russischen Handelsvertragsunterhandlungen jetzt in der Hauptsache zu einem Einverständnisse geführt hätten, es handele sich von nun ab nur noch um die Formulierung und präzise äußer­liche Fassung der Ergebnisse der Unterhandlungen. Ueber die mutmaßliche Zeitdauer dieser Arbeit gehen die Anschauungen allerdings noch aus­einander, es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß der Vertragsentwurf noch im Laufe des Februar fertiggeftellt wird, und würde er dann wohl dem Reichstage bis zum Beginne der Osterferien noch zugehen. Ueber das parlamentarische Schicksal des deutsch-russischen Handelsvertrages werden in der deutschen Tagespresse schon jetzt mancherlei Vermutungen laut, indessen kann man alle diese Betrachtungen zunächst noch auf sich beruhen lassen. Zum Mindesten wird man aber die Voraussagungen, denen zusolge der russische Handelsvertrag im Reichstage aufs Ernstlichste gefährdet sein soll, nur mit Reserve aufzunehmen haben, es läßt sich in dieser Hin­sicht einfach nichts prophezeien.

Berlin. 9. Jan. Bisher (gegen Mittag) ist erst eine sehr geringe Zahl von Reichstags- Abgeordneten eingetroffen. so daß die Beschluß­fähigkeit des Reichstags sehr fraglich ist. Für die nächsten Tage ist ein zahlreiches Er­scheinen der Abgeordneten unbedingt erforderlich.

Berlin, 9. Jan. Die deutsche Kolonial- gesellschafl für Südwestafrika erhielt ausführliche Nachrichten, welche bestätigen, daß Wirboi jetzt unumschränkter Herr des Landes, abgesehen von Windhoek, ist. Man fordere die Abberufung Franyois', der alles verfahren habe. Der Voss. Ztg.", die gestern wieder von einer Kanzlerkrisis berichtet hatte, wird heute aus amtlicher Quelle die völlige Grundlosigkeit ihrer Meldung versichert.

Berlin, 9. Jan. Gestern nachmittag entstand ein Krawall vor der Wärmehalle an der Hwdtbahn. Unter den Rufen:Arbeit oder zu essen", wurden die Thürsüllungen und Fenster­scheiben eingeschlagen. Die Ruhestörer erhielten aus den umliegenden Straßen Zrhug. Die Polizei Mßte von der Waffe Gebrauch machen, um die Straßen zu-säubern. Der Krawall soll schon seit einigen Tagen geplant sein. Heute ist alles ruhig.

Berlin, 9. Jan. Eine heftige Feuers- brunst zerstörte heute nacht die große Maschinen­fabrik der Textilindustrie nebst Färberei von Gebauer in Charlottenburg. Das Fabrikgebäude ist vollständig niedergebrannt. Hunderte von Arbeitern sind dadurch beschäftigungslos ge­worden. Der Schaden ist sehr erheblich.

Karlsruhe, 8. Jan. Den Abgeordneten der badischen Kammer sind nunmehr Freikarten der badischen Eisenbahn verabfolgt worden, welche während der Dauer der Session zur freien Fahrt in der zweiten Wagenklasse zwischen hier und dem Wohnsitze des betreffenden Abgeordneten berechtigen. Mit dieser Neuerung kommt natür­lich die seither übliche Reisekostenvergütung in Wegfall.

Württemberg.

Seine Königliche Majestät haben vermöge allerhöchster Entschließung vom 4. Jan. dem Chefredakteur des Neuen Tagblattes in Stuttgart Professor Müller-Palm die goldene Medaille für Kunst und Wissen­schaft am Bande des Ordens der Württem- dergischen Krone in Gnaden verliehen.

Cannstatt, 8. Jan. Auf das Ableben des Grafen v. Tauben heim, des ältesten Ehrenbürgers hiesiger Stadl und langjährigen Präsidenten und Ehrenpräsidenten des Brunnen­vereins, wurde namens der bürgerl. Kollegien und des Brunnenvereins vom Stadtvorstand und Bürgerausschußobmann ein Beileids- und Dankschreiben an die Hinterbliebenen, sowie ein Lorbeerkranz mit Schleifen in den Stadtfarben und Widmung der Stadt und des Brunnen­vereins abgesandt. Die beabsichtigte Niederleg­ung des Kranzes am Grabe ist auf Wunsch der Hinterbliebenen unterlassen worden. Dagegen hat sich der Sladtvorstand auf Einladung am Hausgottesdienst und an der Begleitung zum Friedhof beteiligt, wo sich am Grabe weitere

Mitglieder des Brunnenvereins und der bürgerl. Kollegien eingefunden hatten.

