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Elfriede, für die er immer irgend eine fein angebrachte Artigkeit in Bereitschaft hatte. Als sich nach Verlauf einer halben Stunde die beiden Herren zurückzogen, um ihre Toilette zu wechseln, gab ihnen Graf Recke bis in das Vorgemach
das Geleit und kehrte dann in sichtlich äußerst
zufriedener Stiihnung zu seiner Tochter zurück.
„Ein prächtiger Bursche, dieser Trotha."
sagte er. „Unser Hans macht neben ihm ja eine beinahe kümmerliche Figur. Das ist noch einer von den wurzelechten Stämmen, wie sie heutzutage selbst in den alten Geschlechtern leider immer seltener werden, und es ist wahrhaft herzerfrischend, in dieser Einsamkeit wieder einen wirklichen Mann zu sehen."
Elfriede stand mit halbabgewendetem Gesicht am Fenster und antwortete ihm nichts.
„Nun, worum bist Du so still?" fragte der Graf. „Hast Du denn gar keine Meinung über unseren Gast?"
Sie kehrte sich ihm lächelnd zu, und ihr Gesichtchen, das von einer leichten Blutwelle überflutet wurde, sah liebreizender aus als je.
„Du hast ja das ganze Register der Lobpreisungen bereits erschöpft, Papa," erwiderte sie mit einem kleinen Anflug von Schelmerei. „In welchen Ueberschwenglichkeiten müßte ich mich bewegen, wenn ich dem noch etwas Neues hinzufügen wollte."
„Aber er gefällt Dir doch auch. Du Kobold?"
„Ich werbe mich wohl hüten, darüber schon jetzt eine Meinung zu äußern. Glaubst Du, daß es so leicht sei, mir zu gefallen? Damit, daß er ein schöner Mann ist, ist's noch nicht gethan!"
Und sie schlüpfte lachend hinaus, um sich für den Abend mit ganz besonderer Sorgfalt anzukleiden. Graf Recke aber schaute ihr kopfschüttelnd nach.
„Ich sehe sie nun vom Morgen bis zum Abend," brummte er vor sich hin, „und ich werde doch ebensowenig jemals aus ihr klug werden können, wie einst aus ihrer Mutter. Aber wenn mich nicht alles täuscht, hat der Trotha mit seinen blauen Augen bereits eine ganz ansehnliche Bresche geschossen in das trotzige kleine Herz! — Nun, ich wünsche ihm für den Sturmangriff gewiß den allerbesten Erfolg!"
4.
In dem uralten Hochwald, der in seinem friedlichen Halbdunkel und in seinem majestätischen Schweigen ganz die Erhabenheit eines natürlichen Tempels hatte, rauschte und knisterte es nur von brechenden Zweigen; dann wurde der von dem moosigen Grunde gedämpfte Hufschlag zweier Pferde vernehmbar, und nun erklangen auch jugendlich Helle, heitere Menschenstimmen. Auf einem schmalen Pfade, der für einen Reitweg gewiß sehr wenig geeignet war, kamen Seite an Seite auf wohlgebauten, vollblütigen Rossen Komtesse Elfriede Recke und Graf Herbert Trotha aus der geheimnisvollen Tiefe des Forstes gegen den lichteren Berghang hin vor. Sie waren durch das Terrain gezwungen, ihre Pferde im Schritt gehen zu lassen und sie waren dadurch um so weniger in ihrer Unterhaltung behindert.
Graf Trotha war es, der dieselbe fast ausschließlich führte. Der Zivilanzug, den er heute trug, stand zwar seiner reckenhaften Gestalt weniger gut, als die Umform, aber er sah noch immer stattlich und ritterlich genug aus. Und der Schönheit seines ausdrucksvollen Gesichts konnte auch die veränderte Kleidung nicht Eintrag thun. Namentlich jetzt, wo ihn der Gegenstand des Gesprächs lebhaft Hinzureißen schien, war etwas ungemein Fesselndes in seinem Mienenspiel und in dem rasch aufsprühenden Feuer seiner Augen. Er sprach von dem Verlauf einer berühmten Schlacht, die er selber als blutjunger Reiteroffizier mitgekämpft, und-er schilderte die Attaque, welche ihm das eiserne Kreuz und eine schwere Verwundung eingetragen, mit all jener Anschaulichkeit und hinreißenden Wärme, deren eben nur der Soldat und der persönlich Beteiligte fähig war. Und er konnte sich kaum eine aufmerksamere Zuhörerin wünschen, als es Komtesse Elfriede war. Sie heftete ihre braunen Augen unverwandt auf das Gesicht des Erzählers und
ihre Brust hob sich in rascheren Atemzügen, als er mit feuriger Beredtsamkeit von den Einzelheiten jenes Todesritts sprach.
