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Wunderbares, daß Graf Taaffe auf seinem Posten verbleibt, in Oesterreich ist ja heute schließlich alles möglich! Vielleicht will Taaffe während der augenblicklichen Vertagung des Parlaments versuchen, durch Verhandlungen hinter den Coulissen die im Werke befindliche intime Annäherung zwischen den Deutsch-Liberalen, den Polen und den Konservativen behufs Bildung einer festen und von der Regierung völlig unabhängigen Mehrheit zu vereiteln, denn in solchen Mitteln der politischen Coulissen-Jntrigue sucht ja Graf Taaffe seinen Meister!
Pest, 30. Okt. Die Blätter melden, die Kronprinzessin-Witwe Stephanie stehe im Begriffe, eine zweite Ehe zu schließen. Vor einiger Zeit ist gemeldet worden, der mutmaßliche Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand beabsichtige, die Witwe des Kronprinzen Rudolph zu ehelichen. Der Hofklatsch hatte diese Verbindung bereits lange in Aussicht gestellt und auch gemeldet, der Kaiser habe den Erzherzog nur deshalb auf eine Reise um die Welt geschickt, damit er seine Neigung vergessen solle, (St. P.)
Dar Pariser „Figaro" zieht in seiner Weise die Konsequenzen aus den Russenfesten. Das Bündnis mit Rußland ist ihm über jeden Zweifel erhaben. Nicht so — die Würdigkeit der Republik für so große Ehrung. Es seien große Pflichten, die Frankreich nunmehr auferlegt wären. Adel verpflichte und ein Bündnis gleichermaßen. Die Gemeinsamkeit der Interessen und Sympatien bilde das Fundament des Bundes, daraus folge für Frankreich eine Pflicht vor allem: die Ordnung. Diese sei aber nicht so gesichert wie nötig wäre, die Ordnung wäre beständig von der Politik des Umsturzes bedroht und mehr als einmal hätte die letztere Gewicht bei der Regierung gewonnen. Man brauche eine feste Regierung, wenn man den kostbaren Besitz der russischen Allianz nicht einbüßen wolle. —
Paris, 28. Okt. Paris scheint auch seinen „Spieler- und Wucherprozeß" haben zu sollen. Die „Neue Freie Presse" meldet von hier: Bertrand, der Direktor eines der größten Pariser Spielcercles, des sogen. Betting-Clubs, wurde gestern infolge einer Anzeige des Grafen Mar- cilly wegen Wuchers verhaftet. Bertrand hatte dem Grafen Marcilly, welcher im Betting Elub riesige Spiel-Verluste erlitten hatte, 80 000 Franken vorgestreckt und sich hiefür einen Schuld- Schein über 230 000 Franken ausstellen lassen. Gleichzeitig mit Bertrand wurde ein Notar festgenommen, welcher beurkundet hatte, daß Mar- cilly die Summe von 230000 Franken wirkich empfangen hätte. Auch eine schöne Gesellschaft!
London, 30. Okt. Der Vertreter der „Times" in Toulon berichtet aus einem Gespräch mit einem Vertrauensmann des russischen Botschafters v. Mohrenheim, daß zwischen Frankreich und Rußland schon zwei Jahre eine Militärkonvention bestanden habe.
Chicago, 29. Oktbr. Bürgermeister Harrison ist gestern von einem unbekannten Mann durch einen Revolverschuß getötet worden. Der Mörder ist ein geistesgestörter Stellenjäger namens Prendorgast. Derselbe wurde auf Klingeln bei Harrison von dem Diener eingelassen und feuerte vier Schüsse auf den auf dem Sopha Ruhenden ab. welcher binnen 20 Minuten verstarb. Der Mörder wurde bei seiner Verhaftung beinahe gelyncht.
Washington, 30. Okt. Der Senat hat die Vorlage betr. die Aufhebung der Shermanakte mit 43 gegen 32 Stimmen angenommen.
Telegramme an den Enzthäler.
Wien, l. Nov. In der Strafanstalt in Garsten brach eine Sträflingsrevolte aus. Das Militär schritt mit blanker Waffe ein.
Cetinje, 1. Nov. Die Regierung von Montenegro forderte wegen desjüngsten Albanesen- Ueberfalles Genugthuung von der Pforte.
London, 1. Nov. Nach einer Pariser Times-Mcldung hat der französische Marine- minister den Admiral Avellan von dem Rundschreiben in Kenntnis gesetzt, welches alle Hafenmeister und Seepräfekten an der französischen «
Küste des Mittelmeeres onweist, die russischen Kriegsschiffe, wenn sie französische Häfen ver lassen, wie französische Schiffe zu behandeln.
Vermischtes.
