben.
London, 5. Nov. Vor einem Hause in der Tilneystreat nahe am Hydepark explodierte gestern abend eine Bombe. Das Haus wurde erheblich beschädigt. Viele Fenster von Nachbarhäusern sprangen. Nach einem noch unbestätigten Gerücht war das Attentat gegen den in der Nähe wohnenden Richter Hawkins gerichtet. der kürzlich mehrere Anarchisten verurteilte.
Sofia, ö. Novbr. Das Regierungsblatt Miz bestätigt die Nachricht, daß Kaiser Nikolaus dem Prinzen Ferdinand auf dessen Beileids- Kundgebung dankend erwiderte und bemerkt dazu: aus diesem Austausch freundschaftlicher Gefühle darf man die Ueberzeugung schöpfen, daß sich der Weg zu einem Einvernehmen zwischen beiden Staaten eröffnet hat.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.