Nun hatte er geendet und zugleich waren ihre Pferde aus dem Walde hervorgetreten, wo sie von den Reitern angehalten wurden. Unmittelbar vor ihnen lag eine tiefe Schlucht von malerisch wildem und düsterem Charakter. Sie konnten nicht daran denken, ihren Weg hier zu Pferde fortzusetzen; denn der schmale Fußpfad, welcher oben noch für eine kurze Strecke hart am Rande der Schlucht weiterführte, um sich dann in kleinen Windungen steil genug in dieselbe hinab zu senken, war wohl ein geeigneter Verkehrsweg für Schmuggler oder andere geübte Bergsteiger, konnte aber unmöglich von einem Reiter passiert werden, selbst wenn derselbe ein Virtuose in seiner Kunst gewesen wäre.
„Das ist der Höllengrund, den ich Ihnen zeigen wollte," sagte Elfriede, „eine unserer berühmtesten landschaftlichen Schönheiten. Da ich weiß, daß mein Vetter Hans für diese Dinge keinen Sinn hat, und da mich seine Blasiertheit immer von neuem ärgert, habe ich mir für diesen Ausflug gerade den Tag ausgesucht, an dem er zum erstenmal verhindert ist, mit uns zu reiten."
„Und ich danke Ihnen dafür von Herzen. Komtesse," antwortete Trotha, der sich aufmerksam umgesehen hatte. „Das herrliche Bild allein mit Ihnen genießen zu dürfen, ist ein wahrhaft beneidenswertes Glück."
(Fortsetzung folgt.)
Berlin, 27. Dez. Daß jemand bestraft werden kann, weil er in seinen eigenen Räumen schläft, klingt fast komisch, und doch ist es wahr, wie eine gestern vor dem Schöffengericht verhandelte Anklage gegen den Schankwirt Anders beweist. In der Konzession, welche dem Ange- geklagten für sein Lokal in der Bernauerstraße erteilt wurde, waren einige Zimmer als „Fremdenzimmer" Vorhalten worden. Diese Zimmer sind auch, wie Herr Anders durch Vorlegung seines Fremdenbuches nachwies, wiederholt selbst geschlafen. Er versicherte dem Gerichtshof, daß er keine Ahnung davon gehabt habe, sich durch diese Benutzung seiner eigenen Räume strafbar gemacht zu haben. Der Gerichtshof erachtete ihn aber mit dem Staatsanwalt allerdings für straffällig, da er durch diesen Gebrauch eines Fremdenzimmers gegen den Inhalt der Konzession verstoßen habe. Er wurde deshalb zu 9 Mark Geldbuße, beziehungsweise drei Tagen Haft verurteilt.
Auf dem letzten Hoffeste wurde von einem der anwesenden Generale der einzige und wirklich einzige Kalauer des großen Schweigers Moltke zum Besten gegeben. Die Schlacht von Gravelotte am 18. August siel nicht so günstig aus, wie im Allgemeinen angenommen wird. Im Wesentlichen eine Verteidigungsschlacht, gelang es den angreifenden Deutschen doch nur, den rechten Flügel der Franzosen zertrümmern. Im Zentrum wäre das auch erreicht worden, hätte man gleich dem Plane des genialen Al- vsnsleben nachgegeben; indes auf seines Vorschlag, mit seinem in Reserve stehenden III. Korps bei La Folie durchzubrechen, wurde erst abends, als es zu spät war, zurückgegriffen. Moltke, seinen Irrtum einsehend, sagte zu seiner Umgebung: „Ja. dies Unglück des heutigen Tages war „Im löste" (die Thorheit).
Schöppenstett. 15. Jan. Eht geht nichts über einen guten Stil! Man lese folgendes Heiratsgesuch: „Heirat von einem kaufm. tech. gebild. Mann, Mitte 30er, christl. Konfession, sympathischen Aeußern, mit einer Dame, gediegenen, ruhigen Charakters. Witwe mit hübschen Kindern od. geschiedene Frau; wenn auch nicht so sehr vermögend, doch nicht ohne solchem, gleichviel welchen Alters und Konfession, auch Ausländerin, gesucht und kann Damen mit größerem Vermögen gleiches geboten werden. Offerten von unbedingt nur alleinstehenden Damen sympathischen Aeußern finden nur Berücksichtigung und sind binnen acht Tagen unter X der Exped. d. Bl. einzureichen. Jeder Ein
lauf wird bestätigt." Der Mann muß künftig entschieden dazusetzen: Stilvolle Einrichtung, wenn auch nicht so sehr vorhanden, doch nicht ohne solcher.
