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„Gott zum Zeugen: ich bin unschuldig!" Der Verurteilte sagte es — laut — es war der Aufschrei eines sterbenden Herzens.
Die Anwesenden erbebten —-
Er entledigte sich selbst seines Rockes, streifte
das Hemd zurück, kniete nieder-
In diesem furchtbaren Augenblicke stürzte ein Beamter der Staatsanwaltschaft in den Hof, bleich, atemlos, in der Hand eine geöffnete Depesche--
„Halt, um Gotteswillen, halt! Er ist unschuldig! — Hier — die Depesche!" —
Der Scharfrichter stutzte — schon hielt er das blanke Richtbeil in den Händen —
„Zurück!" donnerte ihm der Staatsanwalt zu, ergriff hastig die Depesche, durchflog sie mit einem Blicke — —
„Er ist schuldlos — der wahre Mörder ist gefunden und hat gestanden!" erklärte er in fieberhafter Aufregung den Anwesenden, die ihn mit allen Zeichen höchsten Erstaunens umdrängten.
Er eilte zu dem Verurteilten, der noch immer knieend an dem Blocke lag — teilnahm- los — taub für das. was um ihn vorging — als sei seine Seele schon entflohen.
„Förster Stolzenberg — erheben Sie sich!" sagte er mit bebender Stimme. „Sie sind unschuldig, frei-"
Wie aus einem schweren Traume jäh erwachend, erhob der Förster das Haupt und blickte wirr um sich.
„Warum sterbe ich noch nicht? Was ist geschehen?"
«Sie sind unschuldig, Mann — frei!" — „Unschuldig?!"
Mit diesem Ausruf fuhr er empor und wiederholte: „Unschuldig?! — Ist es denn wahr? wirklich wahr? — Refft mich kein Traum?
— O. sagen Sie es noch einmal!"
„Es ist wahr, Förster Stolzenberg! Gott hat nicht gewollt, daß unschuldiges Blut durch den Arm des Gesetzes vergossen werde. Der wahre Mörder — —"
„ — ist entdeckt?" rief der Förster. „Wer ist es?«
„Hans Mohr heißt er, ein Wilderer, den Sie kennen werden." erwiderte der Staatsanwalt. „Er ist beim Wildern betroffen und in einem Kampfe mit Ihrem Kollegen Lehnert tötlich verwundet worden. — Von Gewissensbissen gefoltert, hat er dem Pfarrer die Thal gebeichtet. Er hat Annaliese, mit der Sie einst ein zärtliches Verhältnis unterhielten, zu veranlassen gewußt, den Mühlhofbauer Paul Jensen, der leidenschaftlich verliebt in sie war, zu heiraten. Das Nähere darüber ist mir unbekannt. Er glaubte deshalb Ansprüche auf den Geldbeutel des Mühlhofbauern zu haben. Dieser hat ihm auch wiederholt Geld gegeben, ist aber schließlich des ewigen Drängens müde geworden und hat ihn abgewiesen. Als der Wilderer eines Tages im Walde den Bauern traf, erschoß er ihn aus Rache. So weit die Depesche. —
„Förster Stolzenberg, Sie haben schwer gelitten, bitteres Unrecht ist Ihnen widerfahren
— vergeben Sie es den menschlich irrenden Richtern und mir! — Empfangen Sie meine Hand — Ehrenmann, der sich nie untreu wurde, noch in der Nähe des Todes den Siegerblick und die Stimme der Unschuld hatte!"
Der Förster ergriff die dargebotcne Hand. Er war auf's Tiefste erschüttert. Das, was er erlebte, überstieg ja auch alle menschlichen Kräfte
— schon umrauscht von dem Flügelschlag des dunklen Todesengels, wieder neu geboren, dem Licht, dem Leben wiedergegeben — aus dem Sumpf der Schande empor gehoben 'zur Ehre, die auf immer verloren zu sein schien — o, es überwältigte ihn, er schwankte und wäre zusammen gebrochen, wenn ihn der Staatsanwalt nicht aufgefangen hätte. Der starke Mann, der dem Tode gefaßt und ohne Zagen in das düstere Auge geschaut hatte, er zitterte unter tiefem, inneren Schluchzen!
Alle, welche Zeugen waren, fühlten sich seltsam ergriffen und bewegt. Kein Auge blieb thränenlos.-
Wir haben nur noch weniges hinzuzufügen. Förster Stolzenberg wurde selbstverständlich
sofort frei und wieder in alle Ehren eingesetzt.