Ulm, 8. Jan. Dem Stadtrat Prokurator Schall, der nach 23jähr. Thäligkeit aus den bürgerlichen Kollegien ausgetreten ist, wurde in Anerkennung seiner Verdienste für die Stadt Ulm von dem König das Ritterkreuz des württ. Kronordens verliehen. Die Mitglieder des Ge- meinderats ehrten ihn durch Ueberreichung eines schönen Pokals mit Widmung.

Freuden st adt, 8. Jan. Heule »acht halb I Uhr ist der Gasthof zur Krone total abgebrannt; das Nebengebäude brennt jetzt noch. Der Schaden ist sehr groß. Verdacht der Brand­stiftung liegt vor.

Stuttgart. fLandesproduktenbörse. Bericht vom 9. Januar von dem Vorstand Fritz Kreglinger.j Am Getreideweltmarkte hatte sich in abgelaufener Woche nichts Neues zugetragen. Die süddeutschen Märkte sind schwach beschickt, Preise ohne Aenderung. Der heutige letzte Hopfenmarkt war ziemlich gut besucht und zeigte lebhaften Verkehr; bezahlt wurden 170245 ^ Die Börse ist gut besucht. Geschäft nicht von großem Be­lang. Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, La Plata 16 ^L 75 bis 16 ^L 90 Z, dto. In. 17 -4L

bayr. 16 -4L 40 bis 16 -4L 60 Kernen,

Oberl. 16 -4L 50 Gerste, fränk. 184L 50 Hafer, Alb 18 -4L 20 ^ bis 18 -4L 40 dto. la. 19 -4L zu Nährungszwecken, Ackerbohnen 16-4L 50^, Donau- Mais 12-4L 75 Mehlpreise per 100 Kilo,

inkl. Sack bei Wagenladung: Mehl Nr. 0: 28-4L

^ bis 29 «4L Nr. 1: 26 -4L bis 27 -4L

^!, Nr. 2: 24 -4L 50 ^ bis 25 -4L SO Nr. 3: 22 -4L 50 ^ bis 23 -4L Nr. 4: 19 -4L bis 19 -4L 50 Suppengries: 29 «4L ^4. Kleie mit Sack 9 -4L

^ per 100 Kilo je nach Qualität.

Ausland.

Wien, 8. Jan. Wie aus München von unterrichteter Seite gemeldet wird, ist im Be­finden des Königs Otto in den letzten Tagen eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten.

Die colonialpolitische Freundschaft zwischen Frankreich und England, die schon bis­lang keineswegs prima Qualität war, hat durch den blutigen Zusammenstoß zwischen einer eng­lischen und einer französischen Colonne im Hinterlande von Sierra Leone in Westafrika plötzlich von Neuem ein bedenkliches Loch er­halten. Obwohl eine authentische Darstellung des bedauerlichen Vorganges noch aussteht, so ist doch das eine schon zweifellos gewiß, daß die Franzosen die Angreifer waren. Ihr Anführer hat die Truppen der englischen Expedition an­geblich für feindliche Sofas-Neger gehalten, gegen welche sich die französische Colonne unter­wegs befand, und darauf hin den Angriff auf die vermeintlichen Feinde angeordnet. Aller­dings waren die Truppen der Engländer eben­sogut Schwarze, wie diejenigen der Franzosen, aber die englischen Offiziere und Unteroffiziere waren doch Weiße, außerdem müssen die engli- schen Expeditionstruppen doch die britische Colo- maluniform oder wenigstens die Abzeichen der­selben getragen haben, um so rätselhafter erscheint es, daß man französischerseits die englische Expe­dition für eine Abteilung der Sofas halten konnte. Ueber die beiderseitigen Verluste liegen noch keine genaueren Angaben vor, doch scheinen die Verluste der Engländer diejenigen der Fran­zosen zu übertreffen. Der Schauplatz des Treffens befindet sich in der Nähe von Marine am oberen Niger, in einer Gegend, welche die Engländer für ihre Interessensphäre im westlichen Afrika reklamieren. Sollte in der That die englische Colonne auf nachweisbar britischem Jnteressen- Gebiete von den Franzosen angegriffen worden sein, so würde der französische Angriff doppelt unbedachtsam erscheinen und an Frankreich würde es alsdann sein, England Genugthuung zu geben. Vorläufig ist man in den Londoner wie in den Pariser Regierungskreisen bemüht, die Affaire von Warina ohne Erregung zu prüfen, selbst im besten Falle wird aber der peinliche Vorgang doch wohl eine neue Verstimmung zwischen Paris und London zurücklassen.

