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Antrrhattender Teil.
Der Steuermann auf der Seemöwe.
Erzählung von E. Goedicke.
(Fortsetzung 1.)
(Nachdruck verboten.)
Früh verweist und völlig mittellos, war der kleine Kolkwin als unbequemer Ballast so bald wie möglich zu einem Lehrer in Pension gegeben, da keiner von den zärtlichen Verwandten Lust hatte, sich des elternlosen Kindes persönlich anzunehmen. Es dauerte nicht lange, so war Kolkwin das tznkant tarrible der Pension; seine Pflegeeltern hatten selbst sechs Kinder und außerdem vierzehn Pensionäre; natürlich war es ihnen daher unmöglich, auf die Individualität des Einzelnen näher einzugehen. Kolkwin bekam seine Strafen und seine bestimmte Portion Essen wie die Andern, aber er hatte kein liebendes Mütterchen, das ab und zu einmal eine „Futterkiste" schickte, begleitet von einem Mahnbrief, und er kannte nicht das wonnige Gefühl, das die Herzen seiner Pensionsgcnossen durchzog, wenn die Koffer gepackt wurden und es für kurze, schöne Wochen nach Hause auf Ferien ging. Kolkwin verlebte diese meistens in der Pension; seine Verwandten wohnten alle zu weit oder konnten daher „zu ihrem Bedauern" den „lieben Kolkwin" diesmal nicht bei sich aufnehmen. Sein Pflegevater las dann kopfschüttelnd das schlechte Zeugnis durch, schickte es dem Vormund seines Zöglings nebst einem anklagenden Brief und erhielt es binnen drei Tagen unterschrieben zurück mit dem Vermerk, Kolkwin zur Strafe weniger Taschengeld zu geben.
Als Kolkwin in Quarta saß, kam ein „Neuer" in die Pension, Günther von Damitz. Er wurde Zimmergenosse des kleinen Grafen, und nachdem die beiden Jungens sich ein paar Mal gründlich „verhauen" hatten und zu der Ueberzeugung gelangt waren, daß keiner dem Andern „was über konnte", schlossen sie Freundschaft. Günther war fleißig und strebsam und schleppte Kolkwin mit rührender Geduld durch alle Klaffen mit durch. Er machte ihm seine Aufsätze und Exerzitien, und setzte sich abends auf seinen Bettrand und las und übersetzte ihm unermüdlich aus dem Cornelius Nepos oder Julius Cäsar vor, bis Kolkwin schon halb im Schlaf brummte: „Mensch, wenn Du jetzt nicht das Maul hälft, sollst Du mal sehen," — dann klappte er sein Buch zu und ging selbst zur Ruhe, stolz und triumphierend, wenn Kolkwin am nächsten Tage keinen „Rüffel" in der Schule bekam.
Günther hatte einen entfernten Verwandten am Ort. den Major von Tamm, bei dem er oft eingeladen war; später nahm er auch Kolkwin mit dorthin, und der arme, verwaiste Knabe lernte zum ersten Male ein glückliches Familienleben kennen. Der Major bewohnte ein Haus mit Garten vor der Stadt, und die beiden Freunde pilgerten fast täglich hinaus, um mit Max und Leonie von Tamm ihre Freistunden zu verbringen. Das kleine, blonde Mädchen war der stete Spielkamerad der Jungens, und mit echt weiblichem Scharfblick hatte sie bald gemerkt, daß Kolkwin sich einsam und verlassen fühlte. Er that ihr leid, und um ihn zu trösten, steckte sie ihm oftmals kleine Leckerbissen zu, bewahrte ihr Dessert für ihn auf, verriet ihm ganz heimlich, an welchem Busch die Stachelbeeren schon reif wären, und einmal, am Geburtstage ihrer Mutter, brachte sie ihm, in Zeitungspapier eingewickelt, zwei große Stücke Torte in den Garten.
Der Weg zum Herzen geht durch den Magen, sagt man, hier traf dies wirklich zu. Die ganze, ungeteilte Liebe des einsamen Knaben gehörte der kleinen Leonie. Stundenlang fuhr er sie im Winter Schlitten, und an seiner Hand lernte sie Schlittschuh laufen. Wenn Günther fleißig über seiner Arbeit saß und, „büffelte", dann breitete Kolkwin auf der andern Seite des Tisches seine Laubsägegeräte aus und verfertigte unter nerventötendem Geräusch Rahmen und Kasten für seine kleine Freundin.
O selige Kinderzeit!
