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Monarchen nicht gleichzeitig startgefunden hat, wo alle drei doch so nahe beisammen waren und die Politik doch olle drei im gleichen Maße mit einander verbündet, so weiß man, daß der Kaiser Franz Josef mit Rücksicht auf den Papst von jeher persönliche Annäherungen an den König von Italien auf das geringste Maß be- schränkt hat. Das thut aber gewiß weder der österreichischen Politik, noch den Empfindungen des österreichischen Kaisers für seinen italienischen Bundesgenossen Abbruch. Wenn nun diese durch die drei Monarchen zur Schau getragene Befestigung der Dreibundspolitik von der Welt bereits als etwas Selbstverständliches ausgenommen wird, und auch wir Deutsche an die Wiederkehr dieser Monarchenbegegnungen bereits so gewöhnt sind, daß wir denselben kaum noch aktuelle politische Bedeutung beilegen, so verdienen doch gerade die jetzigen Begegnungen größere Beachtung als manche früheren, weil sie angesichts einer doch etwas veränderten Weltlage stattgefunden haben. Wir haben in all den Jahren seit Bestehen des Dreibundes die Erfahrung gemacht, daß die Zusammenkünfte der verbündeten Monarchen von Frankreich und Rußland mit scheelen Blicken angesehen wurden, und daß jedes Mal. wenn solch' eine Begegnung sich vollzog, in der Presse beider Länder in hämischer Weise darüber berichtet und in der Regel die Zusammenkünfte so gedeutet wurden, als gälten sie der Schmiedung abenteuerlicher Kriegspläne. Zum erstenmale seit Bestehen des Dreibundes haben unsere Nachbarn zur Rechten und Linken sich, wenn auch nicht gerade sym- patisch, so doch auch nicht feindlich der Monarchenbegegnung gegenüber geäußert. Diese veränderte Lage ist, wie wir zuverlässig wissen, auch in unseren maßgebenden politischen Kreisen beifällig bemerkt worden. Man ist der Ueberzeugung, das Friedensbedürfnis derNationen und der Höfe sei stärker als je und die auswärtige Politik bewege sich in so ruhigen Bahnen wie das lange nicht der Fall war.
Berlin, II. April. Nach Nachrichten aus Abbazia reist die Kaiserin mit ihren Kindern am 26. oder 27. d. Mts. nach dem Neuen Palais in Potsdam. — Die diesjährige Frühjahrsparode findet in Berlin am 30. in Potsdam am 31. Mai statt.
Berlin, 10. April. (Deutscher Reichstag.) Zweite Lesung des Gesetzentwurfs betr. Abzahlungsgeschäfte. Nach den §§ 1 u. 2 ist beim Rücktritt des Verkäufers vom Vertrage jeder Teil verpflichtet, dem anderen Teil die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Der Verkäufer muß die empfangenen Raten zurückgeben, wogegen ihm seine gemachten Aufwendungen und etwaigen Beschädigungen der Ware zu ersetzen sind, sowie für die Benützung der Waren deren Wert zu vergüten ist. Abgeordneter Enneccerus (nat.-lib.) beantragt, hinter „vergüten" einzufügen: „wobei auf die inzwischen eingetretene Wertminderung der Sache Rücksicht zu nehmen ist." Die beiden Paragraphen werden mit dem Zujatzantrag angenommen, ebenso die §8 3—6, 6a wird mit dem Zusatzantrag Tutzauer, ferner 7—8 a angenommen. Nachdem noch verschiedene Abänderungsanträge abgelehnt werden, wird der Rest des Gesetzes erledigt. — 11. April. Zunächst wird eine Reihe von Wahl- prüsungen erledigt. Sodann wird die zweite Lesung des Antrages Schröder betr. die Kündigungsfrist der Handlungsgehilfen fortgesetzt. Eine Debatte entspinnt sich über die seiner Zeit einge- brachten Anträge Singer, Buchka, Spahn und noch nachträglich über den bereits in der 58. Sitzung angenommenen Antrag Lenzmann. Der Antrag Singer wird abgelehnt; der Antrag Buchka, welcher kürzere als 4 wöchige Kündigungsfrist verbieten will, falls nicht von vornherein ein bestimmter Zeitpunkt vereinbart ist, angenommen; desgleichen der Antrag Spahn betr. die Kosten, die stempelfreie Beglaubigung des Zeugnisses seitens der Ortspolizeibehörde u. s. w. Ein neu eingebrachier Antrag Singer, daß dem Artikel 60 des Handelsgesetzbuches zuwiderlaufende Vereinbarungen ungiltig sein sollen, wird angenommen. Damit ist die zweite Lesung des Antrags Schröder erledigt. Der
Gesetzentwurf betr. Abänderung der Konkursordnung wird abgesetzt. Morgen Viehseuchcn- gesetz, Handelsvertrag mit Uruguay. Abzahlungsgeschäfte, Konkursnovelle.