Rom. Nach einer Meldung desPopolo Romano" aus Neapel vom heutigen Tage ist die Stadt ruhig, steht aber unter dem Eindruck der sizilianischen Bewegung. Die In­haber der hervorragendsten Waarenhäuser haben ihre Schaufenster geschlossen aus Furcht vor

Straßentumulten, die jedoch bisher nicht ein­getreten sind. Mehrere Individuen wurden von der Polizei verhaftet und dem Gericht über­wiesen.

Palermo, 7. Jan. General Morra hat eine Proklamation an die Bewohner Siziliens veröffentlicht, in welcher er den lebhaften Wunsch ausdrückt, die überaus große Mehrheit der Be­völkerung, welche den Ausschreitungen sernge- blieben ist, wieder zu beruhige», die kleine Zahl von Hetzern so schnell als möglich unschädlich zu machen und die Verblendeten auf den richtigen Weg zurückzuführen. Der General apelliert an die guten Bürger, ihm bei der Beruhigung der Gemüter behilflich zu sein und ihm die schmerz­liche Pflicht zu ersparen, die Strenge des Ge­setzes wallen zu lassen. Angesichts der Stock­ung der Geschäfte infolge der Ruhestörungen auf Sicilien ordnete General Morra an, daß der Verfalltermin für alle Schuldverpflichtungen an die Banken um 2 Monate vom 1. Januar dieses Jahres ab gerechnet hinausgeschoben werden solle.

Newyork, 8. Jan. Der Newyorker Herald meldet aus Buenos-Ayres: Die Schiffe der Auf­ständischen vor Rio de Janeiro sind seit mehreren Tagen unthätig und das Geschützfeuer beschränkt sich auf die längs des Users befind­lichen Schaluppen und Kanonenboote. Das­selbe Blatt meldet aus Managua: General Williams, der bei der Einnahme von Cholutecas durch den General Bonilla gefangen genommen wurde, ist bei einem gestern unternommenen Fluchtversuch gelötet worden. Bei Tegucigalpa fand am Samstag ein Artilleriekampf statt, bei dem annähernd 100 Soldaten fielen.

Chicago, 9. Jan. Im Kasinogebäude des Ausstellungspalastes brach Feuer aus, welches das Gebäude, sowie den Säuleneingang zum Musiksaal zerstörte und das große Gebäude der freien Künste ergriff. Zwei Feuerwehrleute wurden getötet. Der Schaden der in der Ab­teilung der freien Künste angerichtet wurde, dürfte 100000 Doll, nicht übersteigen.

Telegramme an Len Enzthäler.

Berlin, 9. Jan. (Deutscher Reichs­tag.) Nach kurzer Debatte wird bei mäßig be­setztem Hause das Uebcreinkommen der Dresdner internationalen Sanilätskonferenz in erster und zweiter Lesung beraten. Der Zentrumsanlrag auf Abänderung der Konkursordnung wird so­dann an eine Kommission überwiesen.

Berlin, 10. Jan. Gestern abend fand bei dem Finanzminister Miquel ein Diner statt, an dem Caprivi und sämtliche Slaats- minister und obersten Reichsbeamlen teilnahmen. Miquel äußerte sich im Laufe des Gespräches dahin, daß mit dem gegenwärtigen Reichstag auf die Dauer nicht zu regieren sei, er bezweifle, daß sich eine Mehrheit für den russischen Handels­vertrag finde. Miquel ließ sich scharf darüber aus, daß der Reichstag Ausgaben beschließe, für deren Deckung er nicht aufkommen wolle. Wenn der Reichstag den Wein und das Bier nicht be­steuern wolle, solle der Branntwein herange­zogen werden. Von Inseraten- und Kunstwcin- Steuer halte Miquel nichts. Gegen die Be­steuerung des Tabaks nach Gewicht sprach er sich energisch aus.

Berlin, 10. Jan. Die Nordd. Allgem. Ztg. ist in der Lage, die Meldungen von einem Entlaffungsgesuch des Reichskanzlers als nichtige Erfindungen zu kennzeichnen.

Berlin, 9. Januar. Die Eröffnung des Landtages erfolgt am 16. Januar vormittags II Uhr im weißen Saale des Schlosses.

Berlin, 9. Jan. Von gut unterrichteten Kreisen wird versichert, der deutsch-russische Zoll­vertrag enthalte eine Reihe für die landwirt­schaftliche Produktion erheblicher Nachlässe an früheren Zollsätzen, besonders sollen die Sätze für Käse und Hopfen wesentlich herabgesetzt sein,

Wien, 9. Jan. Der deutsche Kaiser überwies der Stadt Steyr 1000zum Bau einer evangelischen Kirche.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.