Die „Seemöwe" dampfte weiter und zog ihre breite Bahn in die stillen Fluten der Ostsee.
Leonie von Tamm berührte mit leichter Hand den Arm ihres Jugendfreundes.
„Erzähle mir doch von Dir Kolkwin!" bat sie, „wir hatten Dich lange Zeit so ganz aus den Augen verloren. Wie kommst Du hierher?"
„Ja. wie? Ich bin eben verkommen — untergegangen." Er lachte bitter auf und sah starr auf die spiegelklare Wasserfläche vor sich.
„O, sprich nicht so. Du hast eine feste Anstellung, Du bist geachtet in Deinem Beruf; damit kann man doch zufrieden sein," sagte sie tröstend.
Er wandte den Kopf um und sah sie an. „Meinst Du, Leonie? Weißt Du denn, wie es thut, wenn man immer allein steht und von keinem Menschen geliebt wird."
Lconies Augen wurden feucht. „Armer, armer Kolkwin," sagte sie mitleidig. „Aber erzähle mir doch von Dir."
„Ich bin also zur Marine gegangen wie Damitz, das weißt Du ja." begann der junge Seemann jetzt, „er machte ja noch sein Abitu- rienten-Examen. Na, ich versah meinen Dienst ganz leidlich, körperliche Hebungen waren ja immer mein Fall. Mit dem Examen haperte es ja manchmal, aber schließlich kam ich doch überall durch, mein Name half mir wohl auch etwas dabei, und ich wurde dann glücklich Lieutenant. Nun schien mir Alles Schwere im Leben überwunden zu sein, jetzt konnte ich thun und lassen, was ich wollte, ich brauchte abends nicht mehr zur bestimmten Zeit zu Hause zu sein, ich brauchte nicht mehr vor jedem jungen Lieutenant stramm zu stehen, na kurz, ich sah das Leben durch eine rosige Brille an. Ich trieb es toll, Leonie, ich machte wahnsinnige Schulden, ich spielte, trank, wettete, kaufte mir eine eigene Segelyacht und war schließlich der Gegenstand des allgemeinen Stadtgesprächs. Meine Kameraden zogen sich von mir zurück, die Vorgesetzten hielten mir Reden, die ich aber in den Wind schlug, und die jungen Mädchen wandten den Kopf fort, wenn ich kam und schwärmten heimlich für mich und nannten mich „den interessanten Grafen." Wärst Du damals gekommen, Leonie, und hättest gesagt: „Lieber Kolkwin, denk' an unsere Kinderzeit, kehre um," — dann hätte noch Alles gut werden können, aber Du kamst nicht; ich habe auch nie an Dich gedacht damals. Schließlich brach Alles über mich herein, ich sollte mit meinem Schiff auf drei Jahre ins Ausland, und nun kamen die Gläubiger und wollten Geld, und als sie sahen, daß ich keins hatte, und kein alter Vater im Hintergrund schwebte, der sein Hab und Gut zusammenraffen konnte, um den alten Namen zu retten, da verklagten sie mich, und ich mußte den Dienst quittieren. Nach langem Suchen habe ich hier wieder eine Anstellung gefunden, und ich muß mich deshalb glücklich preisen. Aber einsam bin ich, Leonie, so einsam, wie wohl sonst kein Mensch auf Erden. So, das ist meine Geschichte."
Leonie preßte ihr Taschentuch gegen die Augen. „Armer, armer Kolkwin."
„Weine nicht, Leonie," bat er, „das thut mir weh. Laß uns lieber mit einander plaudern von vergangenen Tagen. Ich freue mich ja so namenlos, daß ich Dich wiedergesehen habe." Und zum ersten Male ergriff er ihre Rechte und nahm sie mit innigem Druck in seine beiden Hände.
Leonie zog sich einen Feldstuhl heran und setzte sich an die offene Thür seines Beischlages. Sie sprachen sehr eifrig zusammen, die Gegenwart berührten sie gar nicht, sie lebten förmlich wieder in der Vergangenheit.
„Weißt Du noch," fragte der junge Steuermann weiter, „wie bei Deinen Eltern einmal große Gesellschaft war, da führtest Du mich in den Keller und zeigtest mir stolz die große Marzipantorte mit dem Kölner Dom darauf, die zum Nachtisch gegessen werden sollte, und dann machten wir uns bei und aßen die ganze Oblate und ein großes Stück vom Rand auf!"