(Eine amerikanische Methode, Gebäude zu erhöhen.) Amerika ist das Land der Praxis. Was wir hier erst mit langen theoretischen Untersuchungen vorbereiten, wird dort kurzer Hand in Angriff genommen und ausgeführt. Der frische Wagemut der Amerikaner leistet dabei ihrem praktischen Unternehmungsgeist einen großen Vorschub. Wo würde man hier den Versuch wagen, ein massives Gebäude von einer Straße nach einer anderen zu fahren? In Amerika ist das aber durchaus nichts seltenes. Und wie die Amerikaner dieses Kunststück fertig bringen, so bringen sie es auch fertig, ein Haus von Grund aus aufzuheben und ihm ein ganz neues Stockwerk unterzubauen. Das Gebäude, um das es sich hier handelt, liegt in Chicago. Es ist 50 Fuß lang. 109 Fuß tief und 10Ö Fuß hoch. Da der Werl des Bodens in jener Gegend, wo das Gebäude steht, in den letzten Jahren sehr in die Höhe qing — man bezahlt ihn mit 5600 Mark für den Quadratmeter nach unserem Gelde berechnet — so beschloß der Eigentümer, sein Haus dadurch besser auszunutzen, daß er demselben noch ein unteres Stockwerk, das zu kaufmännischen Geschäftsräumen und vor allen Dingen zu Läden sich eignet, unterschieben ließ. Und das Experiment gelang ganz gut. Es wurde eine starke hölzerne Plattform hergerichtet, auf welcher das Haus zu ruhen kam. Das Fundament blieb bestehen, nur zwischen ihm und dem Mauerwerk über der Erde ward die Plattform geschoben, das Gebäude wurde somit an der Erdoberfläche gleichsam durchschnitten. Das ging natürlich sehr langsam vor sich und bedurfte großer Aufmerksamkeit und Vorsicht. Sobald nun das große Gebäude auf der Plattform stand, begann man mit Hebebäumen, von denen etwa 1900 zur Anwendung kamen, die von 130 Arbeitern bedient wurden, zu operieren. Bei dieser Manipulation kam es nun hauptsächlich darauf an, daß die Hebung mit größter Gleichmäßigkeit vor sich ging. Im Ganzen wurde das Gebäude 4 m 56 em über sein ursprüngliches Niveau gehoben und darauf mit dem unteren Aufbau der neuen Etage begonnen. Die Gesamtkosten waren allerdings bedeutend. Sie betrugen 100000 Dollar. Dennoch aber rentierte sich das Unternehmen, denn die neuen Lokalitäten konnte der Eigentümer mit 25 000 Dollar pro Jahr sofort vermieten.
Gemeinderatsfreuden. Die Wogen der Wahlschlacht — so schreibt man dem „Schwarzwälder Boten" — gingen hoch am Wahltag für die Gemeinderatswahl in dem idillisch gelegenen Schwarzwaldorte S. Am gespanntesten aber war wohl die Huberbäuerin, deren Mann auch unter der Zahl der Kandidaten sich befand und welche vor Begierde brannte, „Frau Gemeinderat" tituliert zu werden. Um selbst aber diese Begierde nicht allzusehr zu verraten, schickte sie ihr „Rickele" auf das Rathaus, damit es geflügelten Fußes der Huberbäuerin „Freud und Leid" melde. Endlich erschin das Rickele, aus der Ferne herbeieilend und von der ungeduldigen Bäuerin unter der Hausthür erwartet. „Rickele, ischt er's?" rief die Hnberbäuerin. Das Rickele aber, welches vor Keuchen keinen Ton herausbrachte, schwieg zunächst. Die Huberbäuerin, die als böses Omen auffassend, rief jammervoll aus: „Jessas, und ihan ihm erscht schau 's Bett frisch überzoga!" Der Jammer der Bäuerin war übrigens grundlos; denn: „er ischr's wirklich worda!"
(Ein Pumpgenie.) Neffe (Studiosus): „Ach, Onkelchen, leih mir zwanzig Mark." — Onkel: „Ich habe nicht recht gehört, was willst Du?" — Neffe: „Du sollst mir. bitte, vierzig Mark leihen." — Onkel: „Halt, halt! ich Hab schon gehört — es bleibt bei zehn Mark!"
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.