Württemberg.
Aus Wangen bei Cannstatt, 11. April, wird dem Südd. Corr.-Bureau berichtet: Als Se. Maj. der König gestern Abend zu Wagen von Weil nach Stuttgart zurückkehren wollte, begegnete ihm zwischen hier und Hedelfingen ein Leiterwagen, der mit reich bebänderten und singenden Rekruten aus hiesigem Ort besetzt war. Ein Pferd an der kgl. Equipage wurde scheu und sprang zur Seite, wobei die Deichsel ab» brach. Glücklicherweise blieb die kgl. Equipage stehen und die rasch abgestiegenen Rekruten entschuldigten sich bei dem inzwischen erkannten König, welcher ihnen 40 Mark schenkte, seinen Wagen nach Weil zurückschickte, um dort einen andern holen zu lassen und hierauf seinen Weg nach Wangen zu Fuß forlietzte. Die Kunde von dem Vorfall und dem hochherzigen Geschenk des Königs war aber schon vor Sr. Majestät in Wangen eingetroffen und nun wurden dem König von der ganzen rasch herbeigeeiltcn Ortsbevölkerung andauernde und stürmische Ovationen bereitet. Cs fehlte gar nicht viel, so wäre Se. Maj. auf die Schultern der begeisterten Rekruten genommen und jubelnd im Ort umhergetragen worden. Bald kam indes die neue Equipage von Weil her und entführte den König aus den nicht enden wollenden Huldigungen.
Stuttgart, II. April. Se. Majestät der König ist heute nachmittag 5 Uhr 20 Min. mittels Exlrazugs zur Auerhahnjagd nach Freudenstadt abgereist und kehrt morgen Donnerstag vormittags 10 Uhr 5 Min. wieder von dort zurück. — Prinz Hermann zu Sachsen-Weimar ist mit dem Oberst v. Heinrich heute früh 7 Uhr 10 Min. nach Reutlingen abgereist, um die dortigen Fabriken rc. zu besichtigen.
Freudenstadt, 12. Apr. Heute Morgen kurz nach 7 Uhr kehrte der König von der Jagd im Kniebis zurück und fuhr im offenen Zweispänner durch die Stadt. Das Glück war dem König günstig gewesen. Ein prächtiger Auerhahn schmückte den Wagen.
In seiner bekannten Erklärung gegen das „Berl. Tagbl." u. a. Bl. läßt Frhr. v. Mittnacht durchblicken, daß er nur aus amtlichen Rücksichten auf den Bezicht. als habe er den Rücktritt des württemb. Gesandten in Berlin, Herrn v. Moser, verschuldet, geschwiegen habe. Daraus geht klar hervor, daß auch dieser eben erwähnte Bezicht durchaus haltlos ist.
Verkehrs-Mitteilung. Vom 1. April ab ist die Anordnung getroffen worden, daß die Inhaber von Fahrscheinbücher vor Antritt der Fahrt auf jedem Fahrschein der für die betreffende Fahrt benützt werden soll, dos Datum des Benützungstages einzutragen oder das Fahrscheinbuch der Fahrkartenstelle zum Zweck der Abstempelung mit dem Stationstagesstempel vorzulegen haben. Fehlt die Angabe des Benützungstages, so wird der Vorzeiger des Fahrscheinbuchs als Reisender ohne giltige Fahrkarte gemäß 8 21 der Verkehrsordnung behandelt.
Stuttgart. Vom 15. April ab bis 15. Oktober werden die Königl. Schlösser Rosenstein und Wilhelma wieder für den allgemeinen Besuch geöffnet sein. Die Eintrittskarten werden ausschließlich im Parterre des alten Schlosses, im Dienstzimmer des Stabskanzlisten. Vormittags von 8 bis 9 Uhr, mit Ausnahme des Sonntags, abgegeben. Für diese Eintrittskarten, welche zu dem Besuche der beiden Schlösser berechtigen, wird ein Eintrittsgeld zu Gunsten der Bediensteten erhoben, welchen jede Trinkgeldannahme strenge verboten ist. Das Eintrittsgeld beträgt für Tageskarten (bis zu 6 Personen) 25
Stuttgart, 10. April. Zum Stuttgarter Schneider streik. Nachdem die Prinzipale außer auf Gehröcke und Fracks auch auf Winterpaletots und Jaquets 1 «lL Arbeitslohn zugelegt haben, ist den Arbeitern gestattet, wieder zu arbeiten. Ebenso haben sich die Prinzipale bereit erklärt, dem Streike beigetretene Arbeiter wieder aufzunehmen.