Leonie stimmte herzlich in sein Lachen mit ein. „Und von der Taunenschonung im Garten aßen wir immer die jungen Triebe ab, und
Papa wunderte sich dann halb tot. daß die Dinger nicht größer wurden," fügte sie hinzu.
Er warf lachend den Kopf zurück und schlug sich mit der freien Hand auf's Knie. „Ja, es war ein Spaß. Aber das Schönste war doch, wenn Eure Kaninchen auskniffen und wir eine große Hetzjagd durch alle Nachbargärten danach veranstalteten."
„Ja, da hat Papa manchen Groschen Schadenersatz bezahlen müssen. Er behauptete schließlich, wir ließen die Tiere immer absichtlich aus dem Stall."
Kolkwin zwinkerte verschmitzt mit den Augen. „Na, da hatte er ja am Ende nicht so ganz Unrecht, was Leonie? Ich kann mich jetzt noch freuen, wenn ich daran denke, wieviel Birnen wir dem alten, geizigen Schuster weggegessen haben, dessen Garten neben Eurem lag."
(Schluß folgt.)
Ein sogen. Flugjahr für Maikäfer dürfte das Jahr 1894 werden. Schon werden an einzelnen Orten umfassende Vorsichtsmaßregeln getroffen. In Frankreich giebt es gegenwärtig 250 sogen. Maikäfersyndikate, d. h. Gemeinden oder Verbände landwirtschaftlicher Vereine, die auf den Fang von Maikäfern Prämien aussetzen. In der Gemeinde Vytri an der Seine verursachten im Jahr 1892 die Maikäfer auf einer Fläche von 1081 Hektar einen Schaden von 367 255 Fr. Diese Gemeinde setzte seit jener Zeit einen Preis von 10 Ct. für das Kilo aus. Als die Maikäfer erschienen, ließ sie in Paris Plakate anschlagen und lud die Arbeitslosen zum Maikäferfang ein. Wie einträglich dieses Geschäft war, erhellt sich aus dem Umstande, daß einzelne Personen 6 Fr. 50 Ct. im Tag damit verdienten. Am 11. Mai 1892 wurden dort 1607 Kilo Maikäfer und in der ganzen Maikäferzeit des Jahres 10501 Kilo gefangen. Wenn man auf das Kilo 1162 Maikäfer rechnet, worunter die Hälfte Weibchen, so hat die Gemeinde Bitry 1892 etwa 12202162 Maikäfer und wenn man bedenkt, daß ein Mai- käferweibchcn 30 Eier legt, 183032430 künftige Maikäfer ums Leben gebracht.
Uettros cl'amoui- — so läßt sich mit bezaubernder Anmut der empsindungsreiche Herr Privatsekretär Zell im Anzeigeteil der „Köln. Ztg." vernehmen, „Uottre8 ü'ainour", von hohem, idealem Schwung und poetischem Relief, angehaucht von heiterer Lebensauffassung, formvollendet und originell, liefere ich zahlungskräftigen jungen Damen verschwiegen. Alle möglichen Herzensregungcn (leise und stürmisch) kann ich nachempfinden und in Verbindung mit den kühnsten Gedanken und Hoffnungen wirkungsvoll zum schriftlichen Ausdruck bringen. Meine Briefe folgen der französischen Tendenz: „Uion n'est bvau quv le vrni, le vrai soul est aillmble". (Nichts ist schön, als das Wahre, und das Wahre ist liebenswürdig.) Honorar nach Vereinbarung.
(Der nötige Segelwind.) Karl: „Heißgeliebte Marie, willst du mit mir den Strom des Lebens hinabsegeln?" — Marie: „Gewiß, mein Herz, nur sorge daun für den notwendigen Wind."
Um das Keimen der Pflanzensamen zu beschleunigen, soll man dieselben mit einer fettigen und öligen Auflösung von Pottasche behandeln und dann zwischen Schichten von Sand bringen, wodurch ein schnelles Keimen herbeigeführt Dverden soll. Samen, welche sonst erst im zweiten Jahre keimen, thun dies sofort nach dieser Behandlung.
Silben-Rätsel.
Werden die nachstehenden Wörter und Silben richtig geordnet, so findet man eine Strophe eines bekannten Dichters.
An, den, be, den, der, der, das, die, die, dein, hän, Herz, ge. glück, gäng, gü, ne, ne, im, le, ter, lich, ler, ler, lie, ist, nicht, rcn, ren, ver, schmerz, schil, ver, wer, wer, zie, ler, sitzt.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.
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