Er eilte nach Hohlfeld. Man kannte ihn kaum wieder. Ohne Bart, bleich, hohläugig von der langen Haft, glich er einem müden Greise.
Er hatte nicht den Mut, Annaliese aufzusuchen, aber sie kam zu ihm, warf sich in seine Arme. Was zwischen den beiden verhandelt wurde, das verriet die Zukunft. Sie wurden ein glückliches Ehepaar. So erfüllten sich die Träume der längst entflohenen Jugendzeit doch noch.'
Der Wilderer Hans Mohr starb nach langem Schmerzenslager. Er hat wohl durch den Tod, der ihn mitten im vollen Leben unerwartet traf und durch die heiße Reue, die sein Herz zerriß, seine Verbrechen in den Augen der ewigen Liebe gesühnt.
Ende.
Ein einfacher Landwirt, der von der vom Zentrum beabsichtigten Aufhebung des Jesuiten- Gesetzes im Reichstag gehört hatte, sprach das offene Wort aus: Das kann der Kaiser nicht zugeben , denn er ist ein evangelischer Kaiser und die Jesuiten haben die Ausrottung des evangelischen Glaubens auf ihre Fahne geschrieben. Und wer sich einbildet, die Sozialen durch Jesuiten zu besiegen, der ist betrogen, denn man kann, mit Verlaub, Läuse mit Wanzen nicht vertreiben.
Das Neueste auf dem Gebiete der nie ruhenden Reklame sind mit Noten bedruckte Papierwaren, welche laut Ankündigung von einer Firma des würtlembergischen Oberlandes demnächst in den Handel gebracht werden. Auf Zigarren-, Thee-, Kaffee- und Konditorbeuteln sowie Tüten aller Art werden Originalmusikstücke eines Wiener Komponisten angebracht, die von einem entsprechenden poetischen Text begleitet sind.
Wien. 23. Nov. „Die Engländerin und der Fiaker" könnte man ein drolliges Geschichtchen überschreiben, welches das „W. Tagbl.« erzählt. Wir lesen da: Nicht nur die Engländer sind praktisch, die Engländerinnen sind es auch. Namentlich haben sie, obwohl sie zumeist nur ihrer Muttersprache mächtig sind, ein besonderes Talent, sich überall zurechtzufinden und zu verständigen. Im schlimmsten Falle ziehen sie ein Wörterbuch zurate, so wie es eine junge Dame that, die seit kurzem in Wien als unverfälschte „LnZlisii goveru688" lebt. Fehlte ihr ein Wort, so wurde flugs das „Dictionary" hervorgcholt. So machte sie es auch gestern, als sie in einen Fiaker steigen und den Kutscher fragen wollte, ob er engagiert oder frei sei. Sie hatte nach kurzem Nachschlagen die englische Formel hierfür: „L.rc ^ou cnZa- Zcä?" ins Deutsche übersetzt und wandte sich an den Rosselenker mit den Worten: „Sind Sie verlobt?" Der verblüffte Fiaker fragte umgehend, ob die Dame nicht verrückt sei, und erklärte dann seine Bereitwilligkeit, sich zu verloben, mit den Worten: „Sprechend mit mein' Vätern, Madame!"
London, 22. Nov. Die „Truth" erzählt ein paar hübsche Anekdoten vom verstorbenen Lord James Rothschild. Auf einer Abendgesellschaft beim Prinzen Wales traf Lord James den Prinzen Paul von Württemberg und begrüßte ihn herablassend mit einem: „Guten Abend. Paul!« „Guten Abend, Rothschild!", sagte der Prinz in bester Laune und fügte bedauernd hinzu: „Wie leid thut es mir, daß ich Sie nicht auch mit Ihrem Taufnamen anreden kann!" Ein anderes Mal saß Lord James in seinem Arbeitszimmer und rechnete, als der Kammerdiener ihm einen Grafen v. Schlabria- domriadowski anmeldete. Der Lord nickte freundlich mit dem Kopfe und sagte dem Eintrenden: „Nehmen Sie sich einen Stuhl, Verehrtester, ich bin gleich fertig." „Ich bin der Graf von Schlabriadomriadowski!", sagte der andere steif. „Nun, so nehmen Sie sich zwei Stühle!", rief Lord James mit reizender Freundlichkeit und rechnete weiter.