Paris, 25. Okt. Daß die Russenbe - geisterung Menschen rasend machen, ja sogar biedere Polizisten zu Trunkenheit und Straßen raub verleiten kann, ist bekannt; neu, daß sie zu Selbstmord zu führen vermag. Als gestern vormittag ein Schnellzug die russischen Offiziere über die Eisenbahnbrücke bei Asniöres fuhr, schwang eine etwa vierzigjährige Frau, welche auf der dortigen Verkehrsbrücke stand, wie wild russische Fahnen, ließ dann ihren Rock fallen, wickelte den Oberkörper mit Fieberhaft in die Fahnen und rief: „Sie sehen und sterben! — Es lebe Rußland!" Dann warf sie sich über das Geländer hinunter in den Strom. Man eilte zu Hilfe, fand aber nur eine Leiche, deren Untcrrock aus mehreren russischen und französischen Fahnen, das Hemd nur aus russischen genäht war. Da die Aermste wahrscheinlich keine dreifarbigen Strümpfe gefunden hatte, so trug sie deren drei an jedem Bein, einen blauen, einen weißen und einen roten.
(Das Gewissen.) Dem Finanzminister der Vereinigten Staaten gingen letzter Tage, wie die N.-U. Handelsztg. berichtet, aus New Jork zwei Briefe zu, deren Adressen dieselbe Handschrift trugen. In dem einen Briefe befanden sich acht 100 Dollars-Bills und in dem anderen sieben, sowie ein Schreiben ohne Unterschrift, in welchen der Absender erklärt, es sei dies der Rest von 20000 Dollars, die er der Regierung in den letzten dreißig Jahren wiedererstattet habe. Während des Krieges habe er die Regierung um 10 000 Dollers betrogen, und jetzt habe er den doppelten Betrag zurückerstattet. Während Postmeister Wanamakers Amtszeit habe an denselben zweimal Geld geschickt, einmal 2000 Dollars, aber nie gehört, was damit geschehen sei. Die inneren Qualen, die er während der ganzen Jahre ausgestanden, wären unbeschreiblich, und er hoffe zu Gott, daß dieser ihm seine Sünde vergeben werde.
Eine Revolution im Kalender. In Brasilien macht man gegenwärtig nicht nur den Versuch, die Regierung zu wechseln, sondern man strebt auch eine gründliche Aenderung des Kalenders an. Man geht nämlich seit einiger Zeit in der großen südamerikanischen Republik daran, den sogenannten positivistischen Kalender von Auguste Comte einzusühren. In diesem Kalender heißen die Tage der Woche: Sonntag
— Tag des Menschen; Montag — Tag des Gatten; Dienstag — Tag des Vaters; Mittwoch — Tag des Sohnes; Donnerstag — Tag des Bruders; Freitag — Tag des Hauses; Samstag — Tag der Mutter. Die 12 Monate des Jahres führen folgende Namen: Januar
— Moses; Februar — Homer; März — Ari
stoteles; April — Archimedes; Mai — Cäsar; Juni — Paulus; Juli — Karl der Große; August — Dante: September — Gutenberg; Oktober — Shakespeare; November — Car- tesius; Dezember — Friedrich der Große! Die Brasilier werden also in diesem Jahre Weihnachten unter dem Schutze Friedrichs oes Großen feiern. _
Das Vereinswesen steht in Berlin,' wie männiglich bekannt, in üppigster Blüte, und in der Benennung der Vereine zeigt sich nicht selten der Berliner Humor in seiner ganzen Ausgelassenheit. Hierher gehört der Verein „zum geplatzten Stiefel", von dessen Dasein jüngst eine Gerichtsverhandlung der Welt Kunde gab.
Bei den letzten Manövern in der Schweiz sieht ein englischer General erstaunt einem Appenzeller Schützen zu, der fortwährend Mannstreffer schießt. „Na", sagt der General endlich, „habt Ihr in der Schweiz viele solche Schützen, mein Sohn?" — „Oeppe fufzgtustg, Herr General!" — „So. so! Was würdet Ihr aber machen, wenn ich mit hunderttausend Engländern Euch angreifen würde?" — „Gad (gleich) no' emol lade'!"