Stuttgart, 12. April. Gestern brannte es dreimal. Ein Kaminbrand, der morgens um 7 Uhr in der Nadlerstraße ausbrach, wurde von der Berufsseuerwache rasch gelöscht. E'n bedeutendes Feuer brach kurz vor 12 Uhr mittags in dem Hause des Weinhändlers Hirsch in der Kanzleistraße aus und zwar in der Werkstätte der Telegraphenbauanstalt von C. F. Dorn, die sich im ersten Stock des Hinterhauses befindet. Die Berufsfcuerwache hatte bis gegen 2 Uhr unablässig zu arbeiten, bis sie Herr des Brandes wurde, der auch den 2. Stock, die Wohnung des Schuhmachers Hägele ergriffen hatte. Den Gesellen des letzteren gelang es nur mit größter Mühe sich zu retten, da die Treppen schon in Flammen standen. Das Feuer entstand dadurch, daß ein junger Mann mit dem Lichte einem Haufen Holzwolle zu nahe kam. Die Berufsseuerwache hat sich bei diesem Anlaß wieder als eine rasche und durchaus zuverlässige Helferin bewährt. Abends 11 Uhr wurde sie noch einmal zu Hilfe gerufen; cS brannte in der Ludwigsstraße.
Ausland.
Die jüngste anarchistische Bombenexplosion im Cafe Foyot hat die Franzosen und namentlich die Pariser abermals in ungeheure Aufregung versetzt. Fataler Weise ist es der Polizei bisher nicht gelungen, den Thäter zu ermitteln, dagegen ist es ihr gelungen, den Anarchisten Meunier, der als der Haupturheber der Explosion im Cafs Very gilt ausfindig zu machen und in London verhaften zu lassen.
Die Franzosen haben nun trotz des Vertrags mit den Siamesen letzteren auch die Insel Chantabon abgenommen, natürlich nur „zeitweilig." „Gewiß, wir werden Chantabon wieder räumen, das dürfen Sie uns glauben, wie glauben ja auch England, daß es Egypten wieder räumen wird."
Der König von Italien hat einem Berichterstatter des Pariser „Figaro" mitgeteilt, er und Italien werden grundlos verdächtig, als ob sie einen Krieg anzetteln wollten; schon das italienische Budget verbiete jeglichen Krieg, und er hoffe, daß die beiden Schwesternationen wieder in freundschaftliche Beziehungen treten. König Humbert findet aber bei den Franzosen taube Ohren; sie verlangen den Austritt Italiens aus dem Dreibunde, um desto ungehinderter über Deutschland herfallen zu können, und wenn sie hiebei Sieger bleiben, dann auch Italien niederzuwerfen.
Telegramme an den Enzthäler.
Abbazia, 13. Apr. Kaiser Wilhelm reiste gestern Abend um 8^/» Uhr nach Wien ab. Er sprach gegenüber dem Statthalter seine besondere Zufriedenheit der Stadt aus. Von der Villa bis zum Bahnhof waren die Gebäude glänzend beleuchtet.
Karlsruhe, 12. April. Der Besuch des Kaisers wird vollständig familiärer Art sein. Jeder amtlicher Empfang unterbleibt. Der Kaiser trifft am Sonntag hier ein und reist wahrscheinlich Sonntag abend nach Gernsbach und begiebt sich von dort zu Wagen auf das Jagdschloß Kaltenbronn. Da der Kaiser nach den bisherigen Anordnungen keinen Abend hier verbringen wird, ist auch eine Festvorstellung im Hoftheater nicht in Aussicht genommen.
Pest. 12. April. Abgeordnetenhaus. Die Regierungsvorlage betreffend die obligatorische Zivilehe wurde mit 281 gegen 106 Stimmen im allgemeinen zur Grundlage für die Einzelberatung angenommen. Dies Ergebnis wurde mit begeistertem Jubel und mit minutenlang anhaltenen Eljenrusen ausgenommen.
Auflösung der Charade in Nr. 56.
Nebelhorn.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.