Aus Ausstralien. Gemütlichkeit herrscht nicht nur in Sachsens schönen Gefilden, sondern auch in Australien, selbst bei Geldsachen. Ein in einem australischen Bankgeschäft Angestellter verspielte am Totalisator 80 000 ^. Er hat das Geld der Bankkasse entnommen, kann cs nicht ersetzen und schüttet dem alten „Rechts- beistande« seines Vaters sein Herz aus. „Wie viel kannst Du noch nehmen, ohne sofort erwischt zu werden?" „120000etwa." „Gut, so bringe sie mir." Daraus zählt der biedere Advokat 20 000 c/lL ab. „Siehst Du, mein Sohn, die sind für mich! Diese weiteren 20000 ^ für Dich!" Und nun schreibt er der Bank: „Derbei Ihnen angestellte N. N. hat 200000 ^ unterschlagen; der Familie ist es mit Aufbietung aller Kraft gelungen, 80000znsammenzubringen. Falls sie mit dieser Summe zufrieden sind und dem jungen Mann Straflosigkeit zusichern, sollen Sie das Geld haben." Selbstverständlich nahm die Bank die angebotene Summe.
Die Aufbewahrung frischer Blumen in Eis kann gegenwärtig als vollkommen gelungen bezeichnet werden, nachdem aus Neu-Seeland eine neue Sendung von Blumen, direkt in Eis- blöcken eingefroren, in tadellosem Zustande nach London gelangt ist. Auch die Konservierung von Obst zwischen Eis hat einen bedeutenden Erfolg zu verzeichnen, da es bis heute noch bei einigen großen deutschen Obstzüchtern gutes Sommerobst aus dem vorigen Jahre giebl. Es ist somit ein weiterer Schritt erreicht, den Unterschied der Jahreszeiten für die Erzeugung gärtnerischer Produkte immer mehr aufzuheben und so der unter viel günstigeren klimatischen Bedingungen arbeitenden ausländischen Konkurrenz wirksam zu begegnen.
(Vor Gericht.) Richter: „Sie sind schon neun Mal wegen Diebstahls vorbestraft! Schämen Sie sich nicht?" — Angeklagter: „Schau'n S', Herr Präsident, wenn man so viel stiehlt wie ich, kann einem das schon passieren!"
(Merkwürdig.) „Wo ist Deine Mutter?" — Sie ist vor zwei Stunden auf fünf Minuten zur Nachbarin hinüber.
Rätsel.
Ich liebe sehr das Wasser, cs ist mein Element, Und das, ich darf es hoffen, verzeiht man mir am End',
Nicht aber eine andre, viel schlimm're Passion: Daß ich so oft besuche die Zeilungsredaktion.
Briefkasten der Red. L. D. Füllinserate, sog. „Lückenbüßer" finden Sie in unserem Blatte nicht. Wir brauchen dieses Hilfsmittel nicht, wollen unsere Leser auch nicht damit unterhalten. Statt dessen haben wir den „unterhaltenden Teil", für welchen stets gesorgt ist; ja solcher muß oft wesentlich beschränkt werden, ;e nachdem amtliche und Privatanzeigen, politische Nachrichten und Telegramme unvermutet sich noch in letzter Stunde herandrängen. Dies hat zur Folge, daß sich oft der vorhandene Satz von unterhaltendem Stoff so anhäuft, daß wir von Zeit zu Zeit genötigt sind, Beilagen zu geben, wie dies ja besonders in den letzten 14 Tagen der Fall war. Beilagen verursachen aber stets nicht unerhebliche Kosten für Papier and Druckerlohn und so haben wir um so weniger Anlaß, nicht bezahlte Annoncen (Füllinserate) aufzunehmen. Zu unentgeltlichen Aufnahmen von Reklamen hätten wir tagtäglich Gelegenheit; wir sehen aber nicht ein, warum zu Gunsten einzelner Interessenten der allgemein unterhaltende Teil, in welchem wir auch oft „Gemeinnütziges" bringen, geschmälert werden soll. Ihrem Ansinnen können wir also nicht entsprechen.
Biel Geld
spart jede Hausfrau, wenn sie ihre wollenen Abfälle nicht in eine sogenannte Kunstwollfabrik schickt, sondern die betreffenden Artikel z. B. Buxkin, Kleider- u. Regenmantelstoffe, Läuser- stoffe, Teppiche rc. 25—40 °/o billiger, sowie in größeren Breiten und viel besseren Qualitäten bei Ludwig Becker, vorm. Ehr. Erhardt in Pforzheim kauft. Jedermann wird sich bei einem Versuch von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugen und für die Folge keine wollenen Abfälle mehr fortschicken.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.