Oeffnet die Fenster. Bei Eintritt der rauhen Jahreszeit werden in vielen Wohnungen die Fenster geschlossen und womöglich während des Winter nicht mehr geöffnet, und wer ein solch' ungelüftetes Zimmer betritl, dem duftet eine Luft entgegen, welche ihn geradezu anwidert und ihm den Athem benimmt. Wie unwissend und unpraktisch sind solche Leute, welche glauben, bei geschlossenen Fenstern eine warme Stube zu haben und an Heizung zu sparen! Nicht unreine, sondern eine reine Luft wärmt am meisten und ist am leichtesten zu erwärmen. Wo in Räumen große Menschenmengen zusammengedrängt sind, da möge man während der nun kommenden Zeit nach jeder Stunde die Fenster fünf Minuten lang öffnen; jede Wohnung werde täglich zu wiederholten Malen gelüstet. Niemand braucht sich zu fürchten, bei offenen Fenstern zu schlafen; um frische Lust in das Zimmer zu dringen, genügt im Winter oft eine kleine Spalte des geöffneten Fensters. Am besten ist es, die Fenster des anstoßenden Schlafzimmers und in letzterem selbst die Thüre zu öffnen.
Das beste Mittel gegen Schnupfen soll nach Dr. Onimus in Monako Zitronensaft sein. Man gießt in die hohle Hand eine ordentliche Portion Saft einer gut reifen Zitrone und zieht denselben durch die Nase in den Mund. Zwei bis drei solcher Aussaugungen genügen zur Heilung. Auch bei chronischer Halsentzündung und solchen, die sich im Schlund lokalisieren, soll das Verfahren ausgezeichnete Wirkung thun.
Allerseelen.
(Einges. — Nachdruck verboten.)
Die Nebel fliehen grau und immer dichler Ueber das Thal hinaus,
's ist Allerseelen und die Blumenlichter Löschte der Herbstwind aus.
Matt scheint die Sonne und in Küstern Träumen Schreitet ein Wand'rer unter kahle» Bäumen, Längst sind die Blüten und das zarte Laub Des Sturmes Raub.
Die Herbstzeitlosen stehen auf der Haide In tiefer Todesruh'. —
Des Volkes Schaaren zieh'n im Trauerkleide Dem Gottesacker zu.
Und ach, wer weiß, vielleicht nach kurzen Tagen Werden sie selber da hinausgetragen,
Denn, Zeit und Leben, wie des Baumes Grün, Welkt schnell dahin.
Weint nicht um die, die Ihr in's Grab gebettet, Wo sie nun selig ruh'n.
Der freie Geist, vom Staube losgekettet,
Trinkt Himmelsklarheit nun.
Wohl thut es weh. ein treues Herz zu missen, Den Mund, der Segen sprach, im Tod zu küssen. Doch wo der Herr sagt: „Auseinandergeh'n!" Blüht Wiederseh'n. —
Silben-Rätsel.
al, Ion, ru, da, o, äan, ew, ost, sto, rvoiss, luit, äon, ran, norä, o, au, burZ, wa, stol,
polst, dens, stellt, ei, so, kant, laust, in. Aus vorstehenden 27 Silben sind 11 Worte zu bilden ».zwar: Glänzender Stern, Fürstennamc, Europäische Hauptstadt. Alpenpflanze, berühmter Maler, Schlachtort, weiblicher Name, schottische Stadt, Stadt in der Pfalz, Dickhäuter, Himmelserscheinung. Die Anfangsbuchstaben bezeichnen ein ernstes Fest.
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wie viel Geld Sie sparen, wenn Sie Ihren Bedarf an Manufakturwaren. Herren- u. Damenkleiderstoffen, Hemdenflanellen, Aussteuerartikel rc. bei Ludwig Becker vorm. Chr. Erhardt in Pforzheim decken. Ein Versuch wird Sie von der enormen Billigkeit.überzeugen.
Briefkasten -er Red. k. R. Freundl. Dank
für Ihre anerkennenden Worte. Im Hinblick auf den übrigen Inhalt Ihrer Zuschrift sehen wir uns zu der Erklärung veranlaßt, daß von einer Verpflichtung gar keine Rede sein kann. Alle Bereinsangelegen- heiten zu berücksichtigen, würde weit über den Rahmen des Blattes hinausgehen und zu unabsehbaren Consequenzen führen. Vielmehr werden wir zukünftig, soforn nicht ein allgemeines, öffentliches Interesse vorliegt, nur von solchen Veranstaltungen und Vereinsversammlungen Notiz nehmen, bzw.fur ein Referat besorgt sein, wenn wir besondere Einladung erhalten und wo uns ein halbwegs günstiger P>"v gesichert ist, von dem aus auch der Vorgang wirklich verfolgt werden kann. Anderwärts geschieht dies gegenüber den Vertretern der Presse auch. — Wir rönnen Ihnen Nachweisen, daß der Enzthäler in früheren eiten die Berichterstattung über Abendunterhaltungen, onzerte oder Veremsversammlungen grundstrtzl w unterlassen hat.
Redaktion, Druck uud Verlag von Ehr«. Merh in Reuenbürg.